Über die Wehrmacht im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion ist viel geschrieben und gestritten worden. Jedoch wusste man bisher wenig über jene höchsten Generale, die das deutsche Heer auf Befehl Hitlers nach Osten führten, unter ihnen so bekannte Namen wie Bock, Guderian, Kluge, Manstein und Rundstedt. Was dachten und wie handelten die Oberbefehlshaber der Heeresgruppen und Armeen, die über Leben und Tod von vielen Millionen Soldaten und Zivilisten zu entscheiden hatten? Johannes Hürter zeichnet erstmals ein genaues Porträt dieser militärischen Elite und darüber hinaus das Panorama eines beispiellosen Feldzugs, in dem traditionelles "Kriegshandwerk" und nationalsozialistischer Rassenwahn eine unheilvolle Verbindung eingingen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.01.2007Das Prinzip Vernichtung
Johannes Hürters richtungweisende Studie über Motive und Handlungsweisen der deutschen Oberbefehlshaber im Krieg gegen die Sowjetunion 1941/42
Am 30. März 1941 stellte Hitler in einer mehrstündigen Ansprache vor knapp hundert Wehrmachtsoffizieren seine Einschätzung der weltpolitischen Lage, aber auch die Ziele und Methoden des geplanten Angriffs auf die Sowjetunion vor. Die wenigen Berichte, die uns dazu vorliegen, lassen das Ungeheuerliche des geplanten Krieges erkennen. Von einem "Weltanschauungskampf" gegen den "Bolschewismus" war in der Reichskanzlei die Rede, von der notwendigen "Beseitigung" bolschewistischer Kommissare, vom "Kampf um unser Dasein". Viele der sozialdarwinistischen und antibolschewistischen Formulierungen waren den Generälen nicht neu, doch hier wurde ein Vernichtungskampf nicht nur gegen einen militärischen Gegner, sondern gegen eine ganze Herrschafts- und Gesellschaftsordnung und ihre Funktionsträger als Kriegsziel angekündigt. Zudem deutete sich die völlige Entrechtung und Bekämpfung der Zivilbevölkerung an und zunächst nur indirekt auch der Juden in der Sowjetunion.
Über kritische oder gar empörte Reaktionen der anwesenden Befehlshaber auf diese Pläne, die einen eklatanten Verstoß gegen das bestehende Kriegsvölkerrecht ankündigten, ist nichts bekannt. Auch die Umsetzung der "verbrecherischen Befehle" kann nur als Ausdruck einer passiven Hinnahme beziehungsweise Akzeptanz beschrieben werden. Die Frage nach der Mitwirkung der Wehrmacht ist seit dreißig Jahren Gegenstand historischer Forschung, ohne dass es eine umfassende Erklärung für die Radikalisierung der Einstellungen und des Verhaltens der Wehrmachts- und Heeresgeneralität gibt, ohne dass wir über das Ausmaß der Beteiligung der Wehrmacht an und über die Verantwortlichkeit einzelner militärischer Einheiten genügend Kenntnisse besitzen. Die heftigen öffentlichen Auseinandersetzungen um die Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" haben dieser Frage zusätzliche Aktualität verliehen und die historische Forschung zur intensiveren und differenzierteren Beschäftigung mit der Frage nach der Rolle der Wehrmacht in dem Prozess der Durchsetzung nationalsozialistischer Vernichtungsstrategien veranlasst. Die Studie von Johannes Hürter ist im Rahmen eines Projekts des Instituts für Zeitgeschichte zur "Wehrmacht in der NS-Diktatur" entstanden und bestätigt die bisherige Forschung in ihren Grundaussagen; aber sie bringt darüber hinaus mit ihrem methodischen Ansatz und ihren Interpretationen unser Wissen um Motive und Handlungsweisen der Wehrmachtsgeneralität ein gutes Stück weiter.
