Die Wiederentdeckung eines wichtigen deutsch-jüdischen Intellektuellen und ein Lehrstück über Macht und Möglichkeit
Kaum ein Linksintellektueller überlebte mehr Regimewechsel und war auf so unterschiedliche Weise wirksam wie Hermann Budzislawski: ob in der Nachfolge von Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky als Leiter der »Weltbühne« nach 1933, als Mitarbeiter von Dorothy Thompson in den USA oder als prägende Figur der sozialistischen Journalistik in der DDR. Budzislawski gelang es mit erstaunlicher Wendigkeit, nicht nur alle existenziellen Bedrohungen zu überstehen, sondern sich in verschiedenen Ländern immer wieder neu Einfluss zu verschaffen. Seine Biographie entwirft ein komplexes Panorama des 20. Jahrhunderts, lotet die Freiheitsspielräume sozialistischer Politik aus und fragt nach dem Preis von politischer Anpassung und Widerstand.
»Daniel Siemens zeigt deutsche Geschichte in neuem Licht. Originell und von hoher erzählerischer Qualität. Ein Glücksfall!« Wolfram Eilenberger
Kaum ein Linksintellektueller überlebte mehr Regimewechsel und war auf so unterschiedliche Weise wirksam wie Hermann Budzislawski: ob in der Nachfolge von Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky als Leiter der »Weltbühne« nach 1933, als Mitarbeiter von Dorothy Thompson in den USA oder als prägende Figur der sozialistischen Journalistik in der DDR. Budzislawski gelang es mit erstaunlicher Wendigkeit, nicht nur alle existenziellen Bedrohungen zu überstehen, sondern sich in verschiedenen Ländern immer wieder neu Einfluss zu verschaffen. Seine Biographie entwirft ein komplexes Panorama des 20. Jahrhunderts, lotet die Freiheitsspielräume sozialistischer Politik aus und fragt nach dem Preis von politischer Anpassung und Widerstand.
»Daniel Siemens zeigt deutsche Geschichte in neuem Licht. Originell und von hoher erzählerischer Qualität. Ein Glücksfall!« Wolfram Eilenberger
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.03.2022Ein bürgerlicher Sozialist stand unter Verdacht
Intellektueller im Weltbürgerkrieg: Daniel Siemens schreibt die Lebensgeschichte von Hermann Budzislawski
Vor sechzig Jahren veröffentlichte "konkret" eine mehrteilige Artikelserie über den "Aufstieg, Glanz und Verfall der Weltbühne". Die Betrachtungen stammten aus der Feder Kurt Hillers, dem neben Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky ab Mitte der Zwanzigerjahre auffälligsten Leitartikler der legendären Wochenschrift. Er zeichnete folgendes Bild: Nach einer Aufstiegsphase des 1905 als "Schaubühne" von Siegfried Jacobsohn gegründeten Blattes erlebte die Zeitschrift ab 1918 unter dem gewandelten Titel bis zum Verbot unter den Nationalsozialisten eine Glanzperiode, an die anfangs die "Neue Weltbühne" im Prager Exil anschließen konnte. Mit dem neuen Chef Hermann Budzislawski, für Hiller ein "von Moskau gecharterter Kerl", begann ab Januar 1934 die Verfallsgeschichte. Ihr sei auch die 1946 ins Leben gerufene Ost-Berliner "Weltbühne", eine "einzige permanente Leichenschändung an Carl von Ossietzky", zuzurechnen.
An der Spitze des Exil-Blatts von 1934 bis 1939 und dann nochmals der DDR-"Weltbühne" zwischen 1967 und 1971 stand Hermann Budzislawski. Wenn sein Name im Schatten der deutschen Zeit- und Intellektuellengeschichte liegt, so hängt dies auch damit zusammen, dass ihm früh der Ruf eines moskauhörigen Kommunisten oder zumindest machtgierigen Opportunisten anhaftete. Daniel Siemens hat sich erstmals umfassend der Lebensgeschichte dieses Manns gewidmet und sie vor den Kulissen der an Zäsuren so reichen Zeitläufte des zwanzigsten Jahrhunderts zu rekonstruieren und einzuordnen gesucht. Es gelingt dem Autor, ein vielschichtiges Bild von Person und Zeit zu zeichnen, das Grautöne gegenüber Schwarz-Weiß-Mustern bevorzugt. In glücklicher Weise verbindet der Geschichtsprofessor aus Newcastle akribische Quellenarbeit mit historischer Übersicht und erzählerischer Qualität.
