Produktdetails
- Aufbau Taschenbücher
- Verlag: Aufbau TB
- Gewicht: 204g
- ISBN-13: 9783746615776
- Artikelnr.: 24691837
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.12.1997Nicht mehr als die Stimme des DDR-Sports
Die Stimme des DDR-Sports ist wieder da. Zu seinem Siebzigsten hat sich Heinz Florian Oertel zurückgemeldet, der vierzig Jahre lang den großen Anteil der kleinen DDR an der Welt des Sports in die Wohnstuben der sozialistischen Republik transportierte. Das begann 1949 mit einem Radiobericht von der brandenburgischen Meisterschaft im Feldhandball der Frauen zwischen Luckenwalde und Spremberg, wie er sich erinnert. Und das hat mit dem Ende der DDR nicht aufgehört, wie die stark besuchten Lesungen des begnadeten Schauspielers zeigen. Von siebzehn Olympischen Spielen hat er berichtet. Die von Calgary 1988 könnten seine letzten gewesen sein. Von Seoul, Albertville, Barcelona und Atlanta jedenfalls erfährt man bei ihm nichts.
Aber das ist nur ein Indiz. Auch der Fall der Mauer kommt bei Oertel nicht vor, obwohl seitdem die Welt, der Sport und sogar sein Leben nicht mehr dasselbe sind. Der Sportreporter schlug sich als Ansager bei Provinzsportfesten durch, und daraus wurde ein Comeback. Oertels Stimme steht im Osten für all die schönen Erinnerungen an Frühling mit Friedensfahrt, Sommer mit Fußball und Winter mit Faustkampf. Ihm laufen Zitate nach wie die Aufforderung an die jungen Väter nach dem Marathon-Olympiasieg von Waldemar Cierpinski: "Nennen Sie Ihre Söhne Waldemar!"
Schreiberisch gelingt Oertel nichts von ähnlichem Erinnerungswert, obwohl Kapitelüberschriften wie eben "Waldemar" und "Täve" und "Rosemarie" das versprechen. Doch Oertel mischt Bewunderung mit Nabelschau, Weltverbesserungsprosa mit Ergebnisberichten und würzt das Ganze mit dem bitteren Lamento von der Herrschaft ignoranter Westler: "Entschuldigung, daß ich geboren bin." Ein rhetorischer Eiertanz bringt gar seine Unfähigkeit zutage, sich mit seiner Rolle im Sport auseinanderzusetzen: Er verabscheue Doping, behauptet Oertel in einem Kapitel, das er offenbar als Pflichtübung versteht. Er zitiert aus einer DDR-Enzyklopädie, nennt das Zitat Heuchelei und behauptet, überall werde weitergedopt. Statt das - was ja vermutlich stimmt - auch nur mit einem Wort zu belegen, erklärt er vehement, Doping sei keine Erfindung der DDR, und kommt umstandslos dazu, Drogenmißbrauch, Alkohol- und Zigarettenkonsum sowie dessen Besteuerung zu beklagen. Statt, was immerhin folgerichtig wäre, Prohibition oder vollständige Freigabe zu fordern, leitet Oertel daraus die Erkenntnis ab, der Sport sei ein "Dopingstümper".
Da helfen Stimme und Einfallsreichtum nicht weiter, nicht Kenntnis von Namen, Bestleistungen und Regeln, nicht Anhänger in Ost und West - was alles Oertel zu eigen ist. Ausgerechnet indem er eine Lebensbilanz ankündigt, belegt Oertel, daß seine Begeisterung, sein Pathos und auch sein Blick nicht über die unmittelbare Vermittlung eines Ereignisses, nicht über die Darstellung des Sportreporters hinausreichen. Das ist bei vielen anderen, die man von der Mattscheibe kennt, ebenso. Bei Oertel aber enttäuscht es, weil man gehofft hatte, er sei mehr als die Stimme des DDR-Sports.
MICHAEL REINSCH
Besprochenes Buch: Heinz Florian Oertel: "Höchste Zeit", Verlag Das Neue Berlin, 240 Seiten, mehr als 40 Fotos, 29,80 Mark.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Stimme des DDR-Sports ist wieder da. Zu seinem Siebzigsten hat sich Heinz Florian Oertel zurückgemeldet, der vierzig Jahre lang den großen Anteil der kleinen DDR an der Welt des Sports in die Wohnstuben der sozialistischen Republik transportierte. Das begann 1949 mit einem Radiobericht von der brandenburgischen Meisterschaft im Feldhandball der Frauen zwischen Luckenwalde und Spremberg, wie er sich erinnert. Und das hat mit dem Ende der DDR nicht aufgehört, wie die stark besuchten Lesungen des begnadeten Schauspielers zeigen. Von siebzehn Olympischen Spielen hat er berichtet. Die von Calgary 1988 könnten seine letzten gewesen sein. Von Seoul, Albertville, Barcelona und Atlanta jedenfalls erfährt man bei ihm nichts.
Aber das ist nur ein Indiz. Auch der Fall der Mauer kommt bei Oertel nicht vor, obwohl seitdem die Welt, der Sport und sogar sein Leben nicht mehr dasselbe sind. Der Sportreporter schlug sich als Ansager bei Provinzsportfesten durch, und daraus wurde ein Comeback. Oertels Stimme steht im Osten für all die schönen Erinnerungen an Frühling mit Friedensfahrt, Sommer mit Fußball und Winter mit Faustkampf. Ihm laufen Zitate nach wie die Aufforderung an die jungen Väter nach dem Marathon-Olympiasieg von Waldemar Cierpinski: "Nennen Sie Ihre Söhne Waldemar!"
Schreiberisch gelingt Oertel nichts von ähnlichem Erinnerungswert, obwohl Kapitelüberschriften wie eben "Waldemar" und "Täve" und "Rosemarie" das versprechen. Doch Oertel mischt Bewunderung mit Nabelschau, Weltverbesserungsprosa mit Ergebnisberichten und würzt das Ganze mit dem bitteren Lamento von der Herrschaft ignoranter Westler: "Entschuldigung, daß ich geboren bin." Ein rhetorischer Eiertanz bringt gar seine Unfähigkeit zutage, sich mit seiner Rolle im Sport auseinanderzusetzen: Er verabscheue Doping, behauptet Oertel in einem Kapitel, das er offenbar als Pflichtübung versteht. Er zitiert aus einer DDR-Enzyklopädie, nennt das Zitat Heuchelei und behauptet, überall werde weitergedopt. Statt das - was ja vermutlich stimmt - auch nur mit einem Wort zu belegen, erklärt er vehement, Doping sei keine Erfindung der DDR, und kommt umstandslos dazu, Drogenmißbrauch, Alkohol- und Zigarettenkonsum sowie dessen Besteuerung zu beklagen. Statt, was immerhin folgerichtig wäre, Prohibition oder vollständige Freigabe zu fordern, leitet Oertel daraus die Erkenntnis ab, der Sport sei ein "Dopingstümper".
Da helfen Stimme und Einfallsreichtum nicht weiter, nicht Kenntnis von Namen, Bestleistungen und Regeln, nicht Anhänger in Ost und West - was alles Oertel zu eigen ist. Ausgerechnet indem er eine Lebensbilanz ankündigt, belegt Oertel, daß seine Begeisterung, sein Pathos und auch sein Blick nicht über die unmittelbare Vermittlung eines Ereignisses, nicht über die Darstellung des Sportreporters hinausreichen. Das ist bei vielen anderen, die man von der Mattscheibe kennt, ebenso. Bei Oertel aber enttäuscht es, weil man gehofft hatte, er sei mehr als die Stimme des DDR-Sports.
MICHAEL REINSCH
Besprochenes Buch: Heinz Florian Oertel: "Höchste Zeit", Verlag Das Neue Berlin, 240 Seiten, mehr als 40 Fotos, 29,80 Mark.
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