Hürter untersucht alle Oberbefehlshaber der drei Heeresgruppen sowie sämtlicher Panzergruppen, die zwischen 1941 und 1942 an der Ostfront zum Einsatz kamen. Auch reicht seine Analyse weit über den eigentlichen Untersuchungszeitraum hinaus. Denn er verfolgt in seiner Gruppenbiographie der 25 Oberbefehlshaber und Kommandeure deren soziale Herkunft, militärische Karriere und Sozialisation vom Kaiserreich über die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges, der Revolution von 1918/19 und der Weimarer Republik bis zur Aufrüstung im "Dritten Reich" und den Erfolgen in den ersten Kriegsjahren und dann bis zum "Unternehmen Barbarossa". Hürter sieht die Erklärung dafür, dass sich die nationalkonservative, militärische Elite schließlich zu Handlangern der NS-Diktatur und ihrer Vernichtungspolitik gemacht hat, in einer Vielzahl von mentalen, sozialen und politischen Voraussetzungen und Verwandlungen. Dazu gehören eine soziale Exklusivität und Statusbewahrung, eine radikalnationalistische, konservative und vom wilhelminischen Imperialismus geprägte politische Gesinnung und Autoritätsgläubigkeit, die aber erst durch die traumatischen Erfahrungen des Ersten Weltkriegs und der Revolution von 1918/19 jene einseitige Zuspitzung erfuhren, die trotz formaler Anerkennung zu einer grundsätzlichen Ablehnung der Weimarer Republik und zur Ausprägung militärisch-politischer Leitbilder führten, die den Weg in die Diktatur ebneten. Sie waren geprägt vom Dogma von Angriff und Bewegung und vom Konzept eines künftigen totalen Kriegs, der nur auf der Grundlage einer geschlossenen Volksgemeinschaft zu führen sei.
Mit den politisch-militärischen Erfolgen Hitlers wurden diese Leitbilder für die Oberbefehlshaber immer selbstverständlicher, wie sich an ihrer Bereitschaft, Hitlers riskanten Weg in den Krieg zu unterstützen, aber auch an der Rhetorik ihrer Tagesbefehle und Verlautbarungen ablesen lässt. Seit dem Polenfeldzug, der in vieler Hinsicht zum Experimentierfeld für den großen Ostkrieg wurde, war die Forderung nach "rücksichtsloser Anwendung jeder Gewalt" das Motto der deutschen Feldzüge. Auch wenn das Quellenmaterial nicht ausreichend ist, um die persönlichen Einstellungen jedes einzelnen Repräsentanten der Heeresgeneralität detaillierter zu untersuchen, so reicht die Erklärungskraft des vorliegenden Materials so weit, dass es beispielhaft die Radikalisierung der Generäle als einen politischen Prozess und damit die stufenweise Transformation einer sozial homogenen, nationalkonservativen Elite zu einem Komplizen nationalsozialistischer Politik begreifbar macht, der so redet und handelt, wie es das Regime vorgibt.
Die Folgen davon werden im Hauptteil, der Untersuchung des Ostfeldzugs in den alles entscheidenden Jahren 1941/42, deutlich. An eine Untersuchung der militärischen, besatzungspolitischen und administrativ-"rechtlichen" Vorbereitungen des Ostkrieges schließen sich Kapitel über die Operationen der Heeresgruppen, über den Umgang mit den gegnerischen Soldaten, den Partisanen und der Zivilbevölkerung an. In einem ausführlichen Kapitel wird das Verhalten der Oberbefehlshaber zum Judenmord in ihren jeweiligen Befehlsbereichen und ihre Mitwirkung an dem Wüten von SS und Polizei untersucht. Dass sie darüber jederzeit informiert waren, zeigen allein die Arbeitsberichte der Einsatzgruppen, die sie abzuzeichnen hatten. Darin wurde seit Juli 1941 in großer Offenheit über die "Liquidierungen von Juden und Kommunisten" buchhalterisch berichtet. Hürters abschließendes Urteil bestätigt auf einer sehr viel breiteren empirischen Grundlage, was in der "Wehrmachtsausstellung" als provozierende und pauschale These formuliert und diskutiert wurde: "Ohne die tatkräftige Mithilfe der Wehrmacht an der ,Front' oder in der ,Etappe' hätte das große Judenmorden in der besetzten Sowjetunion nicht so schnell und so wirkungsvoll durchgeführt werden können." Ihre Verantwortung lag vor allem in der logistischen und administrativen Mitwirkung, aber auch im Verzicht auf ihre oberste Befehlsgewalt.
Die Oberbefehlshaber haben den schrittweisen Übergang von einer selektiven Mordpolitik zum systematischen Völkermord geschehen lassen oder passiv geduldet, weil sie mit den SS-Verfolgern wichtige ideologische Grundmuster teilten oder sich diese angeeignet hatten. Es lässt sich an vielen Beispielen belegen, wie sehr sich im Kriegsverlauf die politisch-moralischen Maßstäbe verschoben haben. Gleichwohl verfügten sie nach wie vor über einen großen Handlungsspielraum. Denn erst ihre Befehle bestimmten die Umsetzung und den Charakter der Maßnahmen. Der Leitsatz des Oberbefehlshabers der 6. Armee, Generaloberst Walter von Reichenau, dass im "Ostraum Maßnahmen getroffen werden" müssten, "die in kultivierten Ländern nicht zur Anwendung kommen", lässt erahnen, was sich hinter der immer wieder auftauchenden Aufforderung zu "rücksichtslosem" Handeln verbarg.
Greift der Verfasser in diesen Kapiteln Themen und Felder von Kriegführung und Besatzungspolitik auf, die vor allem um die NS-Vernichtungspolitik und die Mitwirkung der Wehrmacht kreisen, so liegt ein besonderer und zusätzlicher Schwerpunkt seiner Studie auf dem Bereich der operativen Kriegführung, also auf dem Bereich, der in der Debatte um die Wehrmachtsverbrechen vernachlässigt wurde. Bei dieser thematischen Ausweitung handelt es sich keineswegs um einen bloßen Rückgriff auf ein klassisches Feld der Militärgeschichte, sondern um ein Kapitel, das sich nahtlos in die Gesamtanalyse einfügt. Denn schon bei den Vorbereitungen zum "Unternehmen Barbarossa" delegierten die Oberbefehlshaber die traditionelle Kompetenz für die Sicherung der besetzten Gebiete an die SS und für die wirtschaftliche Nutzung, das heißt Ausbeutung, an den Wirtschaftsstab Ost. Das geschah nach den Erfahrungen des Polenfeldzugs, wo es zu Protesten von Teilen der Generalität gegen das Wüten der Einsatzgruppen gekommen war, um die Homogenität der Generalität nicht weiter zu belasten. Aber auch eine ideologische Anpassung oder Verwandlung lässt sich bei einzelnen Oberbefehlshabern beobachten. War Generaloberst Georg von Küchler noch im Polenfeldzug in einen Konflikt mit der SS und ihren Maßnahmen geraten, so forderte er im "Unternehmen Barbarossa" von seinen Kommandeuren die Unterstützung der SS-Sonderformationen.
Selbst im Bereich der militärisch-operativen Führung gaben die Oberbefehlshaber in einem Akt der Selbstentmündigung ihre Selbständigkeit auf. Diese Erfahrung, so die These Hürters, war ebenso entscheidend für die weitere Anpassung oder institutionelle Transformation der traditionellen Militäreliten wie ihre schrittweise Bereitschaft zur ideologischen Anpassung und Radikalisierung. Obwohl sich der "Führer" intern über die Qualitäten der "Generalstabs-Generäle" gerne abschätzig zu äußern pflegte, konnte und wollte er sich auch weiterhin auf ihre militärisch-fachliche Kompetenz stützen, auch weil er "politisch-ideologisch von ihr nichts zu befürchten hatte".
