Unter allen Ländern, die wir vom Hörensagen kennen, ist Deutschland das unerforschteste. Kaum einer traut sich wirklich rein. Der Autor dieses endgültigen Reisehandbuchs setzte mutig Leib und Leben aufs Spiel, um sich direkt ins Niemandsland zwischen Heimat und der Fremde vorzutasten: Er stand in der Oberpfalz am Abgrund des tiefsten deutschen Erdlochs, unternahm Trunkenheitsfahrten unter Polizeiaufsicht, rotierte in Sachsen stundenlang im sinnlosesten Kreisverkehr der Welt, er inspizierte bei Düsseldorf den exklusivsten Golfplatz Deutschlands, stand am Sterbebett Konrad Adenauers und an der Wiege Martin Bangemanns, er mischte sich in Sylt unter freizeitwütige Rentner und im Allgäu unter klapperstockschwingende Doppelzentnerdamen. Sein Fazit: "Ich war in Deutschland - und ich habe überlebt."
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.10.2005Golf in Hubbelrath
Planlos: Für Oliver Maria Schmitt ist Deutschland Chefsache
Oliver Maria Schmitt war in Deutschland. Wer diesen Befund angesichts der Tatsache, daß Schmitt aus Deutschland kommt, für nicht unbedingt erwähnenswert und eher konventionell hält, den möchte Schmitts "Vademecum für Deutschland" eines Besseren belehren. Der hauptberufliche "Titanic"-Redakteur schreibt sich Mut an für ein Land, das sich von Nordic Walkern neu erwecken läßt, das die ästhetische Defizienz von Gewerbegebieten durch vereinzelte Museumsinseln ausgeglichen sieht, das jedem Choc plötzlichen Erlebens mit Ankündigungstafeln voraus ist. Für ein Land, dessen Zusammenwachsen er in keinem Fall dienen will und das - wie er schreibt - "durch unansehnliche Neubauten wie den Potsdamer Platz, den Kölner Dom oder Sarah Connor sehr unübersichtlich geworden ist". Was will er dort?
Er weiß es selbst nicht so genau. Ganz ohne theoretischen Masterplan geht Schmitt auf die Reise, er sammelt Eindrücke in Brokdorf, Würchwitz und Unterregenbach, er besucht die Geburtsstadt Martin Bangemanns (Wanzleben!), die schlechtesten Autobahn-Raststätten (Bad Bellingen!) und die exklusivsten Golfplätze (Hubbelrath!), er trifft freizeitwütige Rentner und klapperstockschwingende Doppelzentnerdamen, er tut dies bewußt unsystematisch, und er zieht am Ende kein Fazit. Man kommt ja schon so ein bißchen rum als Redakteur eines Satiremagazins, mag er sich gedacht haben, und dann kann man auch ruhig mal ein Buch schreiben über die Tatsache, daß man so rumkommt und daß man dabei so allerhand gesehen und erlebt hat. Schaden kann es ja nicht.
Ein bißchen schadet es doch. Denn den hohen Erwartungshorizont, den Schmitts satirische Arbeiten bei der "Titanic" an das Buch anlegen, kann "Hit me with your Klapperstock" nicht ganz erfüllen. Zwar beginnt Schmitt furios mit einem Anruf des Bundespräsidenten, der ihm die Regentschaft über Deutschland anbietet, die er annimmt. Zwar endet er nicht minder furios als Nachfolger Gottes, der ihm amtsmüde die Regelung des irdischen Lebens überläßt, was er gleichfalls akzeptiert. Dazwischen kann aber auch sein immer wieder aufleuchtender Sprachwitz nicht darüber hinwegtäuschen, daß ihm der rote Faden fehlt. Weil er stets die Pointe sucht und sie oft zu schnell findet, gerät mancher Witz zum bemühten Kalauer. Daß man in Adornos von schönstem Wiesengrund umschmiegten Lieblingsstadt Amorbach wiesengrün schimmernde Grünkernsuppen serviert, kann man witzig finden, muß es aber nicht. Wenn Schmitt hingegen konstatiert, daß "heute Menschen aus allen Kontinenten kommen, um Paderborn weiträumig zu umfahren", zeigt sich gewohnte Stärke.
Vielleicht liegt der letztlich gemischte Eindruck daran, daß Schmitt Deutschland in loser Analogie zu seinem Titel zu sehr abklappert, um ihm eine Botschaft zu entlocken. Vielleicht ist Deutschland auch zu oberflächenversiegelt und zu komplett, um eine dankbare Pointenkulisse zu sein. Vielleicht ist es doch ein zu merkwürdiges Land, um sich, wie Schmitt schreibt, hier wirklich reinzutrauen.
