Mehr als zwölf Millionen Mal wurde Adolf Hitlers Propagandaschrift "Mein Kampf" bis 1945 gedruckt und unters Volk gebracht. Seither war jegliche Neuauflage untersagt. Erstmals, 70 Jahre nach dem Tod Hitlers, veröffentlicht das Institut für Zeitgeschichte eine wissenschaftlich kommentierte Gesamtausgabe dieses berüchtigten Buches. "Mein Kampf" ist Hitlers wichtigste politische Schrift. Sie ist gleichermaßen stilisierte Autobiografie, ideologisches Programm, Parteigeschichte, Hetzschrift und Anleitung zur Erringung der Macht, weit über Deutschland hinaus. Nirgendwo sonst hat Hitler das, was er glaubte und wollte, so offen und detailliert erläutert wie hier. "Mein Kampf" ist damit eine der zentralen Quellen des Nationalsozialismus. Die kritische Edition des Instituts für Zeitgeschichte bereitet diese Quelle umfassend auf: Sie ordnet die historischen Fakten ein, erklärt den Entstehungskontext, legt Hitlers gedankliche Vorläufer offen und kontrastiert seine Ideen und Behauptungen mit den Ergebnissen der modernen Forschung. Nicht zuletzt zeigt die Edition auf, wie Hitlers Ideologie nach 1933 die verbrecherische Politik des NS-Regimes prägte. "Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition" setzt auf historisch-politische Aufklärung und wendet sich in Form und Stil deshalb bewusst an einen breiten Leserkreis.
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Hitler, Mein Kampf - Eine kritische Edition, Hitler, Mein Kampf, 2 Teile
Am 31. Dezember 2015, dem 70. Todestag von Adolf Hitler, sind die Urheberrechte an Hitlers Buch Mein Kampf erloschen. Das Institut für Zeitgeschichte hat es sich zur Aufgabe gemacht, dieses Werk nach Ablauf der Frist in einer wissenschaftlich kommentierten Form aufzubereiten.
Herausgegeben wird die kritische Edition von Mein Kampf durch Dr. Christian Hartmann, der zusammen mit einem Team aus erfahrenen Historikern das Buch in mehrjähriger Arbeit verständlich aufbereitet hat. Im Mittelpunkt der kritischen Kommentierung von
Hitler, Mein Kampf ist die wichtigste politische Schrift des Nationalsozialismus
Mein Kampf von Adolf Hitler entstand zwischen 1924 und 1926 in zwei Bänden. In Band 1 wurde Hitlers Biographie sowie die Frühgeschichte der NSDAP und deren Vorläuferorganisation, der DAP (Deutsche Arbeiterpartei) thematisiert. Band 2 handelt in erster Linie von der Programmatik der Nationalsozialisten.
Die Historiker des Instituts für Zeitgeschichte unter der Leitung von Christian Hartmann haben den Originaltext Mein Kampf von Adolf Hitler komplett zerlegt und mit mehr als 3.500 Anmerkungen versehen. Diese wissenschaftlichen Kommentare sollen u.a.:
- Hintergrundinformationen zu den dargestellten Personen und Ereignissen liefern
- zentrale ideologischer Begriffe erläutern
- Hitlers Quellen offen legen
- ideengeschichtlichen Wurzeln erklären
- Fehler und einseitige Darstellungen korrigieren
- Ausblick auf die Folgen von Hitlers Schrift geben
- Neue Beiträge zur Grundlagenforschung liefern
Hitler, Mein Kampf - Eine kritische Edition von Dr. Christian Hartmann – Ein Historiker durch und durch
Der Historiker Dr. Christian Hartmann wurde 1959 in Heidelberg geboren. Den zweiten Weltkrieg hat er zwar nicht miterlebt, jedoch die Folgen und Spuren, die der Krieg hinterlassen hat. Schon immer hegte er reges Interesse an den Erzählungen derjenigen, die den Krieg miterlebt und überlebt hatten. Dr. Christian Hartmann verfolgte dieses Interesse immer weiter und so wurde es zum Mittelpunkt seines Studiums wie auch seines späteren Berufes. Seit 1993 ist Christian Hartmann Historiker am Institut für Zeitgeschichte in München.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Der Zeithistoriker Peter Longerich kommt in seiner Rezension zu dem Fazit, dass alle achtbare Fußnotenumzingelung die Entmystifizierung des Autors in diesem Fall nur begrenzt leistet. Insofern scheint ihm die vorliegende quellenkritische Edition von Hitlers Text zwar gelungen, doch nicht so sensationell und überraschend wie allenthalben erwartet. Die Leistung des Münchener Instituts für Zeitgeschichte, die für den Rezensenten vor allem in der minuziösen Kommentierung des Textes und in einer lückenlosen Forschungssynthese besteht, schmälert das für Longerich zwar nicht. Dennoch bleibt für ihn die Frage, ob ein insgesamt in so ziemlich jeder Hinsicht höchst fragwürdiger Text durch einen derartigen editorischen Aufwand entschärft wird oder ob nicht umgekehrt ein interpretatorischer Zugang eine schärfere Auseinandersetzung mit dem Text gefördert hätte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.01.2016Für massenwirksam hielt er nur das gesprochene Wort
Ein Mann erfindet sich: Die kritische Edition von "Mein Kampf" widerlegt eindrucksvoll die Ansicht, dass über Hitlers Werdegang schon alles gesagt sei.
Mein Kampf" ist eine Schrift, die mit Bedeutungen aufgeladen wird, welche einer nüchternen Prüfung des Textes nicht standhalten. Dies liegt vor allem daran, dass das Buch zur Chiffre der Verbrechen geworden ist, die sein Autor zu verantworten hat. Dadurch erhält es das Ansehen einer Bekenntnisschrift, deren Verfasser seine grenzenlose Menschenverachtung und seinen brutalen Vernichtungswillen austobt. Was dann wiederum zur Auffassung führt, man könne es auch siebzig Jahre nach dem Ableben Hitlers nicht verantworten, diesem Autor ein Forum zu bieten für seine Ankündigung der Judenvernichtung.
Dabei haben namhafte Vertreter der Geschichtswissenschaft schon seit Jahrzehnten darauf hingewiesen, dass "Mein Kampf" in dieser Hinsicht überfrachtet wird: Wer in dieser Schrift einen "Masterplan" zur Judenvernichtung sucht, wird nicht fündig werden, da der Autor sich davor hütete, solche Absichten auszubreiten. Hitler wollte in der Gefängnishaft sein politisches Comeback vorbereiten, und dazu erschien es ihm ratsam, eine Schrift zu verfassen, mit deren Hilfe er auch als Theoretiker der völkischen Bewegung ernst genommen werden konnte.
Daher musste er sich mit Blick auf seine schon damals im kleinen Kreis ungeschminkt vorgetragene Vernichtungsabsicht bedeckt halten. Es erzürnte ihn, dass während seiner Haftzeit eine Schrift erschien, deren Verfasser Georg Schott, dem Hitler ungefiltert seine politischen Absichten offenbart hatte, an mehr als einer Stelle ausplauderte, was Hitler seinen politischen Widersachern angedeihen lassen wollte.
In der Öffentlichkeit wird "Mein Kampf" gerne der Status eines alle anderen Quellen in den Schatten stellenden Schlüsseldokuments zugewiesen, das die Fratze des Diktators zeige; selbst manche Historiker, welche die Welt gerne aus einem Text heraus erklären, meinen in "Mein Kampf" eine derartige Schriftquelle gefunden zu haben. Aber Hitler hat in seinem Buch eben nicht eine den Fakten getreue Lebensgeschichte ausgebreitet, sondern sich eine fiktive Vita erschrieben und sein Leben dabei nach politischen Nützlichkeitserwägungen zurechtgelegt.
Viele Seiten hat er deshalb auf die Erzählung verwendet, dass er in seinem von 1908 bis 1913 währenden Aufenthalt in Wien ein überzeugter Antisemit geworden sei, der in seinem Buch die Früchte eines fast fünfzehn Jahre währenden autodidaktischen Studiums der "Judenfrage" einbringen könne. Auf diese Weise wollte Hitler von dem zu unangenehmen Nachfragen Anlass gebenden Umstand ablenken, dass er sich bis zum Herbst 1919 politisch nicht exponiert hatte. An Hitlers politischer Passivität im Treibhaus München in der aufgewühlten Phase von November 1918 bis Mai 1919 ließ sich dann kein Anstoß nehmen, wenn man seiner Selbstbeschreibung Glauben schenkte, dass er zu diesem Zeitpunkt längst zu einem überzeugten Antisemiten herangereift gewesen sei, dem nur ein adäquates politisches Betätigungsfeld gefehlt habe.
An diesem besonders markanten Beispiel zeigt sich, dass textwissenschaftlicher Sachverstand erforderlich ist, um die Erzählstrategie des Autors Hitler zu entlarven und "Dichtung" von "Wahrheit" zu separieren. Dazu bedarf es einer historisch-kritischen Edition, welche den Text akribischer Quellenkritik unterzieht.
Für diese anspruchsvolle Aufgabe ist das Münchner Institut für Zeitgeschichte bestens präpariert - auch deswegen, weil dort mit dem Leiter des Editionsteams, Christian Hartmann, ein Experte der Geschichte des Nationalsozialismus angesiedelt ist, der ein vorzüglicher Kenner von Außenpolitik und Kriegsführung ist, die in "Mein Kampf" breiten Raum einnehmen. Die nun vorliegende zweibändige Edition demonstriert auf fast zweitausend Seiten die Tugenden nüchterner Philologie. Uneingeschränkte Anerkennung verdient die Edition auch deswegen, weil sie sich keine textzentrierte Deutung Hitlers zu eigen macht. Die Herausgeber lassen in ihrer Einleitung keinen Zweifel daran, dass der eigentliche Hitler im gesprochenen Wort zu finden ist.
Insofern ist es kein Zufall, dass der einzige größere Text, den Hitler selbst verfasste - der erste Band von "Mein Kampf" -, in einer Ausnahmesituation entstand, nämlich im Gefängnis, als an Reden nicht zu denken war. Die Herausgeber weisen mit Recht darauf hin, dass Hitler in "Mein Kampf" immer wieder die Vorzüge des gesprochenen Wortes gegenüber dem schriftlich fixierten hervorhob und damit die Bedeutung seines Textes selbst relativierte.
Aus Hitlers Sicht war die Rede nicht nur hinsichtlich ihrer Massenwirksamkeit dem Text haushoch überlegen. Das ungeschminkte Bekenntnis zur Ermordung der in seinem Machtbereich lebenden Juden hat Hitler nicht einem Text anvertraut, sondern in die Welt hinausgeschrien - am 30. Januar 1939 vor dem Reichstag und damit an die Weltöffentlichkeit adressiert. Und auch die Durchführung dieses Verbrechens hat Hitler durch eine mündliche Ansage eingeleitet: Wer nach einer von Hitler selbst stammenden schriftlichen Anweisung sucht, verkennt den Charakter von Hitlers Herrschaftsstil.
Damit wird die Bedeutsamkeit von "Mein Kampf" nicht relativiert. Aber Hitlers Schrift wird in ihre Entstehungszusammenhänge eingeordnet und damit zugleich entmythologisiert. Der wissenschaftliche Ertrag der Edition von "Mein Kampf" bemisst sich daran, ob die Benutzer mit Hintergrundinformationen versorgt werden, welche die Kontexte ausleuchten. In dieser Hinsicht hat das Editionsteam Unschlagbares geleistet: Schon die schiere Zahl der Annotationen - weit mehr als fünftausend - weist auf eine überaus gründliche Textarbeit hin. Sie wenden sich auch nicht nur, am Buchende versteckt oder in kleiner Type am Seitenfuß untergebracht, an einen kleinen Kreis von Eingeweihten.
Die Edition stellt vielmehr Hitlers Originaltext Kommentare an die Seite, die nicht selten von Umfang und Anspruch her einem Lexikonartikel gleichkommen. Auf diese Weise halten die Leser nicht weniger als ein Kompendium in der Hand, das kein Thema ausspart, welches von Hitler in "Mein Kampf" verarbeitet wurde. So erhält der Leser etwa reichhaltiges Wissen über Hitlers politische Heimat, die österreichisch-ungarische Monarchie. Auch die Untiefen der völkischen Bewegung der frühen zwanziger Jahre werden ausgeleuchtet, wie überhaupt die Kommentare zur Frühgeschichte der NSDAP die Forschung befruchten, weil sie auch auf der Auswertung bislang wenig herangezogenen archivalischen Materials beruhen.
Vor einer besonderen Herausforderung standen die Herausgeber bei den Referenzen, auf die sich Hitler bei der Anfertigung seines Textes bezog. Denn das Originalmanuskript von "Mein Kampf" existiert nicht mehr; und auch Konzeptblätter haben sich nur in ganz geringer Zahl erhalten. Hinzu kommt, dass Hitler systematisch Spuren verwischte, wenn er das Urheberrecht für bestimmte Gedankenkonstruktionen für sich allein beanspruchte, während er gerne falsche Fährten legte, wo er politische Ahnen in Anspruch nahm, die sich gegen eine solche Aneignung nicht mehr zur Wehr setzen konnten. Hitler hat sich allem Anschein nach so raffiniert Bausteine und Versatzstücke Dritter angeeignet, dass auch ein "Hitler-Plag" nicht imstande ist, eindeutig diejenigen Autoren und Textstellen zu identifizieren, die hierfür einschlägig sind. So behilft sich die Edition damit, auffällige inhaltliche Parallelen zu zeitgenössischen Autoren akribisch nachzuweisen, wobei jedoch nur in wenigen Fällen der Nachweis geführt werden kann, dass Hitler solche Autoren wirklich für "Mein Kampf" ausgeschlachtet hat.
