Hiroshima - der Name der Stadt ist zu einem Symbol der Bedrohung der Menschheit durch sich selbst geworden. Warum die Atombombe abgeworfen wurde, wem der Abwurf nützte, wer die Leidtragenden waren und was mit den Überlebenden geschah - diese Fragen traten darüber in den Hintergrund. Mit ihnen beschäftigt sich dieses Buch. Florian Coulmas schildert die Hintergründe und Mythen dieser einzigartigen menschlichen Katastrophe. Er legt das moralische Dilemma offen, das mit dem Einsatz dieser Waffe verbunden war und zeigt, wie die Zensur der amerikanischen Besatzungsmacht nach dem Krieg dazu führte, daß die Geschichte von Hiroshima bis auf den heutigen Tag sehr einseitig erinnert wird.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.02.2005Rache und Machtdemonstration
Amerikanische Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki
Florian Coulmas: Hiroshima. Geschichte und Nachgeschichte. Verlag C. H. Beck, München 2005. 138 Seiten, 9,90 [Euro].
Florian Coulmas lehrt Japanologie in Duisburg und ist außerdem Direktor des Deutschen Instituts für Japanstudien in Tokio. In seinem neuen Buch beschäftigt er sich mit dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki, und zwar nicht in erster Linie mit dem Ereignis selbst, sondern mit dessen Wahrnehmung und Einordnung in Geschichte und Gegenwart. Die deutsche Sicht kommt vor, doch hauptsächlich geht es um die japanische und die amerikanische. Am 6. August 1945 wurde die erste der beiden Atombomben zusammen mit Meßinstrumenten aus einer Höhe von 8500 Metern abgeworfen, nach 43 Sekunden detonierte sie 580 Meter über dem Shima-Krankenhaus im Zentrum Hiroshimas. Die Temperatur des Feuerballs betrug nahezu 300 000 Grad Celsius, in Bodennähe wenigstens 6000. Doch Wärme machte nur 35 Prozent der freigesetzten Energie aus, 50 Prozent entfielen auf den Druck und fünfzehn auf radioaktive Strahlung, die auch einen großen Teil der zunächst Überlebenden tötete - manche binnen kurzer Frist, andere erst nach Jahren, nahezu alle qualvoll. Auch dieses Phänomen war neuartig, zunächst wußten die Opfer nicht, was ihnen da eigentlich geschah. Drei Tage nach der ersten Bombe warfen die Amerikaner die zweite auf Nagasaki. Die Gesamtzahl der Getöteten nimmt man heute mit wenigstens einer halben Million an.
Die Zerstörung im Epizentrum der Bombe war selbst noch nach der jahrelangen Verheerung deutscher Städte durch angelsächsische Bomberkommandos beispiellos: alles dort ward zu Asche. Coulmas verwendet den Begriff Holocaust, der, aus dem Griechischen stammend, "ganz verbrannt" bedeutet. Als unpassend kann man ihn für Hiroshima nicht ansehen, nach dem Ereignis wurde er auch von amerikanischen Offizieren darauf angewandt. Inzwischen hat er sich für den deutschen Völkermord an den Juden durchgesetzt, auf den er ebenfalls von Anbeginn bezogen wurde. Doch die Ablösung des Holocaust-Begriffs von Hiroshima bewirkte zunächst die Zensur der amerikanischen Besatzungsmacht in Japan, die dort außerdem zunächst jede öffentliche Diskussion über die Atombomben unterband. Von Anbeginn sah sich die amerikanische Politik hier beträchtlichen legitimatorischen Widrigkeiten ausgesetzt. Ein solcher Massenmord hauptsächlich an Zivilisten, darunter zahlreichen japanischen Christen und koreanischen Zwangsarbeitern, ist keine moralisch selbsttragende Konstruktion; ohne besondere Rechtfertigung wäre er ein Staats-, Kriegs-, Menschheitsverbrechen, freilich auch ohne den Sieg der Amerikaner im Kriege.
