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"Historische Existenz" meint die Geschichte im ganzen, nämlich den Zeitabschnitt von etwa 5000 Jahren zwischen der Vorgeschichte und unserer Gegenwart. Professor Ernst Nolte analysiert die wichtigsten Kategorien historischer Existenz wie Religion, Staat, Adel, Krieg und Frieden, Stadt und Land, das Aufbegehren und die Linke, ohne deshalb auf erzählende Kapitel zu verzichten. Auch dieses Werk des Historikers wird wie frühere Publikationen kontrovers diskutiert werden.

Produktbeschreibung
"Historische Existenz" meint die Geschichte im ganzen, nämlich den Zeitabschnitt von etwa 5000 Jahren zwischen der Vorgeschichte und unserer Gegenwart. Professor Ernst Nolte analysiert die wichtigsten Kategorien historischer Existenz wie Religion, Staat, Adel, Krieg und Frieden, Stadt und Land, das Aufbegehren und die Linke, ohne deshalb auf erzählende Kapitel zu verzichten. Auch dieses Werk des Historikers wird wie frühere Publikationen kontrovers diskutiert werden.
Autorenporträt
Ernst Nolte, Jahrgang 1923, Studium bei Martin Heidegger, 1952 Promotion, 1964 Habilitation, 1965-1973 Professor für Neuere Geschichte in Marburg, 1973-1991 am Friedrich-Meinecke-Institut der FU Berlin, Gastprofessuren und Forschungsaufenthalte u. a. an der Yale University, in Wassenaar, Cambridge und Jerusalem.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1998

Der Held trug schwarz
Für Ernst Nolte bilden die Faschisten die Gerechtigkeitsliga des Abendlands / Von Stefan Breuer

Wenn ein Wissenschaftler ein Buch schreibt, muß es sich nicht immer um ein wissenschaftliches Buch handeln. Es kann eine Bastelanleitung, ein pornographischer Text oder ein politisches Buch sein. Ein politisches Buch unterscheidet sich darin von einem wissenschaftlichen, daß es zu praktischen Fragen wertend und damit parteilich Stellung bezieht, nicht in erster Linie die Erkenntnis, sondern das Handeln fördern will. In diesem Sinne ist Ernst Noltes neues Werk, wie die meisten davor, ein politisches Buch. Es verfolgt zwei Absichten: die Selbstvergewisserung dessen, was er das "Liberale System" nennt, und die genaue Identifizierung seiner Feinde und Freunde. Zu diesem Zweck, und nur zu diesem, wird die Geschichtswissenschaft herangezogen. Es geht nicht darum, ihr neue Erkenntnisse hinzuzufügen, sondern darum, sie zu benutzen. Mit ihrer Hilfe soll die Doppelfrage beantwortet werden, die den Carl-Schmittschen Begriff des Politischen ausmacht: Wer sind wir? und: Wo steht der Feind?

Nolte holt weit aus. Sehr weit. Natur-, Vor- und Frühgeschichte werden aufgeboten, um zu zeigen: Geschichte ist etwas dem Menschen Mögliches, aber nicht Notwendiges. Sie ist an das Auftreten kontingenter Faktoren gebunden, allen voran der Schrift, und sie kann, wie alles Kontingente, auch wieder verschwinden. Ihren ersten Auftritt erlebt sie, nach vorbereitenden zivilisatorischen Durchbrüchen in Mesopotamien, Ägypten und Syrien, in Israel, später dann im Abendland, um im okzidentalen Mittelalter zu jener Konfiguration zusammenzuschießen, die ein Maximum an Dynamik ermöglicht: dem Liberalen System. Nur hier, so die Behauptung, habe sich ein weltgeschichtlich singuläres "polygonales" Gebilde formiert, in dem sich so etwas wie Fortschritt entfalten konnte; nur hier seien die historischen Existenzialien wie Herrschaft und Krieg, Staaten und Stände so rein herausgebildet worden, daß der Überschritt von der bis dahin allein bekannten theoretischen Transzendenz zur praktischen Transzendenz: zur Revolutionierung der Welt im ganzen, möglich geworden sei. Was das eigentliche Wesen des Menschen ausmache, Transzendenz, sei nur im Okzident voll realisiert worden; so daß Abendland, Liberales System und Geschichte recht eigentlich drei Ausdrücke für ein und dieselbe Sache sind.

