Marktplatzangebote
9 Angebote ab € 0,25 €
  • Broschiertes Buch

Die Büroangestellte Gabi beginnt ein aussichtsloses Verhältnis mit einem verheirateten Kollegen. Ein alter Mann im Rollstuhl ist dazu verdammt, mit seiner philippinischen Haushaltshilfe zu leben, die er eigentlich nicht leiden kann. Ezra versucht verzweifelt, seinem desertierten Sohn, der sich an einem geheimen Versteck aufhält, seine Liebe zu beweisen. Und der unansehnliche Aviram weiß, daß die Frau, die er begehrt, für immer unerreichbar für ihn bleiben wird. All diese Menschen leben in unmittelbarer Nachbarschaft in einem heruntergekommenen Wohnhaus in Tel Aviv. Sie fühlen sich allein…mehr

Produktbeschreibung
Die Büroangestellte Gabi beginnt ein aussichtsloses Verhältnis mit einem verheirateten Kollegen. Ein alter Mann im Rollstuhl ist dazu verdammt, mit seiner philippinischen Haushaltshilfe zu leben, die er eigentlich nicht leiden kann. Ezra versucht verzweifelt, seinem desertierten Sohn, der sich an einem geheimen Versteck aufhält, seine Liebe zu beweisen. Und der unansehnliche Aviram weiß, daß die Frau, die er begehrt, für immer unerreichbar für ihn bleiben wird. All diese Menschen leben in unmittelbarer Nachbarschaft in einem heruntergekommenen Wohnhaus in Tel Aviv. Sie fühlen sich allein gelassen, gehen einander aber dennoch aus dem Weg, bei unvorhergesehenen Begegnungen flüchten sie sich in Unwahrheiten oder verlieren die Selbstbeherrschung. Dabei haben die Lebensläufe dieser Helden der Einsamkeit mehr miteinander zu tun, als sie wahrhaben wollen. Alle verspüren den Wunsch nach Nähe, danach, die Wand zum Nächsten niederzureißen, folgen aber eher fremden Empfehlungen als den e igenen Gefühlen. Und wer endlich ein Ziel erreicht hat, merkt, daß er eine andere Vorstellung davon besaß. Jehoschua Kenaz erzählt atmosphärisch dicht, einfühlsam und prägnant. Was als ein Panoptikum des israelischen Gemeinwesens beginnt, entwickelt er mit der Suggestivkraft des großen Erzählers zum Drama des Menschen in unserer Zeit.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.02.2001

Haus der Qualen
Jehoschua Kenaz' Roman über das Ende des zionistischen Traums

Mit der Staatsgründung Israels wurde ein Traum zur Wirklichkeit, und die Wirklichkeit entsprach nicht dem Traum. Allen Nationalbewegungen, die ihr Ziel erreicht haben, ist diese Ernüchterung gemeinsam, den Zionismus aber mußte sie besonders hart treffen. Der Judenstaat wurde drei Jahre nach der Katastrophe des Holocaust errichtet, er entstand auf einem Boden, der den drei monotheistischen Religionen als das Heilige Land gilt - doch die messianischen Erwartungen erfüllten sich nicht. Viele Werke der israelischen Literatur, die seit den achtziger Jahren auch auf deutsch erscheinen, reflektieren diese Enttäuschung. Autoren wie Yoram Kaniuk, Abraham B. Jehoschua und Amos Oz kamen in den dreißiger Jahren zur Welt und haben sie als einen Teil ihrer Jugenderlebnisse verinnerlicht.

Zu ihrer Generation gehört auch Jehoschua Kenaz. Die beiden Romane, die bisher auf deutsch vorliegen, machen seine Skepsis gegenüber der in Israel entstehenden Gesellschaft sehr deutlich. Sein Erstling, "Nach den Feiertagen" (1964, deutsch 1998), zeigt die Ansätze zur Selbstzerstörung schon im ländlichen Palästina vor der Staatsgründung, schreibt schon früh gegen den Mythos einer ursprünglichen Unschuld an, die es hier gegeben haben soll. Und "Auf dem Weg zu den Katzen" (1991, deutsch 1994) setzt diese Linie konsequent fort, beschreibt eine Anzahl kranker, frustrierter Einwanderer, die nicht einmal die Sprache ihres neuen Landes gelernt haben.

Kenaz liebt es, seine Figuren um einen Fokalpunkt zu gruppieren - eine landwirtschaftliche Siedlung, eine Rehaklinik, eine Militäreinheit -, und auch der neue Roman hat ein solches Zentrum. "Hinter der Wand", 1997 auf hebräisch erschienen, führt uns die Menschen eines Wohnblocks vor. Gabi, eine schöne, alleinstehende Frau, hat ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann, der anscheinend gutsituiert ist und in dem Haus eine Wohnung mietet, um sich mit der Geliebten zu treffen: damit fängt es an. Wir lernen das Haus zunächst durch die Augen der Fremden kennen, die es nur als ein Absteigequartier verwendet, und der Kunst des Erzählers ist es zu verdanken, daß diese Fremdheit sich am Ende über den gesamten Roman legen wird.