Hürter beschließt seine informative und richtungweisende Studie, die gelegentlich eine Straffung verdient hätte, mit einer Nach-Geschichte: Ende Juli 1945 hörten die amerikanischen Militärbehörden ein Gespräch der mittlerweile kriegsgefangenen Heerführer Heinz Guderian und Wilhelm Ritter von Leeb über die Vorzüge und Schwächen des nationalsozialistischen Herrschaftssystems ab. Guderian meinte: "Die grundlegenden Prinzipien waren gut." Dem stimmte Leeb mit den Worten zu: "Das ist wahr." Damit sind nicht nur die Tendenzen der späteren Erinnerungspolitik der Wehrmachtsgeneräle erkennbar, die das Urteil über die Wehrmacht für lange Jahre geprägt und verzerrt haben. Es stellt sich auch die Frage, ob angesichts dieser Selbsteinschätzung von zwei Akteuren und angesichts der massiven Belege für die Anpassung und Verwandlung der Heerführer die analytische Trennung zwischen einer konservativen Militärelite und dem NS-System, der auch Hürter folgt, für die Zeit des Krieges - also in einem weit vorangeschrittenen Stadium der politisch-ideologischen Transformation - überhaupt noch aufrechterhalten werden kann. War die Wehrmacht beziehungsweise ihre Führung zu diesem Zeitpunkt nicht längst schon Teil des Nationalsozialismus?
HANS-ULRICH THAMER
Johannes Hürter: Hitlers Heerführer. Die deutschen Oberbefehlshaber im Krieg gegen die Sowjetunion 1941/42. Oldenbourg Verlag, München 2006. 719 S., 49,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Johannes Hürters richtungweisende Studie über Motive und Handlungsweisen der deutschen Oberbefehlshaber im Krieg gegen die Sowjetunion 1941/42
Am 30. März 1941 stellte Hitler in einer mehrstündigen Ansprache vor knapp hundert Wehrmachtsoffizieren seine Einschätzung der weltpolitischen Lage, aber auch die Ziele und Methoden des geplanten Angriffs auf die Sowjetunion vor. Die wenigen Berichte, die uns dazu vorliegen, lassen das Ungeheuerliche des geplanten Krieges erkennen. Von einem "Weltanschauungskampf" gegen den "Bolschewismus" war in der Reichskanzlei die Rede, von der notwendigen "Beseitigung" bolschewistischer Kommissare, vom "Kampf um unser Dasein". Viele der sozialdarwinistischen und antibolschewistischen Formulierungen waren den Generälen nicht neu, doch hier wurde ein Vernichtungskampf nicht nur gegen einen militärischen Gegner, sondern gegen eine ganze Herrschafts- und Gesellschaftsordnung und ihre Funktionsträger als Kriegsziel angekündigt. Zudem deutete sich die völlige Entrechtung und Bekämpfung der Zivilbevölkerung an und zunächst nur indirekt auch der Juden in der Sowjetunion.
Über kritische oder gar empörte Reaktionen der anwesenden Befehlshaber auf diese Pläne, die einen eklatanten Verstoß gegen das bestehende Kriegsvölkerrecht ankündigten, ist nichts bekannt. Auch die Umsetzung der "verbrecherischen Befehle" kann nur als Ausdruck einer passiven Hinnahme beziehungsweise Akzeptanz beschrieben werden. Die Frage nach der Mitwirkung der Wehrmacht ist seit dreißig Jahren Gegenstand historischer Forschung, ohne dass es eine umfassende Erklärung für die Radikalisierung der Einstellungen und des Verhaltens der Wehrmachts- und Heeresgeneralität gibt, ohne dass wir über das Ausmaß der Beteiligung der Wehrmacht an und über die Verantwortlichkeit einzelner militärischer Einheiten genügend Kenntnisse besitzen. Die heftigen öffentlichen Auseinandersetzungen um die Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" haben dieser Frage zusätzliche Aktualität verliehen und die historische Forschung zur intensiveren und differenzierteren Beschäftigung mit der Frage nach der Rolle der Wehrmacht in dem Prozess der Durchsetzung nationalsozialistischer Vernichtungsstrategien veranlasst. Die Studie von Johannes Hürter ist im Rahmen eines Projekts des Instituts für Zeitgeschichte zur "Wehrmacht in der NS-Diktatur" entstanden und bestätigt die bisherige Forschung in ihren Grundaussagen; aber sie bringt darüber hinaus mit ihrem methodischen Ansatz und ihren Interpretationen unser Wissen um Motive und Handlungsweisen der Wehrmachtsgeneralität ein gutes Stück weiter.