Zum Liberalen System aber gehört auch der Feind, die Negation der Geschichte. Auch er hat seinen Auftritt schon sehr früh, mit den israelischen Propheten und Deuteronomisten, die zwar wegen ihrer primär religiösen Orientierung noch nicht im engeren Sinne links sind, wohl aber in einem weiteren Sinne. Nirgendwo, so Nolte, sei die geschichtsfeindliche Utopie in so extremer Form entwickelt worden wie in dem extrem geschichtlichen Israel. Nirgendwo auch habe sie so klar ihren eliminatorischen, auf Auslöschung und Ausrottung des Feindes zielenden Grundcharakter offenbart wie im Alten Testament, diesem, bei allen unstreitig vorhandenen Ansätzen zu Universalismus und Humanismus, frühesten Dokument der Kulturfeindlichkeit der Ewigen Linken.

So geht es weiter durch die Jahrtausende. Immer das gleiche Muster. Da bilden sich, nicht zuletzt dank des Mehrprodukts der arbeitenden Klassen, zivilisatorische Errungenschaften wie Adelsherrschaft, Staat, Religion und Wissenschaft, die freilich ein gewisses Maß an Ungleichheit und Ungerechtigkeit mit sich bringen (als Preis des Fortschritts sozusagen); und da formiert sich, als Reaktion auf diesen "Aristokratismus", ein zunächst sozialreligiöser, dann immer eindeutiger sozialer und politischer Protest, der diese Ungleichheit und mit ihr die ganze Differenzierung unter Anklage stellt. Seine Wortführer, heißen sie Thersites, Spartakus, Thomas Müntzer, Jan van Leiden, Rousseau oder Marx, sind alle vom gleichen Schlag: Beseelt von Haß und Ressentiment, predigen sie einen "Primitivismus", der die Geschichte aufhalten und zur Einfachheit und Gerechtigkeit der Stammes- und Dorfgemeinschaft zurückbringen will; und der für alle diejenigen, die sich dem widersetzen, nur den Henker oder das Erschießungskommando kennt. Erst in der bolschewistischen Revolution, die ein "Konzentrat aller früheren Revolutionen der Linken" sei, richte sich der transhistorische Wille nicht mehr nach rückwärts, in die Vorgeschichte, sondern vorwärts, auf die "Nachgeschichte"; wofür Nolte, neben gewissen Konzessionen an den Progressismus des neunzehnten Jahrhunderts, wiederum den jüdischen Messianismus verantwortlich macht.

Das Liberale System hat den bolschewistischen Generalangriff überlebt. Aber der Feind ist damit nicht verschwunden. Er hat nur die Gestalt gewechselt. Das absolut Böse: die Vernichtungsdrohung, erscheint heute im radikalen Flügel des Feminismus, der die "Vernichtung aller, oder doch mindestens der weißen Männer" proklamiert und damit den Bolschewismus noch überbietet. Oder im ökologischen Fundamentalismus, der die industrielle Grundlage des Okzidents zerstören will. Auch wenn die Anhängerschaft dieser beiden Extremismen heute noch gering sei, sei höchste Wachsamkeit geboten. Wenn es dieser Erscheinungsform der Linken noch einmal gelingen sollte, die Grundlage des Staates so sehr zu erschüttern wie in der Schleyer-Krise, dann "dürften selbst die sehr wirksamen Parolen des Antisexismus und des Antirassismus nicht mehr ausreichen, die Entstehung einer außerstaatlichen und vernichtungswilligen Gegenbewegung zu verhindern".

Die Einseitigkeit dieser Feindbestimmung ist überraschend. Sie steht im Widerspruch zu der Tatsache, daß es nicht nur eine Linke, sondern auch eine Rechte gibt, und daß diese Rechte sich durchaus nicht nur gegen die Linke, sondern auch gegen das Liberale System richtet. Gewiß ist Nolte dies nicht völlig unbekannt, er ist nicht umsonst Autor eines vielzitierten Buches über den Faschismus in seiner Epoche. Seine Botschaft lautet jedoch: Faschismus ist nicht gleich Faschismus. Es gibt den Radikalfaschismus und den, wenn man so will, Normalfaschismus, eine Unterscheidung, die ungefähr zusammenfällt mit der zwischen Hitler und Mussolini. Dem letzteren bescheinigt Nolte ein "historisches Recht", mehr noch: das Recht der Historie, denn der Normalfaschismus habe, bei aller Gewalttätigkeit, nicht weniger als die Geschichte gegen die Vorkämpfer der Nachgeschichte verteidigt - was nichts anderes heißt, als dessen Zugehörigkeit zum Liberalen System zu postulieren.

Nur der Radikalfaschismus habe dessen Grenzen überschritten, aber, das ist Noltes Pointe, auch dies nicht aus eigenem Antrieb, der Logik der Revolution von rechts folgend, sondern aus Fremdbestimmtheit heraus. Im Radikalfaschismus erlebt der Normalfaschismus einen Wesenswandel, eine Mutation, indem er die Methoden und Perspektiven der radikalen Linken übernimmt, zu deren Spiegelbild wird. Was sich in Hitler zeigt, ist nicht der Extremismus der Rechten, sondern derjenige der Linken, ist der Exterminismus Lenins oder gar Josuas.

