Wolf Singer ist einer der weltweit führen Hirnforscher. Matthieu Ricard war Molekularbiologe, wurde dann buddhistischer Mönch - und Bestsellerautor. Für dieses Buch treten beide in einen Dialog über die Beziehung zwischen Hirnforschung und Bewußtseinstraining. Sie sprechen darüber, welche mentalen Zustände mit meditativen Praktiken herbeigeführt werden sollen, welche neuronalen Vorgänge diesen zugrunde liegen, und sie fragen, ob regelmäßiges Meditieren zu nachweisbaren Veränderungen von Hirnfunktionen führt. Ihr Buch leistet einen wichtigen Beitrag dazu, den Austausch zwischen Naturwissenschaften und den kontemplativen Wissenschaften anzuregen, denn Buddhismus wird hier als eine "Wissenschaft über den Geist" verhandelt und nicht als eine Religion. Ein Thema, das in der Diskussion zentral behandelt wird, sind die Methoden, mit denen der Geist und menschliche Werte trainiert werden können, zum Beispiel Aufmerksamkeit, Altruismus, emotionale Ausgeglichenheit und Glück. Darüber hinaus sprechen Singer und Ricard über die Langzeitwirkungen solchen Trainings. Die Fähigkeit des Gehirns, sich an veränderte Umstände anzupassen, wird meist im Kontext sich verändernder Außenbedingungen untersucht, aber bei der Meditation kommen die Impulse von innen und sollen eine systematische Veränderung der eigenen mentalen Dispositionen bewirken, und folgerichtig wird die Frage gestellt, ob sich zentrale Fragen über die menschliche Natur überhaupt mit neurowissenschaftlichen Erkenntnissen verbinden lassen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.06.2008Menschen können Rad fahren, nicht aber Hirne
Grandios aneinander vorbeigeredet: Der Dialog, den der Hirnforscher Wolf Singer mit einem buddhistischen Mönch führte, macht deutlich, welchem Selbstmissverständnis Singer unterliegt.
Der Untertitel "Ein Dialog" zum Band "Hirnforschung und Meditation" weckt Hoffnungen. Der Band präsentiert ein Gespräch zwischen dem Hirnforscher Wolf Singer und dem buddhistischen Mönch Matthieu Ricard (dem hier sein früherer Beruf Molekularbiologe nicht anzumerken ist). Also ein ergebnisorientiertes Gespräch aus zwei Welten, der modernen Laborforschung am menschlichen Hirn und der Lebensformsuche asiatischer Klostertradition? Eher ein grandioses Aneinander-Vorbeireden.
Schwach sind die Bindungen, die beiden Dialogparteien wörtlich gemeinsam scheinen: Da wird von Wissenschaft und Erkenntnis gesprochen. Aber der Hirnforscher nennt den kontemplativen oder introspektiven Weg des Mönchs grundsätzlich verschieden vom wissenschaftlichen; der Mönch dagegen bezeichnet die buddhistische Einübung in Meditation als "Wissenschaft des Geistes". Bei Erkenntnis oder gar Erfahrung (Laborexperiment gegenüber gefühlter Selbsterfahrung) kaschieren nicht einmal mehr dieselben Wörter das Fehlen jeglicher Berührungspunkte. Vor allem beim "Geist", um den es beiden Dialogpartnern geht, scheint nur noch der grobe englische Mind-Body-Gegensatz Pate zu stehen. Keinerlei Sorgfalt, ob nicht in den Unterscheidungen von Geist und Seele oder von Körper und Leib für beide Diskutanten und ihre Anliegen die wichtigsten, fruchtbaren und gar nicht so schwer zu bestimmenden Unterschiede liegen.
Dass es dem Buddhisten in seiner spezifischen Absichtslosigkeit um eine seelische Haltung, einen moralischen Habitus und eine geistige Verfassung geht, letztlich um eine Form, durch gewisse Tugenden ein glücklicheres Leben zu führen, dass dagegen der Hirnforscher an pathologische Störungen der Persönlichkeit denkt, wo die Ablösung der Aufmerksamkeit von ihrem Gegenstand eine meditative Verstärkung des Gewahrwerdens bringen soll - dies bildet den tiefen Graben zwischen den Dialogparteien, über den der Mönch nicht springen will und der Hirnforscher nicht springen kann.