Budzislawski erscheint dabei gelegentlich in hellerem Licht als bislang. Doch von einer Heldengeschichte ist Siemens' Darstellung weit entfernt. Mancher zum Vorschein kommender Charakterzug Budzislawskis lässt ihn nicht sonderlich sympathisch wirken. Dazu zählt ein instrumenteller Realitätssinn, der wesentlich am eigenen Fortkommen und Ansehen orientiert war und ein hohes Maß an Wendigkeit erforderte.
So sehr ihn ab der Novemberrevolution eine sozialistische Grundhaltung prägte, konzentrierte Budzislawski sich zunächst abseits des politisch hitzigen Berlins auf sein Studium. 1923 wurde der Nationalökonom in Tübingen mit einer Arbeit über "Eugenik" promoviert. Sie war zeittypisch und wirkt doch im Nachhinein, mit dem Wissen über die nationalsozialistischen Verbrechen, befremdlich. Für Siemens ist die Dissertation Beleg dafür, wie sehr nicht nur völkische Rassenhygieniker, sondern auch junge Sozialisten die "moderne Verwertungslogik menschlicher Arbeitskraft über alles" setzten. So stolz Budzislawski ein Leben lang auf seinen Doktortitel war, so froh dürfte er mit den Jahren gewesen sein, dass seine Doktorarbeit ungedruckt und im Schatten der öffentlichen Aufmerksamkeit blieb.
Während der Weimarer Republik sammelte Budzislawski einige journalistische Erfahrung, gehörte aber keineswegs zum prominenten Kreis der "Weltbühne"-Stammautoren. Nicht vor Dezember 1932 publizierte er dort wenige, unscheinbare Beiträge. Ossietzky spendete ihm gleichwohl Lob, was Budzislawski wie einen Ritterschlag empfunden haben muss. Fortan trug er die "Weltbühne" wie eine funkelnde Monstranz vor sich her, um im Widerschein ihrer Strahlkraft zu stehen. Ein begnadeter, glanzvoller politischer Autor der Goldenen Zwanziger war er nicht, vielmehr ein Organisator und Medienmanager. In hervorragender Weise verstand er es, Kontakte innerhalb der Intellektuellenszenerie der damaligen Zeit zu pflegen. Heute würde man ihn einen Netzwerker nennen.
Nach Hitlers Machtübernahme mussten Budzislawski und seine Familie das Land rasch verlassen. Die Stationen des Exils hießen Zürich, Prag, Paris und New York. So präzise wie spannend schildert Siemens diese herausfordernde Zeit, die Budzislawski bald mit der Leitung der "Neuen Weltbühne" den entscheidenden Karrieresprung einbrachte. Einigermaßen skrupellos und mit moralisch fragwürdigen Methoden drängte er seinen Vorgänger Willi Schlamm aus dem Blatt, das er im unbedingten Kampf gegen Hitler auf "Volksfront"-Kurs trimmte. Auch durch wichtige Autoren wie Heinrich Mann gelang es Budzislawski, die "Neue Weltbühne" weit über parteikommunistische Grenzen hinaus zu einem führenden antifaschistischen Exil-Organ zu machen. Der Hitler-Stalin-Pakt aber versetzte ihn in einen Schockzustand und führte zum jähen Ende der Zeitschrift.
Internierungslager und Flucht prägten den weiteren Weg Budzislawskis, der schließlich nach New York führte. Dort arbeitete er als Sekretär und Ghostwriter für die Journalistin und Schriftstellerin Dorothy Thompson, die das "Time"-Magazin einmal zur mächtigsten Amerikanerin neben Eleanor Roosevelt kürte. Mit der Niederringung Deutschlands und dem Ende der Anti-Hitler-Koalition erhielt die Beziehung zu Thompson erste Risse, die bald zum Bruch führten. Später, als Budzislawski bereits im Osten Deutschlands angelangt war und Thompson die Sowjetunion zum neuen Hauptfeind erkor, wurde daraus eine öffentliche Fehde der einstigen Freunde.
