Wir sind die mit der Bombe in uns. »Hiroshima« ist das Zeugnis einer Frau, die von der Atombombe körperlich wie seelisch gebrandmarkt wurde. Doch statt sich entmündigen zu lassen, führt H. einen lebenslangen Kampf für das Recht auf Weiblichkeit und das Recht auf Leben.
Als H. in New York auf den Kriegsveteran Jim trifft, haben beide die Hölle auf Erden bereits durchschritten. Während H. von der Atombombe in Hiroshima entstellt wurde, ist Jim gezeichnet von den Traumata, die ihm in der japanischen Kriegsgefangenschaft zugefügt wurden. Zwei versehrte Liebende, die sich am anderen Ende der Welt zu einer Einheit verbinden. Doch trotz ihrer Erfahrungen kann sie nichts auf das vorbereiten, was ihnen noch bevorsteht. Um Jims Adoptivtochter zu finden, begeben sich H. und Jim auf eine Suche rund um den Globus, die ihnen die Abgründe menschlicher Gewalt mit jeder Station deutlicher vor Augen führt. Bis dann, eines Tages, aus der Finsternis ein Lebenszeichen der verlorenen Tochter zu ihnen dringt. In »Hiroshima« gelingt Marina Perezagua die unglaubliche Verschmelzung von fundamentaler Weiblichkeit und den Schrecken des Krieges. Bilder vollkommener Schönheit fließen mit grausamen Realitäten zusammen und erschaffen eine eigentümliche, eine andere Perspektive auf die Welt.
Als H. in New York auf den Kriegsveteran Jim trifft, haben beide die Hölle auf Erden bereits durchschritten. Während H. von der Atombombe in Hiroshima entstellt wurde, ist Jim gezeichnet von den Traumata, die ihm in der japanischen Kriegsgefangenschaft zugefügt wurden. Zwei versehrte Liebende, die sich am anderen Ende der Welt zu einer Einheit verbinden. Doch trotz ihrer Erfahrungen kann sie nichts auf das vorbereiten, was ihnen noch bevorsteht. Um Jims Adoptivtochter zu finden, begeben sich H. und Jim auf eine Suche rund um den Globus, die ihnen die Abgründe menschlicher Gewalt mit jeder Station deutlicher vor Augen führt. Bis dann, eines Tages, aus der Finsternis ein Lebenszeichen der verlorenen Tochter zu ihnen dringt. In »Hiroshima« gelingt Marina Perezagua die unglaubliche Verschmelzung von fundamentaler Weiblichkeit und den Schrecken des Krieges. Bilder vollkommener Schönheit fließen mit grausamen Realitäten zusammen und erschaffen eine eigentümliche, eine andere Perspektive auf die Welt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.07.2018Hiroshima, mon amour? Nicht auf diese Weise!
Marina Perezaguas Roman trägt das Sinnbild der Zerstörung schon im Titel, und das hinterlässt Spuren
Jedes Buch trägt seinen Wunschleser in sich: den Adressaten, der dem Autor bewusst oder insgeheim vorschwebte, als er die Seiten schwärzte. Mancher Autor geht so weit, den idealen Leser zu beschreiben und damit vorzugeben, wie er sich die Aufnahme seines Textes vorstellt. Das kann raffiniert und witzig sein wie beim Aufklärer Denis Diderot, der sich in "Jacques der Fatalist und sein Herr" (1778) über diejenigen lustig macht, die Liebesgeschichten hören wollen. Und es kann naiv sein, wenn dem Leser allen Ernstes eine Gemütslage, Meinung, Ästhetik oder Moral vorgeschrieben wird. Leser können viel über die Bücher verraten, die sie lesen: Das gilt für skizzierte Wunschleser gleich doppelt.
Marina Perezaguas Roman "Hiroshima" gehört eher in die naive Kategorie. Der "milde und menschliche Leser", auf den sie hofft, steht im Gegensatz zu dem, den H, die Hauptfigur und Erzählerin, tatsächlich erwartet: Sie sitzt irgendwo in der Demokratischen Republik Kongo an einem Schreibtisch und wartet darauf, festgenommen zu werden. Den Verfolgern wirft sie ihre Geschichte entgegen: "Ich werde keinen Widerstand leisten, denn mein Widerstand ist dieser Bericht." Zugleich wünscht sie, weitere, verständnisvolle Leser zu erreichen: Mit den zwei Lesern, real und ideal, sind die Fronten abgesteckt.
