14,99 €
inkl. MwSt.

Sofort lieferbar
  • Broschiertes Buch

Mitglieder eines deutschen Fronttheaters, 1942 zu Gast bei einem Polizeibataillon in Polen, äußerten den Wunsch, an einer Massenerschießung von Juden teilnehmen zu dürfen. Die Bitte wurde ihnen gewährt. - Wie konnte es zum Holocaust kommen? Diese Frage wurde oft diskutiert. Doch wer waren die Täter, und wie war es möglich, so viele Deutsche aus allen sozialen Schichten für den Holocaust zu mobilisieren? Was hat sie dazu motiviert, sich an der Massenvernichtung zu beteiligen, auch, wenn die Möglichkeit einer Befehlsverweigerung bestand? Wie sah die Gesellschaft aus, die diese Männer und Frauen…mehr

Produktbeschreibung
Mitglieder eines deutschen Fronttheaters, 1942 zu Gast bei einem Polizeibataillon in Polen, äußerten den Wunsch, an einer Massenerschießung von Juden teilnehmen zu dürfen. Die Bitte wurde ihnen gewährt. - Wie konnte es zum Holocaust kommen? Diese Frage wurde oft diskutiert. Doch wer waren die Täter, und wie war es möglich, so viele Deutsche aus allen sozialen Schichten für den Holocaust zu mobilisieren? Was hat sie dazu motiviert, sich an der Massenvernichtung zu beteiligen, auch, wenn die Möglichkeit einer Befehlsverweigerung bestand? Wie sah die Gesellschaft aus, die diese Männer und Frauen hervorbrachte? Diesen Fragen geht der amerikanische Historiker Goldhagen in seinem heftig und kontrovers diskutierten Buch nach.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
  Daniel Jonah Goldhagen is an Associate of Harvard University's Minda de Gunzburg Center for European Studies.  His doctoral dissertation, which is the basis for the book, was awarded the American Political Science Association's 1994 Gabriel A. Almond Award for the best dissertation in the field of comparative politics.  After publication of this book in Germany, in 1997 Daniel Johan Goldhagen won the highly prestigious Democracy Prize.  He is the author of A Moral Reckoning: The Role of the Catholic Church in the Holocaust and Its Unfulfilled Duty of Repair.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.04.1996

Hitlers Code
Holocaust aus faustischem Streben? Daniel John Goldhagens Remythisierung der Deutschen

Schon werden Pirouetten gedreht und neue Kämpfe ausgerufen, schon geht es darum, wer wen und wie ins Gespräch bringt. Elie Wiesel spricht von "unwiderleglichen Beweisen", und eine deutsche Zeitung wähnt einen neuen Historikerstreit. Aber das Buch, um das es hier geht, liegt bisher nur auf englisch vor, und die Wirkung seiner in drei Monaten erscheinenden deutschen Übersetzung bleibt abzuwarten. Der junge amerikanische Historiker Daniel John Goldhagen hat eine Dissertation mit dem Titel "Hitlers willige Vollstrecker" ("Hitler's willing executioners") geschrieben, die in Amerika zu Bewunderung und zu heftigen Kontroversen geführt hat und nun auch in Deutschland Streit und Bekenntniseifer auslöst. Das liegt nicht an der Komplexität des Buches, sondern vielmehr an der radikalen Einfachheit, mit der der Autor seine Thesen vorträgt.

Goldhagen glaubt, daß es eine tief in der Geschichte verankerte, spezifisch deutsche Form des Antisemitismus gibt, die in ihren Voraussetzungen und Zielen von allen anderen europäischen Antisemitismen abweiche. Ausführlich erörtert er die antisemitischen Strömungen, Programme und Zirkel des neunzehnten Jahrhunderts, um nachzuweisen, daß der "Antisemitismus der Nazis im neunzehnten Jahrhundert längst Gestalt angenommen hatte . . ., alle Schichten und Klassen erfaßte und tief im politischen und kulturellen Leben des Landes verwurzelt" gewesen sei. Bereits im neunzehnten Jahrhundert hätten große Teile der deutschen Gesellschaft die Juden auslöschen wollen, und diese zunächst theoretische Vernichtungsphantasie sei von Anfang an das distinktive Merkmal des deutschen Judenhasses gewesen. Antisemitismus sei der "common sense" bereits des frühen neunzehnten Jahrhunderts gewesen. Der Nationalsozialismus habe sich lediglich eines in der Kultur bereits manifesten Verlangens zu bedienen brauchen. Die These - so einfach wiedergegeben, wie sie in dem Buch erscheint - hat weitreichende Folgen. Der Nationalsozialismus ist nur noch die Wunscherfüllung eines ambivalenten nationalen Selbst. Denn die Deutschen haben nach Auffassung Goldhagens seit mindestens 150 Jahren die Liquidierung des Judentums gewünscht oder zumindest für nötig gehalten.

