Adolf Hitler, so hat Brigitte Hamann nachgewiesen, ist ohne Wien nicht denkbar. Es ist die Erfahrung der habsburgischen Metropole, die das Denken des Diktators zutiefst prägte. Oliver Rathkolb und Johannes Sachslehner legen diesen Meilenstein der Hitler-Biografik nun in völlig überarbeiteter Form vor, lassen die aktuellsten Forschungsergebnisse zu Wort kommen, bringen wichtige Ergänzungen anhand neuer Quellen und zeichnen ein Bild von großer Eindringlichkeit.Bewunderung erfüllte den jungen Mann, als er zum ersten Mal in die »Riesenstadt« Wien kam.Doch rasch wich ihr Zauber der Enttäuschung und dem Hass: Adolf Hitler scheiterte bei der Aufnahmeprüfung für die Akademie, es begann ein zielloses Leben am Rande der Gesellschaft.Die Wiener »Leidensjahre« haben jedoch, wie Hitler später verkündete, das »granitene Fundament« seiner Überzeugungen geschaffen.
Es ist sinnig, dass die Historiker Johannes Sachslehner und Oliver Rathkolb Hamanns Klassiker neu herausgegeben haben. Neue Quellen wurden eingearbeitet, alte, ins Zwielicht geratene, zurückgenommen, fünfzehn Prozent des 500-seitigen Bands neu geschrieben. Reich bebilderte Einschübe greifen interessante Details heraus. Der Standard Die Fragen nach Hitlers Triebkräften, nach seinem Geniewahn und Gerüchten um seine (Homo-)Sexualität, die von seinen Konkurrenten innerhalb der NSDAP gestreut wurden, haben Rathkolb und Sachslehner auf dem aktuellen Stand der Forschung neu bewertet. Hamann wurde in wichtigen Bereichen korrigiert, ohne ihre Leistung als Historikerin und Erzählerin zu schmälern. Falter Sehr gut lesbare Pflichtlektüre für Geschichtsinteressierte! Kronen Zeitung Schon Brigitte Hamann hat begonnen, massiv an diesem Mythos zu kratzen. Sachslehner und Rathkolb haben weitergemacht. Und das auf höchst spannende Art und Weise. Kurier
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.01.1997Aus Männerheimbewohnersicht
Eine Studie über Hitlers prägende Jahre in Wien
Brigitte Hamann: Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators. Piper Verlag, München und Zürich 1996. 652 Seiten, 100 Abbildungen, 59,- DM.
Zwischen 1907 und 1913 lebte der junge Adolf Hitler in Wien. Trotz intensiver Forschungen der Geschichtswissenschaft lagen viele Probleme dieser Jahre bislang noch im dunkeln. Brigitte Hamann hat sie so weit erhellt, wie das möglich zu sein scheint. Jeder noch so vagen Spur, jeder in Frage kommenden Quelle, jeder zu bedenkenden Konjektur ist die österreichische Historikerin nachgegangen. Vorgelegt hat sie eine Biographie des "jungen Gelegenheitsarbeiters" Adolf Hitler, die gleichzeitig eine Kultur- und Sozialgeschichte Wiens für die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg darstellt. Allerdings: "Hitlers Wien ist nicht das künstlerisch-intellektuelle ,Fin de siècle Vienna', also jenes längst zum Klischee erstarrte Wien, das durch Sigmund Freud, Gustav Mahler, Arthur Schnitzler oder Ludwig Wittgenstein repräsentiert wird . . . Hitlers Wien stellt eher ein Gegenbild zu dieser glanzvollen Kunstmetropole dar. Es ist das Wien der ,kleinen' Leute, die der Wiener Moderne voll Unverständnis gegenüberstanden, sie als ,entartet', zuwenig volksverbunden, zu international, zu ,jüdisch', zu freigeistig ablehnten." Dieses Wien "der Zukurzgekommenen, der Männerheimbewohner", nicht selten "Menschen voller Ängste", die "im ,Rassenbabylon' des Vielvölkerstaates dem ,deutschen Edelvolk' anzugehören und eben nicht Slawe oder Jude zu sein" bestrebt waren, umgab die "Lehrjahre eines Diktators".
Bei Karl Lueger, dem populären Wiener Bürgermeister der christlich-sozialen Bewegung, studierte Hitler die Taktik eines Volkstribunen, "der die Massen zu Gefühlsstürmen bewegt, der sich für seine Anhänger . . . aufopfert und ihr Selbstgefühl steigert, indem er eine Minderheit ausgrenzt und dem Hohn preisgibt". Bei Georg Schönerer, dem Begründer der Los-von-Rom-Bewegung, lernte er "das nationale Ziel eines ,Alldeutschland' kennen, das endlich auch die österreichischen Deutschen umfassen sollte". Mehr noch: Das Wien der Vorkriegsjahre machte Hitler mit der Aggressivität der außerparlamentarischen Opposition bekannt, mit dem "Heil"-Gruß und dem Hakenkreuz, mit dem Germanenkult und dem Zuchtgedanken.
Das alles entfaltet die Autorin unter umfassender Heranziehung der verfügbaren Materialien, unter sorgfältiger Auseinandersetzung mit den bisherigen Forschungsergebnissen und mit minutiöser Genauigkeit. Ihre Schlußfolgerung lautet: "Erst in Deutschland ordneten sich all diese Stücke wie auf einem Magnetfeld in eine ,Weltanschauung' auf der Grundlage des Rassenantisemitismus".
Eben dieses zentrale Element seiner Gedankenbildung und Politik aber hat sich noch nicht im Wien dieser Jahre herausgebildet. Hitlers Verhältnis zu den Juden, unter denen er damals nicht wenige Freunde hatte, war noch nicht so, wie er es in seiner Programm- und Propagandaschrift "Mein Kampf" im Hinblick auf seine Wiener Zeit stilisiert hat: "Die entscheidende Frage", so stellt Brigitte Hamann über diesen zentralen Gegenstand der Geschichtswissenschaft fest, "wann der Antisemitismus für Hitler zum Kern-und Angelpunkt wurde, kann aus seiner Linzer und Wiener Zeit nicht beantwortet werden. Diese Entwicklung ist späteren Jahren zuzuordnen. Als Hitler 1919 als Politiker in München in die Öffentlichkeit trat, operierte er jedenfalls bereits mit aggressiven antisemitischen Parolen. So muß dieser große Bruch in die Weltkriegsjahre, vor allem aber in die Umbruchszeit 1918/19, zu verlegen sein."
Diese revolutionäre Zeit der grassierenden Unsicherheit war anfällig für jene scheinbar alles erklärende Parole, die Hitler aus dem Wien der Vorkriegszeit nur allzu vertraut war: "Die Juden sind an allem schuld." Warum allerdings aus dem unkonturierten Motto vieler Verunsicherter das erklärte Ziel eines Besessenen wurde, harrt nach wie vor, wenn sich diese monströse Verwandlung überhaupt deuten läßt, der wissenschaftlichen Erklärung.
Brigitte Hamann hat vieles, was man bislang im großen und ganzen gewußt hat, zu wissenschaftlichen Resultaten erhoben; hat durch intensive Quellenkritik den unterschiedlichen Wert der zur Verfügung stehenden Zeugnisse bestimmt; und hat darüber hinaus das Wien der Vorkriegsjahre aus der Perspektive von unten dargestellt. Denn zwischen dem Wiener Fin de siècle und dem "Künstler" Adolf Hitler lagen in der Tat Welten. Gerade deshalb läßt sich aber aus dieser Untersuchung über die Lehrjahre des Diktators schließen, was sein widersprüchliches Verhältnis zur bürgerlichen Welt ausmachte, warum er diese zu retten versprach und doch zu ruinieren entschlossen war: Was ihn immer wieder bewundernd anzog, stieß er schließlich haßerfüllt von sich, weil es ihn alles in allem nicht zu akzeptieren bereit erschien.
Selbst nach Brigitte Hamanns eingehender Darstellung bleibt freilich manches von jener Ratlosigkeit zurück, die schon die Zeitgenossen befiel, als sie die atemverschlagende Karriere betrachteten, die der Österreicher ausgerechnet in Deutschland machte. Denn aus den Wiener Verhältnissen, so resümiert die Autorin, läßt sich Hitlers Weg "nicht ableiten und schon gar nicht begreifen", war doch das, was er hier hörte und erfuhr, in seiner verschwommenen Mischung aus Metaphorik und Realität sektiererhaft und populär in einem: Allein, "die im Wiener Fin de siècle so belächelten wirren Ideen . . . verbanden sich dreißig Jahre später im krisengeschüttelten Deutschland mit politischer Macht und wurden zur gefährlichen Munition, die Unheil über die Welt brachte". KLAUS HILDEBRAND
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Studie über Hitlers prägende Jahre in Wien
Brigitte Hamann: Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators. Piper Verlag, München und Zürich 1996. 652 Seiten, 100 Abbildungen, 59,- DM.
Zwischen 1907 und 1913 lebte der junge Adolf Hitler in Wien. Trotz intensiver Forschungen der Geschichtswissenschaft lagen viele Probleme dieser Jahre bislang noch im dunkeln. Brigitte Hamann hat sie so weit erhellt, wie das möglich zu sein scheint. Jeder noch so vagen Spur, jeder in Frage kommenden Quelle, jeder zu bedenkenden Konjektur ist die österreichische Historikerin nachgegangen. Vorgelegt hat sie eine Biographie des "jungen Gelegenheitsarbeiters" Adolf Hitler, die gleichzeitig eine Kultur- und Sozialgeschichte Wiens für die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg darstellt. Allerdings: "Hitlers Wien ist nicht das künstlerisch-intellektuelle ,Fin de siècle Vienna', also jenes längst zum Klischee erstarrte Wien, das durch Sigmund Freud, Gustav Mahler, Arthur Schnitzler oder Ludwig Wittgenstein repräsentiert wird . . . Hitlers Wien stellt eher ein Gegenbild zu dieser glanzvollen Kunstmetropole dar. Es ist das Wien der ,kleinen' Leute, die der Wiener Moderne voll Unverständnis gegenüberstanden, sie als ,entartet', zuwenig volksverbunden, zu international, zu ,jüdisch', zu freigeistig ablehnten." Dieses Wien "der Zukurzgekommenen, der Männerheimbewohner", nicht selten "Menschen voller Ängste", die "im ,Rassenbabylon' des Vielvölkerstaates dem ,deutschen Edelvolk' anzugehören und eben nicht Slawe oder Jude zu sein" bestrebt waren, umgab die "Lehrjahre eines Diktators".
Bei Karl Lueger, dem populären Wiener Bürgermeister der christlich-sozialen Bewegung, studierte Hitler die Taktik eines Volkstribunen, "der die Massen zu Gefühlsstürmen bewegt, der sich für seine Anhänger . . . aufopfert und ihr Selbstgefühl steigert, indem er eine Minderheit ausgrenzt und dem Hohn preisgibt". Bei Georg Schönerer, dem Begründer der Los-von-Rom-Bewegung, lernte er "das nationale Ziel eines ,Alldeutschland' kennen, das endlich auch die österreichischen Deutschen umfassen sollte". Mehr noch: Das Wien der Vorkriegsjahre machte Hitler mit der Aggressivität der außerparlamentarischen Opposition bekannt, mit dem "Heil"-Gruß und dem Hakenkreuz, mit dem Germanenkult und dem Zuchtgedanken.
Das alles entfaltet die Autorin unter umfassender Heranziehung der verfügbaren Materialien, unter sorgfältiger Auseinandersetzung mit den bisherigen Forschungsergebnissen und mit minutiöser Genauigkeit. Ihre Schlußfolgerung lautet: "Erst in Deutschland ordneten sich all diese Stücke wie auf einem Magnetfeld in eine ,Weltanschauung' auf der Grundlage des Rassenantisemitismus".
Eben dieses zentrale Element seiner Gedankenbildung und Politik aber hat sich noch nicht im Wien dieser Jahre herausgebildet. Hitlers Verhältnis zu den Juden, unter denen er damals nicht wenige Freunde hatte, war noch nicht so, wie er es in seiner Programm- und Propagandaschrift "Mein Kampf" im Hinblick auf seine Wiener Zeit stilisiert hat: "Die entscheidende Frage", so stellt Brigitte Hamann über diesen zentralen Gegenstand der Geschichtswissenschaft fest, "wann der Antisemitismus für Hitler zum Kern-und Angelpunkt wurde, kann aus seiner Linzer und Wiener Zeit nicht beantwortet werden. Diese Entwicklung ist späteren Jahren zuzuordnen. Als Hitler 1919 als Politiker in München in die Öffentlichkeit trat, operierte er jedenfalls bereits mit aggressiven antisemitischen Parolen. So muß dieser große Bruch in die Weltkriegsjahre, vor allem aber in die Umbruchszeit 1918/19, zu verlegen sein."
Diese revolutionäre Zeit der grassierenden Unsicherheit war anfällig für jene scheinbar alles erklärende Parole, die Hitler aus dem Wien der Vorkriegszeit nur allzu vertraut war: "Die Juden sind an allem schuld." Warum allerdings aus dem unkonturierten Motto vieler Verunsicherter das erklärte Ziel eines Besessenen wurde, harrt nach wie vor, wenn sich diese monströse Verwandlung überhaupt deuten läßt, der wissenschaftlichen Erklärung.
Brigitte Hamann hat vieles, was man bislang im großen und ganzen gewußt hat, zu wissenschaftlichen Resultaten erhoben; hat durch intensive Quellenkritik den unterschiedlichen Wert der zur Verfügung stehenden Zeugnisse bestimmt; und hat darüber hinaus das Wien der Vorkriegsjahre aus der Perspektive von unten dargestellt. Denn zwischen dem Wiener Fin de siècle und dem "Künstler" Adolf Hitler lagen in der Tat Welten. Gerade deshalb läßt sich aber aus dieser Untersuchung über die Lehrjahre des Diktators schließen, was sein widersprüchliches Verhältnis zur bürgerlichen Welt ausmachte, warum er diese zu retten versprach und doch zu ruinieren entschlossen war: Was ihn immer wieder bewundernd anzog, stieß er schließlich haßerfüllt von sich, weil es ihn alles in allem nicht zu akzeptieren bereit erschien.
Selbst nach Brigitte Hamanns eingehender Darstellung bleibt freilich manches von jener Ratlosigkeit zurück, die schon die Zeitgenossen befiel, als sie die atemverschlagende Karriere betrachteten, die der Österreicher ausgerechnet in Deutschland machte. Denn aus den Wiener Verhältnissen, so resümiert die Autorin, läßt sich Hitlers Weg "nicht ableiten und schon gar nicht begreifen", war doch das, was er hier hörte und erfuhr, in seiner verschwommenen Mischung aus Metaphorik und Realität sektiererhaft und populär in einem: Allein, "die im Wiener Fin de siècle so belächelten wirren Ideen . . . verbanden sich dreißig Jahre später im krisengeschüttelten Deutschland mit politischer Macht und wurden zur gefährlichen Munition, die Unheil über die Welt brachte". KLAUS HILDEBRAND
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