Hürter untersucht alle Oberbefehlshaber der drei Heeresgruppen sowie sämtlicher Panzergruppen, die zwischen 1941 und 1942 an der Ostfront zum Einsatz kamen. Auch reicht seine Analyse weit über den eigentlichen Untersuchungszeitraum hinaus. Denn er verfolgt in seiner Gruppenbiographie der 25 Oberbefehlshaber und Kommandeure deren soziale Herkunft, militärische Karriere und Sozialisation vom Kaiserreich über die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges, der Revolution von 1918/19 und der Weimarer Republik bis zur Aufrüstung im "Dritten Reich" und den Erfolgen in den ersten Kriegsjahren und dann bis zum "Unternehmen Barbarossa". Hürter sieht die Erklärung dafür, dass sich die nationalkonservative, militärische Elite schließlich zu Handlangern der NS-Diktatur und ihrer Vernichtungspolitik gemacht hat, in einer Vielzahl von mentalen, sozialen und politischen Voraussetzungen und Verwandlungen. Dazu gehören eine soziale Exklusivität und Statusbewahrung, eine radikalnationalistische, konservative und vom wilhelminischen Imperialismus geprägte politische Gesinnung und Autoritätsgläubigkeit, die aber erst durch die traumatischen Erfahrungen des Ersten Weltkriegs und der Revolution von 1918/19 jene einseitige Zuspitzung erfuhren, die trotz formaler Anerkennung zu einer grundsätzlichen Ablehnung der Weimarer Republik und zur Ausprägung militärisch-politischer Leitbilder führten, die den Weg in die Diktatur ebneten. Sie waren geprägt vom Dogma von Angriff und Bewegung und vom Konzept eines künftigen totalen Kriegs, der nur auf der Grundlage einer geschlossenen Volksgemeinschaft zu führen sei.
Mit den politisch-militärischen Erfolgen Hitlers wurden diese Leitbilder für die Oberbefehlshaber immer selbstverständlicher, wie sich an ihrer Bereitschaft, Hitlers riskanten Weg in den Krieg zu unterstützen, aber auch an der Rhetorik ihrer Tagesbefehle und Verlautbarungen ablesen lässt. Seit dem Polenfeldzug, der in vieler Hinsicht zum Experimentierfeld für den großen Ostkrieg wurde, war die Forderung nach "rücksichtsloser Anwendung jeder Gewalt" das Motto der deutschen Feldzüge. Auch wenn das Quellenmaterial nicht ausreichend ist, um die persönlichen Einstellungen jedes einzelnen Repräsentanten der Heeresgeneralität detaillierter zu untersuchen, so reicht die Erklärungskraft des vorliegenden Materials so weit, dass es beispielhaft die Radikalisierung der Generäle als einen politischen Prozess und damit die stufenweise Transformation einer sozial homogenen, nationalkonservativen Elite zu einem Komplizen nationalsozialistischer Politik begreifbar macht, der so redet und handelt, wie es das Regime vorgibt.
Die Folgen davon werden im Hauptteil, der Untersuchung des Ostfeldzugs in den alles entscheidenden Jahren 1941/42, deutlich. An eine Untersuchung der militärischen, besatzungspolitischen und administrativ-"rechtlichen" Vorbereitungen des Ostkrieges schließen sich Kapitel über die Operationen der Heeresgruppen, über den Umgang mit den gegnerischen Soldaten, den Partisanen und der Zivilbevölkerung an. In einem ausführlichen Kapitel wird das Verhalten der Oberbefehlshaber zum Judenmord in ihren jeweiligen Befehlsbereichen und ihre Mitwirkung an dem Wüten von SS und Polizei untersucht. Dass sie darüber jederzeit informiert waren, zeigen allein die Arbeitsberichte der Einsatzgruppen, die sie abzuzeichnen hatten. Darin wurde seit Juli 1941 in großer Offenheit über die "Liquidierungen von Juden und Kommunisten" buchhalterisch berichtet. Hürters abschließendes Urteil bestätigt auf einer sehr viel breiteren empirischen Grundlage, was in der "Wehrmachtsausstellung" als provozierende und pauschale These formuliert und diskutiert wurde: "Ohne die tatkräftige Mithilfe der Wehrmacht an der ,Front' oder in der ,Etappe' hätte das große Judenmorden in der besetzten Sowjetunion nicht so schnell und so wirkungsvoll durchgeführt werden können." Ihre Verantwortung lag vor allem in der logistischen und administrativen Mitwirkung, aber auch im Verzicht auf ihre oberste Befehlsgewalt.
Die Oberbefehlshaber haben den schrittweisen Übergang von einer selektiven Mordpolitik zum systematischen Völkermord geschehen lassen oder passiv geduldet, weil sie mit den SS-Verfolgern wichtige ideologische Grundmuster teilten oder sich diese angeeignet hatten. Es lässt sich an vielen Beispielen belegen, wie sehr sich im Kriegsverlauf die politisch-moralischen Maßstäbe verschoben haben. Gleichwohl verfügten sie nach wie vor über einen großen Handlungsspielraum. Denn erst ihre Befehle bestimmten die Umsetzung und den Charakter der Maßnahmen. Der Leitsatz des Oberbefehlshabers der 6. Armee, Generaloberst Walter von Reichenau, dass im "Ostraum Maßnahmen getroffen werden" müssten, "die in kultivierten Ländern nicht zur Anwendung kommen", lässt erahnen, was sich hinter der immer wieder auftauchenden Aufforderung zu "rücksichtslosem" Handeln verbarg.
Greift der Verfasser in diesen Kapiteln Themen und Felder von Kriegführung und Besatzungspolitik auf, die vor allem um die NS-Vernichtungspolitik und die Mitwirkung der Wehrmacht kreisen, so liegt ein besonderer und zusätzlicher Schwerpunkt seiner Studie auf dem Bereich der operativen Kriegführung, also auf dem Bereich, der in der Debatte um die Wehrmachtsverbrechen vernachlässigt wurde. Bei dieser thematischen Ausweitung handelt es sich keineswegs um einen bloßen Rückgriff auf ein klassisches Feld der Militärgeschichte, sondern um ein Kapitel, das sich nahtlos in die Gesamtanalyse einfügt. Denn schon bei den Vorbereitungen zum "Unternehmen Barbarossa" delegierten die Oberbefehlshaber die traditionelle Kompetenz für die Sicherung der besetzten Gebiete an die SS und für die wirtschaftliche Nutzung, das heißt Ausbeutung, an den Wirtschaftsstab Ost. Das geschah nach den Erfahrungen des Polenfeldzugs, wo es zu Protesten von Teilen der Generalität gegen das Wüten der Einsatzgruppen gekommen war, um die Homogenität der Generalität nicht weiter zu belasten. Aber auch eine ideologische Anpassung oder Verwandlung lässt sich bei einzelnen Oberbefehlshabern beobachten. War Generaloberst Georg von Küchler noch im Polenfeldzug in einen Konflikt mit der SS und ihren Maßnahmen geraten, so forderte er im "Unternehmen Barbarossa" von seinen Kommandeuren die Unterstützung der SS-Sonderformationen.
Selbst im Bereich der militärisch-operativen Führung gaben die Oberbefehlshaber in einem Akt der Selbstentmündigung ihre Selbständigkeit auf. Diese Erfahrung, so die These Hürters, war ebenso entscheidend für die weitere Anpassung oder institutionelle Transformation der traditionellen Militäreliten wie ihre schrittweise Bereitschaft zur ideologischen Anpassung und Radikalisierung. Obwohl sich der "Führer" intern über die Qualitäten der "Generalstabs-Generäle" gerne abschätzig zu äußern pflegte, konnte und wollte er sich auch weiterhin auf ihre militärisch-fachliche Kompetenz stützen, auch weil er "politisch-ideologisch von ihr nichts zu befürchten hatte".
Hürter beschließt seine informative und richtungweisende Studie, die gelegentlich eine Straffung verdient hätte, mit einer Nach-Geschichte: Ende Juli 1945 hörten die amerikanischen Militärbehörden ein Gespräch der mittlerweile kriegsgefangenen Heerführer Heinz Guderian und Wilhelm Ritter von Leeb über die Vorzüge und Schwächen des nationalsozialistischen Herrschaftssystems ab. Guderian meinte: "Die grundlegenden Prinzipien waren gut." Dem stimmte Leeb mit den Worten zu: "Das ist wahr." Damit sind nicht nur die Tendenzen der späteren Erinnerungspolitik der Wehrmachtsgeneräle erkennbar, die das Urteil über die Wehrmacht für lange Jahre geprägt und verzerrt haben. Es stellt sich auch die Frage, ob angesichts dieser Selbsteinschätzung von zwei Akteuren und angesichts der massiven Belege für die Anpassung und Verwandlung der Heerführer die analytische Trennung zwischen einer konservativen Militärelite und dem NS-System, der auch Hürter folgt, für die Zeit des Krieges - also in einem weit vorangeschrittenen Stadium der politisch-ideologischen Transformation - überhaupt noch aufrechterhalten werden kann. War die Wehrmacht beziehungsweise ihre Führung zu diesem Zeitpunkt nicht längst schon Teil des Nationalsozialismus?
HANS-ULRICH THAMER
Johannes Hürter: Hitlers Heerführer. Die deutschen Oberbefehlshaber im Krieg gegen die Sowjetunion 1941/42. Oldenbourg Verlag, München 2006. 719 S., 49,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Nach Knud von Harbous Einschätzung ist mit dieser umfassenden Studie über "Hitlers Heeresführer" von Johannes Hürter das Forschungsgebiet der Beziehung zwischen Wehrmacht und NS-Regime zum Abschluss gebracht. Der Autor stellt darin 25 Oberbefehlshaber der Wehrmacht, die den Krieg gegen die Sowjetunion lenkten, in einzelnen biografischen Porträts vor und untersucht anschließend deren Kriegsführungs- und Besatzungspraxis, erklärt der Rezensent. Hürter könne überzeugend zeigen, dass sich die Oberbefehlshaber vollständig zu "Komplizen" der mörderischen Vernichtungsstrategie Hitlers machten und ihre Handlungsfreiräume, die der Autor durchaus in den militärischen Entscheidungen der Heeresführer sieht, nicht wahrnahmen, sondern sich zu willigen "Erfüllungsgehilfen" der Vernichtungspolitik machten. Als große Leistung des Verfassers würdigt Harbou die akribische Auswertung der Quellen, mit denen Hürter die konsequente Einbindung der militärischen Führung in das nationalsozialistische System nachweisen kann. Lobend hebt er auch die gute Lesbarkeit des Werkes hervor.
© Perlentaucher Medien GmbH
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