Daher schießt die Edition gelegentlich über ihr Ziel hinaus. Etwa wenn sie allein mit dem Hinweis auf inhaltliche Übereinstimmungen den Führer des Alldeutschen Verbandes Heinrich Claß, zu dem Hitler ein überaus gespanntes Verhältnis unterhielt, implizit zu einem der wichtigsten Ideenlieferanten Hitlers aufwertet. Hier wäre man möglicherweise weitergekommen, hätte man das in der Literaturwissenschaft bewährte Suchen nach intertextueller Anspielung auf Vorgängertexte systematisch herangezogen.
Die Kommentare bilden aber nicht nur das wissenschaftliche Herzstück der Edition. Sie dienen auch der geschichtspolitischen Entlastung des gesamten Editionsvorhabens. Denn selbst wenn der verbrecherische Charakter von Hitlers Politik deutlicher als in "Mein Kampf" in anderen Quellen zu greifen ist, muss eine Edition dieses Buchs Vorkehrungen treffen, um nicht zum unfreiwilligen Sprachrohr Hitlers umfunktioniert zu werden.
Insofern sollen die Kommentare wie ein Gegengift wirken, das den Originaltext neutralisiert. Daher haben die Herausgeber sie typographisch gleichberechtigt neben den edierten Text gestellt, der durch sie von drei Seiten umstellt wird, damit der Leser keinesfalls an ihnen vorbeikann. Sie fungieren als Beipackzettel, dessen Lektüre unvermeidlich sein soll, um sich die Dosis von "Mein Kampf" zumuten zu können. So berechtigt das Anliegen der Herausgeber ist und so bestrickend ihre Lösung ausfällt, durch aufmarschierende Bataillone von Kommentaren sowohl den an Vertiefung interessierten Fachmann als auch den ohne wirkliche Vorkenntnis ausgestatteten Leser anzusprechen - man konstatiert da und dort einen gewissen Übereifer, der diese Balance aus dem Gleichgewicht bringt. Generell lassen sich die Herausgeber zwar von der Prämisse leiten, dass Aussagen Hitlers über seinen Lebensweg unter dem Vorbehalt stehen, Bestandteil einer konstruierten Lebensgeschichte zu sein.
Aber gelegentlich nehmen sie Hitlers Behauptungen ungeprüft für bare Münze und arbeiten sich mit dem Gestus der Entlarvung an ihnen ab. Dies gilt etwa für die These, dass Hitler in seiner Wiener Zeit vom Wiener Bürgermeister Karl Lueger und vom alldeutschen Veteran Georg von Schönerer politisch geformt worden sei. Doch warum sollte Hitler ausgerechnet in diesem Punkt der Wahrheit die Ehre erwiesen haben, wo er doch ansonsten ein Leben fingierte, das perfekt zu seiner politischen Selbstdarstellung passte? Wenn Hitler mit "Mein Kampf" den Anspruch erhob, als wichtigster Theoretiker des Antisemitismus im völkischen Lager zu reüssieren, dann durfte er nur solche politischen Lehrmeister anführen, welche die mit den Wiener Verhältnissen nicht wirklich vertrauten Leser erwarteten. Und da waren Lueger und Schönerer Figuren, die aufgrund ihres Bekanntheitsgrads als Mentoren Hitlers einschlägig zu sein schienen.
Hitler konnte durch eine solche Namensnennung von dem Umstand ablenken, dass Schönerer zum Zeitpunkt seines Aufenthalts in Wien längst zu einer politischen Randfigur herabgesunken war und Lueger, dessen Katholizismus ihm fremd blieb, bald das Zeitliche segnen sollte. Und Hitler ersparte sich damit vor allem die unangenehme Nachfrage, warum er sich in Wien nicht dem dort existierenden Vorläufer einer nationalsozialistischen Bewegung unter dem Rechtsanwalt Walter Riehl angeschlossen hatte, wenn er denn wirklich bereits in der Vorkriegszeit zu einem antisemitischen Nationalsozialisten geworden sein wollte.
Die vorzügliche Einleitung der Edition widerlegt gründlich die Ansicht, zu Hitlers Programmschrift wie zum Werden des Politikers Hitler sei schon alles Wesentliche gesagt. So liefert die Edition mehr als nur einige Bausteine, um der Redekultur im politischen Brutkasten München auf den Grund zu gehen. Sie erweist auch, wie überfällig eine literaturwissenschaftlich zentrierte Beschäftigung mit "Mein Kampf" ist, welche die verschiedenen Textsorten - unter anderem Autobiographie, Bildungsroman und Weltanschauungsschrift - unter die Lupe nimmt.
