Welche Möglichkeiten des sublimen Sprechens gibt es heute? Ausgangspunkt dieser Gedichte ist der für Hölderlin typische hohe Ton. Die Poesie wird jedoch, das Vorgehen historisch-kritischer Ausgaben vortäuschend, immer wieder von Spiel und Theorie zerbrochen und entweder bis zum Hauptsächlichen vorangetrieben, dem autonomen Gedicht, oder als poetische Masse, als Material, weiterverarbeitet und in unendliche Verknüpfbarkeit gebracht. Natürlich nie, ohne die Ironie ihrer inneren Logik außer Acht zu lassen. Lyrik also auch als ein konzeptuelles Unternehmen wie in der Bildenden Kunst. Die Absicht ist jedoch unverkennbar, das Gedicht in seiner abgeschlossenen und bewegenden Form wiederher- und, im übertragenen Sinne, ins Netz (der Bezüge) zu stellen. Hölderlin Reparatur ist ein Buch mit einer Verweisdichte, wie sie seit Ezra Pound vielleicht nicht einmal mehr versucht wurde. Gerhard Falkners letzter Lyrikband, das in Berlin angesiedelte Langgedicht Gegensprechstadt - ground zero, wurde in der Kritik als ein Jahrhundertpoem gerühmt. Mit der Hölderlin Reparatur knüpft er nun wieder an innovative Schreibweisen an, die er in seinem legendär gewordenen Band wemut entwickelt hat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.12.2008Das gigantische Lied der Minne
Wollen Sie diese Verse wirklich löschen? In seinem neuen Lyrikband konfrontiert Gerhard Falkner Hölderlin mit unserer Computersprachwelt
Der "Hölderlin-Mythos", genährt von Selbstsakralisierung des Dichters ("Heilige Gefäße sind die Dichter") und aufgeblüht im Umkreis Stefan Georges, scheint unzerstörbar. Auf das Schmarotzertum der nationalsozialistischen Vaterlandspropaganda antwortete die Nachkriegszeit mit umso innigerer Hölderlin-Verehrung. Für die DDR setzte ein Gedicht wie Johannes R. Bechers "An die Parzen" einen Maßstab, und im Westen berauschten sich die Republikaner der Achtundsechziger-Bewegung an einem von Freund Isaak von Sinclair vermittelten jakobinischen Element im Denken Hölderlins. Weil keiner konsequenter und vollkommener den Dichter zum Thema seiner Dichtung gemacht habe, nannte ihn schon 1937 Martin Heidegger in einem Vortrag den "Dichter der Dichter".
Erstaunlich ist das lyrische Echo von Nachkriegsautoren auf Hölderlins Verse. Hiltrud Gnüg hat 1993 die Gedichte für den Reclam-Band "An Hölderlin" gesammelt. Autoren der DDR und der Bundesrepublik halten sich hier die Waage. Um nur einige der Namen zu nennen: Johannes Bobrowski, Erich Arendt, Wolf Biermann, Karl Mickel, Volker Braun, Heinz Czechowski, Sarah Kirsch oder Paul Celan, Elisabeth Borchers, Peter Rühmkorf, Hans Magnus Enzensberger, Erich Fried, Helga M. Novak, Ursula Krechel und Christoph Meckel. Jetzt müsste auch Gerhard Falkner dort aufgenommen werden.
Falkner, der zuletzt mit seinem Langgedicht (und Berlin-Gedicht) "Gegensprechstadt - ground zero" (2005) die Reihe seiner originellen Lyrikbände fortsetzte, gibt seinem neuen Band den zunächst irreführenden Titel "Hölderlin Reparatur" - als ginge es darum, beschädigte Texte Hölderlins wiederherzustellen. Tatsächlich findet man auf der ersten Seite fünf torso- und rätselhafte Verse nach der "Sattlerschen Ausgabe Bd. 5, Seite 275".