In der DDR wirkte Budzislawski als Professor an der journalistischen Kaderschmiede "Rotes Kloster" in Leipzig. Das war nicht der Posten, der ihm eigentlich vorschwebte. Er wollte wieder die "Weltbühne" leiten oder ein anderes Leitmedium. Beinahe wäre ihm 1956 mit "Die Republik" sogar die Gründung einer erstaunlich undogmatisch ausgerichteten Wochenzeitung gelungen. Am Ende verhinderte Walter Ulbricht, der wenig Sympathien für Budzislawski hegte, dieses Vorhaben. Überhaupt schlug ihm in der frühen DDR als ehemaligem Sozialdemokraten, Juden und Westemigranten Misstrauen entgegen. So wendig und anpassungsbereit Budzislawski war, litt er doch unter dieser stickigen und beengten Atmosphäre. Typen wie er, die eine Art "bürgerlichen Sozialismus" repräsentierten, wie Siemens treffend schreibt, fühlten sich trotz Privilegien bisweilen fremd in der DDR. Seine mit wertvollen Antiquitäten ausgestattete Villa in Leipzig diente Budzislawski ebenso als Rückzugsort wie ein Landhäuschen in Buckow, wo er gemeinsam mit seiner Frau regelmäßig Zeit mit Bertolt Brecht und Helene Weigel verbrachte.
Daniel Siemens zeichnet von Budzislawski ein differenziertes Porträt mit kritischer Sympathie. Weder macht er aus dem Sozialisten und Antifaschisten einen liberalbürgerlichen Intellektuellen, der sich nur in Camouflage üben musste, noch lässt er die alte Agententhese gelten. Dabei spürt er Indizien und Verdachtsmomenten einer - freilich nicht belegbaren - Geheimdiensttätigkeit genau nach. Ob im direkten Dienst einer Partei oder nicht, während des Weltbürgerkriegs der Ideologien bewegten sich Intellektuelle mitunter in einem Minenfeld, ohne davon immer zu wissen. So gehört es zu den Treppenwitzen der Zeitgeschichte, dass der eingangs zitierte Kurt Hiller die kommunistische Steuerung Budzislawskis und der "Neuen Weltbühne" ausgerechnet in "konkret" vortrug, einer, wie sich bald herausstellen sollte, bis 1964 von der SED finanzierten Zeitschrift. ALEXANDER GALLUS
Daniel Siemens: "Hinter der Weltbühne". Hermann Budzislawski und das 20. Jahrhundert.
Aufbau Verlag, Berlin 2022. 413 S., geb., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Intellektueller im Weltbürgerkrieg: Daniel Siemens schreibt die Lebensgeschichte von Hermann Budzislawski
Vor sechzig Jahren veröffentlichte "konkret" eine mehrteilige Artikelserie über den "Aufstieg, Glanz und Verfall der Weltbühne". Die Betrachtungen stammten aus der Feder Kurt Hillers, dem neben Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky ab Mitte der Zwanzigerjahre auffälligsten Leitartikler der legendären Wochenschrift. Er zeichnete folgendes Bild: Nach einer Aufstiegsphase des 1905 als "Schaubühne" von Siegfried Jacobsohn gegründeten Blattes erlebte die Zeitschrift ab 1918 unter dem gewandelten Titel bis zum Verbot unter den Nationalsozialisten eine Glanzperiode, an die anfangs die "Neue Weltbühne" im Prager Exil anschließen konnte. Mit dem neuen Chef Hermann Budzislawski, für Hiller ein "von Moskau gecharterter Kerl", begann ab Januar 1934 die Verfallsgeschichte. Ihr sei auch die 1946 ins Leben gerufene Ost-Berliner "Weltbühne", eine "einzige permanente Leichenschändung an Carl von Ossietzky", zuzurechnen.
