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Götz Aly betrachtet aus einem Blickwinkel, der sie als Gefälligkeitsdiktatur zeigt. Hitler, die Gauleiter, Minister und Staatssekretäre agierten als klassische Stimmungspolitiker. Sie fragten sich täglich, wie sie die Zufriedenheit der deutschen Mehrheitsbevölkerung sichern konnten. Auf der Basis von Geben und Nehmen erkauften sie sich deren Zustimmung oder wenigstens Gleichgültigkeit durch eine Fülle von Steuerprivilegien, mit Millionen Tonnen geraubter Lebensmittel und mit der Umverteilung des "arisierten" Eigentums von verfolgten und ermordeten Juden aus ganz Europa. Den Deutschen ging es…mehr

Produktbeschreibung
Götz Aly betrachtet aus einem Blickwinkel, der sie als Gefälligkeitsdiktatur zeigt. Hitler, die Gauleiter, Minister und Staatssekretäre agierten als klassische Stimmungspolitiker. Sie fragten sich täglich, wie sie die Zufriedenheit der deutschen Mehrheitsbevölkerung sichern konnten. Auf der Basis von Geben und Nehmen erkauften sie sich deren Zustimmung oder wenigstens Gleichgültigkeit durch eine Fülle von Steuerprivilegien, mit Millionen Tonnen geraubter Lebensmittel und mit der Umverteilung des "arisierten" Eigentums von verfolgten und ermordeten Juden aus ganz Europa. Den Deutschen ging es im Zweiten Weltkrieg besser als je zuvor, sie sahen im nationalen Sozialismus die Lebensform der Zukunft - begründet auf Raub, Rassenkrieg und Mord.

Autorenporträt
Aly, GötzGötz Aly ist Historiker und Journalist. Er arbeitete für die »taz«, die »Berliner Zeitung« und als Gastprofessor. Seine Bücher werden in viele Sprachen übersetzt. 2002 erhielt er den Heinrich-Mann-Preis, 2003 den Marion-Samuel-Preis, 2012 den Ludwig-Börne-Preis. Bei S. Fischer erschienen von ihm u.a. 2011 »Warum die Deutschen? Warum die Juden? Gleichheit, Neid und Rassenhass 1800-1933« sowie 2013 »Die Belasteten. 'Euthanasie' 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte«. Im Februar 2017 erschien seine große Studie über die europäische Geschichte von Antisemitismus und Holocaust »Europa gegen die Juden 1880-1945«. Für dieses Buch erhielt er 2018 den Geschwister-Scholl-Preis.Literaturpreise:Heinrich-Mann-Preis für Essayistik der Akademie der Künste Berlin 2002Marion-Samuel-Preis 2003Bundesverdienstkreuz am Bande 2007National Jewish Book Award, USA 2007Ludwig-Börne-Preis 2012Estrongo Nachama Preis für Zivilcourage und Toleranz 2018Geschwister-Scholl-Preis 2018
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.08.2005

Wohin floß das Geld?
Ein Fall offensiver Unkenntnis: Wolfgang Seibels Kritik an "Hitlers Volksstaat" / Von Götz Aly

Mein Buch "Hitlers Volksstaat" beschreibt auf 350 Textseiten, wie der NS-Staat die Völker Europas, Millionen von Zwangsarbeitern und Juden zugunsten der deutschen Mehrheitsbevölkerung ausplünderte. Territorial reicht die Studie von Oslo über Amsterdam bis Tunis, von Rhodos über Bukarest bis Riga, von Bordeaux bis Kirowgrad. Das kann nicht mit gleichmäßig-spezialistischer Intensität geschehen und erfordert kursorische Abschnitte. In der fünften Auflage des Buches wurden acht kleinere Versehen korrigiert. Ich freue mich über weitere Hinweise. Das gilt auch für die Kritik von Wolfgang Seibel. Weit überzogen aber ist es, wenn er sich unter der Überschrift "Rechnungen ohne Belege. Götz Alys scheingenauer Bestseller" (F.A.Z. vom 25. Juli) über einige tatsächliche und vermeintliche Ungenauigkeiten erhebt.

Betrachten wir den ersten Einwand. Walther von Brauchitsch war in der Tat Oberbefehlshaber des Heeres. Er wird an drei Stellen des "Volksstaats" mit seinem richtigen Titel bezeichnet, an einer - unrichtig - als "Oberkommandierender der Wehrmacht", der im Oktober 1940 verlangte, "eine Beschleunigung der Maßnahmen gegen die Juden hier in Frankreich durchzudrücken". Von Brauchitsch trat in der fraglichen Besprechung als Vertreter der Wehrmachtführung auf, so entstand der Lapsus. Seibel macht daraus einen "erstaunlichen Fehler", einen "handwerklichen Schnitzer". Ferner moniert er eine - im Zusammenhang gelesen - ersichtlich vertippte Jahreszahl, die bereits korrigiert ist; ein mißidentifizierter Herr namens "Schmidt" und zwei, drei andere Ungenauigkeiten, die der Kritiker in dankenswerter Weise benennt, werden sich bei nächster Gelegenheit berichtigen lassen. Durchgesehene und ergänzte Auflagen gehören zum Gang der Wissenschaft.

Die anderen Einwände betreffen die historische Perspektive und die Fragestellung. Da Seibel seit längerem aus verwaltungswissenschaftlicher Sicht zur deutschen Rassenpolitik im besetzten Westeuropa arbeitet, rückt er den Abschnitt über die Arisierung in Frankreich in den Mittelpunkt seiner Attacke. Sieht man von kleineren Aufsätzen ab, liegen die Ergebnisse seines im März 2004 abgeschlossenen Projekts "Holocaust und ,Polykratie' in Westeuropa" noch nicht vor. Er kündigte im Dezember 2003 an, "das große Werk" 2004/2005 während eines Aufenthalts am Berliner Wissenschaftskolleg abzuschließen. Es müßte also druckreif sein.

In "Hitlers Volksstaat" analysiere ich die gleichermaßen rassistisch wie sozialstaatlich angelegte, am Gemeinwohl der Deutschen ausgerichtete Umverteilungspolitik des NS-Staates. Dazu gehört der kollektive Nutzen, den die Mehrheitsdeutschen aus der Arisierung jüdischen Eigentums im gesamten besetzten und verbündeten Europa zogen. Es geht mir nicht um jene Vorteile, die sich die nationalen Kollaborateure verschafften und zum Zweck des Wohlverhaltens verschaffen sollten. Auch zielt mein Buch nicht darauf, das Zusammenwirken aller an der Judenpolitik beteiligten deutschen und nichtdeutschen Dienststellen in sämtlichen, analytisch oft bedeutungslosen Verästelungen darzustellen. Vielmehr beschreibe ich, wie die Deutschen ihre Interessen durchsetzten und sich dafür vorhandener Institutionen bemächtigten, nicht wann und mit welchen Absichten diese gegründet wurden.

"Hitlers Volksstaat" zeigt, wie fast überall in Europa die Erlöse aus den unter sogenannte Treuhänderschaft gestellten Vermögen der Juden über die Staatshaushalte der besetzten Länder in die deutsche Kriegskasse flossen. Bislang übersehen hat dieses - erst jetzt auf der Grundlage meines Buches diskutierte - materielle Hauptziel der deutschen Judenpolitik nicht allein Wolfgang Seibel. Das Manko kennzeichnet die Arbeiten ausnahmslos aller von ihm als Gewährsleute benannten Kollegen. Sein soeben erschienener, zusammen mit Gerald D. Feldman herausgegebener Sammelband "Networks of Nazi Persecution" bestätigt das eindrucksvoll.

Hinsichtlich des in mehreren Aufsätzen behandelten Themas "Arisierung" ist das Buch gelinde gesagt angestaubt. Wie in der Produktion akademischer Sammelbände leider nicht selten, enthält es eine Reihe von Aufsätzen, die schon Geschriebenes wiederholen oder bereits publizierte Studien zusammenfassen. Doch wissen die Autoren und die beiden Herausgeber einfach nicht, was Görings Bemerkung vom 12. November 1938, "den Juden aus der Wirtschaft heraus und in das Schuldbuch hineinzubringen", für die Arisierungspolitik in Deutschland bedeutete. Damit war die sofortige Umwandlung in Reichsschuldverschreibungen gemeint. Dieses System wurde später auf fast alle besetzten und verbündeten Staaten übertragen, auch auf Frankreich.

Seibel verkennt das zentrale Ziel des als Arisierung bezeichneten Staatsraubes. Zum Teil mag sich seine Kritik als Offensive eines in seiner Unwissenheit Ertappten erklären. Es ist eben falsch, wenn in dem von ihm mitverantworteten Band behauptet wird, die Aktien der deutschen Juden seien bis 1941 nicht verkauft worden. Tatsächlich wurden sie fortlaufend Stück für Stück, unter sorgfältiger Beachtung der Kursentwicklung bis zum Ende des NS-Staates in den Aktienmarkt eingespeist, hauptsächlich 1939 und 1940. Bis zur Deportation der Juden wurden die Erträge in langfristige Staatsanleihen verwandelt, die Erträge aus später verkauften Werten dann direkt als "allgemeine Verwaltungseinnahmen" in den Staatshaushalt eingestellt. Dasselbe galt für Sparbücher, Lebensversicherungen und für noch offene Forderungen, für zwangsweise verkaufte Liegenschaften und Unternehmen.

Das Reichspropagandaministerium untersagte jeden Bericht über solche Finanztransaktionen. Nach der Deportation der Juden wurden die Staatstitel, die noch auf den Namen des formellen jüdischen Eigentümers lauteten, aus dem Schuldbuch des Deutschen Reiches gestrichen. So entstand Spielraum für neue Kriegsschulden. Auch dieser Akt sollte sich nach dem Willen des Reichsfinanzministers möglichst spurlos vollziehen. Seibels Erkenntnishorizont endet an den Veröffentlichungsverboten, die das NS-Regime verhängte. Jedenfalls verzichtete er bislang darauf, sich mit den einschlägigen, auch von den europäischen Nachkriegsregierungen lange tabuisierten Quellen näher zu befassen.

Warum fragt Marc Olivier Baruch, der in dem von Seibel mitherausgegebenen Band über die Arisierung in Frankreich schreibt, nicht, was mit den Geldwerten geschah, die der französische Staat aus dem systematischen Verkauf des Eigentums der Juden vereinnahmte? Die Einnahmen wurden - nach Abzug einer Verwaltungsgebühr von zehn Prozent - auf individuelle Konten der unter zwangsweise Vermögensverwaltung gestellten Juden einbezahlt. "His or her property was deposited", heißt es da abschließend. Das ist äußerlich richtig, faktisch jedoch falsch und verharmlosend.

Entscheidend bleibt, daß die Guthaben auf diesen Konten sofort in Schatzanweisungen (Bons d'état) verwandelt, also zu hundert Prozent beliehen wurden. Auf diese Weise flossen die Gelder, wie jede andere Zusatzeinnahme des französischen Staates, unmittelbar und vollständig in die exorbitanten Besatzungskostenzahlungen an die Deutschen. Dabei blieb es völlig gleichgültig, wo die Juden im Geltungsbereich des französischen Franc wohnten, ob sie in Algerien, in Vichy-Frankreich oder in der besetzten französischen Zone die Verfügungsgewalt über ihr Eigentum verloren. Die deutsche Kriegskasse und folglich die gesamte, um den entsprechenden Betrag finanziell entlastete deutsche Bevölkerung waren die Nutznießer des Geldertrags. Die beteiligten Franzosen, ebenso eine Reihe von Deutschen profitierten von der Arisierung im Wege der Korruption und von der in Kriegszeiten willkommenen Möglichkeit, ihr Geld in inflationsfeste Sachwerte zu verwandeln.

Die zahlreichen Organigramme in dem Buch von Feldman und Seibel veranschaulichen das Zusammenwirken einiger deutscher und französischer Arisierungsbeteiligter. Doch zeigen sich weder die Herausgeber noch die von ihnen versammelten Autoren in der Lage, die Rolle der Nationalbank, in diesem Fall der Banque de France, und des dort von der Reichsbank eingesetzten Kommissars zu erkennen. Genausowenig erörtern sie die im Zusammenhang mit der Enteignung der französischen Juden wichtigen Funktionen der Reichskreditkasse, der Treuverkehr Deutsche Treuhand AG und der vom Reichsfinanzministerium dirigierten Devisenschutzkommandos.

Deshalb bleiben ihre Texte und Graphiken in erheblichem Ausmaß unterkomplex und als Ausweis eines wissenschaftlichen Unternehmens, das auf die vielschichtigen Interdependenzen des Gesamtgeschehens abhebt, schlicht irreführend. Die Autoren des Sammelbands weichen auf den üblichen Topos des privaten Profitierens aus und auf die für die zentralstaatlichen Enteignungsziele nachrangige Frage, in welchem Ausmaß es deutschen Unternehmen gelungen sei, sich auf Kosten der Juden zu bereichern. Seibel sieht den Wald vor Bäumen nicht. Deshalb ist es ihm unmöglich, den letzten Adressaten der in liquides Geld verwandelten jüdischen Vermögen zu erkennen: Es war die Reichskreditkasse in Paris, die unter der Regie und mit dem Personal der Reichsbank arbeitete. Mit diesem Schlußakt wurden die Vermögenswerte dem außerordentlichen Kriegshaushalt des Deutschen Reiches gutgeschrieben.

Daß es genauso gewesen ist, offenbart bereits der Artikel 1 des französischen Arisierungsgesetzes vom 22. Juli 1941. Wie in den vorangegangenen deutschen Vorschriften heißt es dort, daß der Zwang zum Verkauf der Vermögenswerte nicht für Staatsanleihen und Schuldverschreibungen öffentlich-rechtlicher Gesellschaften gilt, die sich im Besitz der Juden befinden. Darin spiegelt sich - für jeden Kenner der Materie ersichtlich - der Zweck, die anderweitigen Eigentumstitel der Juden ebenfalls in Staatsanleihen umzuwandeln. Genauso verfuhr die deutsche Besatzungsverwaltung mit erheblichen Teilen des Feindvermögens in Frankreich. Aus demselben Grund verfügte sie für ältere, während der Besatzungszeit zur Rückzahlung fällige Anleihen des französischen Staates den Auszahlungsstopp an jüdische und feindliche Gläubiger.

Auf solche Weise entstand seit April 1938 und dann in allen von Deutschland beherrschten Staaten und Regionen Europas ein zusätzliches, finanzwirtschaftlich geleitetes Motiv für die Deportation der Juden, für das unwiderrufliche Verschwinden der Anleihegläubiger und ihrer möglichen Erben. Insoweit passen die Ergebnisse von "Hitlers Volksstaat" gut zu Seibels schon formulierter, an Hans Mommsen anknüpfender Einsicht: Das arbeitsteilige und polykratische Zusammenwirken verschiedener Interessen und Ämter hemmte die Radikalisierung der Judenverfolgung nicht, sondern beflügelte sie. Wie Wolfgang Seibel richtig feststellt, ermöglichten es "selektive Anreize", den Gesamtzusammenhang auszublenden und "moralische durch utilitaristische Erwägungen" zu verdrängen. Wobei die materiellen Vorteile nicht allein dem Verdrängen dienten, sie bildeten einen wichtigen Zweck des Mordes an den europäischen Juden.

Der Autor ist Gastprofessor für interdisziplinäre Holocaust-Geschichte am Fritz-Bauer-Institut der Universität Frankfurt am Main. Sein Buch "Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus" erschien im S. Fischer Verlag.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main KTX: Die nationalsozialistische Schreckensherrschaft als Amoklauf eines Sozialstaats - mit seinem jüngsten Buch macht Götz Aly wieder einmal Zeitgeschichte zeitgerecht. Der Konstanzer Verwaltungswissenschaftler Wolfgang Seibel hat Aly am 25. Juli an dieser Stelle elementare handwerkliche Fehler vorgehalten. Heute macht Aly die Gegenprobe.
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Keinen Zweifel lässt der in Cambridge lehrende Wirtschaftshistoriker J. Adam Tooze daran, dass er Götz Aly für einen faszinierenden Außenseiter der deutschen Geschichtswissenschaft hält, der bisher eindrucksvolle Arbeit geleistet hat. Seine Kritik an diesem neuen Buch fällt deswegen aber nicht weniger scharf aus. Im Grunde sei, das formuliert Tooze ganz unumwunden, die zentrale These, dass sich das Hitler-Regime die Zustimmung durch sozialstaatliche Bequemlichkeiten für die Bürger erkauft habe, einfach falsch. Die Rechnungen, die Aly zu den Enteignungen jüdischen Besitzes, zur Ausbeutung eroberter Länder aufmache, stimmten nicht, deshalb erwiesen sich die "provozierenden" Behauptungen bei genauerem Hinsehen als "vollkommen haltlos". So zeige der Vergleich mit Großbritannien, dass in Deutschland mehr Steuern gezahlt wurden als dort - und die "Sparkasseneinlagen", die von der Inflation "ausgelöscht" wurden, beziehe Aly in seine Bilanz erst gar nicht mit ein. Sehr wohl, so ein weiterer Kritikpunkt, wären die wahren Verhältnisse der zum Thema erschienenen Literatur zu entnehmen gewesen. Die aber werde von Aly "weitgehend ignoriert".

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