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Produktdetails
  • Verlag: HarperCollins UK
  • Seitenzahl: 346
  • Englisch
  • Gewicht: 640g
  • ISBN-13: 9780060593766
  • ISBN-10: 0060593768
  • Artikelnr.: 20742359
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.10.2005

Hitlers Schwätzer
Der Prozeß David Irving gegen Deborah E. Lipstadt: Eindrücke der Beklagten

Deborah E. Lipstadt: History on trial. May Day in Court with David Irving. Verlag Ecco Press, New York 2005. 368 Seiten, 25,95 $.

Der Prozeß, den der britische Historiker David Irving gegen die amerikanische Professorin Deborah Lipstadt anstrengte, zog sich über Jahre hin und produzierte eine ungeheure Menge von Papier. Teilaspekte sind in der Zwischenzeit von mehreren Beteiligten in Buchform kondensiert worden, so etwa von Peter Longerich oder Richard Evans. Nun wählt erstmals einer der beiden Protagonisten den Prozeß selbst zum Thema. Frau Lipstadt präsentiert ihre Erlebnisse während des Prozesses. Sie war von Irving verklagt worden, weil sie ihn in ihrem Buch "Denying the Holocaust" als gefährlichen Holocaust-Leugner bezeichnet und scharf angegriffen hatte. Nach britischem Prozeßrecht war es nicht an ihm, den Vorwurf zu widerlegen, sondern an ihr, ihn zu beweisen. Bald schon war es für beide Seiten ein Kampf um ihre Existenz: Die Prozeßkosten schnellten in die Millionenhöhe, und es war offensichtlich, daß der Verlierer nicht nur seine Reputation verlieren würde, sondern auch zahlen müßte und vielleicht bankrott gehen würde.

Frau Lipstadt hatte ein enorm starkes "Team" zu ihrer Verfügung und wurde von prominenten Sponsoren unterstützt. Ihr Verleger stand zu ihr, und sie hatte mit Anthony Julius einen der besten Anwälte Großbritanniens an ihrer Seite. Bekannte Hitler- und Holocaust-Forscher sowie Spezialisten für Rechtsextremismus sagten zu ihren Gunsten aus. Irving glaubte hingegen, sich vor Gericht selbst vertreten zu können, weil seine Expertise in den historischen Sachfragen in erster Linie gefordert sei und ausreiche. Das erwies sich als ein Fehler gegenüber der hervorragend organisierten Gegenseite.

Richard Evans, Historiker aus Cambridge, verfaßte ein für Irving vernichtendes Gutachten über dessen schlampige, verdrehende und entstellende Arbeitsweise als Buchautor. Ein Beispiel: Um in seiner Goebbels-Biographie nachzuweisen, daß am Ende der Weimarer Republik auffallend viele Juden Kriminelle waren, griff Irving ausgerechnet auf nationalsozialistische Angaben zurück und nicht auf die Kriminalstatistik. Viele Zeitgeschichtler und deren Hilfskräfte überprüften Irvings Werke Fußnote für Fußnote, um nachzuweisen, daß er nachweislich Quellen verschwiegen und entstellt hatte - und zwar, um die absurde These zu belegen, daß Hitler anfänglich nichts vom Holocaust gewußt und daß es keine Vergasungen gegeben habe. Irving hatte den prominenten Militärhistoriker John Keegan zu seiner Entlastung aufgeboten. Der lobte zwar Irvings Buch "Hitler's War", bezeichnete aber dessen Behauptung, Hitler habe nichts vom Holocaust gewußt, als "pervers".

Irving räsonierte darüber, ob es in Auschwitz Gaskammern gegeben habe oder nicht. Ein Höhepunkt des Buches ist die Schilderung jenes Kreuzverhörs, in das Irving den amerikanischen Holocaust-Forscher Christopher Browning nahm. Der ruhige und kompetente Browning entwaffnete souverän alle Versuche Irvings, die Judenmorde zu beschönigen. Unter anderem behauptete Irving, es habe 1941 für die Erschießungen von Juden militärische Gründe gegeben. Jedoch wurden ihm nicht nur seine haarsträubenden Thesen, sondern auch sein Zynismus zum Verhängnis. Im Gerichtssaal gab die Verteidigung beispielsweise Irvings geschmacklose und diffamierende Witze über Holocaust-Überlebende wieder, so etwa, daß auf dem Rücksitz von Senator Kennedys Auto in Chappaquiddick mehr Menschen gestorben seien als in den angeblich gar nicht existenten Gaskammern in Auschwitz. Außerdem konnten ihm Kontakte zu rechtsradikalen Organisationen diesseits und jenseits des Atlantiks nachgewiesen werden. Richter Charles Gray leitete die Verhandlung souverän und ließ Irving viel Spielraum, den dieser weidlich nutzte, um sich zu ruinieren. Das Gericht kam schließlich zu dem Ergebnis, daß Irving eine prinzipiell antisemitische und rassistische Grundhaltung habe und historisches Material verfälscht habe.

Deborah Lipstadt schildert den gesamten Prozeß aus ihrer Perspektive. Sie macht kein Geheimnis daraus, daß sie für Irving nicht viel Sympathie empfindet, ja ihn wohl verachtet. Das Buch kann an manchen Stellen fesseln. An anderen ist die Darstellung überfrachtet mit Details - auch unwichtigen. Frau Lipstadt zitiert wörtlich E-Mails und Briefe ihrer Studenten, Anhänger und Gegner, aber auch die Äußerungen von Barkeepern und Taxifahrern, die sie während des Prozesses ermutigten; sie kommentiert die Farbe und den Sitz von Anzügen verschiedener Protagonisten oder erwähnt die Ergebenheit alter Damen, die ihr dankbar die Hand küßten. Insgesamt fehlt ihrem Buch eine Verdichtung des Materials und der Eindrücke.

Grotesk ging es in diesem Prozeß auch zu, wenn Irving den Richter beim Abschlußplädoyer versehentlich als "Mein Führer" ansprach - Dr. Seltsam aus Stanley Kubricks Film läßt grüßen. Das Verfahren endete für Irving in einem Debakel. Seine Reputation als Historiker ist angeschlagen; seine Verleger wandten sich von ihm ab. Als Verlierer mußte er Prozeßkosten in Millionenhöhe schultern und Bankrott anmelden. Ist die Schlacht nun beendet? Zumindest in juristischer und ökonomischer Hinsicht.

HOLGER AFFLERBACH

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