An der Spitze des Exil-Blatts von 1934 bis 1939 und dann nochmals der DDR-"Weltbühne" zwischen 1967 und 1971 stand Hermann Budzislawski. Wenn sein Name im Schatten der deutschen Zeit- und Intellektuellengeschichte liegt, so hängt dies auch damit zusammen, dass ihm früh der Ruf eines moskauhörigen Kommunisten oder zumindest machtgierigen Opportunisten anhaftete. Daniel Siemens hat sich erstmals umfassend der Lebensgeschichte dieses Manns gewidmet und sie vor den Kulissen der an Zäsuren so reichen Zeitläufte des zwanzigsten Jahrhunderts zu rekonstruieren und einzuordnen gesucht. Es gelingt dem Autor, ein vielschichtiges Bild von Person und Zeit zu zeichnen, das Grautöne gegenüber Schwarz-Weiß-Mustern bevorzugt. In glücklicher Weise verbindet der Geschichtsprofessor aus Newcastle akribische Quellenarbeit mit historischer Übersicht und erzählerischer Qualität.
Budzislawski erscheint dabei gelegentlich in hellerem Licht als bislang. Doch von einer Heldengeschichte ist Siemens' Darstellung weit entfernt. Mancher zum Vorschein kommender Charakterzug Budzislawskis lässt ihn nicht sonderlich sympathisch wirken. Dazu zählt ein instrumenteller Realitätssinn, der wesentlich am eigenen Fortkommen und Ansehen orientiert war und ein hohes Maß an Wendigkeit erforderte.
So sehr ihn ab der Novemberrevolution eine sozialistische Grundhaltung prägte, konzentrierte Budzislawski sich zunächst abseits des politisch hitzigen Berlins auf sein Studium. 1923 wurde der Nationalökonom in Tübingen mit einer Arbeit über "Eugenik" promoviert. Sie war zeittypisch und wirkt doch im Nachhinein, mit dem Wissen über die nationalsozialistischen Verbrechen, befremdlich. Für Siemens ist die Dissertation Beleg dafür, wie sehr nicht nur völkische Rassenhygieniker, sondern auch junge Sozialisten die "moderne Verwertungslogik menschlicher Arbeitskraft über alles" setzten. So stolz Budzislawski ein Leben lang auf seinen Doktortitel war, so froh dürfte er mit den Jahren gewesen sein, dass seine Doktorarbeit ungedruckt und im Schatten der öffentlichen Aufmerksamkeit blieb.
Während der Weimarer Republik sammelte Budzislawski einige journalistische Erfahrung, gehörte aber keineswegs zum prominenten Kreis der "Weltbühne"-Stammautoren. Nicht vor Dezember 1932 publizierte er dort wenige, unscheinbare Beiträge. Ossietzky spendete ihm gleichwohl Lob, was Budzislawski wie einen Ritterschlag empfunden haben muss. Fortan trug er die "Weltbühne" wie eine funkelnde Monstranz vor sich her, um im Widerschein ihrer Strahlkraft zu stehen. Ein begnadeter, glanzvoller politischer Autor der Goldenen Zwanziger war er nicht, vielmehr ein Organisator und Medienmanager. In hervorragender Weise verstand er es, Kontakte innerhalb der Intellektuellenszenerie der damaligen Zeit zu pflegen. Heute würde man ihn einen Netzwerker nennen.
Nach Hitlers Machtübernahme mussten Budzislawski und seine Familie das Land rasch verlassen. Die Stationen des Exils hießen Zürich, Prag, Paris und New York. So präzise wie spannend schildert Siemens diese herausfordernde Zeit, die Budzislawski bald mit der Leitung der "Neuen Weltbühne" den entscheidenden Karrieresprung einbrachte. Einigermaßen skrupellos und mit moralisch fragwürdigen Methoden drängte er seinen Vorgänger Willi Schlamm aus dem Blatt, das er im unbedingten Kampf gegen Hitler auf "Volksfront"-Kurs trimmte. Auch durch wichtige Autoren wie Heinrich Mann gelang es Budzislawski, die "Neue Weltbühne" weit über parteikommunistische Grenzen hinaus zu einem führenden antifaschistischen Exil-Organ zu machen. Der Hitler-Stalin-Pakt aber versetzte ihn in einen Schockzustand und führte zum jähen Ende der Zeitschrift.
Internierungslager und Flucht prägten den weiteren Weg Budzislawskis, der schließlich nach New York führte. Dort arbeitete er als Sekretär und Ghostwriter für die Journalistin und Schriftstellerin Dorothy Thompson, die das "Time"-Magazin einmal zur mächtigsten Amerikanerin neben Eleanor Roosevelt kürte. Mit der Niederringung Deutschlands und dem Ende der Anti-Hitler-Koalition erhielt die Beziehung zu Thompson erste Risse, die bald zum Bruch führten. Später, als Budzislawski bereits im Osten Deutschlands angelangt war und Thompson die Sowjetunion zum neuen Hauptfeind erkor, wurde daraus eine öffentliche Fehde der einstigen Freunde.
