Keines der Bilder Hitlers aus der Frühzeit läßt auch nur im mindesten erahnen, was eines Tages von diesem Gesicht abgelesen werden wird. Vom Erlöser des deutschen Volkes bis zum maßlosen Mörder - sämtliche Rollen werden an Hitlers Gesicht lebendig und von den Zeitgenossen bewundert oder mit wachsendem Erschrecken beobachtet. Im Fadenkreuz von Abbild und Vorbild, Schreckbild und Nachbild bewegt sich die vorliegende physiognomische Biographie, deren Objekt zu den unheimlichsten gehört, die in der deutschen Geschichte bisher aufgetreten sind. Hitler lebte auf einer dauernden Bühne. Vielleicht kein anderer Machthaber des 20. Jahrhunderts hatte ein so allgegenwärtiges visuelles Echo wie er. Auf der Schwelle zum Medienzeitalter und dieses aktiv befördernd, hat er seine Anhänger und die es werden sollten in einer in Deutschland bis dahin unerhörten Weise körperlich bedrängt, im Bild, aber auch mit der Stimme und Auge in Auge. Eine Figur, in der eine halbe Nation zwischen 1919 und 1938 reine Zukunft zu lesen glaubte. Doch Bilder sind trügerisch. Fast keine Photographie, die heute biographisch verwendet wird, verrät etwas von dem, was dieser Mann an Verhängnisvollem gedacht und ausgeführt hat und was doch in der physiognomischen Wahrnehmung der Zeit unmittelbar gespiegelt wurde: von der Satire ebenso wie von der Karikatur. Eine physiognomische Biographie bietet anderes als eine Bild- oder Mediengeschichte. Der Physiognomiker orientiert sich am lebendigen Original, also vor allem an Augen- und Ohrenzeugenberichten. Wie diese modelliert und überliefert wurden, welche Vor- und Nachgeschichte sie haben, welche Bilder sie ihrerseits erzeugten, erzählt das vorliegende Buch als Beitrag zur Analyse einer immer noch rätselhaften Faszinationsgeschichte.
"Es entstehen faszinierende Einsichten in die Mentalität jenes Zeitalters und in die Psychologie des Hitler-Kultes."
Ian Kershaw
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2000Hat er Triefaugen, Glotzaugen, Fischaugen?
Oder schaut er einfach nur bescheuert? Claudia Schmölders studiert Hitlers irren Blick / Von Willibald Sauerländer
Ein aufregendes, irritierendes Buch, angesiedelt zwischen den Grenzen etablierter Disziplinen: der politischen Zeitgeschichte und der schillernden Physiognomik. Es handelt von der Physiognomisierung der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland, welche ihren unheilvollen Höhepunkt im Nationalsozialismus erreichte. Ihr Zentrum und ihre Leerstelle war das Gesicht Hitlers. Es geht also nicht um Ereignisse. Es geht auch nicht um die visuelle Manipulation von Macht. Ziel ist die Auslotung jener physiognomischen Sehnsüchte in der deutschen Gesellschaft nach der Novemberrevolution 1918, welche die Andacht und den Schauer vor dem Antlitz des Führers ermöglichten. Dieser physiognomische Zugriff ist Stärke und Originalität, freilich auch Gefahr dieses Buches.
Claudia Schmölders bettet ihre Biographie von Hitlers Gesicht in das Weichbild der physiognomischen Moden ein. Der "Verlust des Gesichts" durch den Zusammenbruch der alten Gesellschaft und die Demütigung der Niederlage von 1918 wurden kompensiert durch eine Flut von Veröffentlichungen über das deutsche Antlitz. Den Ahnengalerien der Entthronten antworten die neuen "Porträtgalerien von unten", welche das namenlose fotografierte Volk in seinen Gesichtern auftreten lassen. Die Welle dieser Publikationen reicht von Sanders "Antlitz der Zeit" über Lendvai-Dircksens "Deutsches Volksgesicht" bis zu Hellpachs "Deutscher Physiognomik".