Möglicherweise greift Coulmas diesen Gesichtspunkt deshalb nicht auf, weil er ständig von moralischen Relativisten aus der neonational(sozial)istischen Ecke vorgebracht wird. Er durchzieht aber dennoch sein ganzes Buch. "Japans Hiroshima ist nicht Amerikas Hiroshima", schreibt Coulmas und begründet den Befund reich und anschaulich. Diese unvereinbaren Sichten auf Hiroshima sind aber nicht nur die von Tätern und Opfern, sondern auch die von Siegern und Verlierern. Die Kongruenz ist nicht zwangsläufig, und so fragt man sich, ob die in Japan verbreitete pazifistische Deutung Hiroshimas das Leiden oder die Niederlage verarbeitet.
Damit kann sich nicht aufhalten, wer Krieg führt. Es war ein Pazifist, der den Anstoß zur Herstellung von Atombomben gab, Albert Einstein in einem Brief an den amerikanischen Präsidenten Roosevelt. Warum die Bomben geworfen wurden, ist in der Wissenschaft kaum umstritten: Im Bündel der Ursachen bildet der demonstrative Zweck die wichtigste. Die Kampfhandlungen im Westen waren für die Alliierten siegreich beendet, im Osten wollte Amerika die Sache zu einem schnellen Abschluß bringen, ohne den schon angekündigten, nach Hiroshima erklärten Kriegseintritt Stalins noch Wirklichkeit werden zu lassen. Mit dem Fanal bezogen die Vereinigten Staaten Stellung auf dem Machtschachbrett des Nachkriegs - um, wie es Paul Nitze ausdrückte, "den bereits stattfindenden Beratungen etwas mehr Dringlichkeit zu verleihen". Die zweite Bombe wurde geworfen, um Stalin zu zeigen, daß die erste nicht die einzige war.
Coulmas weist darauf hin, daß die Bombe zum frühestmöglichen Zeitpunkt abgeworfen wurde, ein eigentlich technischer Zusammenhang. Das Entwicklungsprojekt unter dem Namen "Trinity" (Dreifaltigkeit) war erst am 16. Juli mit dem ersten Test erfolgreich abgeschlossen worden, die Zwischenzeit benötigten die Amerikaner, um den Abwurf der Bombe mit einem Flugzeug vorzubereiten. Sobald es die Waffe gab, wurde sie also benutzt Das ist ein technischer Zusammenhang, der, nebenbei bemerkt, dem bereits niedergeworfenen Deutschland erspart hat, selbst Schauplatz dieses historischen Ereignisses geworden zu sein. Washington tat das Mögliche, Japan nicht davonkommen zu lassen. Eine Art Vorwarnung an die Japaner war so formuliert, daß das drohende Übel nicht begriffen werden konnte - einmal davon abgesehen, daß eine Demonstration der Zerstörungskraft sich auch hätte erzielen lassen, wenn die Bomben nicht über Großstädten abgeworfen worden wären. Kurzum: "Das menschliche Leid war beabsichtigt." Wie die Briten nach den konventionellen Bombenabwürfen in Deutschland behinderten die Amerikaner auch in Japan gezielt die medizinische Versorgung der Überlebenden. Die japanische Verwaltung wurde sogar gezwungen, Hilfsangebote des Roten Kreuzes abzulehnen. Das Element der Rache ist unübersehbar - Rache für den japanischen Überfall auf den amerikanischen Stützpunkt in Pearl Harbor.
Das war der einzige Fall im zwanzigsten Jahrhundert, in dem ein Staat es unternommen hatte, die Vereinigten Staaten anzugreifen. Seit Hiroshima war allerdings keine Macht in so viele Kriege verstrickt wie die Vereinigten Staaten, die als Demokratie für diese Form aktiver, mit in jeder Hinsicht hohen Kosten verbundener Außenpolitik die Unterstützung ihrer Bürger benötigen. Dazu dient, so Coulmas, die "feste Verankerung der Ideologie vom gerechten Krieg im kollektiven Selbstverständnis". Die seit Präsident Truman, der den Bombeneinsatz befahl, bis in die Gegenwart maßgebliche, gleichsam offiziöse Deutung Hiroshimas ist deshalb in den Vereinigten Staaten, daß durch die Bomben Schlimmeres, vor allem der Tod amerikanischer Soldaten, verhindert und der Krieg beendet worden sei. Hiroshima wurde in das positive amerikanische Selbstbild eingefügt. Dem entspricht die Darstellung in den amerikanischen - aber auch den deutschen - Schulbüchern.