Mit Bedacht spricht Goldhagen immer von "den Deutschen". Das gibt seinem Buch eine fast pamphlethafte Intensität. Er weigert sich, soziale Gruppen innerhalb der Gesellschaft zu charakterisieren oder auch nur zu identifizieren. Antisemitische Äußerungen werden ihm so zum Ausdruck eines kollektiven, gleichsam nationalen Willens. Allem Anschein nach bricht er mit der Einsicht der modernen Antisemitismusforschung, die den Judenhaß immer auch auf sein jeweiliges soziales, ökonomisches und intellektuelles Milieu zurückführt. Am Horizont dieser Erörterung steht eine Art nachgetragener Geschichtsmetaphysik, wonach den Deutschen der Wunsch, die Juden zu vernichten, allmählich zur Zwangsvorstellung geriet.

Judenhaß auch ohne Juden

Es waren wohl die unmittelbar politischen Konsequenzen dieser These, die das Buch in Amerika weit über die akademische Welt hinaus bekannt gemacht haben. An einer Stelle spricht Goldhagen explizit davon, daß es für eine fundamental antisemitische Gesellschaft irrelevant sei, ob der Antisemitismus fünfzig oder hundert Jahre schweige. Das ist mit Blick auf das achtzehnte Jahrhundert gesagt, läßt aber beunruhigende Fragen an die Gegenwart aufkommen. Wer Goldhagens Argumenten glaubt, muß annehmen, daß die deutsche Gesellschaft gleichsam einem geschichtsnotwendigen Antisemitismus folgt, einem Judenhaß auch ohne Juden.

Im zentralen Teil dieses Werks versucht der Verfasser, seine historisch abgeleitete These zu erhärten. Er analysiert nicht die SS oder Einsatzgruppen, nicht die Schreibtischtäter oder KZ-Wachmannschaften - mit dem durchaus einsichtigen Argument, hierdurch werde der Holocaust gleichsam an Institutionen delegiert und damit moralisch erträglich gemacht. In den Mittelpunkt seiner Recherche treten die Polizei-Bataillone, insbesondere das gründlich erforschte Bataillon 101, die Zivilisten, Industriellen und Beamten im Umkreis der Konzentrationslager und die Wachmannschaften der Todesmärsche, in denen die Ermordung der Juden noch im März 1945 bis buchstäblich zum Kriegsende fortgeführt wurde. Das Ergebnis lautet in allen Fällen, daß es keineswegs nur oder auch nur überwiegend überzeugte Nationalsozialisten waren, welche die Vernichtungsmaschinerie bedienten und zu unvorstellbaren Grausamkeiten fähig waren. Hitlers willige Vollstrecker waren durchschnittliche Deutsche aus allen sozialen Schichten und mit einem durchaus bürgerlichen Repertoire an Moral- und Sittlichkeitsvorstellungen. Der Nationalsozialismus verschaffte ihnen nur die juristische Unantastbarkeit. Die Vernichtungsorgie aber war in ihnen längst kulturell programmiert.

Als eines der sprechendsten Beispiele für seine These von dem inhärenten Mordbetrieb der Deutschen gilt Goldhagen die Ermordung der Juden während der Todesmärsche, die noch erfolgten, nachdem Himmler sie aus taktischen Gründen gegen Kriegsende untersagt hatte. In der Synthese des empirischen Befunds mit seiner Kulturtheorie gelangt der Historiker schließlich zu der Vermutung, daß über eine Million Deutsche aktiv an der Vernichtung der Juden beteiligt gewesen seien oder sie zumindest für notwendig hielten. Alles in allem bildet die Kollektiv-Schuld-These den Kern dieses Buches, und bemerkenswert ist nur, daß Goldhagen sie historisch und soziologisch radikalisiert. Er ergänzt sie um die These vom eminent antisemitischen und vernichtungsbereiten Nationalcharakter der Deutschen.

Das alles ist nicht neu und könnte aus dem Arsenal der Belehrungs- und Selbstbezichtigungsliteratur der frühen fünfziger Jahre stammen. Die einst gängigen Thesen, die von Luther bis Hitler einen direkten Weg nach Auschwitz zogen und den "Hitler in uns" beschworen, gehören hierher ebenso wie die Befürchtung des Schriftstellers Günter Grass, in einem nationalstaatlichen Deutschland sei Auschwitz wieder möglich. Erstaunlich ist die Chuzpe, mit der Goldhagen einen umfangreichen Bestand geisteswissenschaftlicher Literatur allein schon methodologisch ignoriert. Cordon Craig und Simon Schama haben in einer zustimmenden Rezension die "wissenschaftliche Forschungsleistung" des Buches gerühmt und damit offensichtlich die Recherchen gemeint, die der Autor in der Zentralstelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg geführt hat.

Denn seine Thesen über den antisemitischen Affekt der Deutschen basieren keineswegs auf den Quellen, sondern fast ausschließlich auf einigen anerkannten Standard- und Sammelwerken, denen er die Zitate für seine Argumente entlehnt. Aber auch die Lebensläufe und Biographien, die er in Ludwigsburg einsehen konnte, können das hohe Lob nicht rechtfertigen. Die entscheidenden Forschungen zu den Polizei-Bataillonen sind in einem vielbesprochenen und von Goldhagen ausgiebig benutzten Band längst geleistet. So bleiben letztlich nur die eindrücklichen Porträts einiger Täter, die Goldhagen selbständig recherchiert hat und die das Bild auf tierliebende, antisemitische Sadisten freigeben. Sie müssen die Last der These von der Gesamttäterschaft der Deutschen tragen.

Jede Stimme, die den Nachgeborenen eine Ahnung von dem Leid der Opfer gibt, muß dokumentiert und gehört werden. Deshalb ist Goldhagens spärliches Quellenstudium auch dort sinnvoll, wo es nur gespenstische Gedichte der Täter zum Vorschein bringt. Seine Darstellung der Todesmärsche ist erschütternd und vermutlich das eindrucksvollste Kapitel des ganzen Buches. Zuweilen gelingt es ihm, den Schleier zu zerreißen und über den Abstand eines halben Jahrhunderts hinweg das Entsetzen spürbar zu machen.

Aber reicht das für das Lob, hier würde auf wissenschaftlichem Wege bewiesen, daß die Deutschen seit Jahrhunderten den Wunsch und das Ziel hatten, die Juden zu vernichten? Reicht das für die Überzeugung, die Deutschen wären kulturell antisemitisch konditioniert und dazu bereit, noch über den Nationalsozialismus hinaus (nur so ist die Erläuterung des Himmlerschen Rücknahmebefehls zu verstehen) die Juden zu vernichten? Es mag noch verständlich sein, daß in einem Buch über die antisemitische Tiefenkultur der Deutschen die Namen Mendelssohn und Heine nicht fallen. Daß aber bei der Vorgeschichte des Dritten Reichs weder von Lueger noch von Schönerer, nicht von Bismarck und nicht von Rathenau die Rede ist, muß befremden.

Der Debatte um die Emanzipation der Juden widmet der Autor kaum einen Absatz; deren Anwälte tauchen nicht auf. Der Erste Weltkrieg findet nicht statt, eine Soziologie der NSDAP wird nicht einmal gestreift, und der Autor ist der Meinung, Hitler sei von den Deutschen parlamentarisch gewählt worden. Auch andere seiner Thesen über die Geschichte des Nationalsozialismus sind zumindest fragwürdig. So glaubt er, Hitler habe mit der Vernichtung der Juden deshalb bis 1941 gewartet, weil er den deutsch-sowjetischen Pakt nicht gefährden wollte. Das ist, um das mindeste zu sagen, eine eigenwillige Interpretation historischer Tatbestände. Quellen aus der Alltagsgeschichte des Dritten Reichs sind fast nicht vorhanden, wobei doch sie auch etwas über den angeblich antisemitischen Eifer der Bevölkerung aussagen könnten. Die Bedeutung einer Parteimitgliedschaft entgeht dem Autor ganz, weil er offensichtlich nichts über die mehrfachen Unterbrechungen im Aufnahmeverfahren in die NSDAP weiß. Dazu paßt, daß bereits in der Disposition der These ein Dokument offensichtlich falsch interpretiert wird. Kaum noch verwundert die Hartnäckigkeit, mit der der Name eines der bedeutendsten deutschen Historiker des SS-Staates kontinuierlich falsch geschrieben wird.

Vor dem neuen Sonderweg

Irritierend ist vor allem die mechanistische Psychologie, der Goldhagen sich verschrieben hat. In den Quellen des neunzehnten Jahrhunderts sieht er nicht nur Dokumente des Rassenwahns, sondern Handlungsanweisungen für einen sich kollektiv ausprägenden Willen. Oft hat man den Eindruck, hier spräche kein Historiker, sondern ein Informatiker, der historische Prozesse und Dokumente wie Bestandteile einer gigantischen Software liest. Sie gibt mit mathematischer Präzision Befehle, denen sich die Akteure nicht entziehen können. In einem kuriosen Schema der "vorherrschenden Ansichten der Deutschen über Juden, Geisteskranke und Slawen", das dem Anhang des Buches beigefügt ist, bietet er die Grunddaten dieses Programms. Sie bilden nicht nur Hitlers Code, sondern nach Ansicht Goldhagens den der Deutschen.

Es ist also Vorsicht geboten, wenn von Goldhagens Forschungsleistung die Rede ist. Sein Buch beweist nichts. Es exekutiert wie ein Computerprogramm nur eine Reihe von Setzungen und Anweisungen, die ein logisch einwandfreies, aber faktisch fragwürdiges Ergebnis produzieren. Was bleibt, ist die Verwunderung darüber, daß sich im Jahre 1996 Geschichtsschreibung wieder als Anthropologie präsentieren und mit großzügiger Gebärde vier Jahrzehnte Forschungsarbeit ignorieren kann. In den fünfziger Jahren, deren Luft das Buch atmet, hätten "Hitlers willige Vollstrecker" gewiß weniger Aufsehen und weit mehr betretenes Schweigen hervorgerufen. Heute läßt sich der eminent politische Aspekt des Vorgangs nicht übersehen. In mehrfacher Hinsicht betreibt Goldhagen eine Remythisierung des Holocaust. Er führt ihn in die faustischen Tiefen des deutschen Bewußtseins zurück und entzieht ihn damit dem rationalen Zugriff. Glaubt man den Thesen des Buches, kann der Weg der Deutschen ins einundzwanzigste Jahrhundert nur mit Skepsis und Furcht betrachtet werden.

Das alles sind, um es deutlich zu sagen, lediglich Meinungen. Mit Wissenschaft und mit Beweisfähigkeit hat Goldhagens Buch wenig zu tun. Es ist ein merkwürdiges Gegen-Manifest gegen die zivilisatorischen Anstrengungen, denen sich die Deutschen seit 1945 unterworfen haben, und in Haltung und Sprache erinnert es an die Vielzahl psychologischer Berichte, die die Alliierten von März 1945 bis in den Sommer 1947 über das Land anfertigen ließen. Es gibt Anlaß zu jener Art folgenloser Selbstbezichtigung, die in Wahrheit nichts anderes als eine umfassende Form der Selbstbeschwichtigung ist. Statt etwas zu erklären, entläuft es ins Allgemeine, in dem alle Verhältnisse grau und zu Äußerungsformen eines mythischen Selbst werden.

Fraglich, ob Goldhagen an einer wirklichen Forschungsleistung überhaupt interessiert war. Er hat sein Buch wohl vor allen Dingen mit Blick auf ein amerikanisches Publikum geschrieben. Anders lassen sich die Abbreviaturen, Worterklärungen und Schemata nicht erklären. Versteht man recht, was sich hier abspielt, dann geht es darum, die Deutschen für das kommende Jahrhundert wieder auf einen Sonderweg festzulegen. Der amerikanische Leser, der von der deutschen Geschichte der Neuzeit wenig weiß, findet hier die Ethnologie eines nie ganz aus dem Mittelalter entlassenen Volkes, für das der Antisemitismus eine eigene, perverse Form des "pursuit of happiness" war. Dergleichen gehört zu jener Art Thesen, von denen Karl Kraus einmal sagte, man könne ihnen nicht widersprechen, ohne sich dumm zu machen. Goldhagens Buch läßt Fragen offen. Darunter die nach dem intellektuellen Zustand einer Gesellschaft, die solche Thesen für einen gedanklichen Fortschritt hält. FRANK SCHIRRMACHER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr