Das zweigeteilte Berlin im Jahr 1984
„Hochgeboxt“ von Bettina Kerwien ist der mittlerweile 38. Band der Serie „Es geschah in Berlin“, wo beginnend im Jahr 1910 anhand von fiktiven Kriminalfällen die Geschichte der Stadt Berlin dokumentiert wird. Als Verfasser der Reihe agieren verschiedenen
Autor*innen. Fünf Fälle stammen bislang aus Bettina Kerwiens Feder; nach „Tot im Teufelssee“,…mehrDas zweigeteilte Berlin im Jahr 1984
„Hochgeboxt“ von Bettina Kerwien ist der mittlerweile 38. Band der Serie „Es geschah in Berlin“, wo beginnend im Jahr 1910 anhand von fiktiven Kriminalfällen die Geschichte der Stadt Berlin dokumentiert wird. Als Verfasser der Reihe agieren verschiedenen Autor*innen. Fünf Fälle stammen bislang aus Bettina Kerwiens Feder; nach „Tot im Teufelssee“, „Tiergarten-Blues“ und „Agentenfieber“ war dies mein viertes Buch von ihr.
Kurz zum Inhalt:
Bei einer ausgelassenen Feier im Partykeller des ehemaligen Profiboxers Hans-Jürgen „Kid“ Kilinek wird seine Ehefrau Elfriede erschossen. Kommissar Kappe und sein Team stoßen bei den Ermittlungen nicht nur auf Ungereimtheiten …
Das Cover im typischen Stil dieser Reihe, schwarzer Hintergrund, mit den ins Auge stechenden roten Boxhandschuhen, hat ausgezeichneten Wiedererkennungswert und harmoniert optimal mit dem Titel des Buches. Der Krimi erschien 2024. Die Handlung umfasst einen Zeitraum von rund zwei Wochen, vom 23. Juli bis 4. August 1984; die Kapitel sind datiert, pro Tag ein Kapitel.
Als Österreicherin bin ich mit der Geschichte Berlins zwangsläufig nicht sehr vertraut. Gerade deswegen schätze ich die Zeitreise, auf die die Autorin einen mitnimmt. Für mich fühlen sich ihre Geschichten, so auch diese, stets sehr gut recherchiert und authentisch an. Die Atmosphäre im geteilten Berlin ist ausgezeichnet zu spüren, auch die Einschränkungen, von denen die Menschen im Westteil von Berlin ebenfalls betroffen sind. Das wird durch Peter Kappes verwandtschaftliche Beziehungen zur DDR zusätzlich unterstrichen. Der Schreibstil ist flüssig, der gut dosiert eingesetzte Berliner Dialekt trägt zur Lebendigkeit der Szenerie bei.
Wenn auch die vorliegende Geschichte und die darin vorkommenden Personen an und für sich fiktiv sind, so basiert der Krimi dennoch auf Fakten. Als Basis diente der sogenannte Bubi-Scholz-Mord. Scholz erschoss am 22. Juli 1984 im Vollrausch seine Frau Helga. Da ihm kein Tötungsvorsatz nachgewiesen werden konnte, wurde er letztlich wegen fahrlässiger Tötung zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
Dadurch dass das Buch im Präsens geschrieben ist, fühlt man sich mitten im Geschehen, mitten in den Ermittlungen. Peter Kappe und sein Team sind voll gefordert. Was auf den ersten Blick einwandfrei nach Mord aussieht, mit einem eindeutigen Täter, entpuppt sich nach und nach als nebulös. Es steckt mehr dahinter. Im Prominentenmilieu nachzuforschen, erweist sich als mühsam. Dennoch, Kappe, Rosi und Landsberger kommen nicht nur immer mehr Geheimnissen auf die Spur, es tun sich regelrechte Abgründe auf. Die Spannung steigt kontinuierlich. Puzzlesteinchen für Puzzlesteinchen verdichten sich die Informationen bis in einem dramatischen Showdown sich alles klärt, sich alles findet – überraschend und packend.
Zwischengeschaltet ist ein zweiter Handlungsstrang über einen jungen Burschen in der DDR, der verhaftet wird, weil er eingeschmuggelte, verbotene westliche Bücher liest. Man gewinnt einen guten, wenn auch beklemmenden Eindruck, welchen Restriktionen die Menschen damals ausgesetzt waren.
Die Charaktere, sowohl des Ermittlerteams als auch der Verdächtigen, fand ich gut vorstellbar beschrieben. Gut dosiert eingeflochten ist das Privatleben von Kappe und seinem Team: die sich immer mehr festigende Beziehung zwischen Kappe und Rosi, ebenso wie die zwar legale, aber nach wie vor vielfach nicht akzeptierte Homosexualität Landsbergers. Besonders gefiel mir Kappes „Familienzuwachs“, der Schäferhund Rocky.
Seit Generationen sind Mitglieder der Familie Kappe (sowohl im Westen als auch im Osten) im Polizeiapparat tätig. Es ist sicher interessant, diese Entwicklung ab 1910 zu verfolgen. Doch auch wenn man irgendwann quer einsteigt, kommt man problemlos in den jeweiligen Fall hinein. Was den roten Faden anbelangt, gibt es, soweit erforderlich, entsprechende Erklärungen oder Hinweise.
Wiederum hat ein Band dieser Krimireihe mich sehr lebendig und anschaulich in eine Zeitspanne der Stadt Berlin entführt, und Erinnerungen an einen spektakulären Kriminalfall geweckt, den ich seinerzeit nur am Rande wahrgenommen habe. Das Buch war informativ, spannend und unterhaltsam. Gerne empfehle ich es weiter. Ich finde, diese Reihe ist wirklich lesenswert.