"Nicht groß und nah genug kann ich die Gesichter vor mir haben, um in ihrer Landschaft zu lesen", bekannte 1937 Lendvai-Dircksen. Weniger an den von Schmölders angeführten, immerhin wahrheitsfanatischen Lavater denkt man als an die älteren Vorstellungen vom Makro- und Mikrokosmos oder an Cardanus, der aus den Falten auf dem Gesicht das Schicksal der Menschen lesen wollte. Angesichts der schwülstigen Ergüsse von Salin über das Antlitz Georges - "Stirn, die hart und gewaltig über dem Haupt thront" - oder jener von Bölsche über das Gesicht Haeckels - "stolze Feste mit ihrem Wolkenschnee, der heute den obersten Wirbel dieses allzeit geraden Rückgrats krönt" - fällt es schwer, sich nicht an die religiöse Praxis der frommen Versenkung in das Antlitz des Erlösers - etwa das Mandylion - zu erinnern. In der physiognomischen Mode waren mehr Dunkelheiten und Irrationalismen im Spiel, als Schmölders in ihrem vorzüglichen facettenreichen Panorama erkennen läßt. Heidegger, der im Gespräch mit Jaspers seine Bewunderung für die Hände Hitlers offenbart; das hört sich an wie die gestaltpsychologische Wiederkehr der Chiromantie.
Die Frage von Schmölders' Buch lautet: Wie hat sich das Bild von Hitlers Gesicht in diese physiognomisierte Prädisposition der deutschen Gesellschaft eingeblendet? Vor 1918 finden sich kaum Spuren von Hitlers Zügen. Die Fotos des Babys, des verzückten Kriegsfreiwilligen, des schnauzbärtigen Frontsoldaten mit der verschwommenen Visage geben für die Anamnese der Physiognomie des "Führers" kaum etwas her. Diese Physiognomie kam aus dem Nichts. Für die Zeit zwischen 1918 und 1923, die Initiationsphase des Politikers Hitler, kommt Schmölders zu einem signifikant negativen Befund. Der "Trommler" war zunächst nicht als Bild, sondern nur akustisch, als Stimme, präsent. "Ihr habt eine Stimme gehört und seid ihr gefolgt, ohne den Träger der Stimme auch nur gesehen zu haben" wird er später - 1936, in der Zeit der Volksempfänger - seinen Anhängern zurufen.
Die Auftritte des Redners, der nie ganz sichtbar erscheint, erinnern an Thomas Manns frühe Erzählung "Beim Propheten", aber auch an religiöse Erfahrungen mit dem Geheiß der Stimme von Unsichtbaren. In dem von der Räterepublik traumatisierten bürgerlichen München raunte sich Hitler zum "unsichtbaren Redner" hoch oder tief. Auratisierung "ex negativo": Die Leerstelle der Physiognomie wird zum Ort der Mystifizierung, des Gerüchts vom unbekannten Genie. 1923 druckte der Simplicissimus eine Karikatur mit zwölf verzerrten Gesichtern: "Wie sieht Hitler aus? Adolf Hitler läßt sich nicht abbilden."
Mit Hitlers Aufstieg begann die Erfindung seines Gesichts. Es saugt die physiognomischen Wunschbilder des "erwachenden Deutschland" in sich auf. Schon 1930 konstatierte Joseph Roth: "Hitlers Physiognomie, die alle Gesichter seiner Wähler vorweggenommen hat und in die jeder seiner Wähler sehen kann wie in einen Spiegel: alles ist da, alles auf Lager: Der Dinter und die Lauff, die Bestie und das Gemüt, der Goldschnitt und der Blutstreifen."
Der "Tizian" dieser physiognomischen Vortäuschungen war der Fotograf Heinrich Hoffmann. Seine Aufnahmen zeigten Hitler schnieke im dunklen Anzug, als Redner mit den hysterischen Gesten eines expressionistischen Schauspielers, in Lederhosen als Anhänger der Jugendbewegung, mit schicksalsschwer gesenkter Stirn als Denker. Schmölders hat diese Maskierungen des nichtssagenden Gesichts brillant analysiert und mit den Strömungen des physiognomischen Diskurses von Picard bis Jünger untermalt. Als "Erwecker der Seelen" hatte Houston Stewart Chamberlain 1923 Hitler angesprochen. Das weist voraus auf die unterschwellige Sakralität, welche eine Aufnahme im Braunhemd 1929 miefig ausströmt. Ein so ernsthafter Schriftsteller wie George Orwell meinte zu diesem Foto: "Sein Ausdruck erinnert an den Ausdruck des auf zahllosen Bildern dargestellten gekreuzigten Christus." In der physiognomischen Benebelung lösen sich die alten heiligen Gesichter auf in den Politkitsch.