Perezagua, 1978 in Sevilla geboren, lebt und lehrt in New York. Sie wird gefeiert, Salman Rushdie lobt sie in höchsten Tönen. Man fragt sich, warum: "Hiroshima" ist trashig lackierter Edelkitsch ohne innere Notwendigkeit. Da wäre zunächst ein massives Wahrscheinlichkeitsproblem: Der Roman liefert das detailverliebte, aufs Sinnliche konzentrierte und dennoch völlig unsinnliche Resümee einer unglaubwürdigen Existenz. H ist ein intersexueller Japaner, der mit dreizehn Jahren den Abwurf der Atombombe in Hiroshima überlebt. H trägt nicht nur Verbrennungen davon, sondern verliert auch das männliche Geschlecht, wird zur Frau. Da ihre Familie umgekommen ist, wächst H in den Vereinigten Staaten auf, wo sie 1960 den siebzehn Jahre älteren Jim kennenlernt. Der ist durch seine Kriegsgefangenschaft bei den Japanern gezeichnet. Stärker geprägt wird Jims Leben durch die Suche nach Yoro, einem japanischen Mädchen, das vom amerikanischen Militär für fünf Jahre in seine Obhut gegeben worden war und seitdem von einer Pflegefamilie zur anderen gereicht, medizinisch kontrolliert und geheim gehalten wird. Mit sechzehn Jahren verschwindet Yoro. H schließt sich Jim an, die Suche wird ihre Existenz bestimmen.
Im Laufe der nächsten 55 Jahre verliert H Jim bei einem Unfall, bekommt eine Hündin und wird zwischenzeitlich verrückt. Sie begegnet marginalen Figuren, etwa Brigitte, die Acrotomophilie hat, also von Körperzonen angezogen wird, die an Amputationsstellen angrenzen; S wiederum, Besitzerin eines einzigartigen Sexshops in Tokio, ist Hs beste Freundin. Neben diesen Figuren präsentiert Perezagua eine Horrorshow, in der alle denkbaren Untaten defilieren, welche die Menschen sich und ihrer Umwelt seit 1945 angetan haben: Atomkrieg, Misshandlung von Kriegsgefangenen, Genitalverstümmelung, Vergewaltigung von Frauen, Kindern, Affen, umweltzerstörender Uran-Bergbau, erzwungener Kannibalismus. Sex und Gewalt verbindet der Roman aufs engste, von der entmännlichenden Atombombe an. Selbst metaphorisch werden sie verschmolzen, wie in der Beschreibung des modernen Nukleararsenals: "Jedenfalls wenigstens gut zwanzigtausend geile, pyromanische Karnickel, die, falls die Nationen wieder in Raserei verfallen, einen planetaren Brand erzeugen werden, der uns alle in der Ejakulation einer Sonne höchstselbst zerschmelzen lassen wird."
Neben geschmacklosem Bilderwust oder pseudointellektuellem Geschwurbel - Waffen sind "selbstreferentielle kriegerische Verfahren" - begeht "Hiroshima" weitere ästhetische Sünden, immer mit dem Ziel, das gute Gewissen des "menschlichen Lesers" künstlerisch zu veredeln. Nur am Rande: Auch moralisch ist das mitunter zweifelhaft, wenn neben einem schuldigen zwei potentiell unschuldige Blauhelmsoldaten lebendig verbrannt werden - in Militärsprache ein Kollateralschaden, aber die Militärs sind im Roman eigentlich die Bösen.
Zurück zur Ästhetik: Namen sind bedeutungsschwer, denn das H etwa wird im Spanischen nicht ausgesprochen. Die Heldin ist also der stumme Teil im Wort Hiroshima - sie kann für Opfer und Entrechtete sprechen. Auch die Familienbande, die Perezagua konstruiert, führen dazu, dass H das Alpha und das Omega ist, in dem Mann und Frau, Zerstörung und Leben zusammenkommen. Ihr Lebenslauf wird in zehn Kapitel untergliedert, welche den neun "Monaten" (die mehrere Jahre umfassen können) einer Schwangerschaft plus Entbindung entsprechen. Kurz, das Weibliche wuchert metaphorisch vor sich hin, und hier liegt das Problem, wie die Autorin ahnt: "Sie sagte mir, ich müsse weniger allegorisch sein", so N zu H, und sie hat recht damit. Das Schreckenskabinett, das Perezagua vorgeblich anklagend, vom Gestus her eher wollüstig, sicher jedoch ohne Dezenz, ausstellt, wird am Ende in einen großen Zusammenhang überführt: Yoro stirbt an Radioaktivität, Yoros Tochter (die auch Yoro heißt) aber lebt und ist zudem das Enkelkind von H. Alles hängt mit allem zusammen, der Sinn-Einkaufswagen ist voll bis zum Rand.
