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Gustav Schmoller (1838-1917) war einer der einflußreichsten und anerkanntesten Nationalökonomen im Deutschen Kaiserreich. Zu den genuinen Aufgaben der Nationalökonomie gehörte für ihn nicht nur, die durch ökonomische Innovation forcierten gesellschaftlichen Veränderungen in ihrer historischen Genese zu verstehen. Vielmehr sollten diese gesellschaftlichen Umbrüche auch anhand des Nachweises wirtschaftspolitischer Maßnahmen und sozialer Reformen moralisch gesteuert werden. Die praktische Wechselbeziehung von Ökonomie, Politik und Ethik sollte in einer historisch-ethischen Nationalökonomie…mehr

Produktbeschreibung
Gustav Schmoller (1838-1917) war einer der einflußreichsten und anerkanntesten Nationalökonomen im Deutschen Kaiserreich. Zu den genuinen Aufgaben der Nationalökonomie gehörte für ihn nicht nur, die durch ökonomische Innovation forcierten gesellschaftlichen Veränderungen in ihrer historischen Genese zu verstehen. Vielmehr sollten diese gesellschaftlichen Umbrüche auch anhand des Nachweises wirtschaftspolitischer Maßnahmen und sozialer Reformen moralisch gesteuert werden. Die praktische Wechselbeziehung von Ökonomie, Politik und Ethik sollte in einer historisch-ethischen Nationalökonomie theoretisch erfasst werden. Die hier präsentierte Auswahl soll einen Einblick in Schmollers ökonomischen Ansatz gewähren. In einer umfassenden Einleitung rekonstruiert der Herausgeber Schmollers Konzept einer historischethischen Nationalökonomie im wissenschaftshistorischen Kontext und zeigt die Bedeutung Schmollers für die heutige Theoriedebatte auf.
Inhalt: H.H. Nau: Politisches Ethos und sozialökonomisches Telos. Gustav Schmollers Konzept einer historisch-ethischen Nationalökonomie als Kulturwissenschaft. Ausgewählte Schriften Gustav Schmollers u.a.: Eröffnungsrede der Eisenacher Tagung des Vereins für Socialpolitik am 8. Oktober 1872 - Ueber Zweck und Ziele des Jahrbuchs [für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirthschaft im Deutschen Reich] - Die Gerechtigkeit in der Volkswirthschaft - Aus der Eröffnungsrede Schmollers nach seiner Wahl zum Vereinsvorsitzenden auf der Frankfurter Tagung des Vereins für Socialpolitik von 1890 - Wechselnde Theorien und feststehende Wahrheiten im Gebiete der Staats- und Socialwissenschaften und die heutige deutsche Volkswirtschaftslehre - Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Erster und Zweiter Teil - Art. Volkswirtschaft und Volkswirtschaftslehre und -methode, Handwörterbuch der Staatswissenschaften.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.1998

'72 vergaß sie der Weihnachtsmann nicht
Gustav Schmoller bescherte die Armen vom Katheder / Von Andreas Platthaus

Nach seinem Tod wurde der Doyen von seiner Disziplin schleunigst vergessen. Gustav Schmoller hatte die deutsche Nationalökonomie seit 1872, als er den prestigeträchtigen Lehrstuhl an der neugegründeten Reichsuniversität in Straßburg annahm, dominiert, wie es vor oder nach ihm keinem mehr gelingen sollte. Und nicht nur in wissenschaftlichen Fragen hatte sein Wort Gewicht. Als Herausgeber der "Acta Borussica" war er zum inoffiziellen Staatshistoriker Preußens geworden. 1882 ging er nach Berlin, wurde später Rektor der dortigen Universität, vertrat seine Hochschule im Herrenhaus und erhielt 1908 das Adelsprädikat. Genutzt hat es alles nichts. Sein Hauptwerk, der "Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre", 1900 bis 1904 erschienen, wurde zwar noch einmal, 1923 - und dann bis 1978 nicht mehr -, aufgelegt, aber im selben Jahr warfen die Herausgeber des "Handwörterbuchs der Staatswissenschaften" die letzte große Arbeit, seinen Beitrag über "Volkswirtschaft, Volkswirtschaftslehre und -methode", die der bereits Fünfundsiebzigjährige noch 1911 überarbeitet und als Summe seines Denkens angelegt hatte, aus der Neuauflage des renommierten Sammelwerks. Das war der symbolische Todesstoß für Schmollers Lehre.

