Produktdetails
- Verlag: Europa Verlag
- Überarb. u. aktualis. Neuaufl.
- Seitenzahl: 508
- Abmessung: 220mm
- Gewicht: 756g
- ISBN-13: 9783203800356
- Artikelnr.: 25241214
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.05.1999Grobe Anhaltspunkte
Eine Darstellung der Reichswerke "Hermann Göring"
August Meyer: Hitlers Holding. Die Reichswerke "Hermann Göring". Europa Verlag, München 1999. 509 Seiten, 49,80 Mark.
Als der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder im letzten Jahr die Kapitalmehrheit der Salzgitter AG für das Land Niedersachsen erwarb, blieben die historischen Reminiszenzen weithin unbemerkt. Kaum jemandem fiel auf, daß dieses Unternehmen 61 Jahre zuvor auf Initiative des preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring als staatliches Unternehmen gegründet worden war und nach dem Krieg zunächst als Landeseigentum geführt wurde. Ironischerweise kam die Landesregierung einem Kauf durch die österreichische Vöst-Alpine AG zuvor, die 1938 selbst der expansiven Unternehmenspolitik des Reichswerke-Konzerns zum Opfer gefallen war und in den Reichswerke-Konzern integriert wurde. Das neugegründete Hüttenwerk Salzgitter und die in den sechziger Jahren stillgelegten Salzgitter-Erzgruben bildeten den Kern eines nationalsozialistischen Wirtschaftsimperiums, das sich von seiner Gründung im Jahre 1937 während des Krieges zum größten europäischen Montankonzern und Maschinenbauunternehmen entwickelte.
In seiner systematischen Darstellung über die Entstehung und Entwicklung des nach Hermann Göring benannten Reichswerke-Konzerns beschäftigt sich der Verfasser vor allem mit der Persönlichkeit, der Geschäftspolitik und der politischen Macht des Generaldirektors Paul Pleiger, der ungeachtet des Aktiengesetzes zugleich auch die Funktion des Aufsichtsratsvorsitzenden bekleidete. Pleiger verdankte seinen steilen beruflichen Aufstieg vor allem seiner engen Beziehungen zu Hitlers Wirtschaftsbeauftragtem Wilhelm Keppler und insbesondere zum nationalsozialistischen Vierjahresplankommissar und Multifunktionär Hermann Göring. Göring als der Spiritus rector und Vollstrecker der nationalsozialistischen Autarkiepolitik sah ihn 1937 dazu aus, die Leitung des volkswirtschaftlich und unternehmenspolitisch höchst umstrittenen Reichswerke-Konzerns zu übernehmen.
Doch schon bei der Darstellung der Konzerngründung fallen erste Fehlurteile und analytische Schwächen des Autors auf, der bis zu seiner Pensionierung als Direktor in der Salzgitter AG tätig war. Die vergebliche Kritik des Reichswirtschaftsministers und Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht am Aufbau dieses unrentablen Herzstücks wirtschaftlicher Kriegsvorbereitung wird als "Anti-Keynesianismus" fehlinterpretiert.
In seiner detaillierten Darstellung über den organisatorischen Aufbau des Reichswerke-Konzerns differenziert der Verfasser nicht präzise zwischen den durch Kapitalerwerb eingegliederten Unternehmen in Österreich und dem Protektorat Böhmen und Mähren und jenen Betrieben im Generalgouvernement und in der besetzten Sowjetunion, in denen die Reichswerke AG nur als Treuhandverwalterin tätig war. Die gesamte Darstellung tendiert zu einer Überschätzung Paul Pleigers, der als einer der führenden Mitarbeiter, Opponenten und Konkurrenten des Reichsrüstungsministers Speer dargestellt wird.
Teilweise peinliche Fehldatierungen zentraler Ereignisse und Fehlurteile über die Beschäftigung von KZ-Häftlingen in der Industrie verstärken den unbefriedigenden Eindruck, den dieses Buch hinterläßt. So interpretiert der Verfasser die Beschlüsse der Wannseekonferenz über die Vernichtung der arbeitsfähigen polnischen und russischen Juden durch Zwangsarbeit im Osten fälschlicherweise als eine Entscheidung für den Masseneinsatz jüdischer Zwangsarbeiter in der deutschen Rüstungsindustrie, der erst 1944 einsetzte. Ganz entgegen dem Urteil des Verfassers übte Pleiger (und andere deutsche Industrielle) keinen Einfluß auf den Fortgang der Vernichtungspolitik im Osten aus.
Zu den Stärken des Buchs zählen lediglich der umfangreiche Dokumentenanhang und der historische Ausblick auf die Nachkriegszeit - und die personelle Kontinuität - der Salzgitterwerke. Sein Versuch, neben den direkten Opfern der Zwangsarbeit in den Reichswerken auch die in den KZ ermordeten selektierten arbeitsunfähigen Zwangsarbeiter zu beziffern, ist lobenswert. Angesichts der groben Schätzmethoden und der nur sporadisch überlieferten Zahlen über verstorbene und "verschubte" Zwangsarbeiter können diese Zahlen aber lediglich als grobe Anhaltspunkte gewertet werden.
CHRISTOPHER KOPPER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Darstellung der Reichswerke "Hermann Göring"
August Meyer: Hitlers Holding. Die Reichswerke "Hermann Göring". Europa Verlag, München 1999. 509 Seiten, 49,80 Mark.
Als der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder im letzten Jahr die Kapitalmehrheit der Salzgitter AG für das Land Niedersachsen erwarb, blieben die historischen Reminiszenzen weithin unbemerkt. Kaum jemandem fiel auf, daß dieses Unternehmen 61 Jahre zuvor auf Initiative des preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring als staatliches Unternehmen gegründet worden war und nach dem Krieg zunächst als Landeseigentum geführt wurde. Ironischerweise kam die Landesregierung einem Kauf durch die österreichische Vöst-Alpine AG zuvor, die 1938 selbst der expansiven Unternehmenspolitik des Reichswerke-Konzerns zum Opfer gefallen war und in den Reichswerke-Konzern integriert wurde. Das neugegründete Hüttenwerk Salzgitter und die in den sechziger Jahren stillgelegten Salzgitter-Erzgruben bildeten den Kern eines nationalsozialistischen Wirtschaftsimperiums, das sich von seiner Gründung im Jahre 1937 während des Krieges zum größten europäischen Montankonzern und Maschinenbauunternehmen entwickelte.
In seiner systematischen Darstellung über die Entstehung und Entwicklung des nach Hermann Göring benannten Reichswerke-Konzerns beschäftigt sich der Verfasser vor allem mit der Persönlichkeit, der Geschäftspolitik und der politischen Macht des Generaldirektors Paul Pleiger, der ungeachtet des Aktiengesetzes zugleich auch die Funktion des Aufsichtsratsvorsitzenden bekleidete. Pleiger verdankte seinen steilen beruflichen Aufstieg vor allem seiner engen Beziehungen zu Hitlers Wirtschaftsbeauftragtem Wilhelm Keppler und insbesondere zum nationalsozialistischen Vierjahresplankommissar und Multifunktionär Hermann Göring. Göring als der Spiritus rector und Vollstrecker der nationalsozialistischen Autarkiepolitik sah ihn 1937 dazu aus, die Leitung des volkswirtschaftlich und unternehmenspolitisch höchst umstrittenen Reichswerke-Konzerns zu übernehmen.
Doch schon bei der Darstellung der Konzerngründung fallen erste Fehlurteile und analytische Schwächen des Autors auf, der bis zu seiner Pensionierung als Direktor in der Salzgitter AG tätig war. Die vergebliche Kritik des Reichswirtschaftsministers und Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht am Aufbau dieses unrentablen Herzstücks wirtschaftlicher Kriegsvorbereitung wird als "Anti-Keynesianismus" fehlinterpretiert.
In seiner detaillierten Darstellung über den organisatorischen Aufbau des Reichswerke-Konzerns differenziert der Verfasser nicht präzise zwischen den durch Kapitalerwerb eingegliederten Unternehmen in Österreich und dem Protektorat Böhmen und Mähren und jenen Betrieben im Generalgouvernement und in der besetzten Sowjetunion, in denen die Reichswerke AG nur als Treuhandverwalterin tätig war. Die gesamte Darstellung tendiert zu einer Überschätzung Paul Pleigers, der als einer der führenden Mitarbeiter, Opponenten und Konkurrenten des Reichsrüstungsministers Speer dargestellt wird.
Teilweise peinliche Fehldatierungen zentraler Ereignisse und Fehlurteile über die Beschäftigung von KZ-Häftlingen in der Industrie verstärken den unbefriedigenden Eindruck, den dieses Buch hinterläßt. So interpretiert der Verfasser die Beschlüsse der Wannseekonferenz über die Vernichtung der arbeitsfähigen polnischen und russischen Juden durch Zwangsarbeit im Osten fälschlicherweise als eine Entscheidung für den Masseneinsatz jüdischer Zwangsarbeiter in der deutschen Rüstungsindustrie, der erst 1944 einsetzte. Ganz entgegen dem Urteil des Verfassers übte Pleiger (und andere deutsche Industrielle) keinen Einfluß auf den Fortgang der Vernichtungspolitik im Osten aus.
Zu den Stärken des Buchs zählen lediglich der umfangreiche Dokumentenanhang und der historische Ausblick auf die Nachkriegszeit - und die personelle Kontinuität - der Salzgitterwerke. Sein Versuch, neben den direkten Opfern der Zwangsarbeit in den Reichswerken auch die in den KZ ermordeten selektierten arbeitsunfähigen Zwangsarbeiter zu beziffern, ist lobenswert. Angesichts der groben Schätzmethoden und der nur sporadisch überlieferten Zahlen über verstorbene und "verschubte" Zwangsarbeiter können diese Zahlen aber lediglich als grobe Anhaltspunkte gewertet werden.
CHRISTOPHER KOPPER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main