Für Japan zeichnet Coulmas eine Deutung der Detonation nach, die ihren Ausgang im Schweigen nahm: zunächst einem Schweigen des vollkommenen Unverständnisses. Die überlebenden Opfer wußten zunächst nicht, was ihnen geschehen war, die Strahlenkrankheit blieb anfangs unbegreiflich. Es folgte eine zweite, lange Phase des Schweigens, die von der amerikanischen Zensur erzwungen wurde. Dann keimte und erwuchs nach und nach eine im Kern pazifistische Gedenkkultur, die sich stark auf die Mitschuld der japanischen Führung am Kriege konzentrierte und sonst technologische Aspekte in den Vordergrund rückte. Ähnlich haben auch die amerikanischen Anstrengungen, die grauenvollen Wirkungen dieser Bombe aus dem Blickfeld zu rücken und ihren Einsatz zu legitimieren und gar zu heroisieren, ihren Ursprung in der Zeit gleich nach ihrem Einsatz.
Coulmas beschreibt diese Vorgänge in seiner Studie gründlich, systematisch, detailreich und anschaulich. Er sieht Hiroshima zusehends einem gewollten Vergessen anheimfallen. Ein Beispiel dafür sei auch die Umwandlung des Begriffs "Ground Zero". Ursprünglich bezeichnete er den Meßpunkt, von dem aus beim ersten Atombomben-Testabwurf in Alamagordo die Ausbreitung der radioaktiven Strahlung gemessen wurde; nach Hiroshima meinte der Begriff die Auslöschung einer ganzen Stadt. In seiner Übertragung auf ein Trümmerfeld an der Südspitze Manhattans entdeckt Coulmas eine unumkehrbare Umdeutung: "Für künftige Generationen wird ground zero einen Ort in New York bezeichnen, nicht in Hiroshima, ein amerikanisches Opfer, nicht ein japanisches."
VOLKER ZASTROW
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Amerikanische Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki
Florian Coulmas: Hiroshima. Geschichte und Nachgeschichte. Verlag C. H. Beck, München 2005. 138 Seiten, 9,90 [Euro].
Florian Coulmas lehrt Japanologie in Duisburg und ist außerdem Direktor des Deutschen Instituts für Japanstudien in Tokio. In seinem neuen Buch beschäftigt er sich mit dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki, und zwar nicht in erster Linie mit dem Ereignis selbst, sondern mit dessen Wahrnehmung und Einordnung in Geschichte und Gegenwart. Die deutsche Sicht kommt vor, doch hauptsächlich geht es um die japanische und die amerikanische. Am 6. August 1945 wurde die erste der beiden Atombomben zusammen mit Meßinstrumenten aus einer Höhe von 8500 Metern abgeworfen, nach 43 Sekunden detonierte sie 580 Meter über dem Shima-Krankenhaus im Zentrum Hiroshimas. Die Temperatur des Feuerballs betrug nahezu 300 000 Grad Celsius, in Bodennähe wenigstens 6000. Doch Wärme machte nur 35 Prozent der freigesetzten Energie aus, 50 Prozent entfielen auf den Druck und fünfzehn auf radioaktive Strahlung, die auch einen großen Teil der zunächst Überlebenden tötete - manche binnen kurzer Frist, andere erst nach Jahren, nahezu alle qualvoll. Auch dieses Phänomen war neuartig, zunächst wußten die Opfer nicht, was ihnen da eigentlich geschah. Drei Tage nach der ersten Bombe warfen die Amerikaner die zweite auf Nagasaki. Die Gesamtzahl der Getöteten nimmt man heute mit wenigstens einer halben Million an.
