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Produktdetails
  • Verlag: Wieser
  • Seitenzahl: 340
  • Abmessung: 195mm
  • Gewicht: 384g
  • ISBN-13: 9783851292930
  • ISBN-10: 3851292936
  • Artikelnr.: 25199310
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Das Gute herausschlürfen
István Eörsi über zwei Passagiere im Niemandsland

Hiob hadert mit Gott. Er sitzt in einem Aschehaufen mitten in der Wüste, zerkratzt sich mit einer Scherbe die grindige Haut und klagt lauthals, daß er, der sich doch zeitlebens peinlich genau an die göttlichen Gebote gehalten hat, so hart angefaßt wurde, daß es also "zwischen Verdienst und Schicksal keinen ethisch begründbaren Zusammenhang gibt". Er steht vor einem unlösbaren Dilemma: "Seine seelischen Interessen divergieren in zwei Richtungen. Um jeden Preis wollte er glauben, daß er selbst gut, Gott hingegen gerecht sei. Nachdem diese beiden Glaubensinhalte unvereinbar aufeinanderprallten, hoffte er, in irgend etwas noch nicht eingeweiht zu sein." Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllt.

Auch Heinrich Heine hadert mit Gott. Hingeworfen auf die Matratzengruft, gelähmt, halbblind, im Rücken die offen gehaltenen Wunden für die lindernde Opiumzufuhr, bezichtigt er "den Schöpfer der Inkonsequenz: Er habe den fröhlichsten Dichter geschaffen, um ihn danach seiner guten Laune zu berauben." Heine stilisiert sich zu einem modernen Hiob und findet wie dieser den Schuldigen für seine Leiden "in der Person des Ewigen Gottes. Aus Hiob lockte diese Erkenntnis oder dieser Verdacht den Schrei seiner Verzweiflung hervor, aus Heine eine weite Skala der Ironie, von der selbstquälerischen Bestürzung bis zum blasphemischen Hohngelächter."

István Eörsi hat ein Buch über Hiob und Heine geschrieben, das sich auf kein literarisches Genre festlegen mag. In einem ersten Teil widmet er sich dem biblischen Urbild unverdienten Leidens. Eörsi interpretiert Hiobs Aufbegehren als literarische Revolte mit dem Ziel, Jahve zu dem Beweis zu zwingen, "daß er entgegen dem bösen Anschein dennoch gerecht ist. Das Unterfangen scheitert, doch erreicht er etwas, was tausendmal wichtiger ist: Hiobs Persönlichkeit entfaltet sich eben im Laufe dieser Revolte und durchbricht, wie das Küken die Eierschale, die Fassade der abstrakten Güte und der üblichen Gottesfürchtigkeit."

Eörsi entwirft den eifernden Hiob mit großem Talent zur Anschaulichkeit, parteiisch, voller Antipathie für die drei Freunde des Leidenden, die ihn umlagern und den Dissidenten wieder auf Jahve einschwören wollen. Er erfindet Träume und Erinnerungsfragmente Hiobs, verleiht den Protagonisten Tiefe und Format und bezeichnet den jungen Elihu, der als spät angereister Anwalt Jahves besonders harsch mit dem hadernden Hiob ins Gericht geht, mit sympathischer Deutlichkeit als "Jahves Streber", gar als "junges Arschloch" - die persönliche Beteiligung des Autors an Hiobs Schicksal ist ein wesentliches Strukturelement des Buches.

Erzählende und reflektierende Passagen verharren nicht auf der Ebene des Alten Testaments, wenn Eörsi etwa das Buch Hiob als potentiell blasphemisch und die endgültige Textgestalt als listiges Zugeständnis an die Zensur einstuft: "Es ist vorstellbar, daß der vierte Belehrer deshalb eingeschoben wurde, weil die Bilanz in der Diskussion zwischen Hiob und dem schweigenden Gott zugunsten Hiobs ausschlug und zu befürchten war, daß die fanatischen Rabbis dies nicht dulden und die große Dichtung eher vernichten würden. Wenn dem so war, dann hätte die ungeschliffene Gegenmeinung Elihus das Werk gerettet, so wie in den Zeiten des kommunistischen Parteistaates das rügende Vorwort irgendeiner offiziellen Autorität ein häretisches Buch druckfähig zauberte."

