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Produktdetails
  • Verlag: Pendo
  • Seitenzahl: 407
  • Abmessung: 220mm x 147mm x 38mm
  • Gewicht: 660g
  • ISBN-13: 9783858423900
  • ISBN-10: 3858423904
  • Artikelnr.: 25054033
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.11.2000

Infernalische Truppe
Der Archivdirektor von Yad Vashem über Hitlers Bürokraten und die Banalität der Lüge
YAACOV LOZOWICK: Hitlers Bürokraten. Eichmann, seine willigen Vollstrecker und die Banalität des Bösen, Pendo Verlag, Zürich/München, 2000. 408 Seiten, 49,80 Mark.
Hannah Arendts berühmtes Buch Eichmann in Jerusalem (erstmals 1964) trägt den Untertitel Ein Bericht von der Banalität des Bösen. Es suggeriert, heute kaum mehr nachvollziehbar, Eichmann sei ein stolzer, aber blinder Technokrat gewesen. Er habe im Prozess wie ein „komischer Hanswurst” gewirkt, er habe nicht viel von den Gräueltaten gesehen. Während die (auch jüdischen) Kapos in den KZs „alle Bescheid” wussten, habe Eichmann, ein „normaler” Mensch, von den unbeschreiblichen Vorgängen nicht sonderlich viel mitbekommen.
Yaacov Lozowick, Archivdirektor in Yad Vashem, staunt begreiflicherweise und legt in einer überaus akribischen (und für den Leser manchmal ermüdenden) Studie dar, dass genau das Gegenteil der Fall gewesen ist. Er bemängelt an Arendt, sie insinuiere, Eichmann habe sich „niemals vorgestellt, was er eigentlich anstellte” (Zitat aus ihrem Eichmann-Buch, von ihr selbst kursiviert). Arendt behaupte, die Beamten seien derart in die NS-Welt eingetaucht, dass sie nicht in der Lage gewesen seien, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Seelenlos hätten sie jeden Auftrag erfüllt, der auf ihrem Schreibtisch landete.
Alpinisten des Bösen
Es gibt eine kleine und außerordentlich gemeine Geschichte, die eine derartige Ansicht ad absurdum führt. Obersturmbannführer Laszlo Ferenczy (er war gleichrangig mit Eichmann) betrieb die Treibjagd auf die ungarischen Juden 1944. Sein zuständiges Referat trug den zynischen Titel „Wohnungsamt”. Ferenczy hängte an seine Tür ein Schild mit der Aufschrift: „Internationale Versand- und Lagergesellschaft”. Dabei hat er sich nichts gedacht? Wusste er nicht ganz genau, dass er den bestialischen Henkern zuarbeitet? In Lozowicks Augen wussten Hitlers Bürokraten, auch auf der ‘mittleren’ Ebene, nicht nur um die eigene so kriminelle wie antisemitische Energie, sondern sie hatten auch Entscheidungskompetenz für die Ermordung der Juden. Sie wussten bis ins Detail, was vor sich ging und sie amüsierten sich auch noch darüber: ihre prägnanteste Eigenschaft war ihre Bösartigkeit. Böse waren sie, so Lozowick, weil sie so viel Leid wie möglich verursachen wollten. „Böswillige Menschen tauchen nicht aus dem Nichts auf; sie entscheiden sich dafür, so zu sein” (Lozowick). Hitlers Bürokraten, so der Autor, haben „hart gearbeitet” und „intensiv nachgedacht”: sie waren, so sein bitteres Resümee: „Alpinisten des Bösen”. Und sie haben, wenn von den Befreiern gefasst, gelogen und verharmlost und beschwichtigt. Der Autor empfindet dies als „ekelerregend”.
THOMAS ECKARDT
Der Autor ist Sozialwissenschaftler in München.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Michael Wildt würdigt Lozowicks Buch als gelungene Gegendarstellung zu Hannah Arendts Interpretation des NS-Verbrechers Adolf Eichmann als subalternen Bürokraten und banalen Erfüllungsgehilfen. Lozowick zeichnet, so Wildt, eine `gelungenes Bild` der Funktionsweise des berüchtigten Eichmann-Referats. Auch wenn der Autor, Archivdirektor der israelischen Holocaust-Gedenkstätte, manchmal über das Ziel hinausschieße, meint Wildt, `gelingt ihm der Nachweis, wie wenig diese Männer als Befehlsempfänger charakterisiert werden können`. Wildt bedauert allerdings, dass die deutsche Übersetzung nicht noch einmal fachkundig redigiert wurde. Das Versäumnis eines gewissenhaften Lektorats habe zwar `nicht die These des Buches geschmälert, wohl aber den Wert der deutschen Ausgabe`.

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