Das Hitler-Gesicht auf einem Wahlplakat von 1932 hat Schmölders mit dem damals inbrünstig verehrten "ewigen Antlitz" der Totenmasken in Verbindung gebracht. Hier ist sie selbst in die assoziative Versuchung des physiognomischen Blicks abgestürzt. Das Gesicht auf dem Poster ist zwar eine bleiche Maske, aber aus dieser starren uns zwei irr fixierte Augen entgegen. Das ist nicht der Schlummer der Totenmaske, sondern das unheimliche Antlitz des politischen Hypnotiseurs, das aus einer dunklen Geisterkammer auftaucht.
Mit der "Machtübernahme" verändert sich die politische Modellierung von Hitlers Physiognomie. Aus der Distanz, die den Kanzler der "nationalen Revolution" umgibt, wird ein "Antlitz des Führers" entworfen, dessen Züge nicht mehr zur Einfühlung einladen, sondern ins Staatsmännische entrückt sind. Schmölders beschreibt den Wechsel vom "Nah-" zum "Ferngesicht" vorzüglich. Er kulminierte im "physiognomischen Schwenk von en face zum Profil". Im Profil erscheint die Büste des "Führers" ewig und unveränderlich wie eine Bildhauerarbeit. So wird Hitler auf Briefmarken abgebildet, so zeigt ihn 1938 eine Landkarte "Großdeutschlands" als Baumeister des Reiches. Sein reales Gesicht verschwindet nun ganz hinter der politischen Maske.
Ein anderes Mittel der Distanzierung war der Blick von unten zum Führer empor, wie ihn die Filme Leni Riefenstahls in raffinierter ästhetischer Verschleierung auskosteten. Das Hitler-Gesicht, welches jetzt die ganze deutsche Öffentlichkeit besetzte, oszillierte zwischen steinerner Härte und dem porzellanenen Schimmer der Lichtregie: der "Führer", von seinem Volk andächtig gefürchtet und schmachtend geliebt. Von einer "rassistischen Verhärtung der Tendenzen der zwanziger Jahre" spricht Schmölders angesichts der dressierten Gesichter unter der Diktatur. Sie weist darauf hin, daß die Stigmatisierung der "entarteten Kunst" 1937 in den Kontext der physiognomischen Reglementierung gehörte.
Es ist das nicht genug zu lobende Verdienst dieses Buches, Hitlers Erfolg als eine physiognomische Katastrophe beschrieben zu haben. Die Zeitgeschichte, die sich auf Ereignisse und Dokumente konzentrieren muß, gewinnt durch diese sensible Analyse der physiognomischen Modellierung Hitlers sinnliche Einfärbung. Aber es bleiben auch Bedenken. Übergehen wir das fundamentale Problem, ob Hitlers Gesicht als physiognomische Erscheinung oder nicht eher als pathognomische Explosion anzusehen ist. Der physiognomische Blick richtete sich schon bei Lavater auf das Antlitz des wahren, von allen Verstellungen und Verkleidungen entblößten Menschen. Das war sein aufklärerischer und protestantischer Impuls. Ob dieser Blick für die Erhellung der politischen Modellierung, ja auch nur für das kritische Lesen eines öffentlichen Gesichts geeignet ist, das bleibt eine ernste Frage. Nur in der Vortäuschung durch die Mächtigen oder im Haß der Unterdrückten entsteht der trügerische Anschein des Politischen als nackter Physiognomie.
Das Medienzeitalter hat auf diesem Terrain die letzten Illusionen verloren und den Blick der Historiker auf die Image-Pflege auch der Herrscher von einst neu geschärft. Aber die Untersuchungen Zankers über Augustus, Burkes über Ludwig XIV. konnten nicht allein dem Physiognomischen vertrauen, sondern mußten dessen politische Vermittlung über Traditionen, Einkleidungen, Riten mit in den Blick nehmen. Das hat Schmölders in ihrer "physiognomischen Biographie" bewußt nicht getan.
Tatsächlich war die Rolle Hitlers als "Führer" auf eine singuläre Weise traditions- und institutionslos. Sie war von "unmittelbarer und realer Präsenz", wie der kundige Carl Schmitt 1933 zustimmend beobachtet. Aber auch Hitlers Physiognomie brauchte für ihre Übersetzung in die politische Öffentlichkeit Paraphernalien: die von ihm eigens erfundenen Gesten und Uniformen, die schwarzen Mercedes-Limousinen, in denen der "Führer" durch die jubelnde Menge schwebte, die Balkone und Tribünen, auf denen er sich zeigte und erhöhte. Es ging nie um sein bares, die Nahbeobachter meist enttäuschendes Gesicht. Natürlich ist sich auch Claudia Schmölders dieses Umstandes bewußt, aber zuletzt bleibt sie doch gefangen im physiognomischen Blick auf das "böse" Antlitz. Erstaunlich, was sie dadurch angestoßen hat. Aber für eine Analyse der öffentlichen Physiognomie Hitlers müßten ihre brillanten funkelnden Beobachtungen verschränkt werden mit den Kriterien einer politischen Ikonographie.