Zugegeben, den methodologischen Schriften gehörte nicht die große Liebe des Gelehrten. Sein Name war zunächst verknüpft mit bahnbrechenden empirischen Studien. Schon bei seiner Berufung nach Halle, 1864, wurde dem jungen Wissenschaftler die Habilitation erlassen, weil seine gewerbestatistischen Arbeiten solch großes Aufsehen erregt hatten. Schmoller entwickelte sich zum Nachfolger Wilhelm Roschers, der als Ranke-Schüler dessen historische Methode in das in Deutschland gerade erst mit Friedrich List Bedeutung gewinnende Feld der Ökonomietheorie eingebracht hatte. Lists explizit gegen Adam Smiths Freihandels-Liberalismus entwickelte Konzeption vom geschlossenen Handelsstaat begünstigte die wirtschaftsgeschichtliche Forschung ebenso wie die deutsche Nationalbewegung, weil sich der zunächst nur abstrakt konzipierte Staat seiner historischen Wurzeln versicherte. Dazu zählte auch die Erschließung großer Aktenbestände wirtschaftlicher Provenienz, bei der sich die auf Basis von Roschers methodologischen Überlegungen arbeitenden Ökonomen besonders hervortaten. Für sie entstand die Sammelbezeichnung Historische Schule der Nationalökonomie.

Schmoller aber setzte sich von Roscher ab; um ihn bildete sich die sogenannte Jüngere Historische Schule, deren Lehre das Kaiserreich prägen sollte. In seinem Beitrag zum Handwörterbuch erläuterte Schmoller die Unterschiede zwischen seiner Vorstellung und der der Älteren Schule in für ihn so typischen allgemeinverständlichen, fast banalen Worten: Sein Ziel sei, "zunächst nicht Lehrbücher, sondern volkswirtschaftliche Monographien über die großen Fragen der Gegenwart oder die wichtigsten Entwicklungsreihen der Vergangenheit bis zur Gegenwart zu schreiben". Natürlich hat auch er später mit dem "Grundriß" seinen monographischen Versuch gemacht, aber davor standen vier Jahrzehnte intensive Arbeit mit den Quellen.

Und das Engagement im von Schmoller 1872 mitbegründeten und lange Zeit geleiteten Verein für Socialpolitik. Das Ziel des Vereins war eine praxisorientierte Wissenschaft, die sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zu stellen hatte. "Die Nationalökonomie ist heute nur Wissenschaft, sofern sie sich zur Gesellschaftslehre erweitert und in dem Maße, als sie dies thut", hielt Schmoller 1882 in einer Rezension fest, die jetzt in einem Sammelband seiner methodologischen Schriften Aufnahme fand. In diesem Buch kann man verfolgen, wie Schmoller sich um die Einordnung der Ökonomie in ein kulturwissenschaftliches System bemühte, dessen Zusammenhalt die Gründung auf Erfahrung sein sollte - in Abgrenzung zur auf Gesetzen beruhenden Naturwissenschaft. Im Methodenstreit der Historischen mit der neoklassischen Grenznutzenschule um Carl Menger stand diese These im Zentrum.

Werturteilsfreiheit war Schmollers Sache nicht. Sein Verständnis von Wirtschaftswissenschaft ging von ethischen Idealen aus. Dieser Vorstellung und den aus ihr erwachsenen politischen Interventionen des Vereins für Socialpolitik verdankt sich, daß Joseph Schumpeter rückblickend zu den Charakteristika der Historischen Schule auch den "Kampf für die Sozialreform" rechnete. Das neue Reich mußte für Schmoller ein großes Kummersdorf bleiben, solange nur Zölle, nicht aber Sozialpolitik Gegenstand der politischen Agenda waren. In seiner Eröffnungsrede zur Gründung des Vereins erklärte Schmoller die Epoche der ökonomischen Klassik kurzerhand für beendet und stellte fest: "Nachdem das Prinzip unbedingter volkswirtschaftlicher Freiheit bis zur letzten Konsequenz verfolgt war, mußte der innere Gegensatz sich zeigen." Die Mitglieder des Vereins, in der Mehrzahl Nationalökonomen, nahmen die neugewonnene politische Einheit Deutschlands zum Anlaß, nun auch die soziale Einheit zu verlangen - eine Forderung, die heute neue Aktualität besitzt. Damals schmähte man die akademischen Sozialreformer als "Kathedersozialisten". Der Emeritus Schmoller erinnerte sich 1911 wohlig an die eigene Verrufenheit in konservativen Kreisen und betonte, daß man dem Spottnamen "mit Recht nicht widersprochen habe".

