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Der Diktator und die Macht der Inszenierung
Dieses Buch gewährt einen völlig neuen Blick auf Herrschaft und Persönlichkeit Adolf Hitlers. Sein Aufstieg und sein mörderisches Regime, so zeigt Wolfram Pyta, beruhten vor allem auf der radikalen Anwendung ästhetischer Prinzipien, welche sich der selbsternannte Künstler Hitler vor seinem Eintritt in die Politik im Jahre 1919 zu eigen gemacht hatte.
Wolfram Pyta, renommierter Neuzeithistoriker und Direktor der Forschungsstelle Ludwigsburg zur NS-Verbrechensgeschichte, untersucht aus ebenso erhellender wie ungewöhnlicher Perspektive den
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Produktbeschreibung
Der Diktator und die Macht der Inszenierung

Dieses Buch gewährt einen völlig neuen Blick auf Herrschaft und Persönlichkeit Adolf Hitlers. Sein Aufstieg und sein mörderisches Regime, so zeigt Wolfram Pyta, beruhten vor allem auf der radikalen Anwendung ästhetischer Prinzipien, welche sich der selbsternannte Künstler Hitler vor seinem Eintritt in die Politik im Jahre 1919 zu eigen gemacht hatte.

Wolfram Pyta, renommierter Neuzeithistoriker und Direktor der Forschungsstelle Ludwigsburg zur NS-Verbrechensgeschichte, untersucht aus ebenso erhellender wie ungewöhnlicher Perspektive den Aufstieg des brotlosen Künstlers Hitler zum allmächtigen Politiker und Feldherrn. Der Historiker zeigt, wie Hitler durch raffinierte Ästhetisierung der Politik seine Massengefolgschaft fand - dem verhinderten Theaterarchitekt und passionierten Wagnerianer half dabei vor allem die konsequente Inszenierung seiner politischen Auftritte. In dem von ihm entfesselten Weltkrieg erlangte Hitler zudem die totale militärische Herrschaft, weil ihm der Geniekult die nötige Legitimation verlieh. So wird auf überraschende Weise deutlich, dass der Diktator und militärische Führer Hitler ohne sein reklamiertes Künstlertum nicht zu verstehen sind.
Autorenporträt
Wolfram Pyta, geboren 1960 in Dortmund, leitet als Universitätsprofessor die Abteilung für Neuere Geschichte am Historischen Institut der Universität Stuttgart sowie die Forschungsstelle Ludwigsburg zur NS-Verbrechensgeschichte. 2007 erschien bei Siedler seine vielgelobte Biographie "Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.04.2015

Redekünstler und Kartenleser
Als "Genie" konnte Hitler bis zuletzt auf umfassende Gefolgschaftstreue bauen

Noch ein Buch über Hitler - aber ein sehr originelles! Zum 70. Jahrestag des Kriegsendes möchte Wolfram Pyta die Wirkung der nationalsozialistischen Herrschaft damit erklären, dass sich Hitler schon zur Wiener Aquarellmaler-Zeit am Wagnerschen Gesamtkunstwerk berauschte und daraus später ein "ästhetisches Konzept" entwickelte, um als Politiker und schließlich auch als Feldherr seine Gefolgschaft weder überzeugen noch überreden, sondern überwältigen zu wollen. Die meisten Deutschen fielen demnach auf "Bühnenrezepte" herein, die der aus Braunau am Inn stammende Gefreite und Meldegänger systematisch für den Aufstieg vom Redekünstler nach dem Ersten Weltkrieg zum "Architekten der Festung Europa" im Zweiten Weltkrieg einsetzte.

Die Hitler-Getreuen und -Gläubigen irritierte nicht einmal das Stalingrad-Desaster 1943: Der sich in der Öffentlichkeit rar machende oberste Befehlshaber konnte darauf bauen, "dass sich das Volk auf die unermessliche Schöpferkraft des ,Führers' verließ, der schon Mittel und Wege finden würde, den Gegner zu besiegen. Zumindest eine Zeitlang immunisierte der Genieanspruch gegen nüchterne militärische Einsichten." Daher lautet der zentrale Satz in der Studie des Stuttgarter Kulturgeschichtlers: "Die hingebungsvolle Unterwerfung unter das Genie ist kein serviler Akt erzwungener Untertänigkeit, sondern die extremste Form selbstgewählter Entmündigung."