Singer vertritt, unbeirrbar wie eh und je, seine eigene Art des Hirnkausalismus. Ursache aller geistigen (einschließlich emotionaler) Vorgänge sind Prozesse im Hirn, die sich strukturell anatomisch, funktionell physiologisch, kurz, die sich experimentell im Labor untersuchen lassen (gebremst vielleicht durch die moralischen, weil gesundheitlichen Probleme eines Eingriffs in das Zentralnervensystem des Menschen zu bloßen Forschungszwecken; und nicht zuletzt erschwert durch die Störung des normalen Lebensablaufs, wenn ein Mensch durch den Eingriff der wissenschaftlichen Untersuchung zur Versuchsperson wird). Naturwissenschaftlich wird der Mensch zum Organismus, das heißt zum komplexen Maschinenmodell mit zweckmäßigen Organen, die allesamt ein Produkt der Evolution sind. Wie radikal dieser Rückgang letztlich auf die Mittel der Physik ist, lässt die andernorts diskutierte These Singers erkennen, dass es fundamentale physikalische Sätze der Energieerhaltung verletzten würde, könnten geistige Phänomene Wirkung auf materielle Systeme ausüben, gerade so, als würde es noch einmal zusätzlich Ölfarbe benötigen, dass ein Gemälde etwas Bestimmtes darstellt. Woher hat das Hirn diese physikalischen Erhaltungssätze? Ist deren Geltung ein Kulturprodukt oder in Hirnerregungsmustern zu finden?
Die Folgerungen sind bekannt und beschäftigen die öffentliche Diskussion: Es sei eine Illusion, erklärt Singer, uns als Urheber unserer eigenen Handlungen zu sehen, weil diese im Hirn bereits vorbereitet seien, wenn wir uns zu ihnen zu entschließen meinen. Selbstbewusstsein, ja alle in gehobener Alltagssprache vertrauten Züge "des Ich", "des Selbst", seien Ausdruck der uns selbst (bewusst) nur partiell zugänglichen Hirnprozesse.
Wie kann Singer (in eigener Handlungsurheberschaft? Oder determiniert durch sein Gehirn?) seinem Gesprächspartner da überhaupt eine eigene Handlungsurheberschaft zubilligen? Wieso muss nicht das ganze Buddhismusunternehmen dem Feld illusionärer Selbsttäuschung zugerechnet werden, einschließlich aller positiven Folgen wie altruistisches Handeln, innere Ruhe, geringeres Schlafbedürfnis, Disziplinierung des eigenen Denkens (gegen das Grübeln und das Geplapper der Gedanken, wie Ricard es ausdrückt)? Wenn ja, warum diskutiert Singer mit Ricard? Wenn nein, wie kann Singer sagen: "Ein besonders faszinierender Aspekt ist für mich dabei die Tatsache, dass Meditation offenbar zu Veränderungen in der Funktionsweise des Gehirns führt, die den Meditationsprozess selbst überdauert"? Also doch eine geistige Ursache für Wirkungen im materiellen System der Neurone? Eine (neuro-)logisch widerspruchsfreie Erklärung müsste die Illusion des Mönchs, aus eigener Anstrengung in wiederholten Übungen "neue mentale Zustände herzustellen und zu lernen, diese auch später willentlich herbeizuführen", allein als Wechselwirkung verschiedener Hirnareale zu verschiedenen Zeiten beschreiben, ja, mindestens erst einmal formulieren können, von einem experimentellen Nachweis ganz zu schweigen.