Claudia Schmölders: "Hitlers Gesicht". Eine physiognomische Biographie. Verlag C. H. Beck, München 2000. 264 S., 80 Abb., geb., 48,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Oder schaut er einfach nur bescheuert? Claudia Schmölders studiert Hitlers irren Blick / Von Willibald Sauerländer
Ein aufregendes, irritierendes Buch, angesiedelt zwischen den Grenzen etablierter Disziplinen: der politischen Zeitgeschichte und der schillernden Physiognomik. Es handelt von der Physiognomisierung der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland, welche ihren unheilvollen Höhepunkt im Nationalsozialismus erreichte. Ihr Zentrum und ihre Leerstelle war das Gesicht Hitlers. Es geht also nicht um Ereignisse. Es geht auch nicht um die visuelle Manipulation von Macht. Ziel ist die Auslotung jener physiognomischen Sehnsüchte in der deutschen Gesellschaft nach der Novemberrevolution 1918, welche die Andacht und den Schauer vor dem Antlitz des Führers ermöglichten. Dieser physiognomische Zugriff ist Stärke und Originalität, freilich auch Gefahr dieses Buches.
Claudia Schmölders bettet ihre Biographie von Hitlers Gesicht in das Weichbild der physiognomischen Moden ein. Der "Verlust des Gesichts" durch den Zusammenbruch der alten Gesellschaft und die Demütigung der Niederlage von 1918 wurden kompensiert durch eine Flut von Veröffentlichungen über das deutsche Antlitz. Den Ahnengalerien der Entthronten antworten die neuen "Porträtgalerien von unten", welche das namenlose fotografierte Volk in seinen Gesichtern auftreten lassen. Die Welle dieser Publikationen reicht von Sanders "Antlitz der Zeit" über Lendvai-Dircksens "Deutsches Volksgesicht" bis zu Hellpachs "Deutscher Physiognomik".
"Nicht groß und nah genug kann ich die Gesichter vor mir haben, um in ihrer Landschaft zu lesen", bekannte 1937 Lendvai-Dircksen. Weniger an den von Schmölders angeführten, immerhin wahrheitsfanatischen Lavater denkt man als an die älteren Vorstellungen vom Makro- und Mikrokosmos oder an Cardanus, der aus den Falten auf dem Gesicht das Schicksal der Menschen lesen wollte. Angesichts der schwülstigen Ergüsse von Salin über das Antlitz Georges - "Stirn, die hart und gewaltig über dem Haupt thront" - oder jener von Bölsche über das Gesicht Haeckels - "stolze Feste mit ihrem Wolkenschnee, der heute den obersten Wirbel dieses allzeit geraden Rückgrats krönt" - fällt es schwer, sich nicht an die religiöse Praxis der frommen Versenkung in das Antlitz des Erlösers - etwa das Mandylion - zu erinnern. In der physiognomischen Mode waren mehr Dunkelheiten und Irrationalismen im Spiel, als Schmölders in ihrem vorzüglichen facettenreichen Panorama erkennen läßt. Heidegger, der im Gespräch mit Jaspers seine Bewunderung für die Hände Hitlers offenbart; das hört sich an wie die gestaltpsychologische Wiederkehr der Chiromantie.
Die Frage von Schmölders' Buch lautet: Wie hat sich das Bild von Hitlers Gesicht in diese physiognomisierte Prädisposition der deutschen Gesellschaft eingeblendet? Vor 1918 finden sich kaum Spuren von Hitlers Zügen. Die Fotos des Babys, des verzückten Kriegsfreiwilligen, des schnauzbärtigen Frontsoldaten mit der verschwommenen Visage geben für die Anamnese der Physiognomie des "Führers" kaum etwas her. Diese Physiognomie kam aus dem Nichts. Für die Zeit zwischen 1918 und 1923, die Initiationsphase des Politikers Hitler, kommt Schmölders zu einem signifikant negativen Befund. Der "Trommler" war zunächst nicht als Bild, sondern nur akustisch, als Stimme, präsent. "Ihr habt eine Stimme gehört und seid ihr gefolgt, ohne den Träger der Stimme auch nur gesehen zu haben" wird er später - 1936, in der Zeit der Volksempfänger - seinen Anhängern zurufen.