Wie konnte Hitler in die Genie-Sphäre vorstoßen? Diese Frage behandelt der erste Teil des Buches. Für Pyta war Richard Wagner "zwar nicht der antisemitische Stichwortgeber Hitlers", wohl "aber jener Großmeister der Kunst, der mit seinem Programm einer Ton-Bild-Wort-Raum-Interaktion auf der Bühne das für politische Performanzkünstler attraktivste Angebot offerierte". Durch massentaugliche Aufführungen vermochte Hitler das Publikum in seinen Bann zu schlagen - mit der eigenen Stimme als "kostbarstes politisches Gut". Der Künstler-Charismatiker habe "ästhetische Leitvorstellungen zur Legitimation seiner Herrschaft" genutzt, sich danach vom ständigen Bewährungszwang der charismatischen Herrschaft abgekoppelt und schließlich selbst zum Genie stilisiert - ausgestattet "mit einer schier unbegrenzten politischen Generalermächtigung". Bei einem "Genie der Tat" nehme die Gefolgschaft Terror und Massenmorde als "politischen und moralischen Regelbruch" hin.

Pyta beschreibt im zweiten Teil, wie der Diktator seit 1938 in die Funktion als Inhaber der obersten militärischen Kommandogewalt hineinwuchs. Nach Kriegsbeginn 1939 habe er sich nicht mit der Rolle des Schlachtenbummlers begnügen sowie keine zweiten Hindenburgs und Ludendorffs (wie in der Kaiserzeit 1916) hochkommen lassen wollen. Hitler habe die Professionalität der generalstabsmäßig geschulten Oberbefehlshaber verachtet und darauf vertraut, dass er als Feldherr "die militärische Lage mit einem Blick räumlich erfasste und daraus die richtigen militärischen Lehren zog", zumal es sich im Kern um eine ästhetische Begabung handeln würde, "die vom Feldherrn wie vom Künstler verlangt wurde: die Einnahme einer Perspektive, aus der die Gesamtheit des Geschehens erfasst und damit eingeordnet werden konnte".

Hitler bildete sich ein, "den Raum mit Hilfe exakten Kartenmaterials beherrschen zu können". Weil er nicht in konventionellen Vorstellungen befangen war, ließ er sich während des Frankreich-Feldzuges "von überrumpelnden Kriegslisten" inspirieren: "Als Generalfeldmarschall Göring als ranghöchster Militär am 20. Mai 1940 der Weltöffentlichkeit verkündete, dass Hitler persönlich den genialen Angriffsplan entwickelt habe und auch die militärischen Operationen in diesem Geiste persönlich befehligte, stieß die Ausrufung zum militärischen Genie auf erheblichen Widerhall in Kreisen des Militärs wie der Bevölkerung."

Nach dem Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 herrschte Hitler unumschränkt als Außenpolitiker, operativer Führer und "Weltanschauungstäter, der mit dem Ostkrieg daranging, seine ideologischen Kernziele - Vernichtung der europäischen Juden sowie des Kommunismus - zu verwirklichen". Pyta rekonstruiert einige militärische Fehlentscheidungen Hitlers, der Ende 1941 zusätzlich den Oberbefehl über das Heer übernommen hatte, um anschließend das Stalingrad-Problem zu beleuchten, als Hitler "vom Kartentisch aus bis auf die Bataillons-Ebene hinunter Anweisungen" erteilte.

Sogar nach dem Untergang der 6. Armee gelang es Hitler, seinen Genialitätsanspruch gegenüber dem Generalstabswissen durchzusetzen - nach dem Motto: risikoreiche Operationen wagen, die nicht im Lehrbuch standen, mit der Hoffnung auf den Zufall als einzig verbliebenen Bundesgenossen. Ausgerechnet das Attentat vom 20. Juli 1944 hob Hitlers ramponiertes Ansehen: "Eine Aktion, die im Kern eine Absage an Hitlers militärischen Genieanspruch war, erwies sich nach ihrem Misserfolg als lebensverlängernde Maßnahme für dessen Feldherrnmonopol." Der körperlich immer hinfälligere Hitler hielt um jeden Preis an seiner "Haltedoktrin" fest und setzte auf "Wunderwaffen". Bis zum 27. April 1945 hoffte er, dass Wehrmachttruppen die Festung Berlin von außen entsetzen würden.