Hier offenbart sich ein grundsätzliches Problem des Singerschen Ansatzes: Nicht so sehr der Mensch als vielmehr die Naturwissenschaften vom Menschen sind missverstanden, wenn diesen zugeschrieben wird, nicht mehr als ein Ausfluss von Hirnfunktionen zu sein. Es kann keine Naturwissenschaft welchen Typs auch immer geben, die ihre Resultate nicht in Sprachform präsentiert und mit personenübergreifenden Geltungsansprüchen verknüpft. Geltungsansprüche werden sprachlich von Menschen an Menschen gerichtet und durch Regeln ihrerseits sprachlich formuliert. Sie sind normativ. Man denke etwa an die technische Reproduzierbarkeit von Experimenten. Dafür sind wiederum menschliche Handlungen und ihre Regelung durch Normen zwingend erforderlich: Wenn (wie etwa in den berühmten Libet-Experimenten zur Willensfreiheit) Uhren verwendet werden (Singer erwähnt zeitliche Verschiebungen um Millisekunden), müssen diese Uhren erst einmal hergestellt, in Gang gesetzt werden und funktionieren, das heißt gleichmäßig laufen - kein naturgesetzliches Geschehen, sondern eine kollektive Kulturleistung.
Denn der Forscher wird einen Defekt seiner Uhr - willentlich - nicht als Widerlegung eines Naturgesetzes, sondern als Verfehlen seiner Zwecke interpretieren und deshalb die Uhr reparieren (lassen). Kurz, nicht Hirne erforschen Hirne durch bloße neuronale Aktivität, sondern da muss in die Welt der Dinge mit Händen eingegriffen werden, und zwar nach Regeln. Da muss technisch erfolgreich etwas geleistet und dann überpersonell nachvollziehbar etwas gesprochen werden.
Mit diesen Handlungen zumindest steht es wie mit dem Radfahren: Menschen können Rad fahren (und dabei laufen wichtige Hirnprozesse mit), nicht aber Hirne. Die semantischen Kunststücke, wonach man für "das Auto fährt" auch sagen dürfen soll, das Autorad fährt (statt: es dreht sich), bestimmen dieses Selbstverständnis des Hirnforschers, der dem Hirn Tätigkeiten zuspricht, die in Wörtern für Handlungen von Menschen formuliert werden. In der Hirnforschung betrachte sich als Hirntätigkeit "ein kognitives System im Spiegel seiner selbst", so dass Erklärendes und das zu Erklärende "verschmelzen". An anderer Stelle sagt Singer lapidar, dass "Explanandum und Explanans eins sind". Wäre dies so, hätte die Hirnforschung keinerlei Erklärungen anzubieten, und die bei Singer durchlaufende Behauptung, Geist "beruhe" auf Hirnfunktionen, wäre ohne Gegenstand.
Im Dialog mit dem Mönch, der völlig unbefangen sein buddhistisches Sprachspiel spielt, führt dies den Hirnforscher in das Dilemma, in Nachfragen dieses Sprachspiel (das zu Erklärende) mitspielen zu müssen, ohne es (als Erklärung) in das Ursache-Wirkungs-Sprachspiel überführen zu können. Das normative Sprachspiel aber, ohne das es keine Naturwissenschaften geben könnte, kommt in kausalen Wirkungsketten nirgends vor. Die nach Singer vom Hirn vorgenommenen Bewertungen von Hirnvorgängen als positiv, als Ergebnis, als "Mitteilungen an das Gehirn als Ganzes" sind nicht überführbar in die sprachliche Mitteilung des Hirnforschers an sein Publikum, dass dies ein wissenschaftliches Ergebnis sei - weil Letzteres wahr oder falsch sein kann, Ersteres nicht. Naturvorgänge sind nicht wahr oder falsch, Behauptungen darüber schon. Anders formuliert: Die Unterscheidung wahrer und falscher naturwissenschaftlicher Behauptungen richtet sich nicht nach angenehm empfundenen Hirnzuständen, sondern nach öffentlichen sprachlichen Regeln, die ihrerseits der Wissenschaftlichkeit, also der Personen- und damit auch der Individual-Hirn-Unabhängigkeit, verpflichtet sein müssen. Die hirnphysiologischen Deutungen mönchischer Praxen, gleichend dem Rauschen reinen Wassers, werden, da nicht wahr sein kann, was nicht auch falsch sein könnte, zum Pfiff in den Wind.