Die Zerstörung im Epizentrum der Bombe war selbst noch nach der jahrelangen Verheerung deutscher Städte durch angelsächsische Bomberkommandos beispiellos: alles dort ward zu Asche. Coulmas verwendet den Begriff Holocaust, der, aus dem Griechischen stammend, "ganz verbrannt" bedeutet. Als unpassend kann man ihn für Hiroshima nicht ansehen, nach dem Ereignis wurde er auch von amerikanischen Offizieren darauf angewandt. Inzwischen hat er sich für den deutschen Völkermord an den Juden durchgesetzt, auf den er ebenfalls von Anbeginn bezogen wurde. Doch die Ablösung des Holocaust-Begriffs von Hiroshima bewirkte zunächst die Zensur der amerikanischen Besatzungsmacht in Japan, die dort außerdem zunächst jede öffentliche Diskussion über die Atombomben unterband. Von Anbeginn sah sich die amerikanische Politik hier beträchtlichen legitimatorischen Widrigkeiten ausgesetzt. Ein solcher Massenmord hauptsächlich an Zivilisten, darunter zahlreichen japanischen Christen und koreanischen Zwangsarbeitern, ist keine moralisch selbsttragende Konstruktion; ohne besondere Rechtfertigung wäre er ein Staats-, Kriegs-, Menschheitsverbrechen, freilich auch ohne den Sieg der Amerikaner im Kriege.
Möglicherweise greift Coulmas diesen Gesichtspunkt deshalb nicht auf, weil er ständig von moralischen Relativisten aus der neonational(sozial)istischen Ecke vorgebracht wird. Er durchzieht aber dennoch sein ganzes Buch. "Japans Hiroshima ist nicht Amerikas Hiroshima", schreibt Coulmas und begründet den Befund reich und anschaulich. Diese unvereinbaren Sichten auf Hiroshima sind aber nicht nur die von Tätern und Opfern, sondern auch die von Siegern und Verlierern. Die Kongruenz ist nicht zwangsläufig, und so fragt man sich, ob die in Japan verbreitete pazifistische Deutung Hiroshimas das Leiden oder die Niederlage verarbeitet.
Damit kann sich nicht aufhalten, wer Krieg führt. Es war ein Pazifist, der den Anstoß zur Herstellung von Atombomben gab, Albert Einstein in einem Brief an den amerikanischen Präsidenten Roosevelt. Warum die Bomben geworfen wurden, ist in der Wissenschaft kaum umstritten: Im Bündel der Ursachen bildet der demonstrative Zweck die wichtigste. Die Kampfhandlungen im Westen waren für die Alliierten siegreich beendet, im Osten wollte Amerika die Sache zu einem schnellen Abschluß bringen, ohne den schon angekündigten, nach Hiroshima erklärten Kriegseintritt Stalins noch Wirklichkeit werden zu lassen. Mit dem Fanal bezogen die Vereinigten Staaten Stellung auf dem Machtschachbrett des Nachkriegs - um, wie es Paul Nitze ausdrückte, "den bereits stattfindenden Beratungen etwas mehr Dringlichkeit zu verleihen". Die zweite Bombe wurde geworfen, um Stalin zu zeigen, daß die erste nicht die einzige war.
Coulmas weist darauf hin, daß die Bombe zum frühestmöglichen Zeitpunkt abgeworfen wurde, ein eigentlich technischer Zusammenhang. Das Entwicklungsprojekt unter dem Namen "Trinity" (Dreifaltigkeit) war erst am 16. Juli mit dem ersten Test erfolgreich abgeschlossen worden, die Zwischenzeit benötigten die Amerikaner, um den Abwurf der Bombe mit einem Flugzeug vorzubereiten. Sobald es die Waffe gab, wurde sie also benutzt Das ist ein technischer Zusammenhang, der, nebenbei bemerkt, dem bereits niedergeworfenen Deutschland erspart hat, selbst Schauplatz dieses historischen Ereignisses geworden zu sein. Washington tat das Mögliche, Japan nicht davonkommen zu lassen. Eine Art Vorwarnung an die Japaner war so formuliert, daß das drohende Übel nicht begriffen werden konnte - einmal davon abgesehen, daß eine Demonstration der Zerstörungskraft sich auch hätte erzielen lassen, wenn die Bomben nicht über Großstädten abgeworfen worden wären. Kurzum: "Das menschliche Leid war beabsichtigt." Wie die Briten nach den konventionellen Bombenabwürfen in Deutschland behinderten die Amerikaner auch in Japan gezielt die medizinische Versorgung der Überlebenden. Die japanische Verwaltung wurde sogar gezwungen, Hilfsangebote des Roten Kreuzes abzulehnen. Das Element der Rache ist unübersehbar - Rache für den japanischen Überfall auf den amerikanischen Stützpunkt in Pearl Harbor.