Aber der Band liefert alles andere als die poetische Vorspiegelung einer historisch-kritischen Ausgabe. Gegen Ende kommentiert Falkner seine "Hölderlin Reparatur" so: Sie "bebildert mit ihren Gedichten die Idee des erhabenen Sprechens im Tumult der neuen, fragmentarischen und superkurzen Einsatz- und Bereitschaftssprachen". Also weder Demontage noch Travestie oder Parodie Hölderlinscher Verse - ein ähnlich langer Tross von Parodien wie der, den Schillers "Lied von der Glocke" hinter sich her zog, wäre auch schlechterdings undenkbar! Falkner konfrontiert Hölderlins Lyrik mit Erscheinungen, Erfahrungs- und Sprechweisen einer technisierten Welt und einer von Computern gesteuerten Kommunikation. Bei dieser Konfrontation ein Gefühl der Fremdheit Hölderlinscher Texte festzuhalten und doch den Hölderlinschen Ton weder zu denunzieren noch preiszugeben ist eine große sprachliche Leistung.
Die "Reparatur", das Verfahren der Konfrontation, bleibt bei Hölderlin nicht stehen, sondern greift aus in ein weitgespanntes Netz "intertextueller" Bezüge: zu Texten Goethes, Eichendorffs, Mörikes, Heines, Rilkes, Trakls, Brechts und Jandls, zur Lyrik Sapphos oder zur Minnedichtung. Wenn Falkner die "Hohe Minne" zur gigantischen Minne steigert, ist natürlich Ironie dabei: "Du bist das größte Mädchen / das mir je begegnet ist . . . / wenn ich neben dir liege / sehe ich kein Land / überall wird Abend / sobald du dich über mich beugst / und wenn ich aufblicke / sehen meine Augen / eher die Sterne / als ein Ende von dir". Und dann doch diese poetische Huldigung an die große antike Dichterin der Liebe, in "Eine Bühne für Sappho": "ich sah dich verzaubert / aus der vollendeten Verkörperung / dieser frühesten Morgenstunden / erwachen und Hauptdarstellerin / eines Tageslichts werden / das die Schritte / mit denen du auftrittst / vom ehernen Gesetz / der Schwerkraft / entbindet".
Daneben dann die Rückkehr Falkners zur Experimentierfreude früher Texte mit der Erprobung neuer Sprachlegierungen. Den Schluss des Bandes bilden "Material(schlachten)", Zusammenstöße zwischen Weltansichten der Dichtung und der Wahrnehmung heutiger Wirklichkeit. "Kein Orpheus! Kein Orakel!" und auch nicht Mörikes Traumland "Orplid". Die Entscheidung heißt "VIP Lounge oder Kolchose?". Hölderlins Geliebte trifft auf den Liebhaber von Nabokovs Lolita: "Diotima ist dreizehn als Humbert Humbert kommt." Am Ende des Bandes radieren sich die experimentellen "Materialschlachten" selbst aus mit dem Befehl an den Computer: "Alles löschen".
Was aber die "Hölderlin Reparatur" gerade nicht anstrebt, ist die Auslöschung der literarischen Überlieferung. Zeigt doch der Band, dass Poesietradition und Wahrnehmung der modernen Welt einander nicht ausschließen müssen. Große Dichtung hält dem Zusammenstoß stand. So gelingt der "Hölderlin Reparatur" Falkners eine subtile Art von Bewahrung, indem sie die Fremdheit und doch die Unverlierbarkeit der dichterischen Texte offenbart.
WALTER HINCK
Gerhard Falkner: "Hölderlin Reparatur". Gedichte. Berlin Verlag, Berlin 2008. 110 S., geb., 19,60 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wollen Sie diese Verse wirklich löschen? In seinem neuen Lyrikband konfrontiert Gerhard Falkner Hölderlin mit unserer Computersprachwelt
Der "Hölderlin-Mythos", genährt von Selbstsakralisierung des Dichters ("Heilige Gefäße sind die Dichter") und aufgeblüht im Umkreis Stefan Georges, scheint unzerstörbar. Auf das Schmarotzertum der nationalsozialistischen Vaterlandspropaganda antwortete die Nachkriegszeit mit umso innigerer Hölderlin-Verehrung. Für die DDR setzte ein Gedicht wie Johannes R. Bechers "An die Parzen" einen Maßstab, und im Westen berauschten sich die Republikaner der Achtundsechziger-Bewegung an einem von Freund Isaak von Sinclair vermittelten jakobinischen Element im Denken Hölderlins. Weil keiner konsequenter und vollkommener den Dichter zum Thema seiner Dichtung gemacht habe, nannte ihn schon 1937 Martin Heidegger in einem Vortrag den "Dichter der Dichter".
Erstaunlich ist das lyrische Echo von Nachkriegsautoren auf Hölderlins Verse. Hiltrud Gnüg hat 1993 die Gedichte für den Reclam-Band "An Hölderlin" gesammelt. Autoren der DDR und der Bundesrepublik halten sich hier die Waage. Um nur einige der Namen zu nennen: Johannes Bobrowski, Erich Arendt, Wolf Biermann, Karl Mickel, Volker Braun, Heinz Czechowski, Sarah Kirsch oder Paul Celan, Elisabeth Borchers, Peter Rühmkorf, Hans Magnus Enzensberger, Erich Fried, Helga M. Novak, Ursula Krechel und Christoph Meckel. Jetzt müsste auch Gerhard Falkner dort aufgenommen werden.
Falkner, der zuletzt mit seinem Langgedicht (und Berlin-Gedicht) "Gegensprechstadt - ground zero" (2005) die Reihe seiner originellen Lyrikbände fortsetzte, gibt seinem neuen Band den zunächst irreführenden Titel "Hölderlin Reparatur" - als ginge es darum, beschädigte Texte Hölderlins wiederherzustellen. Tatsächlich findet man auf der ersten Seite fünf torso- und rätselhafte Verse nach der "Sattlerschen Ausgabe Bd. 5, Seite 275".
Aber der Band liefert alles andere als die poetische Vorspiegelung einer historisch-kritischen Ausgabe. Gegen Ende kommentiert Falkner seine "Hölderlin Reparatur" so: Sie "bebildert mit ihren Gedichten die Idee des erhabenen Sprechens im Tumult der neuen, fragmentarischen und superkurzen Einsatz- und Bereitschaftssprachen". Also weder Demontage noch Travestie oder Parodie Hölderlinscher Verse - ein ähnlich langer Tross von Parodien wie der, den Schillers "Lied von der Glocke" hinter sich her zog, wäre auch schlechterdings undenkbar! Falkner konfrontiert Hölderlins Lyrik mit Erscheinungen, Erfahrungs- und Sprechweisen einer technisierten Welt und einer von Computern gesteuerten Kommunikation. Bei dieser Konfrontation ein Gefühl der Fremdheit Hölderlinscher Texte festzuhalten und doch den Hölderlinschen Ton weder zu denunzieren noch preiszugeben ist eine große sprachliche Leistung.
Die "Reparatur", das Verfahren der Konfrontation, bleibt bei Hölderlin nicht stehen, sondern greift aus in ein weitgespanntes Netz "intertextueller" Bezüge: zu Texten Goethes, Eichendorffs, Mörikes, Heines, Rilkes, Trakls, Brechts und Jandls, zur Lyrik Sapphos oder zur Minnedichtung. Wenn Falkner die "Hohe Minne" zur gigantischen Minne steigert, ist natürlich Ironie dabei: "Du bist das größte Mädchen / das mir je begegnet ist . . . / wenn ich neben dir liege / sehe ich kein Land / überall wird Abend / sobald du dich über mich beugst / und wenn ich aufblicke / sehen meine Augen / eher die Sterne / als ein Ende von dir". Und dann doch diese poetische Huldigung an die große antike Dichterin der Liebe, in "Eine Bühne für Sappho": "ich sah dich verzaubert / aus der vollendeten Verkörperung / dieser frühesten Morgenstunden / erwachen und Hauptdarstellerin / eines Tageslichts werden / das die Schritte / mit denen du auftrittst / vom ehernen Gesetz / der Schwerkraft / entbindet".
Daneben dann die Rückkehr Falkners zur Experimentierfreude früher Texte mit der Erprobung neuer Sprachlegierungen. Den Schluss des Bandes bilden "Material(schlachten)", Zusammenstöße zwischen Weltansichten der Dichtung und der Wahrnehmung heutiger Wirklichkeit. "Kein Orpheus! Kein Orakel!" und auch nicht Mörikes Traumland "Orplid". Die Entscheidung heißt "VIP Lounge oder Kolchose?". Hölderlins Geliebte trifft auf den Liebhaber von Nabokovs Lolita: "Diotima ist dreizehn als Humbert Humbert kommt." Am Ende des Bandes radieren sich die experimentellen "Materialschlachten" selbst aus mit dem Befehl an den Computer: "Alles löschen".
Was aber die "Hölderlin Reparatur" gerade nicht anstrebt, ist die Auslöschung der literarischen Überlieferung. Zeigt doch der Band, dass Poesietradition und Wahrnehmung der modernen Welt einander nicht ausschließen müssen. Große Dichtung hält dem Zusammenstoß stand. So gelingt der "Hölderlin Reparatur" Falkners eine subtile Art von Bewahrung, indem sie die Fremdheit und doch die Unverlierbarkeit der dichterischen Texte offenbart.
WALTER HINCK
Gerhard Falkner: "Hölderlin Reparatur". Gedichte. Berlin Verlag, Berlin 2008. 110 S., geb., 19,60 [Euro].
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.02.2009Der Reiz der Sonderzeichen
Gerhard Falkners Gedichtband „Hölderlin Reparatur”
Hüter des heiligen Hölderlin-Grals mögen den Titel „Hölderlin Reparatur” als Sakrileg empfinden: als ob es bei Hölderlin etwas zu reparieren gäbe! Tatsächlich aber handelt Gerhard Falkners Gedichtband nur in zweiter Linie vom Dichter Hölderlin und seinem Werk. In erster Linie interessiert sich Falkner, diesjähriger Träger des Peter-Huchel-Preises, für die Reparatur selbst. Oder wie sonst sollte man das nennen, was Kritische Werkausgaben mit den Werken der Dichter veranstalten?
Ist ein Dichter erst einmal zum Klassiker avanciert und in das Blickfeld universitärer Aufarbeitung geraten, wird bald jede Fassung seiner Gedichte sorgsam ediert und erläuternd kommentiert. In den Handschriften entfallene Buchstaben fügt der fleißige Philologe in eckigen Klammern hinzu, und große Aufmerksamkeit widmet er auch den Kommata - eine wahre Kärrnerarbeit ist das und ein ausgefeiltes Handwerk überdies. Der Herausgeber historisch-kritischer Werkausgaben muss sich mit allerlei Sonderzeichen auskennen, muss ein Virtuose der Klammern, Querstriche und Doppelpunkte sein, und auch mit Zahlen muss er sich auskennen, muss nummerieren, was das Zeug hält, muss ein Netz von Verweisen spinnen etc.