Wenn der Historiker zu keinen wirklich belastbaren Aussagen über die Genese des in "Mein Kampf" ausgebreiteten Ideenkonglomerats kommt, werden dem Literaturwissenschaftler Erzählstruktur und Sprachstil genügen, um Rückschlüsse auf das politische Selbstverständnis Hitlers ziehen zu können. So wird ihm ins Auge springen, dass Hitler fast durchgehend von "Thesen" spricht, wenn er die fünfundzwanzig "Punkte" meint, welche die spätere NSDAP in ihrer ersten öffentlichen Massenversammlung am 24. Februar 1920 als ihr Parteiprogramm präsentierte.
Das ist keine Petitesse, weil Hitler damit zwei politische Botschaften aussandte: Zum einen spielte er auf den Thesenanschlag Luthers an: Er erhob damit indirekt den Anspruch, wie Luther durch die Verkündigung von "Thesen" die Welt aufgerüttelt zu haben. Zum anderen machte Hitler deutlich, dass seine Autorität nicht die eines Schriftgelehrten, sondern die eines politischen Predigers war: Wo Luther - nach damaligem Wissen - seine Thesen als Text an die Schlosskirche zu Wittenberg genagelt hatte, war Hitler im Münchner Hofbräufestsaal als jemand aufgetreten, der seine Thesen als gesprochenes Wort unter das Volk brachte. Nicht als alleiniger Autor, wohl aber als autoritativer Verkünder dieser fünfundzwanzig "Thesen" profilierte sich Hitler in "Mein Kampf".
Die vorliegende Edition wird für die Forschung zu Hitler und zum Nationalsozialismus eine unverzichtbare Quellengrundlage bilden. Und sollte sie nicht die Überlegung reifen lassen, der Wissenschaft endlich eine historisch-kritische Kommentierung der Reden des zur Macht gekommenen Hitler zur Verfügung zu stellen? Da der redende Hitler immer zugleich ein handelnder Machthaber war, wäre ein solches Projekt die folgerichtige Komplettierung der Edition von "Mein Kampf". Es würde Wissenschaft wie Öffentlichkeit einen Hitler im Herrschaftsmodus präsentieren.
WOLFRAM PYTA.
Hitler: "Mein Kampf". Eine kritische Edition.
Hrsg. im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte IfZ von Christian Hartmann, Thomas Vordermayer, Othmar Plöckinger, Roman Töppel. München/Berlin 2016. 2 Bde., 1966 S., geb., 59,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Mann erfindet sich: Die kritische Edition von "Mein Kampf" widerlegt eindrucksvoll die Ansicht, dass über Hitlers Werdegang schon alles gesagt sei.
Mein Kampf" ist eine Schrift, die mit Bedeutungen aufgeladen wird, welche einer nüchternen Prüfung des Textes nicht standhalten. Dies liegt vor allem daran, dass das Buch zur Chiffre der Verbrechen geworden ist, die sein Autor zu verantworten hat. Dadurch erhält es das Ansehen einer Bekenntnisschrift, deren Verfasser seine grenzenlose Menschenverachtung und seinen brutalen Vernichtungswillen austobt. Was dann wiederum zur Auffassung führt, man könne es auch siebzig Jahre nach dem Ableben Hitlers nicht verantworten, diesem Autor ein Forum zu bieten für seine Ankündigung der Judenvernichtung.
Dabei haben namhafte Vertreter der Geschichtswissenschaft schon seit Jahrzehnten darauf hingewiesen, dass "Mein Kampf" in dieser Hinsicht überfrachtet wird: Wer in dieser Schrift einen "Masterplan" zur Judenvernichtung sucht, wird nicht fündig werden, da der Autor sich davor hütete, solche Absichten auszubreiten. Hitler wollte in der Gefängnishaft sein politisches Comeback vorbereiten, und dazu erschien es ihm ratsam, eine Schrift zu verfassen, mit deren Hilfe er auch als Theoretiker der völkischen Bewegung ernst genommen werden konnte.
Daher musste er sich mit Blick auf seine schon damals im kleinen Kreis ungeschminkt vorgetragene Vernichtungsabsicht bedeckt halten. Es erzürnte ihn, dass während seiner Haftzeit eine Schrift erschien, deren Verfasser Georg Schott, dem Hitler ungefiltert seine politischen Absichten offenbart hatte, an mehr als einer Stelle ausplauderte, was Hitler seinen politischen Widersachern angedeihen lassen wollte.
In der Öffentlichkeit wird "Mein Kampf" gerne der Status eines alle anderen Quellen in den Schatten stellenden Schlüsseldokuments zugewiesen, das die Fratze des Diktators zeige; selbst manche Historiker, welche die Welt gerne aus einem Text heraus erklären, meinen in "Mein Kampf" eine derartige Schriftquelle gefunden zu haben. Aber Hitler hat in seinem Buch eben nicht eine den Fakten getreue Lebensgeschichte ausgebreitet, sondern sich eine fiktive Vita erschrieben und sein Leben dabei nach politischen Nützlichkeitserwägungen zurechtgelegt.
Viele Seiten hat er deshalb auf die Erzählung verwendet, dass er in seinem von 1908 bis 1913 währenden Aufenthalt in Wien ein überzeugter Antisemit geworden sei, der in seinem Buch die Früchte eines fast fünfzehn Jahre währenden autodidaktischen Studiums der "Judenfrage" einbringen könne. Auf diese Weise wollte Hitler von dem zu unangenehmen Nachfragen Anlass gebenden Umstand ablenken, dass er sich bis zum Herbst 1919 politisch nicht exponiert hatte. An Hitlers politischer Passivität im Treibhaus München in der aufgewühlten Phase von November 1918 bis Mai 1919 ließ sich dann kein Anstoß nehmen, wenn man seiner Selbstbeschreibung Glauben schenkte, dass er zu diesem Zeitpunkt längst zu einem überzeugten Antisemiten herangereift gewesen sei, dem nur ein adäquates politisches Betätigungsfeld gefehlt habe.
An diesem besonders markanten Beispiel zeigt sich, dass textwissenschaftlicher Sachverstand erforderlich ist, um die Erzählstrategie des Autors Hitler zu entlarven und "Dichtung" von "Wahrheit" zu separieren. Dazu bedarf es einer historisch-kritischen Edition, welche den Text akribischer Quellenkritik unterzieht.
Für diese anspruchsvolle Aufgabe ist das Münchner Institut für Zeitgeschichte bestens präpariert - auch deswegen, weil dort mit dem Leiter des Editionsteams, Christian Hartmann, ein Experte der Geschichte des Nationalsozialismus angesiedelt ist, der ein vorzüglicher Kenner von Außenpolitik und Kriegsführung ist, die in "Mein Kampf" breiten Raum einnehmen. Die nun vorliegende zweibändige Edition demonstriert auf fast zweitausend Seiten die Tugenden nüchterner Philologie. Uneingeschränkte Anerkennung verdient die Edition auch deswegen, weil sie sich keine textzentrierte Deutung Hitlers zu eigen macht. Die Herausgeber lassen in ihrer Einleitung keinen Zweifel daran, dass der eigentliche Hitler im gesprochenen Wort zu finden ist.
Insofern ist es kein Zufall, dass der einzige größere Text, den Hitler selbst verfasste - der erste Band von "Mein Kampf" -, in einer Ausnahmesituation entstand, nämlich im Gefängnis, als an Reden nicht zu denken war. Die Herausgeber weisen mit Recht darauf hin, dass Hitler in "Mein Kampf" immer wieder die Vorzüge des gesprochenen Wortes gegenüber dem schriftlich fixierten hervorhob und damit die Bedeutung seines Textes selbst relativierte.
Aus Hitlers Sicht war die Rede nicht nur hinsichtlich ihrer Massenwirksamkeit dem Text haushoch überlegen. Das ungeschminkte Bekenntnis zur Ermordung der in seinem Machtbereich lebenden Juden hat Hitler nicht einem Text anvertraut, sondern in die Welt hinausgeschrien - am 30. Januar 1939 vor dem Reichstag und damit an die Weltöffentlichkeit adressiert. Und auch die Durchführung dieses Verbrechens hat Hitler durch eine mündliche Ansage eingeleitet: Wer nach einer von Hitler selbst stammenden schriftlichen Anweisung sucht, verkennt den Charakter von Hitlers Herrschaftsstil.
Damit wird die Bedeutsamkeit von "Mein Kampf" nicht relativiert. Aber Hitlers Schrift wird in ihre Entstehungszusammenhänge eingeordnet und damit zugleich entmythologisiert. Der wissenschaftliche Ertrag der Edition von "Mein Kampf" bemisst sich daran, ob die Benutzer mit Hintergrundinformationen versorgt werden, welche die Kontexte ausleuchten. In dieser Hinsicht hat das Editionsteam Unschlagbares geleistet: Schon die schiere Zahl der Annotationen - weit mehr als fünftausend - weist auf eine überaus gründliche Textarbeit hin. Sie wenden sich auch nicht nur, am Buchende versteckt oder in kleiner Type am Seitenfuß untergebracht, an einen kleinen Kreis von Eingeweihten.
