Produktdetails
  • Verlag: Primus
  • ISBN-13: 9783896780836
  • ISBN-10: 3896780832
  • Artikelnr.: 07318228
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.07.1999

Zwischen Pflicht und Gewissen
Führende Militärs der Wehrmacht

Gerd R. Ueberschär: Hitlers militärische Elite. Band 2. Vom Kriegsbeginn bis zum Weltkriegsende. Primus Verlag, Darmstadt 1998. 326 Seiten, 49,80 Mark.

Mit dem zweiten Band setzt der Herausgeber seinen Versuch fort, anhand von Kurzbiographien ausgewählter Spitzenmilitärs des NS-Staates eine Antwort auf die Frage zu geben, wie die Wehrmacht in verhältnismäßig kurzer Zeit zu einem Instrument Hitlers werden konnte. Dem Untertitel nach ("Vom Kriegsbeginn bis zum Weltkriegsende") müßte dieser Band eigentlich einem Personenkreis vorbehalten sein, der erst im Krieg in die Spitzenstellungen einrückte. Das ist nicht so ganz gelungen. Bei den insgesamt vorgestellten etwa siebzig Generalen und Admiralen stellte sich natürlich zuvor das Problem der Auswahl. Die getroffene Entscheidung, eine optimale Mischung bekannter Persönlichkeiten und solcher, die dem Leser allein schon vom Namen her neu sein dürften, verdient Würdigung.

Gemeinsam dürfte allen hohen Militärs das Trauma der Kapitulation von 1918, die empfundene Demütigung durch Versailles gewesen sein. Von daher hofften sie auf die Befreiung Deutschlands von dieser Schmach und den wirtschaftlichen wie militärischen Wiederaufstieg. Das versprach Hitler - und das hielt er. Aber ihm ging es um mehr. Trotz seiner unbestreitbaren Erfolge kamen unter den Militärs sehr bald Zweifel an diesem Regime auf, die teilweise bis zum Widerstand führten. Sie setzten ein mit dem Röhm-Putsch, dem Kirchenkampf und der Vereidigung auf den Diktator. Bei nicht wenigen eskalierten die Vorbehalte nach der Generalskrise von 1938, dem Kriegsbeginn und schließlich dem Angriff auf die Sowjetunion zur Verschwörung. Diese Veränderung vollzog sich nicht gleichmäßig, sondern schwankend. Viele Militärs waren in ihrer Einstellung zu Hitler hin- und hergerissen. Wer wollte leugnen, daß es dabei auch um Macht und Ansehen, um Beförderungen und Auszeichnungen ging? Das war zu allen Zeiten so und in allen Armeen.

Wie ein roter Faden zieht sich durch das Buch die damals viele Militärs quälende Frage, ob sie sich dem Widerstand anschließen oder versagen sollten, also das Ringen zwischen Pflicht und Gewissen. Wo dann das Gewissen so stark gefordert wurde, daß es über die Pflicht obsiegte, da stellt sich die Frage nach dem Handeln; konkret: nach dem Staatsstreich und dem Tyrannenmord. Dazu konnten sich viele nicht entschließen, weil zwei gewichtige Tatbestände entgegenstanden. Zum einen war da die unbestreitbare Gefolgschaft der Mehrheit des deutschen Volkes gegenüber Hitler. Schwerer noch wog die Forderung der Alliierten nach bedingungsloser Kapitulation. Nach allem, was wir heute über die damalige Lage wissen, darf man getrost sagen, daß mit einigermaßen erträglichen Bedingungen der Alliierten der Krieg etwa zwei Jahre früher hätte beendet werden können.

Neu dürfte für die meisten Leser die aus einigen Biographien zu gewinnende Erkenntnis sein, daß es unter den oppositionellen Militärs auch Überlegungen für eine "Ost-Lösung" gab, also ein Zusammengehen mit den Sowjets. So verweist kein Geringerer als Tresckow in einem dramatischen Gespräch mit einem potentiellen Mitglied des Widerstands, dem General Edgar Röhricht, darauf: "Wenn ein so vorbildlicher Offizier wie Seydlitz, ein Edelmann ohne Fehl und Tadel, sich dazu hergab, müßte es auch für uns möglich sein, dort anzuknüpfen und zu retten, was zu retten ist." Noch eindrucksvoller ist, daß ihm Röhricht darauf entgegnete, er möge doch nicht glauben, "daß es den Feinden da draußen nur um die Beseitigung des Hitler-Regimes geht". Mehr noch hätte für den Leser sicher die bekannte Auseinandersetzung zwischen Tresckow und Schmundt hergegeben, herausragenden Exponenten beider Lager - das der Pflicht und das des Gewissens -, die hier leider nur mit einem Satz erwähnt wird. Kann es überraschen, daß nicht wenige der führenden Militärs die Beseitigung der NS-Herrschaft wollten, nicht aber die Kapitulation (eine bedingungslose schon gar nicht)? Und das war um so weniger möglich, je länger der Krieg andauerte.

Wenn schon mit dieser Problematik die Brücke zur Bundeswehr geschlagen wird, dann hätte der Herausgeber sich nicht mit nur einem Repräsentanten begnügen sollen, dem General Speidel. Immerhin waren aus der Generalität der Wehrmacht einige sogar für die höchsten Positionen der Bundeswehr ausgewählt worden - wie Heuriger, Röttiger, Kammhuber, Ruge und Trettner.

Sowohl im Vorwort wie im zusammenfassenden Beitrag über das "Bild der Wehrmacht-Elite nach 1945" ist mehr als die gebotene Distanz gegenüber dem Soldaten erkennbar, nämlich Abneigung. Warum muß die sich eigentlich bei deutschen Intellektuellen immer auch darin kundtun, daß militärische Begriffe nicht sachgerecht gebraucht werden? So erhält auch der zweite Band einen polemischen Grundzug, der durch die hohe Qualität einiger Beiträge allerdings gemildert wird.

GÜNTER KIESSLING

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