Kunstwerke leben tatsächlich davon, dass sie möglichst viele Einzelheiten in Verbindung setzen. Um überzeugen zu können, müssen sie in dieser Suche nach Symmetrie und Verbindung jedoch das Plakative meiden und Unbestimmtheiten zulassen, in denen sich verschiedene Deutungen entwickeln können. "Hiroshima" hingegen jagt paranoid jedes erhältliche Fetzchen Sinn, reiht es auf einen Spieß und trägt diesen stolz vor sich her. Bei all dem Leid, das der Roman erwähnt, ist das am Rande des Obszönen.
NIKLAS BENDER
Marina Perezagua: "Hiroshima". Roman.
Aus dem Spanischen von Silke Kleemann. Klett-Cotta, Stuttgart 2018. 374 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Marina Perezaguas Roman trägt das Sinnbild der Zerstörung schon im Titel, und das hinterlässt Spuren
Jedes Buch trägt seinen Wunschleser in sich: den Adressaten, der dem Autor bewusst oder insgeheim vorschwebte, als er die Seiten schwärzte. Mancher Autor geht so weit, den idealen Leser zu beschreiben und damit vorzugeben, wie er sich die Aufnahme seines Textes vorstellt. Das kann raffiniert und witzig sein wie beim Aufklärer Denis Diderot, der sich in "Jacques der Fatalist und sein Herr" (1778) über diejenigen lustig macht, die Liebesgeschichten hören wollen. Und es kann naiv sein, wenn dem Leser allen Ernstes eine Gemütslage, Meinung, Ästhetik oder Moral vorgeschrieben wird. Leser können viel über die Bücher verraten, die sie lesen: Das gilt für skizzierte Wunschleser gleich doppelt.
Marina Perezaguas Roman "Hiroshima" gehört eher in die naive Kategorie. Der "milde und menschliche Leser", auf den sie hofft, steht im Gegensatz zu dem, den H, die Hauptfigur und Erzählerin, tatsächlich erwartet: Sie sitzt irgendwo in der Demokratischen Republik Kongo an einem Schreibtisch und wartet darauf, festgenommen zu werden. Den Verfolgern wirft sie ihre Geschichte entgegen: "Ich werde keinen Widerstand leisten, denn mein Widerstand ist dieser Bericht." Zugleich wünscht sie, weitere, verständnisvolle Leser zu erreichen: Mit den zwei Lesern, real und ideal, sind die Fronten abgesteckt.
Perezagua, 1978 in Sevilla geboren, lebt und lehrt in New York. Sie wird gefeiert, Salman Rushdie lobt sie in höchsten Tönen. Man fragt sich, warum: "Hiroshima" ist trashig lackierter Edelkitsch ohne innere Notwendigkeit. Da wäre zunächst ein massives Wahrscheinlichkeitsproblem: Der Roman liefert das detailverliebte, aufs Sinnliche konzentrierte und dennoch völlig unsinnliche Resümee einer unglaubwürdigen Existenz. H ist ein intersexueller Japaner, der mit dreizehn Jahren den Abwurf der Atombombe in Hiroshima überlebt. H trägt nicht nur Verbrennungen davon, sondern verliert auch das männliche Geschlecht, wird zur Frau. Da ihre Familie umgekommen ist, wächst H in den Vereinigten Staaten auf, wo sie 1960 den siebzehn Jahre älteren Jim kennenlernt. Der ist durch seine Kriegsgefangenschaft bei den Japanern gezeichnet. Stärker geprägt wird Jims Leben durch die Suche nach Yoro, einem japanischen Mädchen, das vom amerikanischen Militär für fünf Jahre in seine Obhut gegeben worden war und seitdem von einer Pflegefamilie zur anderen gereicht, medizinisch kontrolliert und geheim gehalten wird. Mit sechzehn Jahren verschwindet Yoro. H schließt sich Jim an, die Suche wird ihre Existenz bestimmen.
Im Laufe der nächsten 55 Jahre verliert H Jim bei einem Unfall, bekommt eine Hündin und wird zwischenzeitlich verrückt. Sie begegnet marginalen Figuren, etwa Brigitte, die Acrotomophilie hat, also von Körperzonen angezogen wird, die an Amputationsstellen angrenzen; S wiederum, Besitzerin eines einzigartigen Sexshops in Tokio, ist Hs beste Freundin. Neben diesen Figuren präsentiert Perezagua eine Horrorshow, in der alle denkbaren Untaten defilieren, welche die Menschen sich und ihrer Umwelt seit 1945 angetan haben: Atomkrieg, Misshandlung von Kriegsgefangenen, Genitalverstümmelung, Vergewaltigung von Frauen, Kindern, Affen, umweltzerstörender Uran-Bergbau, erzwungener Kannibalismus. Sex und Gewalt verbindet der Roman aufs engste, von der entmännlichenden Atombombe an. Selbst metaphorisch werden sie verschmolzen, wie in der Beschreibung des modernen Nukleararsenals: "Jedenfalls wenigstens gut zwanzigtausend geile, pyromanische Karnickel, die, falls die Nationen wieder in Raserei verfallen, einen planetaren Brand erzeugen werden, der uns alle in der Ejakulation einer Sonne höchstselbst zerschmelzen lassen wird."