Die Auftritte des Redners, der nie ganz sichtbar erscheint, erinnern an Thomas Manns frühe Erzählung "Beim Propheten", aber auch an religiöse Erfahrungen mit dem Geheiß der Stimme von Unsichtbaren. In dem von der Räterepublik traumatisierten bürgerlichen München raunte sich Hitler zum "unsichtbaren Redner" hoch oder tief. Auratisierung "ex negativo": Die Leerstelle der Physiognomie wird zum Ort der Mystifizierung, des Gerüchts vom unbekannten Genie. 1923 druckte der Simplicissimus eine Karikatur mit zwölf verzerrten Gesichtern: "Wie sieht Hitler aus? Adolf Hitler läßt sich nicht abbilden."
Mit Hitlers Aufstieg begann die Erfindung seines Gesichts. Es saugt die physiognomischen Wunschbilder des "erwachenden Deutschland" in sich auf. Schon 1930 konstatierte Joseph Roth: "Hitlers Physiognomie, die alle Gesichter seiner Wähler vorweggenommen hat und in die jeder seiner Wähler sehen kann wie in einen Spiegel: alles ist da, alles auf Lager: Der Dinter und die Lauff, die Bestie und das Gemüt, der Goldschnitt und der Blutstreifen."
Der "Tizian" dieser physiognomischen Vortäuschungen war der Fotograf Heinrich Hoffmann. Seine Aufnahmen zeigten Hitler schnieke im dunklen Anzug, als Redner mit den hysterischen Gesten eines expressionistischen Schauspielers, in Lederhosen als Anhänger der Jugendbewegung, mit schicksalsschwer gesenkter Stirn als Denker. Schmölders hat diese Maskierungen des nichtssagenden Gesichts brillant analysiert und mit den Strömungen des physiognomischen Diskurses von Picard bis Jünger untermalt. Als "Erwecker der Seelen" hatte Houston Stewart Chamberlain 1923 Hitler angesprochen. Das weist voraus auf die unterschwellige Sakralität, welche eine Aufnahme im Braunhemd 1929 miefig ausströmt. Ein so ernsthafter Schriftsteller wie George Orwell meinte zu diesem Foto: "Sein Ausdruck erinnert an den Ausdruck des auf zahllosen Bildern dargestellten gekreuzigten Christus." In der physiognomischen Benebelung lösen sich die alten heiligen Gesichter auf in den Politkitsch.
Das Hitler-Gesicht auf einem Wahlplakat von 1932 hat Schmölders mit dem damals inbrünstig verehrten "ewigen Antlitz" der Totenmasken in Verbindung gebracht. Hier ist sie selbst in die assoziative Versuchung des physiognomischen Blicks abgestürzt. Das Gesicht auf dem Poster ist zwar eine bleiche Maske, aber aus dieser starren uns zwei irr fixierte Augen entgegen. Das ist nicht der Schlummer der Totenmaske, sondern das unheimliche Antlitz des politischen Hypnotiseurs, das aus einer dunklen Geisterkammer auftaucht.
Mit der "Machtübernahme" verändert sich die politische Modellierung von Hitlers Physiognomie. Aus der Distanz, die den Kanzler der "nationalen Revolution" umgibt, wird ein "Antlitz des Führers" entworfen, dessen Züge nicht mehr zur Einfühlung einladen, sondern ins Staatsmännische entrückt sind. Schmölders beschreibt den Wechsel vom "Nah-" zum "Ferngesicht" vorzüglich. Er kulminierte im "physiognomischen Schwenk von en face zum Profil". Im Profil erscheint die Büste des "Führers" ewig und unveränderlich wie eine Bildhauerarbeit. So wird Hitler auf Briefmarken abgebildet, so zeigt ihn 1938 eine Landkarte "Großdeutschlands" als Baumeister des Reiches. Sein reales Gesicht verschwindet nun ganz hinter der politischen Maske.