PETER JANICH
Wolf Singer, Matthieu Ricard: "Hirnforschung und Meditation". Ein Dialog. Aus dem Englischen von Susanne Warmuth und Wolf Singer. Suhrkamp Verlag edition unseld, Frankfurt am Main 2008. 133 S., br., 10,- [Euro].
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Grandios aneinander vorbeigeredet: Der Dialog, den der Hirnforscher Wolf Singer mit einem buddhistischen Mönch führte, macht deutlich, welchem Selbstmissverständnis Singer unterliegt.
Der Untertitel "Ein Dialog" zum Band "Hirnforschung und Meditation" weckt Hoffnungen. Der Band präsentiert ein Gespräch zwischen dem Hirnforscher Wolf Singer und dem buddhistischen Mönch Matthieu Ricard (dem hier sein früherer Beruf Molekularbiologe nicht anzumerken ist). Also ein ergebnisorientiertes Gespräch aus zwei Welten, der modernen Laborforschung am menschlichen Hirn und der Lebensformsuche asiatischer Klostertradition? Eher ein grandioses Aneinander-Vorbeireden.
Schwach sind die Bindungen, die beiden Dialogparteien wörtlich gemeinsam scheinen: Da wird von Wissenschaft und Erkenntnis gesprochen. Aber der Hirnforscher nennt den kontemplativen oder introspektiven Weg des Mönchs grundsätzlich verschieden vom wissenschaftlichen; der Mönch dagegen bezeichnet die buddhistische Einübung in Meditation als "Wissenschaft des Geistes". Bei Erkenntnis oder gar Erfahrung (Laborexperiment gegenüber gefühlter Selbsterfahrung) kaschieren nicht einmal mehr dieselben Wörter das Fehlen jeglicher Berührungspunkte. Vor allem beim "Geist", um den es beiden Dialogpartnern geht, scheint nur noch der grobe englische Mind-Body-Gegensatz Pate zu stehen. Keinerlei Sorgfalt, ob nicht in den Unterscheidungen von Geist und Seele oder von Körper und Leib für beide Diskutanten und ihre Anliegen die wichtigsten, fruchtbaren und gar nicht so schwer zu bestimmenden Unterschiede liegen.
Dass es dem Buddhisten in seiner spezifischen Absichtslosigkeit um eine seelische Haltung, einen moralischen Habitus und eine geistige Verfassung geht, letztlich um eine Form, durch gewisse Tugenden ein glücklicheres Leben zu führen, dass dagegen der Hirnforscher an pathologische Störungen der Persönlichkeit denkt, wo die Ablösung der Aufmerksamkeit von ihrem Gegenstand eine meditative Verstärkung des Gewahrwerdens bringen soll - dies bildet den tiefen Graben zwischen den Dialogparteien, über den der Mönch nicht springen will und der Hirnforscher nicht springen kann.
Singer vertritt, unbeirrbar wie eh und je, seine eigene Art des Hirnkausalismus. Ursache aller geistigen (einschließlich emotionaler) Vorgänge sind Prozesse im Hirn, die sich strukturell anatomisch, funktionell physiologisch, kurz, die sich experimentell im Labor untersuchen lassen (gebremst vielleicht durch die moralischen, weil gesundheitlichen Probleme eines Eingriffs in das Zentralnervensystem des Menschen zu bloßen Forschungszwecken; und nicht zuletzt erschwert durch die Störung des normalen Lebensablaufs, wenn ein Mensch durch den Eingriff der wissenschaftlichen Untersuchung zur Versuchsperson wird). Naturwissenschaftlich wird der Mensch zum Organismus, das heißt zum komplexen Maschinenmodell mit zweckmäßigen Organen, die allesamt ein Produkt der Evolution sind. Wie radikal dieser Rückgang letztlich auf die Mittel der Physik ist, lässt die andernorts diskutierte These Singers erkennen, dass es fundamentale physikalische Sätze der Energieerhaltung verletzten würde, könnten geistige Phänomene Wirkung auf materielle Systeme ausüben, gerade so, als würde es noch einmal zusätzlich Ölfarbe benötigen, dass ein Gemälde etwas Bestimmtes darstellt. Woher hat das Hirn diese physikalischen Erhaltungssätze? Ist deren Geltung ein Kulturprodukt oder in Hirnerregungsmustern zu finden?
Die Folgerungen sind bekannt und beschäftigen die öffentliche Diskussion: Es sei eine Illusion, erklärt Singer, uns als Urheber unserer eigenen Handlungen zu sehen, weil diese im Hirn bereits vorbereitet seien, wenn wir uns zu ihnen zu entschließen meinen. Selbstbewusstsein, ja alle in gehobener Alltagssprache vertrauten Züge "des Ich", "des Selbst", seien Ausdruck der uns selbst (bewusst) nur partiell zugänglichen Hirnprozesse.
Wie kann Singer (in eigener Handlungsurheberschaft? Oder determiniert durch sein Gehirn?) seinem Gesprächspartner da überhaupt eine eigene Handlungsurheberschaft zubilligen? Wieso muss nicht das ganze Buddhismusunternehmen dem Feld illusionärer Selbsttäuschung zugerechnet werden, einschließlich aller positiven Folgen wie altruistisches Handeln, innere Ruhe, geringeres Schlafbedürfnis, Disziplinierung des eigenen Denkens (gegen das Grübeln und das Geplapper der Gedanken, wie Ricard es ausdrückt)? Wenn ja, warum diskutiert Singer mit Ricard? Wenn nein, wie kann Singer sagen: "Ein besonders faszinierender Aspekt ist für mich dabei die Tatsache, dass Meditation offenbar zu Veränderungen in der Funktionsweise des Gehirns führt, die den Meditationsprozess selbst überdauert"? Also doch eine geistige Ursache für Wirkungen im materiellen System der Neurone? Eine (neuro-)logisch widerspruchsfreie Erklärung müsste die Illusion des Mönchs, aus eigener Anstrengung in wiederholten Übungen "neue mentale Zustände herzustellen und zu lernen, diese auch später willentlich herbeizuführen", allein als Wechselwirkung verschiedener Hirnareale zu verschiedenen Zeiten beschreiben, ja, mindestens erst einmal formulieren können, von einem experimentellen Nachweis ganz zu schweigen.
Hier offenbart sich ein grundsätzliches Problem des Singerschen Ansatzes: Nicht so sehr der Mensch als vielmehr die Naturwissenschaften vom Menschen sind missverstanden, wenn diesen zugeschrieben wird, nicht mehr als ein Ausfluss von Hirnfunktionen zu sein. Es kann keine Naturwissenschaft welchen Typs auch immer geben, die ihre Resultate nicht in Sprachform präsentiert und mit personenübergreifenden Geltungsansprüchen verknüpft. Geltungsansprüche werden sprachlich von Menschen an Menschen gerichtet und durch Regeln ihrerseits sprachlich formuliert. Sie sind normativ. Man denke etwa an die technische Reproduzierbarkeit von Experimenten. Dafür sind wiederum menschliche Handlungen und ihre Regelung durch Normen zwingend erforderlich: Wenn (wie etwa in den berühmten Libet-Experimenten zur Willensfreiheit) Uhren verwendet werden (Singer erwähnt zeitliche Verschiebungen um Millisekunden), müssen diese Uhren erst einmal hergestellt, in Gang gesetzt werden und funktionieren, das heißt gleichmäßig laufen - kein naturgesetzliches Geschehen, sondern eine kollektive Kulturleistung.
Denn der Forscher wird einen Defekt seiner Uhr - willentlich - nicht als Widerlegung eines Naturgesetzes, sondern als Verfehlen seiner Zwecke interpretieren und deshalb die Uhr reparieren (lassen). Kurz, nicht Hirne erforschen Hirne durch bloße neuronale Aktivität, sondern da muss in die Welt der Dinge mit Händen eingegriffen werden, und zwar nach Regeln. Da muss technisch erfolgreich etwas geleistet und dann überpersonell nachvollziehbar etwas gesprochen werden.
Mit diesen Handlungen zumindest steht es wie mit dem Radfahren: Menschen können Rad fahren (und dabei laufen wichtige Hirnprozesse mit), nicht aber Hirne. Die semantischen Kunststücke, wonach man für "das Auto fährt" auch sagen dürfen soll, das Autorad fährt (statt: es dreht sich), bestimmen dieses Selbstverständnis des Hirnforschers, der dem Hirn Tätigkeiten zuspricht, die in Wörtern für Handlungen von Menschen formuliert werden. In der Hirnforschung betrachte sich als Hirntätigkeit "ein kognitives System im Spiegel seiner selbst", so dass Erklärendes und das zu Erklärende "verschmelzen". An anderer Stelle sagt Singer lapidar, dass "Explanandum und Explanans eins sind". Wäre dies so, hätte die Hirnforschung keinerlei Erklärungen anzubieten, und die bei Singer durchlaufende Behauptung, Geist "beruhe" auf Hirnfunktionen, wäre ohne Gegenstand.
Im Dialog mit dem Mönch, der völlig unbefangen sein buddhistisches Sprachspiel spielt, führt dies den Hirnforscher in das Dilemma, in Nachfragen dieses Sprachspiel (das zu Erklärende) mitspielen zu müssen, ohne es (als Erklärung) in das Ursache-Wirkungs-Sprachspiel überführen zu können. Das normative Sprachspiel aber, ohne das es keine Naturwissenschaften geben könnte, kommt in kausalen Wirkungsketten nirgends vor. Die nach Singer vom Hirn vorgenommenen Bewertungen von Hirnvorgängen als positiv, als Ergebnis, als "Mitteilungen an das Gehirn als Ganzes" sind nicht überführbar in die sprachliche Mitteilung des Hirnforschers an sein Publikum, dass dies ein wissenschaftliches Ergebnis sei - weil Letzteres wahr oder falsch sein kann, Ersteres nicht. Naturvorgänge sind nicht wahr oder falsch, Behauptungen darüber schon. Anders formuliert: Die Unterscheidung wahrer und falscher naturwissenschaftlicher Behauptungen richtet sich nicht nach angenehm empfundenen Hirnzuständen, sondern nach öffentlichen sprachlichen Regeln, die ihrerseits der Wissenschaftlichkeit, also der Personen- und damit auch der Individual-Hirn-Unabhängigkeit, verpflichtet sein müssen. Die hirnphysiologischen Deutungen mönchischer Praxen, gleichend dem Rauschen reinen Wassers, werden, da nicht wahr sein kann, was nicht auch falsch sein könnte, zum Pfiff in den Wind.
PETER JANICH
Wolf Singer, Matthieu Ricard: "Hirnforschung und Meditation". Ein Dialog. Aus dem Englischen von Susanne Warmuth und Wolf Singer. Suhrkamp Verlag edition unseld, Frankfurt am Main 2008. 133 S., br., 10,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Erwartungsvoll hat Peter Janich, emeritierter Professor für Systematische Philosophie, diesen Dialog zwischen dem Hirnforscher Wolf Singer und dem buddhistischen Mönch Matthieu Ricard nach eigenem Bekunden gelesen. Er hat sich ein "ergebnisorientiertes Gespräch aus zwei Welten" erhofft, der "modernen Laborforschung am menschlichen Hirn und der Lebensformsuche asiatischer Klostertradition". Aber zu seinem Bedauern dokumentiere der Band vielmehr ein "grandioses Aneinander-Vorbeireden". Im Mittelpunkt seiner Besprechung stehen die Positionen Singers und insbesondere sein "Hirnkausalismus". Eingehend erklärt Janich, warum er die Ansichten des Hirnforschers, wonach alle geistigen Vorgänge in neurologischen Prozessen gründen, für naiv, reduktionistisch und widersprüchlich hält. Seines Erachtens führt das Buch deshalb nur deutlich vor Augen, welchem Selbstmissverständnis Singer unterliegt.
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