Neben geschmacklosem Bilderwust oder pseudointellektuellem Geschwurbel - Waffen sind "selbstreferentielle kriegerische Verfahren" - begeht "Hiroshima" weitere ästhetische Sünden, immer mit dem Ziel, das gute Gewissen des "menschlichen Lesers" künstlerisch zu veredeln. Nur am Rande: Auch moralisch ist das mitunter zweifelhaft, wenn neben einem schuldigen zwei potentiell unschuldige Blauhelmsoldaten lebendig verbrannt werden - in Militärsprache ein Kollateralschaden, aber die Militärs sind im Roman eigentlich die Bösen.
Zurück zur Ästhetik: Namen sind bedeutungsschwer, denn das H etwa wird im Spanischen nicht ausgesprochen. Die Heldin ist also der stumme Teil im Wort Hiroshima - sie kann für Opfer und Entrechtete sprechen. Auch die Familienbande, die Perezagua konstruiert, führen dazu, dass H das Alpha und das Omega ist, in dem Mann und Frau, Zerstörung und Leben zusammenkommen. Ihr Lebenslauf wird in zehn Kapitel untergliedert, welche den neun "Monaten" (die mehrere Jahre umfassen können) einer Schwangerschaft plus Entbindung entsprechen. Kurz, das Weibliche wuchert metaphorisch vor sich hin, und hier liegt das Problem, wie die Autorin ahnt: "Sie sagte mir, ich müsse weniger allegorisch sein", so N zu H, und sie hat recht damit. Das Schreckenskabinett, das Perezagua vorgeblich anklagend, vom Gestus her eher wollüstig, sicher jedoch ohne Dezenz, ausstellt, wird am Ende in einen großen Zusammenhang überführt: Yoro stirbt an Radioaktivität, Yoros Tochter (die auch Yoro heißt) aber lebt und ist zudem das Enkelkind von H. Alles hängt mit allem zusammen, der Sinn-Einkaufswagen ist voll bis zum Rand.
Kunstwerke leben tatsächlich davon, dass sie möglichst viele Einzelheiten in Verbindung setzen. Um überzeugen zu können, müssen sie in dieser Suche nach Symmetrie und Verbindung jedoch das Plakative meiden und Unbestimmtheiten zulassen, in denen sich verschiedene Deutungen entwickeln können. "Hiroshima" hingegen jagt paranoid jedes erhältliche Fetzchen Sinn, reiht es auf einen Spieß und trägt diesen stolz vor sich her. Bei all dem Leid, das der Roman erwähnt, ist das am Rande des Obszönen.
NIKLAS BENDER
Marina Perezagua: "Hiroshima". Roman.
Aus dem Spanischen von Silke Kleemann. Klett-Cotta, Stuttgart 2018. 374 S., geb., 24,- [Euro].
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»Es ist ein Hoffnungsroman trotz allem« Sabine Neubert, Neues Deutschland, 30.07.2018 »Die Mischung aus Grauen und Faszination, aus Mitgefühl und Abstoßung und die Kunst, über all das Fürchterliche so anrührend zu berichten, machen diesen Roman zu einem der faszinierendsten der letzten Jahre.« Maria Nowotnick, Buchkultur, 06.2018 »In "Hiroshima" gibt es Momente von hoher Intensität, die einem fast die Luft nehmen.[...] So sehr dieser Roman von Machtmissbrauch erzählt, so sehr erzählt er von der Verletzlichkeit des einzelnen Körpers.« Ralph Hammerthaler, Süddeutsche Zeitung, 25.06.2018 »In ihrem Debütroman lässt die spanische Autorin Marina Perezagua, 1978 in Sevilla geboren, ihre Icherzählerin mit einer ungeheuren sprachlichen Wucht von körperlichen und seelischen Schmerzen erzählen; mit Bildern, die einen bis in die Träume hinein verfolgen.« Christine Lötscher, Tagesanzeiger, 14.06.2018 »Eine Geschichte [...] über das, was Menschen einander antun können, über das Finden undAusleben der eigenen Sexualität, über ein selbstbestimmtes Leben und über die Liebe.« Ronald Meyer-Arlt, Hannoversche Allgemeine, 12.06.2018