Für jemanden, der die Marxsche Theorie als Rückfall in die Scholastik - deren Realitätsferne Schmoller ein Graus war - bezeichnete, ist dieses Kokettieren überraschend. Aber Schmollers Verständnis von Sozialismus war ein praktisches: "Niemals wird der sociale Klassenkampf durch Veränderung der rein politischen Formen unseres Verfassungslebens beschwichtigt", mahnte er in einem Hymnus auf die preußische Staatstradition, der 1874 in den nationalliberalen "Preußischen Jahrbüchern" abgedruckt wurde. Die ethische Einstellung der Wirtschaftssubjekte allein kann Gerechtigkeit schaffen; ihre Sittlichkeit, die zunächst die Religion, später der Staat bestimmt, ist es, was die Basis jeder Gesellschaft bildet. Deshalb ist für Schmoller "die heutige allgemeine Nationalökonomie philosophisch-soziologischen Charakters", ist also Kulturwissenschaft, weil erst der Blick auf die Institutionen (als menschliches Spezifikum) individuelle Erfahrung sinnhaltig werden läßt. Entgegen der sonstigen Vorliebe der Historischen Schule für das induktive Verfahren sucht er im Wesen der Gesellschaft das Muster, nach dem sich die empirischen Bruchstücke zum Gesamtbild ergänzen. Doch schon zwei Sätze weiter definiert Schmoller sein Fach als Versuch, "das Spezielle zum Rang allgemeiner Wahrheiten zu erheben". Die Induktion feiert fröhliche Urstände. Solche methodischen Zirkel sind bei ihm nicht selten.

In seiner klugen Einleitung zu der Textsammlung hat Heino Heinrich Nau auf solche Probleme bei Schmoller hingewiesen und der Versuchung widerstanden, einen nicht ganz zu Unrecht Verdrängten wieder zu inthronisieren. Natürlich liegt es nahe, in der Historischen Schule einen Dritten Weg zwischen Neoklassik und Sozialismus zu sehen. Schmoller deklarierte sich selbst gern zur Mitte: Eingerahmt von gleichermaßen sittlich verkommenen Arbeitern (unschuldig) und Großbürgern (schuldig) steht sein Sozialwissenschaftler, der zu beiden Seiten die Hände ausstreckt und so die Spaltung überbrückt.

Doch im zwanzigsten Jahrhundert vertiefte sie sich; von Schmoller war deshalb bald nichts mehr zu sehen. Nach der deutschen Niederlage von 1918, die er nicht mehr erleben mußte, war sein Wirtschafts-, Staats- und Gemeinschaftsverständnis obsolet. Die deutsche Ökonomie schloß sich der englisch-amerikanischen Objektivierung an, Max Weber obsiegte post mortem über seinen Konkurrenten im Werturteilsstreit. Das bis heute vorherrschende Bemühen um die Modellierung von Wirtschaftsvorgängen zum Zwecke der Prognose brachte zwar den Praxisbezug erneut in die Ökonomietheorie ein, abstrahierte aber von der spezifischen historischen Situation, deren Einmaligkeit für Schmoller so wichtig war. Trotzdem hatte er sich an der Formulierung allgemeiner Grundsätze versucht.

Das ist die eigentliche Crux seiner Methodologie, und dieses Paradox wird in Naus Edition erfreulich deutlich. Ob man Schmollers Schriften zu mehr als historischen Studien gebrauchen kann, dürfte fragwürdig sein. Dem Fürsprecher historischer Analysen in der Ökonomie sollte aber auch diese Rezeption recht sein.

Gustav Schmoller: "Historisch-ethische Nationalökonomie als Kulturwissenschaft". Ausgewählte methodologische Schriften. Herausgegeben und eingeleitet von Heino Heinrich Nau. Metropolis-Verlag, Marburg 1998. 368 S., br., 68,- DM.

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