In der DDR wirkte Budzislawski als Professor an der journalistischen Kaderschmiede "Rotes Kloster" in Leipzig. Das war nicht der Posten, der ihm eigentlich vorschwebte. Er wollte wieder die "Weltbühne" leiten oder ein anderes Leitmedium. Beinahe wäre ihm 1956 mit "Die Republik" sogar die Gründung einer erstaunlich undogmatisch ausgerichteten Wochenzeitung gelungen. Am Ende verhinderte Walter Ulbricht, der wenig Sympathien für Budzislawski hegte, dieses Vorhaben. Überhaupt schlug ihm in der frühen DDR als ehemaligem Sozialdemokraten, Juden und Westemigranten Misstrauen entgegen. So wendig und anpassungsbereit Budzislawski war, litt er doch unter dieser stickigen und beengten Atmosphäre. Typen wie er, die eine Art "bürgerlichen Sozialismus" repräsentierten, wie Siemens treffend schreibt, fühlten sich trotz Privilegien bisweilen fremd in der DDR. Seine mit wertvollen Antiquitäten ausgestattete Villa in Leipzig diente Budzislawski ebenso als Rückzugsort wie ein Landhäuschen in Buckow, wo er gemeinsam mit seiner Frau regelmäßig Zeit mit Bertolt Brecht und Helene Weigel verbrachte.
Daniel Siemens zeichnet von Budzislawski ein differenziertes Porträt mit kritischer Sympathie. Weder macht er aus dem Sozialisten und Antifaschisten einen liberalbürgerlichen Intellektuellen, der sich nur in Camouflage üben musste, noch lässt er die alte Agententhese gelten. Dabei spürt er Indizien und Verdachtsmomenten einer - freilich nicht belegbaren - Geheimdiensttätigkeit genau nach. Ob im direkten Dienst einer Partei oder nicht, während des Weltbürgerkriegs der Ideologien bewegten sich Intellektuelle mitunter in einem Minenfeld, ohne davon immer zu wissen. So gehört es zu den Treppenwitzen der Zeitgeschichte, dass der eingangs zitierte Kurt Hiller die kommunistische Steuerung Budzislawskis und der "Neuen Weltbühne" ausgerechnet in "konkret" vortrug, einer, wie sich bald herausstellen sollte, bis 1964 von der SED finanzierten Zeitschrift. ALEXANDER GALLUS
Daniel Siemens: "Hinter der Weltbühne". Hermann Budzislawski und das 20. Jahrhundert.
Aufbau Verlag, Berlin 2022. 413 S., geb., 28,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Der in Newcastle lehrende Historiker Daniel Siemens füllt, wie Rezensent Jens Bisky erklärt, eine Lücke mit seiner Biografie des Journalisten Hermann Budzislawski, der erst im Exil und dann später in der DDR die Nachfolge-Blätter von Carl Ossietzkys "Weltbühne" herausgab. Bisky weiß zu schätzen, dass Budzislawski dabei die Konturen erhält, die ihm bisher fehlten: Als linker Sozialdemokrat im Prager Exil, als Vertrauter Bertolt Brechts in den USA und dann als Kommunist, der in der DDR einem etwas verstaubten Ideal des bürgerlichen Sozialismus anhing. Dass er in der DDR stets ein wenig außen vor blieb, erklärt sich Bisky auch mit Ressentitment gegenüber seiner jüdischer Herkunft, allerdings macht der Rezensent auch deutlich, dass Budzislawski weder als Journalist noch als Persönlichkeit besonders herausragte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Daniel Siemens' Buch ergänzt die deutsche Intellektuellengeschichte des 20. Jahrhunderts um eine bemerkenswerte Facette und liefert zugleich zahlreiche neue Details zur Geschichte der Weltbühne, zum politischen Exil, zur ostdeutschen Universitätsgeschichte sowie zur jüdischen Geschichte in der DDR. « Forum H-Soz-Kult 20230314