Seit 1923 hielt sich Hitler an seine Devise: "Nicht die Zahl gibt den Ausschlag, sondern der Wille." Seine "Entwurfsfreiheit" wollte er nicht durch militärisches Zahlenwerk einschränken lassen - bis er der "Flucht in die Simulation" am 30. April 1945 selbst ein Ende setzte. Bis zuletzt begleitete ihn stets ein Porträt Friedrichs des Großen, der sich ihm "als historische Berufungsinstanz gerade in Kriegszeiten anbot". Dabei blendete er aus, dass zwischen dem Siebenjährigen Krieg und dem Zweiten Weltkrieg Welten lagen. Dennoch eiferte der verhinderte Theaterarchitekt aus Braunau dem Flötenspieler von Sanssouci in der Art der Kriegführung nach. Hitler konnte "den Charismaverlust durch die Mobilisierung eines Geniekults" kompensieren, resümiert Pyta: "So blieb selbst ein Hitler, der kommunikative Abstinenz praktizierte und eine Kette militärischer Niederlagen zu verantworten hatte, bis in seine letzten Monate hinein ein Herrscher, der auf umfassende Gefolgschaftstreue bauen konnte." Den großen Manipulator überwältigte aber wohl auch die Faszination der eigenen Kulissen.

RAINER BLASIUS

Wolfram Pyta: Hitler. Der Künstler als Politiker und Feldherr. Eine Herrschaftsanalyse. Siedler Verlag, München 2015. 846 S., 39,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.05.2015

Die tödliche Dynamik der Diktatur
Drei Bücher über Hitler, den Krieg und die vielfältigen Überlebensgeschichten,
die Erinnerungen an das Jahr 1945 auf der ganzen Welt bestimmen
VON DIETMAR SÜSS
In der raschen Abfolge der Jahrestage macht sich das Jahr 2015 seltsam aus. Denn: kein Streit, nirgends. 70 Jahre nach Kriegsende scheinen die großen Deutungsschlachten geschlagen zu sein. Die Erinnerung an den „Tag der Befreiung“ vom Nationalsozialismus hat nichts mehr Anstößiges wie noch vor dreißig Jahren. Damals hatte Bundespräsident Richard von Weizsäcker nicht nur an die deutsche Schuld und den inneren Zusammenhang von „Machtergreifung“ und Krieg erinnert, sondern auch der Opfergruppen des NS-Terrors gedacht: der europäischen Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen und Behinderten. Kaum jemand kann sich heute noch vorstellen, dass es damals aus der Kohl-Regierung erhebliche Widerstände gegen die Pläne des Bundespräsidenten gab, im Bundestag des Kriegsendes in einer Zeremonie zu gedenken.
  Vieles hat sich gewandelt. Sieger und Besiegte erinnern heute gemeinsam. Indes übertünchen das Pathos der Erinnerung und die verbrauchte Rhetorik von den „Lehren aus der Geschichte“ die eigentlichen Sollbruchstellen im Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit: die Begeisterung vieler Deutscher für die Diktatur und die Bereitschaft zur Gewalt. Gerade für eine jüngere, akademisch gebildete Generation hatte die Vision einer rassistischen, leistungsorientieren „Volksgemeinschaft“ etwas Attraktives – mit Folgen weit über das Jahr 1945 hinaus.
  70 Jahre nach Kriegsende bleiben diese Fragen verstörend. Ihre Antworten finden sich nicht im allgemeinen Räsonieren über die „Schrecken des Krieges“. Dafür rückt einmal mehr der sehr eigene, sehr blutrünstige Weg der Deutschen in die Moderne in den Mittelpunkt.
  Die Beobachtung nationalsozialistischer Theatralik bildet den Ausgangspunkt von Wolfram Pytas Buch über den „Künstler“ Hitler als „Politiker und Feldherr“. Pyta interessiert die charismatische „Führerherrschaft“ und die von Walter Benjamin formulierte „Ästhetisierung der Politik“. Pytas Leitidee lautet: „Die hingebungsvolle Unterwerfung unter das Genie ist kein serviler Akt erzwungener Untertänigkeit, sondern die extremste Form selbstgewählter Entmündigung.“ Der Stuttgarter Historiker beschreibt, wie Hitler, berauscht durch Richard Wagners Opern-Gesamtkunstwerke, ganz auf die Macht der Bühne setzte. Seine Stimme war hier sein Kapital, und Wagner bildete dafür die Vorlage. Hitler selbst war, nach anfänglichem Zögern, beseelt von dem Glauben an seine eigene ganz außerordentliche künstlerische Kraft, die ihn in die Lage versetzte, anders als das militärische Klein-Klein der Generäle in wirklich großem Maßstab Raum und Zeit zusammenzubringen. Pyta zeigt in einem ersten Teil Hitlers Weg zum „Künstler-Politiker“ und untersucht in einem zweiten Teil die Etablierung des „Geniekults“ als alles bestimmender Feldherr, der sich gegen die Bedenken traditioneller militärischer Operationen hinwegsetzte.
  Gerade die Teile der Studie, die sich mit Hitlers Herrschaft über das „Kartenmaterial“ des Krieges und seiner „visuellen Kompetenz“ beschäftigten, machen sie originell. Da wird ein Diktator gezeigt, bei dem „militärstrategisches Denken, außenpolitisches Kalkül und unbändiger rassenideologischer Vernichtungswille“ zu einem mörderischen Gemisch verschmolzen. Pyta zeigt, wie groß die Wirkung von Hitlers vermeintlichem Genie selbst nach dem Ende der 6. Armee bei Stalingrad noch war. Sein Urteil: „So blieb selbst ein Hitler, der kommunikative Abstinenz praktizierte und eine Kette militärischer Niederlagen zu verantworten hatte, bis in seine letzten Monate hinein ein Herrscher, der auf umfassende Gefolgschaftstreue bauen konnte.“
  Bei allen klugen Beobachtungen hat Pytas Studie doch ihre Grenzen. Das beginnt bei der Entscheidung, die Geschichte des Nationalsozialismus wieder als Geschichte Adolf Hitlers und einer kleinen militärischen Entourage zu erzählen. Den gesellschaftlichen Resonanzboden für Krieg und Vernichtung sucht man in der Studie vergeblich – ein echtes Defizit, weil damit ein zentraler Anker einer modernen Herrschaftsanalyse fehlt, die sich eben nicht allein auf die „Persönlichkeit“ Hitlers beschränkt.
  Ob man für alle Beobachtungen das umfangreiche Begriffsarsenal der Kulturwissenschaften braucht, ist eine Geschmacksfrage. Aber Pyta lässt sich ein ums andere Mal von der Faszination seiner Begriffe hinreißen, ohne den Mehrwert deutlich zu machen. Vergeblich sucht man den Vergleich zu anderen faschistischen „Künstlern“, wie Mussolini beispielsweise, um zu verstehen, ob diese Form der Theatralik überhaupt ein spezifisch deutsches „Gesamtkunstwerk“ und eine faschistische Antwort auf die Krisenerscheinungen der Moderne waren.
  Der „Gröfaz“ überlebte als Mythos auch jene Monate im Mai 1945, in denen die Welt tatsächlich vielerorts aus den Angeln war. Ian Buruma erzählt diese Geschichte mit leichter Hand und souveränem Blick für die Details. Burumas Geschichte des Kriegsendes entfaltet gerade dort ihre Kraft, wohin viele nicht blicken: in Japan und auf den Philippinen, in Korea und Algerien. Er erinnert an die vielfältigen Überlebensgeschichten, die das Jahr 1945 bestimmten: Das Ende der militärischen Gewalt brachte eben noch keinen Frieden.