Die Edition stellt vielmehr Hitlers Originaltext Kommentare an die Seite, die nicht selten von Umfang und Anspruch her einem Lexikonartikel gleichkommen. Auf diese Weise halten die Leser nicht weniger als ein Kompendium in der Hand, das kein Thema ausspart, welches von Hitler in "Mein Kampf" verarbeitet wurde. So erhält der Leser etwa reichhaltiges Wissen über Hitlers politische Heimat, die österreichisch-ungarische Monarchie. Auch die Untiefen der völkischen Bewegung der frühen zwanziger Jahre werden ausgeleuchtet, wie überhaupt die Kommentare zur Frühgeschichte der NSDAP die Forschung befruchten, weil sie auch auf der Auswertung bislang wenig herangezogenen archivalischen Materials beruhen.
Vor einer besonderen Herausforderung standen die Herausgeber bei den Referenzen, auf die sich Hitler bei der Anfertigung seines Textes bezog. Denn das Originalmanuskript von "Mein Kampf" existiert nicht mehr; und auch Konzeptblätter haben sich nur in ganz geringer Zahl erhalten. Hinzu kommt, dass Hitler systematisch Spuren verwischte, wenn er das Urheberrecht für bestimmte Gedankenkonstruktionen für sich allein beanspruchte, während er gerne falsche Fährten legte, wo er politische Ahnen in Anspruch nahm, die sich gegen eine solche Aneignung nicht mehr zur Wehr setzen konnten. Hitler hat sich allem Anschein nach so raffiniert Bausteine und Versatzstücke Dritter angeeignet, dass auch ein "Hitler-Plag" nicht imstande ist, eindeutig diejenigen Autoren und Textstellen zu identifizieren, die hierfür einschlägig sind. So behilft sich die Edition damit, auffällige inhaltliche Parallelen zu zeitgenössischen Autoren akribisch nachzuweisen, wobei jedoch nur in wenigen Fällen der Nachweis geführt werden kann, dass Hitler solche Autoren wirklich für "Mein Kampf" ausgeschlachtet hat.
Daher schießt die Edition gelegentlich über ihr Ziel hinaus. Etwa wenn sie allein mit dem Hinweis auf inhaltliche Übereinstimmungen den Führer des Alldeutschen Verbandes Heinrich Claß, zu dem Hitler ein überaus gespanntes Verhältnis unterhielt, implizit zu einem der wichtigsten Ideenlieferanten Hitlers aufwertet. Hier wäre man möglicherweise weitergekommen, hätte man das in der Literaturwissenschaft bewährte Suchen nach intertextueller Anspielung auf Vorgängertexte systematisch herangezogen.
Die Kommentare bilden aber nicht nur das wissenschaftliche Herzstück der Edition. Sie dienen auch der geschichtspolitischen Entlastung des gesamten Editionsvorhabens. Denn selbst wenn der verbrecherische Charakter von Hitlers Politik deutlicher als in "Mein Kampf" in anderen Quellen zu greifen ist, muss eine Edition dieses Buchs Vorkehrungen treffen, um nicht zum unfreiwilligen Sprachrohr Hitlers umfunktioniert zu werden.
Insofern sollen die Kommentare wie ein Gegengift wirken, das den Originaltext neutralisiert. Daher haben die Herausgeber sie typographisch gleichberechtigt neben den edierten Text gestellt, der durch sie von drei Seiten umstellt wird, damit der Leser keinesfalls an ihnen vorbeikann. Sie fungieren als Beipackzettel, dessen Lektüre unvermeidlich sein soll, um sich die Dosis von "Mein Kampf" zumuten zu können. So berechtigt das Anliegen der Herausgeber ist und so bestrickend ihre Lösung ausfällt, durch aufmarschierende Bataillone von Kommentaren sowohl den an Vertiefung interessierten Fachmann als auch den ohne wirkliche Vorkenntnis ausgestatteten Leser anzusprechen - man konstatiert da und dort einen gewissen Übereifer, der diese Balance aus dem Gleichgewicht bringt. Generell lassen sich die Herausgeber zwar von der Prämisse leiten, dass Aussagen Hitlers über seinen Lebensweg unter dem Vorbehalt stehen, Bestandteil einer konstruierten Lebensgeschichte zu sein.
