Der Denunziant gilt einerseits als Unperson, der den Verrat im Alltag übt. Auf der anderen Seite baut jede Gesellschaft auf eine Anzeigepflicht des Bürgers etwa mit Blick auf Kapitalverbrechen. Die Grenzen können oft unklar sein und verschwimmen.Für Forscher wirft die Beschäftigung mit diesem Thema vor allem Fragen nach den Motiven des Denunzianten, nach den Systembedingungen, die der Denunziation förderlich waren und nach dem Umgang mit der Denunziation in der jeweiligen Gesellschaft auf. Dieser Band führt verschiedene Beiträge zur Denunziationsforschung zusammen, die sich dem Gegenstand aus unterschiedlicher Perspektive nähern und verschiedene Epochen betrachten.Sowohl die Einordnung der Denunziation als kommunikativer Akt wird erklärt als auch verschiedene Erscheinungsformen von Denunziationen und Denunzianten aufgezeigt und ihre Interaktionen mit dem Staat erläutert. Gleichzeitig wird danach gefragt, welche Grundlagen verschiedene Systeme für die Denunziation schufen und inwieweit diese dem Verrat dienlich sein konnten.Der Bogen spannt sich von der Zeit des Vormärz, über den Nationalsozialismus, die Nachkriegszeit bis hin zur DDR-Zeit, deren Behandlung rund um die Aktivitäten der Staatssicherheit einen besonderen Schwerpunkt bildet. Neben abgeschlossenen und etablierten Studien stehen auch Abhandlungen und Beiträge, die offene Forschungsfelder aufzeigen und konkrete Perspektiven für eine neue Denunziationsforschung eröffnen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.05.2015Ein fester Einband für alle Fälle
Denunziation aus vielen Richtungen als Forschungsfeld
Sammelbände sind oft Verlegenheitslösungen, in denen sich vielerlei findet. Das ist bei Publikationen einer so vielseitigen Behörde wie dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) nicht anders, bei der ganz unterschiedliche Fragestellungen bearbeitet werden. So lernen wir aus dem von Anita Krätzner betreuten Band, dass es eine internationale, natürlich gut vernetzte Denunziationsforschung gibt, die ihr Ziel auf unterschiedliche Herangehensweise verfolgt. Als "zentraler Befund" dieser Forschung wird festgehalten, dass nicht nur "von unten nach oben", sondern auch "von oben nach unten" denunziert wurde.
Kritik an der bisherigen Forschung kann nicht ausbleiben. Die einschlägigen Arbeiten zur DDR habe man zu eng an den Quellen, also an "Stasi-Logik und Stasi-Sprache", ausgerichtet und damit "kaum Erkenntnisse einer integrierten und vergleichbaren Denunziationsforschung als Teil der Gesellschaftsgeschichte gewonnen". Solch Wissenschaftsschwulst zeigt Irrwege, die aus einer sinnlos gewordenen Forschungsförderung entstehen können. Das wird noch deutlicher, wenn versucht wird, "Kommunikationskanäle und Informationsweitergabe in gesellschaftlichen Systemen integrativer zu betrachten und die Funktion von Macht-Partizipation aufzuzeigen".
Die mit der Situation in der DDR befassten Beiträge sind oft zu speziell. Das betrifft etwa das "Dilemma kommunistischer Intellektueller". Diese Betroffenheitsarie ist oft genug abgespielt. Auch die veränderte Einstellung der Parteiinstanzen zu "Verrätern", die bei der Gestapo "weich" geworden waren, aber nach Verbüßung ihrer Strafe für den Sozialismus weiter spitzelten, kann nicht beeindrucken. Welche Auswirkungen politische Katastrophen für ein Staatswesen haben konnten, zeigt die Schweiz nach 1918. Ein Generalstreik, der als Umsturzversuch missdeutet wurde, führte zum radikalen Bruch mit der Sozialdemokratie. Es kam zum Aufbau von Einwohnerwehren wie in Bayern und zur Gründung eines "Schweizerischen Vaterländischen Verbandes", der seit 1919 und bis in den Zweiten Weltkrieg hinein einen Nachrichtendienst unterhielt. Dieser spürte in den ersten Jahren linke Aktivitäten auf und diente später der Polizei als Tippgeber für "verdächtige" Ausländer.
Frankreich war ein Land, dessen Polizei aus vielen Quellen zu schöpfen pflegte. Schon im Ancien Régime unterschied man zwischen der "erwünschten" Anzeige bei den Behörden und der verleumderischen Denunziation. Bei der "Säuberung" Frankreichs, die nach der "Befreiung" 1944 auch viele unschuldige Opfer forderte, führte die Anzeigenflut zur bürokratischen Erledigung. So wurde in Straßburg ein Büro eingerichtet, in dem man von 10 bis 12 und von 14 bis 16 Uhr seine Anzeigen loswerden konnte. Die Mittagspause war heilig.
Wenn dieser Sammelband eines beweist, dann die Perspektivlosigkeit der vorgestellten Forschungsrichtung. Es kann durchaus sinnvoll sein, einer Denunziation im konkreten Einzelfall nachzugehen. Zu einer Systematisierung als Forschungsdisziplin eignet sich dieser Fragenkomplex nicht. Die lapidare Einsilbigkeit der polizeilichen Quellen reicht nicht aus, um befriedigende Aufschlüsse über die betreffenden Personen, ihr soziales Milieu und die Motive ihres Tuns zu erhalten. Der Herausgeberin ist recht zu geben, wenn sie schreibt: "Denunziation bleibt ein problembehafteter Begriff." Dem ist nichts hinzuzufügen. Der feste Einband und das gute Papier des Bandes vermitteln aber eine tröstliche Botschaft: Ein solches Buch wird auch weitere Regimewechsel überstehen - ob mit oder ohne Denunzianten.