THOMAS THIEL
Oliver Maria Schmitt: "Hit me with your Klapperstock". Ein Vademecum für Deutschland. Edition Tiamat, Berlin 2005. 160 S., Abb., br., 12,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Planlos: Für Oliver Maria Schmitt ist Deutschland Chefsache
Oliver Maria Schmitt war in Deutschland. Wer diesen Befund angesichts der Tatsache, daß Schmitt aus Deutschland kommt, für nicht unbedingt erwähnenswert und eher konventionell hält, den möchte Schmitts "Vademecum für Deutschland" eines Besseren belehren. Der hauptberufliche "Titanic"-Redakteur schreibt sich Mut an für ein Land, das sich von Nordic Walkern neu erwecken läßt, das die ästhetische Defizienz von Gewerbegebieten durch vereinzelte Museumsinseln ausgeglichen sieht, das jedem Choc plötzlichen Erlebens mit Ankündigungstafeln voraus ist. Für ein Land, dessen Zusammenwachsen er in keinem Fall dienen will und das - wie er schreibt - "durch unansehnliche Neubauten wie den Potsdamer Platz, den Kölner Dom oder Sarah Connor sehr unübersichtlich geworden ist". Was will er dort?
Er weiß es selbst nicht so genau. Ganz ohne theoretischen Masterplan geht Schmitt auf die Reise, er sammelt Eindrücke in Brokdorf, Würchwitz und Unterregenbach, er besucht die Geburtsstadt Martin Bangemanns (Wanzleben!), die schlechtesten Autobahn-Raststätten (Bad Bellingen!) und die exklusivsten Golfplätze (Hubbelrath!), er trifft freizeitwütige Rentner und klapperstockschwingende Doppelzentnerdamen, er tut dies bewußt unsystematisch, und er zieht am Ende kein Fazit. Man kommt ja schon so ein bißchen rum als Redakteur eines Satiremagazins, mag er sich gedacht haben, und dann kann man auch ruhig mal ein Buch schreiben über die Tatsache, daß man so rumkommt und daß man dabei so allerhand gesehen und erlebt hat. Schaden kann es ja nicht.
Ein bißchen schadet es doch. Denn den hohen Erwartungshorizont, den Schmitts satirische Arbeiten bei der "Titanic" an das Buch anlegen, kann "Hit me with your Klapperstock" nicht ganz erfüllen. Zwar beginnt Schmitt furios mit einem Anruf des Bundespräsidenten, der ihm die Regentschaft über Deutschland anbietet, die er annimmt. Zwar endet er nicht minder furios als Nachfolger Gottes, der ihm amtsmüde die Regelung des irdischen Lebens überläßt, was er gleichfalls akzeptiert. Dazwischen kann aber auch sein immer wieder aufleuchtender Sprachwitz nicht darüber hinwegtäuschen, daß ihm der rote Faden fehlt. Weil er stets die Pointe sucht und sie oft zu schnell findet, gerät mancher Witz zum bemühten Kalauer. Daß man in Adornos von schönstem Wiesengrund umschmiegten Lieblingsstadt Amorbach wiesengrün schimmernde Grünkernsuppen serviert, kann man witzig finden, muß es aber nicht. Wenn Schmitt hingegen konstatiert, daß "heute Menschen aus allen Kontinenten kommen, um Paderborn weiträumig zu umfahren", zeigt sich gewohnte Stärke.
Vielleicht liegt der letztlich gemischte Eindruck daran, daß Schmitt Deutschland in loser Analogie zu seinem Titel zu sehr abklappert, um ihm eine Botschaft zu entlocken. Vielleicht ist Deutschland auch zu oberflächenversiegelt und zu komplett, um eine dankbare Pointenkulisse zu sein. Vielleicht ist es doch ein zu merkwürdiges Land, um sich, wie Schmitt schreibt, hier wirklich reinzutrauen.
THOMAS THIEL
Oliver Maria Schmitt: "Hit me with your Klapperstock". Ein Vademecum für Deutschland. Edition Tiamat, Berlin 2005. 160 S., Abb., br., 12,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Thomas Thiel ist etwas enttäuscht. Denn vom Buch des "Titanic"-Redakteurs Oliver Maria Schmitt hatte er in Kenntnis seiner sonstigen satirischen Arbeiten deutlich mehr erwartet. Zwar beginne und ende das Buch furios. Dazwischen konnte aber selbst Schmitts "immer wieder aufleuchtender Sprachwitz" den Rezensenten nicht darüber hinwegtäuschen, dass der rote Faden, ein "theoretischer Masterplan" für diese Deutschlandreise fehlt. Auch an Geduld scheint es dem Autor zu mangeln, der dem Eindruck des Rezensenten zufolge oft mit seinen Geschichten so schnell zur Pointe gelangen will, dass ihm dabei unterwegs mancher Witz zum bemühten Kalauer verunglückt. Aber kleine Anekdoten- und Kalauerproben lassen auch auf gelegentliches Lesevergnügen an diesen Geschichten von den Deutschen in ihren Provinzen schließen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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