Das war der einzige Fall im zwanzigsten Jahrhundert, in dem ein Staat es unternommen hatte, die Vereinigten Staaten anzugreifen. Seit Hiroshima war allerdings keine Macht in so viele Kriege verstrickt wie die Vereinigten Staaten, die als Demokratie für diese Form aktiver, mit in jeder Hinsicht hohen Kosten verbundener Außenpolitik die Unterstützung ihrer Bürger benötigen. Dazu dient, so Coulmas, die "feste Verankerung der Ideologie vom gerechten Krieg im kollektiven Selbstverständnis". Die seit Präsident Truman, der den Bombeneinsatz befahl, bis in die Gegenwart maßgebliche, gleichsam offiziöse Deutung Hiroshimas ist deshalb in den Vereinigten Staaten, daß durch die Bomben Schlimmeres, vor allem der Tod amerikanischer Soldaten, verhindert und der Krieg beendet worden sei. Hiroshima wurde in das positive amerikanische Selbstbild eingefügt. Dem entspricht die Darstellung in den amerikanischen - aber auch den deutschen - Schulbüchern.
Für Japan zeichnet Coulmas eine Deutung der Detonation nach, die ihren Ausgang im Schweigen nahm: zunächst einem Schweigen des vollkommenen Unverständnisses. Die überlebenden Opfer wußten zunächst nicht, was ihnen geschehen war, die Strahlenkrankheit blieb anfangs unbegreiflich. Es folgte eine zweite, lange Phase des Schweigens, die von der amerikanischen Zensur erzwungen wurde. Dann keimte und erwuchs nach und nach eine im Kern pazifistische Gedenkkultur, die sich stark auf die Mitschuld der japanischen Führung am Kriege konzentrierte und sonst technologische Aspekte in den Vordergrund rückte. Ähnlich haben auch die amerikanischen Anstrengungen, die grauenvollen Wirkungen dieser Bombe aus dem Blickfeld zu rücken und ihren Einsatz zu legitimieren und gar zu heroisieren, ihren Ursprung in der Zeit gleich nach ihrem Einsatz.
Coulmas beschreibt diese Vorgänge in seiner Studie gründlich, systematisch, detailreich und anschaulich. Er sieht Hiroshima zusehends einem gewollten Vergessen anheimfallen. Ein Beispiel dafür sei auch die Umwandlung des Begriffs "Ground Zero". Ursprünglich bezeichnete er den Meßpunkt, von dem aus beim ersten Atombomben-Testabwurf in Alamagordo die Ausbreitung der radioaktiven Strahlung gemessen wurde; nach Hiroshima meinte der Begriff die Auslöschung einer ganzen Stadt. In seiner Übertragung auf ein Trümmerfeld an der Südspitze Manhattans entdeckt Coulmas eine unumkehrbare Umdeutung: "Für künftige Generationen wird ground zero einen Ort in New York bezeichnen, nicht in Hiroshima, ein amerikanisches Opfer, nicht ein japanisches."
VOLKER ZASTROW
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
" Rezensent Volker Zastrow lobt diese Studie des Duisburger Japanologen als gründlich, systematisch, detailireich und anschaulich. Es gehe darin nicht in ersten Linie um den Abwurf der Atombombe selbst, sondern um dessen Wahrnehmung und Einordnung in Geschichte und Gegenwart. Autor Florian Coulmas verwende für das Ereignis den Begriff "Holocaust", der "ganz verbrannt" bedeute und zuerst für Hiroshima und Nagasaki von amerikanischen Offzieren verwandt worden sei. Der Übergang dieses Begriffs auf den Mord an den europäischen Juden sei für Coulmas ebenso Indiz für das Verschwinden des Atombombenabwurfs auf Hiroshima aus dem Weltgedächtnis, wie die Umwandlung des Begriffs "Ground Zero", der ursprünglich den Messpunkt bezeichnet habe, von dem aus beim Abwurf der ersten Testbombe die Ausbreitung der radioaktiven Strahlen gemessen worden sei. Für Amerika beschreibe Coulmas die Verankerung der Ideologie vom gerechten Krieg, die zur Legitimation dieses grauenvollen Angriffs beigetragen habe. Für Japan selbst zeichne er eine Deutung der Detonation nach, die ihren Ausgang im Schweigen genommen.
© Perlentaucher Medien GmbH"
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