Von den Differenzen mit den Brüdern Otto und Gregor Strasser und Erst Röhm abgesehen, die in der Literatur ausführlich dargestellt wurden, blieb in der Forschung weitgehend unbekannt, daß sich der Führer der NSDAP in der "Kampfzeit", aber auch nach der Machtübernahme mit einer Vielzahl von Gegnern, Oppositionellen und Reformern aus dem eigenen Lager auseinanderzusetzen hatte. Bräuningers Studie wirft ein bezeichnendes Licht auf die Machtkämpfe innerhalb der NS-Parteiführung, in der Absetzungen von Führungskadern, Parteiausschlußverfahren führender Nationalsozialisten, Auflösungen ganzer Ortsgruppen und Beleidigungsprozesse, die Hitler gegen seine Gegner anstrebte, an der Tagesordnung waren.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2004Gute Nazis?
NATIONALSOZIALISMUS. Der Titel des Buches erweist sich auf den ersten Seiten als Etikettenschwindel. Denn im Gegensatz zu dem, was der Titel verheißt, werden zunächst einige Widersacher oder Gegner Hitlers präsentiert, die dieser Partei nicht angehörten - darunter der bayerische Partikularist Otto Ballerstedt, der Mitbegründer der konkurrierenden Deutsch-Völkischen Freiheitspartei Albrecht von Graefe, der Vorsitzende der Bayerischen Volkspartei Fritz Schäffer und der Kabinettschef des bayerischen Kronprinzen, Joseph Graf von Soden-Fraunhofen. Dann schließen sich kurze Darstellungen des Schicksals mehrerer von Adolf Hitler ausgebooteter Nationalsozialisten an - etwa des SA-Führers Walter Stennes, der Gauleiter Josef Wagner und Alfred Frauenfeld sowie des NS-Studentenbund-Reichsschulungsleiters Ernst Anrich, dessen spätere Rolle im Amt Gegnerforschung des SD freundlich ignoriert und diejenige als Chefideologe der NPD heruntergespielt wird. Nach welchen Kriterien die Fälle ausgewählt sind, bleibt das Geheimnis des Autors. Seitenlange, unkommentierte, an anderer Stelle schon abgedruckte Quellentexte machen reichlich ein Drittel des Umfangs aus. Der Rest ist mit für das Thema unerheblichen biographischen Details und weitschweifigen Analysen gefüllt, die auf angelesenen, vielfach mißverstandenen Erkenntnissen anderer aufbauen, aber keine eigene Auseinandersetzung mit Wesen und Herrschaft des Nationalsozialismus zeigen. Übergreifende Fragestellungen zum Beispiel nach Art, Umfang, Intensität und Echo hitlerkritischer Strömungen in der Partei bleiben ungestellt. Ein bescheidener Anmerkungsapparat und Hinweise auf vermeintliche Forschungslücken suggerieren nicht vorhandene Wissenschaftlichkeit, doch selbst das Prädikat "populärwissenschaftlich" kann man dem Buch nicht zugestehen. Die Erläuterungen im Dokumentenanhang stammen aus fremder Feder und sind nahezu wörtlich abgeschrieben worden, ohne dies zu erwähnen. Auf den ersten Blick strahlt das Ganze den unschuldigen Charme einer Proseminararbeit aus, doch durch die unkritische Übernahme der Darstellungen und Einschätzungen aus den nach dem Krieg entstandenen Autobiographien der jeweiligen "Opfer" Hitlers ist - fraglich, ob ungewollt - eine Apologie eines vermeintlich besseren, aber gescheiterten "Nationalsozialismus ohne Hitler" entstanden: ein Beitrag zur Verklärung, nicht zur Erklärung des Nationalsozialismus. (Werner Bräuninger: Hitlers Kontrahenten in der NSDAP 1921-1945. Herbig Verlag, München 2004. 391 Seiten, 34,90 [Euro].)
KLAUS A. LANKHEIT
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
NATIONALSOZIALISMUS. Der Titel des Buches erweist sich auf den ersten Seiten als Etikettenschwindel. Denn im Gegensatz zu dem, was der Titel verheißt, werden zunächst einige Widersacher oder Gegner Hitlers präsentiert, die dieser Partei nicht angehörten - darunter der bayerische Partikularist Otto Ballerstedt, der Mitbegründer der konkurrierenden Deutsch-Völkischen Freiheitspartei Albrecht von Graefe, der Vorsitzende der Bayerischen Volkspartei Fritz Schäffer und der Kabinettschef des bayerischen Kronprinzen, Joseph Graf von Soden-Fraunhofen. Dann schließen sich kurze Darstellungen des Schicksals mehrerer von Adolf Hitler ausgebooteter Nationalsozialisten an - etwa des SA-Führers Walter Stennes, der Gauleiter Josef Wagner und Alfred Frauenfeld sowie des NS-Studentenbund-Reichsschulungsleiters Ernst Anrich, dessen spätere Rolle im Amt Gegnerforschung des SD freundlich ignoriert und diejenige als Chefideologe der NPD heruntergespielt wird. Nach welchen Kriterien die Fälle ausgewählt sind, bleibt das Geheimnis des Autors. Seitenlange, unkommentierte, an anderer Stelle schon abgedruckte Quellentexte machen reichlich ein Drittel des Umfangs aus. Der Rest ist mit für das Thema unerheblichen biographischen Details und weitschweifigen Analysen gefüllt, die auf angelesenen, vielfach mißverstandenen Erkenntnissen anderer aufbauen, aber keine eigene Auseinandersetzung mit Wesen und Herrschaft des Nationalsozialismus zeigen. Übergreifende Fragestellungen zum Beispiel nach Art, Umfang, Intensität und Echo hitlerkritischer Strömungen in der Partei bleiben ungestellt. Ein bescheidener Anmerkungsapparat und Hinweise auf vermeintliche Forschungslücken suggerieren nicht vorhandene Wissenschaftlichkeit, doch selbst das Prädikat "populärwissenschaftlich" kann man dem Buch nicht zugestehen. Die Erläuterungen im Dokumentenanhang stammen aus fremder Feder und sind nahezu wörtlich abgeschrieben worden, ohne dies zu erwähnen. Auf den ersten Blick strahlt das Ganze den unschuldigen Charme einer Proseminararbeit aus, doch durch die unkritische Übernahme der Darstellungen und Einschätzungen aus den nach dem Krieg entstandenen Autobiographien der jeweiligen "Opfer" Hitlers ist - fraglich, ob ungewollt - eine Apologie eines vermeintlich besseren, aber gescheiterten "Nationalsozialismus ohne Hitler" entstanden: ein Beitrag zur Verklärung, nicht zur Erklärung des Nationalsozialismus. (Werner Bräuninger: Hitlers Kontrahenten in der NSDAP 1921-1945. Herbig Verlag, München 2004. 391 Seiten, 34,90 [Euro].)
KLAUS A. LANKHEIT
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Klaus A. Lankheit hält wenig von diesem Buch, das für ihn auf den ersten Blick den unschuldigen Charme einer Proseminararbeit ausstrahlt und am Ende zur Verklärung eines gescheiterten Nationalsozialismus ohne Hitler missrät, wie er kritisch anmerkt. Schon auf den ersten Seiten erweise sich der Titel als Etikettenschwindel, denn im Gegensatz zu diesem findet Lankheit zunächst Hitlergegner präsentiert, die der NSDAP nicht angehörten. Dann schließen sich den Informationen des Rezensenten zufolge von Hitler ausgebootete Konkurrenten an. Die Auswahlkriterien der Fälle versteht unser Rezensent nicht: Ein Drittel des Buches machten seitenlange, unkommentierte und bereits veröffentlichte Quellentexte aus. Den Rest findet Lankheit mit unerheblichen biografischen Details und weitschweifenden Analysen gefüllt, die auf missverstandenen Analysen anderer aufbauen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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