  Gleichzeitig erzählt Buruma eindringlicher als andere von der neu erweckten Lebenslust der Menschen: von Liebe und Sexualität, von der Hoffnung auf jene Befreier, die wie im besetzten Westeuropa nun die hässlichen Deutschen vertrieben. Damals, so erinnert sich ein Holländer, sei es Privileg gewesen, „wenigstens den Ärmel einer kanadischen Uniform zu berühren. Jeder kanadische Soldat war ein Christus, ein Erlöser“. Die Männer fehlten, und die Ankunft der Alliierten sei nur, wie Buruma lakonisch meint, mit der Ankunft der Beatles zwanzig Jahre später zu vergleichen.
  Während den Westmächten in Deutschland der Kontakt zur einheimischen Bevölkerung anfänglich strikt verboten war, entstand unter der Schirmherrschaft des niederländischen Königshauses ein eigenes Unterhaltungskomitee für die alliierten Soldaten, das sich darum bemühte, weibliche Begleiterinnen zu organisieren. Befreiung – das konnte eben sehr vieles bedeuten, aber es war nie bloß die Wiederherstellung eines früheren Zustandes. Denn geblieben waren überall in Europa die Erfahrungen der Besatzung und der Kollaboration. Die Nähe und Distanz zu den Deutschen bestimmten auch den ganz individuellen Start in die Nachkriegszeit, und so war das Jahr 1945 eben auch ein Jahr der Rache und des Versuchs, mithilfe neuer Gerechtigkeitsstandards und Rechtsverfahren den Zorn zu zähmen.
  Buruma interessiert sich besonders für die „verwaisten Völker“, die zwischen die Machtblöcke gerieten und deren Geschichten angesichts der großen Schlachten des Kalten Krieges allzu schnell vergessen worden sind. Es ist dieser weite, empathische Blick, der die Lektüre anregend und faszinierend macht. Buruma verknüpft seine Erzählungen mit den Erfahrungen seiner eigenen niederländisch-britischen Familie – einer Geschichte, die ihn von 1945 bis ins Berlin der jüngsten Zeit führt.
  Sein erzählerischer Glanz geht indes bisweilen auf Kosten einer weitergehenden Analyse. Für politische Machtkonstellationen und die Frage nach Kontinuitäten und Diskontinuitäten über 1945 hinaus interessiert Buruma sich wenig. Gleichwohl ragt sein Buch aus der Masse an Neuerscheinungen zum Kriegsende deutlich heraus.
  Buruma hat sein Buch, anders als die Ausstellungsmacher des Deutschen Historischen Museums, bewusst nicht unter den Dreiklang „Niederlage, Befreiung, Neuanfang“ gestellt. Der Katalog präsentiert knappe Fallstudien zu zwölf Ländern Europas und ihrem „Kriegsende“. Einige davon sind sehr lesenswert, so die von Jörg Ganzenmüller über die Sowjetunion und von Jaromír Balcar über die Tschechoslowakei.
  Als am Morgen des 9. Mai die sowjetischen Panzer Prag erreichten, war es das Ende der NS-Okkupation und der Auftakt für den Übergang in den „Staatssozialismus sowjetischer Prägung“. Doch auch dieser Transformationsprozess in dem Land mit so starken zivilgesellschaftlichen Wurzeln geschah nicht über Nacht und folgte keinem Masterplan der Roten Armee, die das Land im November 1945 bereits wieder verlassen hatte. Es war die Folge einer flexiblen, nach Macht strebenden Strategie der Kommunistischen Partei, der es gelang, die Schwächen der jungen Demokratie für sich zu nutzen. Denn auch dies ist Teil der Geschichte des Jahres 1945: der Auftakt für die Westverschiebung des sowjetischen Imperiums. Nicht recht klar ist, warum sich die Herausgeber für bestimmte Länder entschieden, weshalb also Luxemburg, nicht aber Spanien, Griechenland oder andere Länder Südosteuropas mit einbezogen wurden. Und Sinn hätte es durchaus gemacht, stärker die Beziehungen und Verflechtungen der Kriegserfahrung in den Mittelpunkt zu stellen.
  Was wohl bleiben wird vom Gedenkjahr 2015? Die Erinnerung an die mörderische Gewalt des Nationalstaates und die inzwischen so befehdeten Versuche der Europäer, Militärgewalt dauerhaft zu zähmen? Man muss kein Prophet sein, um zu spüren, dass uns bald - mit den Waffen der Geschichte – eine neue Debatte ins Haus steht, wenn 2019 an „Versailles“ erinnert wird. Beruhigend ist das nicht.
Wolfram Pyta: Hitler. Der Künstler als Politiker und Feldherr. Eine Herrschaftsanalyse. Siedler, 2015. 848 Seiten, 39,94 Euro.
Ian Buruma: ’45 – Die Welt am Wendepunkt. Aus dem Englischen von Barbara Schaden. Hanser, 2015. 432 Seiten, 26 Euro.
Deutsches Historisches Museum (Hrsg.): 1945 – Niederlage. Befreiung. Neuanfang: Zwölf Länder Europas nach dem Ende der NS-Gewaltherrschaft. Theiss Verlag, 2015. 256 Seiten, 24, 95 Euro.
Dietmar Süß lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Augsburg.
Auch nach der Niederlage bei
Stalingrad galt Hitler
noch als genialer Feldherr
Die Alliierten wurden in Holland
so enthusiastisch begrüßt
wie später nur die Beatles
NS-Prominenz, wie der Künstler Michael Sowa sie sieht.
Abb: Lepkowski Studios, Berlin
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»Jetzt hat der Stuttgarter Historiker Wolfram Pyta eine Studie publiziert, die einen frischen Blick auf Hitlers Herrschaft wirft.« SWR 2 - Kultur Info, Rainer Volk, 17.04.2015