Aber gelegentlich nehmen sie Hitlers Behauptungen ungeprüft für bare Münze und arbeiten sich mit dem Gestus der Entlarvung an ihnen ab. Dies gilt etwa für die These, dass Hitler in seiner Wiener Zeit vom Wiener Bürgermeister Karl Lueger und vom alldeutschen Veteran Georg von Schönerer politisch geformt worden sei. Doch warum sollte Hitler ausgerechnet in diesem Punkt der Wahrheit die Ehre erwiesen haben, wo er doch ansonsten ein Leben fingierte, das perfekt zu seiner politischen Selbstdarstellung passte? Wenn Hitler mit "Mein Kampf" den Anspruch erhob, als wichtigster Theoretiker des Antisemitismus im völkischen Lager zu reüssieren, dann durfte er nur solche politischen Lehrmeister anführen, welche die mit den Wiener Verhältnissen nicht wirklich vertrauten Leser erwarteten. Und da waren Lueger und Schönerer Figuren, die aufgrund ihres Bekanntheitsgrads als Mentoren Hitlers einschlägig zu sein schienen.
Hitler konnte durch eine solche Namensnennung von dem Umstand ablenken, dass Schönerer zum Zeitpunkt seines Aufenthalts in Wien längst zu einer politischen Randfigur herabgesunken war und Lueger, dessen Katholizismus ihm fremd blieb, bald das Zeitliche segnen sollte. Und Hitler ersparte sich damit vor allem die unangenehme Nachfrage, warum er sich in Wien nicht dem dort existierenden Vorläufer einer nationalsozialistischen Bewegung unter dem Rechtsanwalt Walter Riehl angeschlossen hatte, wenn er denn wirklich bereits in der Vorkriegszeit zu einem antisemitischen Nationalsozialisten geworden sein wollte.
Die vorzügliche Einleitung der Edition widerlegt gründlich die Ansicht, zu Hitlers Programmschrift wie zum Werden des Politikers Hitler sei schon alles Wesentliche gesagt. So liefert die Edition mehr als nur einige Bausteine, um der Redekultur im politischen Brutkasten München auf den Grund zu gehen. Sie erweist auch, wie überfällig eine literaturwissenschaftlich zentrierte Beschäftigung mit "Mein Kampf" ist, welche die verschiedenen Textsorten - unter anderem Autobiographie, Bildungsroman und Weltanschauungsschrift - unter die Lupe nimmt.
Wenn der Historiker zu keinen wirklich belastbaren Aussagen über die Genese des in "Mein Kampf" ausgebreiteten Ideenkonglomerats kommt, werden dem Literaturwissenschaftler Erzählstruktur und Sprachstil genügen, um Rückschlüsse auf das politische Selbstverständnis Hitlers ziehen zu können. So wird ihm ins Auge springen, dass Hitler fast durchgehend von "Thesen" spricht, wenn er die fünfundzwanzig "Punkte" meint, welche die spätere NSDAP in ihrer ersten öffentlichen Massenversammlung am 24. Februar 1920 als ihr Parteiprogramm präsentierte.
Das ist keine Petitesse, weil Hitler damit zwei politische Botschaften aussandte: Zum einen spielte er auf den Thesenanschlag Luthers an: Er erhob damit indirekt den Anspruch, wie Luther durch die Verkündigung von "Thesen" die Welt aufgerüttelt zu haben. Zum anderen machte Hitler deutlich, dass seine Autorität nicht die eines Schriftgelehrten, sondern die eines politischen Predigers war: Wo Luther - nach damaligem Wissen - seine Thesen als Text an die Schlosskirche zu Wittenberg genagelt hatte, war Hitler im Münchner Hofbräufestsaal als jemand aufgetreten, der seine Thesen als gesprochenes Wort unter das Volk brachte. Nicht als alleiniger Autor, wohl aber als autoritativer Verkünder dieser fünfundzwanzig "Thesen" profilierte sich Hitler in "Mein Kampf".
Die vorliegende Edition wird für die Forschung zu Hitler und zum Nationalsozialismus eine unverzichtbare Quellengrundlage bilden. Und sollte sie nicht die Überlegung reifen lassen, der Wissenschaft endlich eine historisch-kritische Kommentierung der Reden des zur Macht gekommenen Hitler zur Verfügung zu stellen? Da der redende Hitler immer zugleich ein handelnder Machthaber war, wäre ein solches Projekt die folgerichtige Komplettierung der Edition von "Mein Kampf". Es würde Wissenschaft wie Öffentlichkeit einen Hitler im Herrschaftsmodus präsentieren.
WOLFRAM PYTA.
Hitler: "Mein Kampf". Eine kritische Edition.
Hrsg. im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte IfZ von Christian Hartmann, Thomas Vordermayer, Othmar Plöckinger, Roman Töppel. München/Berlin 2016. 2 Bde., 1966 S., geb., 59,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
„… höchste Zeit, dass eine kritische Edition von Hitlers Hetzschrift herausgegeben wird. Das ‚Institut für Zeitgeschichte’ hat jahrelang akribisch daran gearbeitet und sich damit erneut große Verdienste erworben.“, Deutschlandfunk