HENNING KÖHLER.
Anita Krätzner (Herausgeberin): Hinter vorgehaltener Hand. Studien zur historischen Denunziationsforschung. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2015. 179 S., 12,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Denunziation aus vielen Richtungen als Forschungsfeld
Sammelbände sind oft Verlegenheitslösungen, in denen sich vielerlei findet. Das ist bei Publikationen einer so vielseitigen Behörde wie dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) nicht anders, bei der ganz unterschiedliche Fragestellungen bearbeitet werden. So lernen wir aus dem von Anita Krätzner betreuten Band, dass es eine internationale, natürlich gut vernetzte Denunziationsforschung gibt, die ihr Ziel auf unterschiedliche Herangehensweise verfolgt. Als "zentraler Befund" dieser Forschung wird festgehalten, dass nicht nur "von unten nach oben", sondern auch "von oben nach unten" denunziert wurde.
Kritik an der bisherigen Forschung kann nicht ausbleiben. Die einschlägigen Arbeiten zur DDR habe man zu eng an den Quellen, also an "Stasi-Logik und Stasi-Sprache", ausgerichtet und damit "kaum Erkenntnisse einer integrierten und vergleichbaren Denunziationsforschung als Teil der Gesellschaftsgeschichte gewonnen". Solch Wissenschaftsschwulst zeigt Irrwege, die aus einer sinnlos gewordenen Forschungsförderung entstehen können. Das wird noch deutlicher, wenn versucht wird, "Kommunikationskanäle und Informationsweitergabe in gesellschaftlichen Systemen integrativer zu betrachten und die Funktion von Macht-Partizipation aufzuzeigen".
Die mit der Situation in der DDR befassten Beiträge sind oft zu speziell. Das betrifft etwa das "Dilemma kommunistischer Intellektueller". Diese Betroffenheitsarie ist oft genug abgespielt. Auch die veränderte Einstellung der Parteiinstanzen zu "Verrätern", die bei der Gestapo "weich" geworden waren, aber nach Verbüßung ihrer Strafe für den Sozialismus weiter spitzelten, kann nicht beeindrucken. Welche Auswirkungen politische Katastrophen für ein Staatswesen haben konnten, zeigt die Schweiz nach 1918. Ein Generalstreik, der als Umsturzversuch missdeutet wurde, führte zum radikalen Bruch mit der Sozialdemokratie. Es kam zum Aufbau von Einwohnerwehren wie in Bayern und zur Gründung eines "Schweizerischen Vaterländischen Verbandes", der seit 1919 und bis in den Zweiten Weltkrieg hinein einen Nachrichtendienst unterhielt. Dieser spürte in den ersten Jahren linke Aktivitäten auf und diente später der Polizei als Tippgeber für "verdächtige" Ausländer.
Frankreich war ein Land, dessen Polizei aus vielen Quellen zu schöpfen pflegte. Schon im Ancien Régime unterschied man zwischen der "erwünschten" Anzeige bei den Behörden und der verleumderischen Denunziation. Bei der "Säuberung" Frankreichs, die nach der "Befreiung" 1944 auch viele unschuldige Opfer forderte, führte die Anzeigenflut zur bürokratischen Erledigung. So wurde in Straßburg ein Büro eingerichtet, in dem man von 10 bis 12 und von 14 bis 16 Uhr seine Anzeigen loswerden konnte. Die Mittagspause war heilig.
Wenn dieser Sammelband eines beweist, dann die Perspektivlosigkeit der vorgestellten Forschungsrichtung. Es kann durchaus sinnvoll sein, einer Denunziation im konkreten Einzelfall nachzugehen. Zu einer Systematisierung als Forschungsdisziplin eignet sich dieser Fragenkomplex nicht. Die lapidare Einsilbigkeit der polizeilichen Quellen reicht nicht aus, um befriedigende Aufschlüsse über die betreffenden Personen, ihr soziales Milieu und die Motive ihres Tuns zu erhalten. Der Herausgeberin ist recht zu geben, wenn sie schreibt: "Denunziation bleibt ein problembehafteter Begriff." Dem ist nichts hinzuzufügen. Der feste Einband und das gute Papier des Bandes vermitteln aber eine tröstliche Botschaft: Ein solches Buch wird auch weitere Regimewechsel überstehen - ob mit oder ohne Denunzianten.
HENNING KÖHLER.
Anita Krätzner (Herausgeberin): Hinter vorgehaltener Hand. Studien zur historischen Denunziationsforschung. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2015. 179 S., 12,99 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Henning Köhler überzeugt der von Anita Krätzner herausgegebene Band zum Thema Denunziationsforschung vor allem von einem: Diese Disziplin hat keine Perspektive. Dass es sinnvoll sein kann, Denunziation im Einzelfall forschend nachzugehen, möchte der Rezensent nicht bezweifeln, Systematisierungen, meint er, führen in diesem Fall jedoch in die Irre. Zu wenig aufschlussreich die Quellen, findet Köhler, zu speziell im Fall der DDR die Situation, als dass verallgemeinernde Schlüsse gezogen werden könnten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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