Doch während Eörsi die erzählenden Elemente im ersten Teil seines Buches ausgesprochen gelungen geraten sind, mag man sich seiner Interpretation des biblischen Textes nicht immer anschließen. Eörsi negiert Anzeichen von Hiobs ambivalentem Verhältnis Jahve gegenüber zugunsten einer scharfen Opposition, in die sich der leidende Mensch hineingesteigert habe. Die Diskussion um den "Bluträcher", den Hiob gegen seinen ungerechten Schöpfer anrufe und der deshalb nicht mit Jahve identisch sein könne, überzeugt weniger, wenn man eine andere Stelle (Hiob 16, 21) dagegenhält, die genau diese Übereinstimmung behauptet: "Gott, der mein Freund ist, muß mir Recht verschaffen / Und Gott, den Feind, in seine Schranken weisen."

Der zweite Teil des Buches ist Heine, dem "ironischen Hiob", gewidmet. In merkwürdiger Umkehrung der Qualitäten des ersten Teils überzeugen im Heine-Kapitel gerade die reflexiven Elemente, während Eörsis Vergegenwärtigung des Dichters im günstigen Fall blaß, zuweilen ärgerlich künstlich erscheint. Doch die einleuchtende Untersuchung von Heines Selbststilisierung als Hiob, Eörsis Darstellung der Unterschiede zwischen Heines Pose und seinem Vorbild entschädigt für diese Schwächen: Dem Dichter haftet, so Eörsi, "eine unbezwingbare Neigung zur Krankheit" an. Er unterscheidet sich von Hiob durch das Vermögen, sein Leiden zu ästhetisieren: "Im Gegensatz zu Hiob, der zu nichts anderem fähig war, als im Aschehaufen sein zuvor verdrängtes Wissen hinauszubrüllen, machte er sich in seinen Matratzen dieses furchtbare Terrain wohnbar, ja sogar urbar."

Daß Eörsi angesichts dieses beinahe versöhnlichen Befundes niemals Heines körperliches Elend aus den Augen verliert, ist ein wesentliches Verdienst seines Buches. So bezieht sein ausgedehnter Text in das unmenschliche Leid der Hiob-Gestalten auch den ästhetischen Ertrag oder den Erkenntniszuwachs der Leidenden mit ein - kein Trost, aber eine Hilfe oder, wie Eörsi am Ende einer komplizierten Erörterung knapp resümiert: "Meine Helden erwiesen sich als dazu fähig, aus dem Schlechten das Gute hervorzuschlürfen."

TILMAN SPRECKELSEN

István Eörsi: "Hiob und Heine. Passagiere im Niemandsland". Aus dem Ungarischen übersetzt von Gregor Mayer. Wieser Verlag, Klagenfurt 1999. 338 S., geb., 44,90 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Istvan Eörsi zeichnet ein Doppelporträt: die Bibelfigur Hiob auf der einen, der "ironische Hiob" Heinrich Heine auf der anderen Seite, erklärt Tilman Spreckelsen. Die Qualitäten der beiden keinem Genre so recht zuordenbaren Texte verhalten sich nach Ansicht des Rezensenten geradezu spiegelbildlich. Im Falle Hiobs überzeugt ihn die Erzählung, während ihm die reflexiven Passagen nicht immer schlüssig vorkommen. Umgekehrt verhält es sich, so der Rezensent, bei Heine: im erzählerischen Teil sei die Darstellung des Dichters "zuweilen ärgerlich künstlich" geraten, umgekehrt leuchte die Interpretation von Heines "unbezwingbarer Neigung zur Krankheit" als Selbststilisierung zu einer Hiob-Figur ein.

© Perlentaucher Medien GmbH"