Dies ist, noch einmal sei es gesagt, ein politisches Buch, kein wissenschaftliches. Für die Wissenschaft ist es unerheblich. Das Geschichtsbild ist von der Schlichtheit der Superhelden-Comics, als habe der Stadtschreiber von Gotham City die Feder geführt. Die angebotenen Idealtypen - Herrschaft und Schichtung, Religion und Staat und so weiter - haben etwa den Abstraktionsgrad der Begrifflichkeit Hans Freyers und erlauben es allenfalls, das noch einmal zu reproduzieren, was sich in Enzyklopädien und Lexika, Handbüchern und Universalgeschichten findet. Nolte kondensiert Kondensate, extrahiert Extrakte, destilliert Destillate, füllt endlose Seiten mit Zitaten aus Ilias und Odyssee, Bhagavadgita und Bibel, Upanischaden und konfuzianischen Klassikern und erzählt die Weltgeschichte, als gelte es, einen Koma-Patienten wachzureden. Spezialliteratur, wie sie gerade für so schwierige Gebiete wie Prähistorie und Archäologie der frühen Hochkulturen unerläßlich ist, wird so gut wie gar nicht herangezogen; was über den Alten Orient zu lesen ist, stammt aus der Forschung der fünfziger und sechziger Jahre; die Kapitel über Buddhismus, Konfuzianismus, Christentum und Islam kommen ohne jede Konsultation der indo- oder sinologischen Fachliteratur, geschweige denn der theologischen oder gar der religionssoziologischen Forschung aus. Die Siebenmeilenstiefel, auf denen Nolte die Weltgeschichte durcheilt, hätte Hegel erst einmal zum Schuster gegeben.

Was die politische Botschaft betrifft, so sollen die seit langem ventilierten Argumente gegen die These vom Kausalnexus zwischen linkem und rechtem Extremismus hier nicht wiederholt werden; auch die empörende Umdeutung des Holocaust in ein Unternehmen, dessen letzte Wurzeln im Judentum selbst liegen sollen, mag außer Betracht bleiben. Hier sei nur das Augenmerk auf die Tatsache gelenkt, daß Ernst Nolte das Liberale System auf eine Weise verteidigt, die geeignet ist, dem von linker wie rechter Seite gegen dieses System formulierten Argwohn Nahrung zu geben. Indem er es als Fortsetzung des okzidentalen Aristokratismus, ja als dessen schönste Blüte interpretiert und zugleich den Faschismus in seiner "gemäßigten" Form eben hier plaziert, erhebt er ihn, ohne es offen auszusprechen, zum Grenzträger dieses Systems, rehabilitiert ihn als eine Art Immunabwehr gegen den Angriff der antihistorischen Mächte. Sobald, so die implizite Botschaft, dieses System derart total in Frage gestellt werde, wie dies durch Bolschewismus oder Radikalfeminismus geschehe, müsse das Liberale System seine Liberalität sistieren und den Kräften freies Schußfeld geben, die bereit sind, der Gewaltdrohung mit Gewalt zu begegnen. Womit keineswegs die von der Verfassung vorgesehenen Notstandsbefugnisse der staatlichen Institutionen gemeint sind, sondern gesellschaftliche Kräfte, Bürgerkriegsparteien.

Solche Überlegungen sind nicht neu. Ein Herbert Marcuse hätte in ihnen einen Beleg für den geheimen Autoritarismus des Liberalismus gesehen, der im Augenblick der Krise hervortritt; ein Panajotis Kondylis ein spezifisches Kennzeichen des Altliberalismus, der vor dem Übergang zur Massendemokratie zurückschreckt und sich lieber dem Konservatismus in die Arme wirft. Wie immer es darum bestellt sein mag: Mit dem Liberalismus, wie er im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert ist, ist diese Sicht nicht zu vereinbaren. Wer so schnell bei der Hand ist, Berechtigungszertifikate und Lizenzen für Bürgerkriegsparteien auszustellen, wer soviel Verständnis und Anerkennung für Bewegungen hat, die die Menschenrechte, die Gewaltenteilung, den politischen Pluralismus mit Füßen treten, wer eine ganze Weltgeschichte in der durchsichtigen Absicht konstruiert, den Normalfaschismus als Retter des Abendlands zu präsentieren, der setzt sich dem Verdacht aus, ein Verfassungsfeind zu sein. An der Art, wie er zu Nolte steht, wird sich künftig ermessen lassen, wie liberal ein Liberalismus ist.

Ernst Nolte: "Historische Existenz". Zwischen Anfang und Ende der Geschichte? Piper Verlag, München 1998. 765 S., geb., 78,- DM.

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