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Historiker aus der DDR berichten über sich und ihre Arbeit im autoritär-sozialisstischen System, über ihren beruflichen Werdegang, ihr Verhalten, ihre Belastungen.

Produktbeschreibung
Historiker aus der DDR berichten über sich und ihre Arbeit im autoritär-sozialisstischen System, über ihren beruflichen Werdegang, ihr Verhalten, ihre Belastungen.
Autorenporträt
Dr. Karl Heinrich Pohl - Herausgeber - ist Professor für Geschichte an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Kiel.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.1998

Spielräume, Freiräume, ideologischer Terror
Schicksale und Einsichten von Historikern in der DDR

Karl Heinrich Pohl: Historiker in der DDR. Kleine Vandenhoeck Reihe, Band 1580. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen und Zürich 1997. 149 Seiten, 20,80 Mark.

Gemessen an der Geschichte des Sachsenvolkes, wird die Geschichte der DDR, wenn die Zeit sich einmal tausend Jahre von der Gegenwart entfernt hat, ein Fall für verschrobene Sonderlinge sein. Mehr als dreißig Jahre lang haben sich Sachsen am Ende des achten Jahrhunderts der zwangsweisen Christianisierung widersetzt. Was danach in mehr als tausend Jahren gewachsen ist, schlug tiefe Wurzeln. Vierzig Jahre SED-Herrschaft kamen diesen Trieben nicht bei und konnten dem gemütvollen Völkchen Tradition und Christentum nicht austreiben.

Einer von denen, die sächsische Geschichte gepflegt und zu DDR-Zeiten christlichen Glauben gelebt haben, ist Karlheinz Blaschke, Jahrgang 1927. Unter dem Beifall seiner Zuhörer sagte er am 7. Juli 1989 in der Leipziger Thomaskirche: "Das Verbleiben in der DDR ist eine nationale Aufgabe, denn auch hier ist ein Stück Deutschland." Blaschke hat 1962 seine Mitarbeit an einem Sammelband "Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus" eingestellt, als man von ihm verlangte, er solle einen Aufsatz zur Bevölkerungsdichte Sachsens "marxistisch formulieren". Von einem, der kein Marxist ist, könne man keine marxistisch formulierten Texte verlangen, hat er gelegentlich einer Archivkonferenz in Potsdam öffentlich geäußert.

1968 verlor er seine Anstellung als wissenschaftlicher Archivar am sächsischen Landeshauptarchiv, 1969 wurde er Dozent an der Kirchlichen Hochschule in Leipzig. Blaschke charakterisiert sich rückblickend nicht als Helden, aber auch nicht als "einen Stillen im Lande". Er habe "keinen Widerstand im eigentlichen Sinne geleistet", aber sei "eigene Wege" gegangen und habe andere ermutigt, nicht klein beizugeben.

Blaschkes Forschungen zur sächsischen Landesgeschichte standen zu dem zentralistischen SED-Staat ebenso quer wie sein praktiziertes Christentum. Das Jahr 1989 bestätigte den Durchhaltewilligen: "Es war stets mein Gedanke gewesen, ich müsse mich bereit halten für die Zeit danach." 1992 wurde Karlheinz Blaschke Professor für sächsische Landesgeschichte an der TU Dresden.

Der Rückblick dieses nicht mit der SED konformen Historikers ist in dem von Karl Heinrich Pohl herausgegebenen Büchlein nachzulesen. Pohl versammelt darin die Selbstreflexionen von vier Historikern aus der DDR. Zwei davon, Werner Bramke und Joachim Petzold, waren Parteigänger der Diktatur, also echte DDR-Historiker. Der dritte und jüngste, Matthias Hahn, hat sich "buchstäblich bis an die Schmerzgrenze seelischer Erträglichkeit" äußerlich angepaßt, frühzeitig aber schon seinen "inneren Ausstieg" vollzogen. Vom vierten war bereits die Rede. Er sah seine Pflicht im "geistigen Widerstehen" und ist in der DDR geblieben, um "durch den Geist und durch das Wort" zu verändern.

Besiegt von dem, was sie schon überwunden glaubten, wurden Werner Bramke und Joachim Petzold. Bramke steht heute auf der Bühne des Sächsischen Landtages als Abgeordneter und bildungspolitischer Sprecher der PDS. "Grundzüge der Traditionspflege im antiimperialistischen Kampf der KPD zur Zeit der Weimarer Republik" lautete zeitgemäß seine in den siebziger Jahren verfaßte Dissertation. "Sachsen im Zeitalter der Reformation" hieß damals eines von Blaschkes unzeitgemäßen Werken. 1990 legte er eine "Geschichte Sachsens im Mittelalter" vor, Bramke veröffentlichte 1995 "Sachsen und Mitteldeutschland, politische, wirtschaftliche und soziale Wandlungen im zwanzigsten Jahrhundert", zeitgemäß in sozialgeschichtlicher Terminologie gehalten.

Auch Petzold formuliert heute etwas weniger stark marxistisch. Er beschäftigte sich zu DDR-Zeiten mit der "Dolchstoßlegende" und untersuchte "konservative Theoretiker des deutschen Faschismus". 1995 veröffentlichte er sein Portrait "Franz von Papen. Ein deutsches Verhängnis". Er klagt, daß er dieses vor 1989 begonnene Werk nur "mit Müh und Not" und nebenbei zu Ende bringen konnte, er hatte nämlich von seinen neuen Arbeitgebern "den Auftrag, sich der Mentalitätsgeschichte junger Menschen in der SBZ und der frühen DDR zuzuwenden", was zwar auch "ein deutsches Verhängnis" war, aber sich nicht so schön den Konservativen anlasten läßt.

Petzold beschäftigt sich heute im Rahmen eines von der Volkswagenstiftung geförderten Projektes mit der Frage, welche Rolle "Geschichte als Herrschaftsdiskurs in der DDR" gespielt hat. Er selbst habe zu DDR-Zeiten darauf gehofft, "daß die wissenschaftlichen Freiräume im Laufe der Zeit größer würden", habe sich aber nicht dem Auftrag verschlossen, "politisch im Sinne der DDR zu erziehen".

Heftig beklagt Petzold in seinem Beitrag, daß die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Stiftung Volkswagenwerk in den neuen Bundesländern eine Projekteförderung auflegten, die auf "Vergleiche zwischen dem NS-Regime und der DDR" abzielte. "Das behinderte selbstkritische Reflexionen ehemaliger DDR-Historiker ungemein." Es sei zwar nichts gegen vergleichende Forschungen einzuwenden, aber der eigentliche Vergleich hätte "von vornherein zwischen den Besatzungszonen und den beiden deutschen Staaten vor dem Hintergrund des NS-Regimes und des Kalten Krieges stattfinden müssen".

Petzold führt in seinem Beitrag vor, was seiner Meinung nach ein so vergleichender Blickwinkel zutage fördern müsse. "Hinter den politischen Vorgaben" für die wissenschaftliche Forschung standen in der DDR "immer politische Interessen", schreibt er; in der heutigen Bundesrepublik seien "die auf Macht und Geld gestützten Bestrebungen von Parteien und Personen unverkennbar, bestimmte Geschichtsvorstellungen durchzusetzen, ganze Gruppen von Historikern abzuwickeln und die Geschichtsforschung in bestimmte Richtungen zu lenken". Zumindest ein kleiner Unterschied tritt so zutage - der zwischen "politischen Vorgaben" und "Bestrebungen". Manchen bereitet gerade der kleine Unterschied die größte Freude, während er für andere unerheblich ist, sie mögen nur ihresgleichen.

Matthias Hahn arbeitete zu DDR-Zeiten unter anderem über die "illyrischen Provinzen in der französischen Außenpolitik" des frühen neunzehnten Jahrhunderts. Er veröffentlichte 1996 eine Arbeit über die soziale Herkunft der "Chemnitzer Manufakturenbourgeoisie von 1763 bis 1803". Er fühlte sich als Nachwuchswissenschaftler in der DDR "einem gnadenlosen ideologischen Terror ausgesetzt, domestiziert und in der individuellen Entwicklung stark behindert". Karlheinz Blaschke hat in den kleinen Dingen des alltäglichen Lebens erlebt, "was Totalitarismus ist". Joachim Petzold hingegen berichtet von einem "gewissen Freiraum", den er nutzen konnte, und Werner Bramke bedauert immerhin Selbstblockaden, die ihn hinderten, "gewachsene Spielräume zu erkennen und zu nutzen".

Angesichts solch disparater Wahrnehmungen schwankt der westdeutsche Herausgeber, der sich als Mann der Bielefelder Schule für "eine rationale, emotionsarme Analyse" stark macht, zwischen Sowohl-Als-auch und Pro und Contra, um schließlich einen Dritten, Hartmut Zwahr, zu zitieren, der gesagt hat, es müsse alles ans Tageslicht, bevor verziehen werden könne. Vielleicht aber gibt es gar nichts zu verzeihen, sondern einfach nur festzustellen, was war, um zu verstehen, warum, wer früher verkündet hat, die Erde sei eine Scheibe, heute erklärt, sie möge zwar rund sein, ihm erscheine sie trotz alledem aber ziemlich flach. So feuerbacht am Ende aus der Geschichte zurück, was marxistisch einmal in sie hineingegossen wurde: Die Welt hat sich verändert, die Historiker können das nur verschieden interpretieren. JOCHEN STAADT

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