Einem Nachbarn, der sich für den guten Namen des Hauses verantwortlich fühlt, mißfallen Gabis Besuche. "Und nun fordere ich Sie mit allem Respekt auf", schreibt er in einem Beschwerdebrief an den Besitzer der Wohnung, "diese Sache zu unterbinden. Es ist nicht nur, daß sie allen Unannehmlichkeit und Schande bringt, sie senkt auch den Preis des Eigentums, denn niemand wird an einem solchen Ort eine Wohnung kaufen wollen, und wir haben ganz vergebens so viel Geld für eine Eingangstür mit Gegensprechanlage ausgegeben, damit es ehrbar wird."

Die öffentliche Moral, die hier eingeklagt wird, entpuppt sich als fadenscheinige Profitrechnung. Doch was am Anfang der Erzählung noch als leicht durchschaubare Gesellschaftssatire erscheinen mag, nimmt eine zunehmend dunklere Tönung an. Selbst Herr Schwarz, der diesen Brief schreibt, ist mehr als ein kleinlicher Nachbar; er ist auch ein alter, schon todkranker Überlebender des Holocaust, der in einem existentiellen Sinn um sein ,Haus' kämpft und diesen Kampf verlieren muß, weil der Untergang, dem er sich entgegenstemmt, längst unaufhaltsam ist.

Sein volles Maß erreicht dieser Untergang im Wohnungsmakler Aviram, der hinter der Wand zu Gabis Schlafzimmer wohnt und zuweilen den Liebesakt belauscht. Er ist ein einsamer, gehemmter Mann, zu dessen Innenwelt der Leser lange keinen Zugang zu finden scheint. Sein einziger Lebensgefährte ist ein Hund, und Gabi hört sein Bellen, wenn sie in der leeren Wohnung auf ihren Liebhaber wartet - ein tierischer Laut, der manches vorwegnimmt, das später seinen erschreckenden Ausdruck finden wird. Denn der Liebhaber - ein skrupelloser Betrüger, der nicht nur seine Frau, sondern auch seine Geliebte hintergeht - hat sie in eine ausweglose, in einem ganz realen Sinne lebensgefährliche Lage gebracht. Gabi hat auch andere Verehrer, aber sie schlägt diese Alternativen aus und zieht es vor, an einem für sie lange unsichtbaren Abgrund entlangzugehen.

Einer ihrer Verehrer nimmt sie einmal im Auto mit und spielt ihr Monteverdis Kantate "Nisi Dominus" vor. "Psalmen, hundertsiebenundzwanzig", erklärt er und zitiert den biblischen Text: "Wenn der Herr nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen. Wenn der Herr nicht die Stadt behütet, so wacht der Wächter umsonst. Es ist umsonst, daß ihr früh aufsteht und hernach lange sitzet, und esset euer Brot mit Sorgen; denn seinen Freunden gibt er es im Schlaf." Das Haus, das im Mittelpunkt des Romans steht, erhält hier seine symbolische Bedeutung, und sie ist negativ. Bei Kenaz ist nicht der Herr am Werk, sondern andere, zerstörerische Kräfte, die ihre Schatten über die gesamte Stadt und das Leben aller Figuren werfen.

Dem Haus des Psalms steht das in der Sintflut untergegangene Nest gegenüber, dem Gottesschutz eine gnadenlose Natur. Der Zionismus ist die säkularisierte Form des alten jüdischen Wunsches, aus dem Exil heimzukehren. Bei Kenaz stößt er auf den harten Grund der historischen Wirklichkeit, in der sich messianische Erwartungen nicht erfüllen. Es ist kein Zufall, daß die Schauplätze seiner Romane - eine landwirtschaftliche Siedlung, eine Militäreinheit, eine Gruppe von Neueinwanderern - zugleich die klassischen Werte des Zionismus symbolisieren. An den Paradestücken der jüdischen Nationalbewegung demonstriert Kenaz den Stand der Dinge, und auch der Wohnblock seines neuen Romans wird zum Testfall eines Niedergangs. Seine Beschwerde an den Vermieter der Wohnung schreibt Herr Schwarz in seiner "Eigenschaft als Vorstand des Eigentümerbeirats", eine Institution, die zum israelischen, nicht aber zum deutschen Alltag gehört. In Israel werden Wohnungen zumeist nicht gemietet, sondern gekauft, und die Wohnblöcke unterstehen der Selbstverwaltung der Eigentümer.

Das Haus, das Jehoschua Kenaz schildert, ist die Rumpfform eines Gemeinschaftsunternehmens, wie der Zionismus sie stets hochgehalten hat; ein Stück lokaler Mentalitätsgeschichte, das auch die sehr lesbare Übersetzung Barbara Linners nur schwer einfangen kann. Die Qualen, die man sich in diesem Haus gegenseitig bereitet, sind der Spiegel einer ganzen Gesellschaft.

JAKOB HESSING

Jehoschua Kenaz: "Hinter der Wand". Roman. Aus dem Hebräischen übersetzt von Barbara Linner. Luchterhand Literaturverlag, München 2000. 351 S., geb., 39,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr