Carl Amery vertritt in "Hitler als Vorläufer" die These, daß Hitler und der Nationalsozialismus erst wirklich verstanden werden können, wenn die ökologische Dimension in die zeitgeschichtliche Diskussion mit aufgenommen wird. Erst wenn die verborgene erschreckende Aktualität seines Heilversprechens erkannt wird, können wir uns den gegenwärtigen politischen Aufgaben stellen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.1998Unmenschen werden
Um die Menschheit zu retten? Amerys Provokation
Carl Amery: Hitler als Vorläufer. Auschwitz - der Beginn des 21. Jahrhunderts? Luchterhand, München 1998. 191 Seiten, 29,80 Mark.
Ist das Projekt der Aufklärung gescheitert? Die Barbarei kommt häufig im Gewande der Humanität daher und zieht die Menschen guten Willens auf ihre Seite. Das zu erreichende Ziel erscheint dann so erstrebenswert, daß moralische Bedenken vorübergehend ignoriert werden müssen. Die Umweltbewegung stand von Anbeginn in dem Spannungsfeld zwischen dem hohen Gut der Erhaltung der Lebensgrundlagen des Menschen und einer Ideologie, die andere Völker kurzerhand zu Feinden der Menschheit erklärt. Der politische Werdegang eines der Gründer der Partei der Grünen, Herbert Gruhl, ist ein beredtes Beispiel. Auch wenn diese Einsicht für viele empörend sein mag: Der Weg vom Umweltschutz zum Konzentrationslager ist nicht weit. Und einmal - im Holocaust - bereits ist er beschritten worden, behauptet Carl Amery in seinem jüngsten Essay.
Amery wehrt sich gegen die Kapitulation des Denkens vor Auschwitz; der Holocaust war für ihn kein Naturereignis, das man ausklammern kann, weil man es nicht versteht. Hitler, so seine zentrale These, ist wie Dracula: zwar tot, doch gleichzeitig sehr lebendig. Hitler habe die im 20. Jahrhundert aufgekommene Frage nach "den Bedingungen eines nachhaltigen Weiterlebens der Gattung auf einem begrenzten Planeten" mit seinem Unterwerfungs- und Vernichtungsprogramm zu beantworten versucht. Zentral für Hitlers Ideologie sei ein primitiver Darwinismus gewesen, der mit der Überzeugung kombiniert worden sei, daß Deutschland zum Untergang verurteilt sei, wenn es das Problem der "Überbevölkerung" nicht löse. Amery interpretiert den Eroberungskrieg Hitlers als den Versuch, das nachhaltige Überleben Deutschlands angesichts knapper Ressourcen zu sichern. "Für alle reicht es nicht", sei Hitlers Grundüberzeugung gewesen.
Die Attraktivität von Hitlers Ideologie liegt sowohl für Amery als auch für alle Epigonen des Diktators darin, daß er "die grundsätzlichen Strukturen des Weltganges freigelegt hatte". Die Nachhaltigkeitsfrage stelle sich erneut und drängend, Hitlers Analyse sei nach wie vor aktuell. Auschwitz drohe sich zu wiederholen, wenn Entscheidungsträger zu der Auffassung gelangten, daß das Überleben der Gattung Menschen auf dem Spiel stehe. Konfrontiert mit Problemen, die bislang lediglich andere haben, würden dann auch die "tugendhaften Liberalen" zu selektieren beginnen, sich gegen den "Wohlstandsmüll" entscheiden und moralische Bedenken hintanstellen.
Die Krise sei bereits da, es werde wieder selektiert: Auf allen Ebenen werde zwischen denen getrennt, die an den Segnungen der Zivilisation teilhaben dürften, und denen, die ihrem eigenen Schicksal überlassen würden oder gar aktiv getötet würden: ungeborene Kinder, Arbeitslose, die Dritte Welt. Diese "verfeinerten Methoden der Selektion" habe Hitler mit seinem Vernichtungsprogramm eingeübt. Auschwitz sei kein sinnloses Morden gewesen, weil die Juden die Naturgesetze zu überwinden getrachtet hätten, indem sie Frieden, Mitleid und Barmherzigkeit gepredigt hätten. Darin erweise sich der sinnvolle Kern der scheinbar sinnlosen Vernichtung.
Daß Hitler die Nachhaltigkeitsfrage mit millionenfachem Mord zu lösen versuchte, erhöht für alle, die sich mit "nachhaltiger Entwicklung" beschäftigen, den Abgrenzungsbedarf. Angesichts der Plausibilität der Hitlerschen Lösung wird die Frage "Müssen wir Unmenschen werden, um die Menschheit zu retten?" immer drängender. Im ausgehenden 20. Jahrhundert böten sich, so Amery, immer bessere Methoden zur Selektion und zur Verschleierung der Verantwortlichkeit für unsere Taten an. Die Umweltkrise sei somit auch eine Kulturkrise, die mittels "eines gänzlich neuen Kulturentwurfs" auf humane Weise überwunden werden müsse. Über diese Forderung geht Amery leider nur sehr vage hinaus: "Was wir entwickeln müssen, ist eine neue, durch Wissen und Demut geläuterte Solidarität mit der Biosphäre, der Lebenswelt . . . Der Mensch kann die Krone der Schöpfung bleiben - wenn er begreift, daß er sie nicht ist."
Leider bleibt Amery bei der Analyse stehen. Es wäre interessant zu erfahren, welche Ratschläge für politisches Handeln er gibt. Würde die politische Praxis nach einer solchen Analyse so enden wie die einer radikalen Linken um Jutta Ditfurth, mit zuletzt möglicherweise auch gewaltsamen Aktionen gegen die Feinde der Aufklärung? Oder gibt es ein gemäßigtes, vielleicht konservatives Rezept, den Einflüsterungen Draculas nicht zu erliegen? Der unbefriedigende Schluß von Amerys Buch läßt vermuten, daß Resignation und Zynismus die einzigen Auswege aus dem grünen Dilemma sind. Amerys Anliegen ist eine Kritik der westlichen Zivilisation und ihrer Gefahren, zu der er durch die Analyse von Auschwitz gelangt. Der Essay ist die Provokation eines Moralisten.
BENNO KIRSCH
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Um die Menschheit zu retten? Amerys Provokation
Carl Amery: Hitler als Vorläufer. Auschwitz - der Beginn des 21. Jahrhunderts? Luchterhand, München 1998. 191 Seiten, 29,80 Mark.
Ist das Projekt der Aufklärung gescheitert? Die Barbarei kommt häufig im Gewande der Humanität daher und zieht die Menschen guten Willens auf ihre Seite. Das zu erreichende Ziel erscheint dann so erstrebenswert, daß moralische Bedenken vorübergehend ignoriert werden müssen. Die Umweltbewegung stand von Anbeginn in dem Spannungsfeld zwischen dem hohen Gut der Erhaltung der Lebensgrundlagen des Menschen und einer Ideologie, die andere Völker kurzerhand zu Feinden der Menschheit erklärt. Der politische Werdegang eines der Gründer der Partei der Grünen, Herbert Gruhl, ist ein beredtes Beispiel. Auch wenn diese Einsicht für viele empörend sein mag: Der Weg vom Umweltschutz zum Konzentrationslager ist nicht weit. Und einmal - im Holocaust - bereits ist er beschritten worden, behauptet Carl Amery in seinem jüngsten Essay.
Amery wehrt sich gegen die Kapitulation des Denkens vor Auschwitz; der Holocaust war für ihn kein Naturereignis, das man ausklammern kann, weil man es nicht versteht. Hitler, so seine zentrale These, ist wie Dracula: zwar tot, doch gleichzeitig sehr lebendig. Hitler habe die im 20. Jahrhundert aufgekommene Frage nach "den Bedingungen eines nachhaltigen Weiterlebens der Gattung auf einem begrenzten Planeten" mit seinem Unterwerfungs- und Vernichtungsprogramm zu beantworten versucht. Zentral für Hitlers Ideologie sei ein primitiver Darwinismus gewesen, der mit der Überzeugung kombiniert worden sei, daß Deutschland zum Untergang verurteilt sei, wenn es das Problem der "Überbevölkerung" nicht löse. Amery interpretiert den Eroberungskrieg Hitlers als den Versuch, das nachhaltige Überleben Deutschlands angesichts knapper Ressourcen zu sichern. "Für alle reicht es nicht", sei Hitlers Grundüberzeugung gewesen.
Die Attraktivität von Hitlers Ideologie liegt sowohl für Amery als auch für alle Epigonen des Diktators darin, daß er "die grundsätzlichen Strukturen des Weltganges freigelegt hatte". Die Nachhaltigkeitsfrage stelle sich erneut und drängend, Hitlers Analyse sei nach wie vor aktuell. Auschwitz drohe sich zu wiederholen, wenn Entscheidungsträger zu der Auffassung gelangten, daß das Überleben der Gattung Menschen auf dem Spiel stehe. Konfrontiert mit Problemen, die bislang lediglich andere haben, würden dann auch die "tugendhaften Liberalen" zu selektieren beginnen, sich gegen den "Wohlstandsmüll" entscheiden und moralische Bedenken hintanstellen.
Die Krise sei bereits da, es werde wieder selektiert: Auf allen Ebenen werde zwischen denen getrennt, die an den Segnungen der Zivilisation teilhaben dürften, und denen, die ihrem eigenen Schicksal überlassen würden oder gar aktiv getötet würden: ungeborene Kinder, Arbeitslose, die Dritte Welt. Diese "verfeinerten Methoden der Selektion" habe Hitler mit seinem Vernichtungsprogramm eingeübt. Auschwitz sei kein sinnloses Morden gewesen, weil die Juden die Naturgesetze zu überwinden getrachtet hätten, indem sie Frieden, Mitleid und Barmherzigkeit gepredigt hätten. Darin erweise sich der sinnvolle Kern der scheinbar sinnlosen Vernichtung.
Daß Hitler die Nachhaltigkeitsfrage mit millionenfachem Mord zu lösen versuchte, erhöht für alle, die sich mit "nachhaltiger Entwicklung" beschäftigen, den Abgrenzungsbedarf. Angesichts der Plausibilität der Hitlerschen Lösung wird die Frage "Müssen wir Unmenschen werden, um die Menschheit zu retten?" immer drängender. Im ausgehenden 20. Jahrhundert böten sich, so Amery, immer bessere Methoden zur Selektion und zur Verschleierung der Verantwortlichkeit für unsere Taten an. Die Umweltkrise sei somit auch eine Kulturkrise, die mittels "eines gänzlich neuen Kulturentwurfs" auf humane Weise überwunden werden müsse. Über diese Forderung geht Amery leider nur sehr vage hinaus: "Was wir entwickeln müssen, ist eine neue, durch Wissen und Demut geläuterte Solidarität mit der Biosphäre, der Lebenswelt . . . Der Mensch kann die Krone der Schöpfung bleiben - wenn er begreift, daß er sie nicht ist."
Leider bleibt Amery bei der Analyse stehen. Es wäre interessant zu erfahren, welche Ratschläge für politisches Handeln er gibt. Würde die politische Praxis nach einer solchen Analyse so enden wie die einer radikalen Linken um Jutta Ditfurth, mit zuletzt möglicherweise auch gewaltsamen Aktionen gegen die Feinde der Aufklärung? Oder gibt es ein gemäßigtes, vielleicht konservatives Rezept, den Einflüsterungen Draculas nicht zu erliegen? Der unbefriedigende Schluß von Amerys Buch läßt vermuten, daß Resignation und Zynismus die einzigen Auswege aus dem grünen Dilemma sind. Amerys Anliegen ist eine Kritik der westlichen Zivilisation und ihrer Gefahren, zu der er durch die Analyse von Auschwitz gelangt. Der Essay ist die Provokation eines Moralisten.
BENNO KIRSCH
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