Ein anderes Mittel der Distanzierung war der Blick von unten zum Führer empor, wie ihn die Filme Leni Riefenstahls in raffinierter ästhetischer Verschleierung auskosteten. Das Hitler-Gesicht, welches jetzt die ganze deutsche Öffentlichkeit besetzte, oszillierte zwischen steinerner Härte und dem porzellanenen Schimmer der Lichtregie: der "Führer", von seinem Volk andächtig gefürchtet und schmachtend geliebt. Von einer "rassistischen Verhärtung der Tendenzen der zwanziger Jahre" spricht Schmölders angesichts der dressierten Gesichter unter der Diktatur. Sie weist darauf hin, daß die Stigmatisierung der "entarteten Kunst" 1937 in den Kontext der physiognomischen Reglementierung gehörte.
Es ist das nicht genug zu lobende Verdienst dieses Buches, Hitlers Erfolg als eine physiognomische Katastrophe beschrieben zu haben. Die Zeitgeschichte, die sich auf Ereignisse und Dokumente konzentrieren muß, gewinnt durch diese sensible Analyse der physiognomischen Modellierung Hitlers sinnliche Einfärbung. Aber es bleiben auch Bedenken. Übergehen wir das fundamentale Problem, ob Hitlers Gesicht als physiognomische Erscheinung oder nicht eher als pathognomische Explosion anzusehen ist. Der physiognomische Blick richtete sich schon bei Lavater auf das Antlitz des wahren, von allen Verstellungen und Verkleidungen entblößten Menschen. Das war sein aufklärerischer und protestantischer Impuls. Ob dieser Blick für die Erhellung der politischen Modellierung, ja auch nur für das kritische Lesen eines öffentlichen Gesichts geeignet ist, das bleibt eine ernste Frage. Nur in der Vortäuschung durch die Mächtigen oder im Haß der Unterdrückten entsteht der trügerische Anschein des Politischen als nackter Physiognomie.
Das Medienzeitalter hat auf diesem Terrain die letzten Illusionen verloren und den Blick der Historiker auf die Image-Pflege auch der Herrscher von einst neu geschärft. Aber die Untersuchungen Zankers über Augustus, Burkes über Ludwig XIV. konnten nicht allein dem Physiognomischen vertrauen, sondern mußten dessen politische Vermittlung über Traditionen, Einkleidungen, Riten mit in den Blick nehmen. Das hat Schmölders in ihrer "physiognomischen Biographie" bewußt nicht getan.
Tatsächlich war die Rolle Hitlers als "Führer" auf eine singuläre Weise traditions- und institutionslos. Sie war von "unmittelbarer und realer Präsenz", wie der kundige Carl Schmitt 1933 zustimmend beobachtet. Aber auch Hitlers Physiognomie brauchte für ihre Übersetzung in die politische Öffentlichkeit Paraphernalien: die von ihm eigens erfundenen Gesten und Uniformen, die schwarzen Mercedes-Limousinen, in denen der "Führer" durch die jubelnde Menge schwebte, die Balkone und Tribünen, auf denen er sich zeigte und erhöhte. Es ging nie um sein bares, die Nahbeobachter meist enttäuschendes Gesicht. Natürlich ist sich auch Claudia Schmölders dieses Umstandes bewußt, aber zuletzt bleibt sie doch gefangen im physiognomischen Blick auf das "böse" Antlitz. Erstaunlich, was sie dadurch angestoßen hat. Aber für eine Analyse der öffentlichen Physiognomie Hitlers müßten ihre brillanten funkelnden Beobachtungen verschränkt werden mit den Kriterien einer politischen Ikonographie.
Claudia Schmölders: "Hitlers Gesicht". Eine physiognomische Biographie. Verlag C. H. Beck, München 2000. 264 S., 80 Abb., geb., 48,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Willibald Sauerländer schaut Hitler tief in die Augen mit dieser, wie er findet, "brillanten" Analyse von Claudia Schmölders. Die physiognomische Mode jener Jahre kann ihm die Autorin gut darlegen, wenngleich die "Irrationalismen" dabei ein wenig zu kurz kommen, wie der Kritiker hinzufügt. Fasziniert liest Sauerländer, wie in den ersten Jahren, als überwiegend Hitlers Stimme präsent war, dessen Gesicht zum "Ort der Mystifizierung" wurde, bis dieser in den Jahren seines Aufstiegs die Inszenierung auch mit Hilfe des Fotografen Heinrich Hoffmann selbst übernahm. Insbesondere den Übergang vom "Nah- zum Ferngesicht" nach der Machtübernahme, als Hitler in ehrfürchtiger Distanz inszeniert wurde, arbeitet Schmölders ausgezeichnet heraus, lobt Sauerländer. Hier wird Hitlers Erfolg als "physiognomische Katastrophe" sichtbar, schließt er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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