Dass dieses Handwerk Gerhard Falkner fasziniert, macht schon das Motto von „Hölderlin Reparatur” deutlich. Nicht „Hölderlin” steht unter dem Motto, sondern „Sattlersche Ausgabe Band 5/S.275”. Um die Textgestalt geht es Falkner. Den Hieroglyphen der Philologen widmet er die Gedichte der ersten Abteilung des Bandes, dem Versuch, korrumpierte Fassungen zu reparieren, gewinnt er dabei eine eigene poetische Qualität ab: „Die Frage der verlorenen Handschrift/ in der es hieß: / is your past valid für the future? / wer hat die gestellt, die gege, gestellt? / Und die Antwort. / Ohne Ich / bleibt nur/ das Micht?” In den Varianten, die der Philologe anführt, in den abgebrochenen Wörtern, gestrichenen Versen, in Fett- und Kursivdruck und all den anderen graphischen Markierungen (die schnell auch zu rhythmischen Pattern werden können) entdeckt Falkner einen wiederum ganz eigenen Reiz. Als forme das wissenschaftlich Aufgedröselte neuerlich eine „line of beauty”.
Leider ist das Schriftbild von „Hölderlin Reparatur” nur sehr unbequem lesbar und alles andere als schön. Trotz kleinster Type sind die Seiten vollgequetscht bis an den Rand. Dabei müsste dem Thema angemessen das Buch eher sattlersche Dimensionen aufweisen, ein paar Wörter und Zeichen jeweils nur locker über großformatige Seiten verstreut. Tut es aber nicht. Und leider fällt auch, nach diesem Auftakt, im weiteren Verlauf des Bandes die Spannung deutlich ab; viele Gedichte wirken wie Zufallsprodukte, häufig so, als seien sie bloß um der Pointe willen entstanden.
Bei den „47 Sätzen gegen die Unruhe" gegen Ende des Bandes schließlich wird es dann gar lamoryant und brünstig: „Als ich mit dem Schreiben begann, dachte ich immer, ich befände mich unter ,men of letters’, nicht unter Tippsen, Betriebsnudeln und Homepagern.” Und: „Wieso soll ich als Werk /den Namen meines Autors tragen, die Schwellkörper arbeiten doch auch ohne Quellenangabe.” Einer kritischen Ausgabe bedarf so etwas sicher nicht. TOBIAS LEHMKUHL
GERHARD FALKNER: Hölderlin Reparatur. Berlin Verlag, Berlin 2008. 110 Seiten, 19,60 Euro.
Warum soll ich als Werk den Namen meines Autors tragen?
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Gerhard Falkners Gedichtband „Hölderlin Reparatur”
Hüter des heiligen Hölderlin-Grals mögen den Titel „Hölderlin Reparatur” als Sakrileg empfinden: als ob es bei Hölderlin etwas zu reparieren gäbe! Tatsächlich aber handelt Gerhard Falkners Gedichtband nur in zweiter Linie vom Dichter Hölderlin und seinem Werk. In erster Linie interessiert sich Falkner, diesjähriger Träger des Peter-Huchel-Preises, für die Reparatur selbst. Oder wie sonst sollte man das nennen, was Kritische Werkausgaben mit den Werken der Dichter veranstalten?
Ist ein Dichter erst einmal zum Klassiker avanciert und in das Blickfeld universitärer Aufarbeitung geraten, wird bald jede Fassung seiner Gedichte sorgsam ediert und erläuternd kommentiert. In den Handschriften entfallene Buchstaben fügt der fleißige Philologe in eckigen Klammern hinzu, und große Aufmerksamkeit widmet er auch den Kommata - eine wahre Kärrnerarbeit ist das und ein ausgefeiltes Handwerk überdies. Der Herausgeber historisch-kritischer Werkausgaben muss sich mit allerlei Sonderzeichen auskennen, muss ein Virtuose der Klammern, Querstriche und Doppelpunkte sein, und auch mit Zahlen muss er sich auskennen, muss nummerieren, was das Zeug hält, muss ein Netz von Verweisen spinnen etc.
Dass dieses Handwerk Gerhard Falkner fasziniert, macht schon das Motto von „Hölderlin Reparatur” deutlich. Nicht „Hölderlin” steht unter dem Motto, sondern „Sattlersche Ausgabe Band 5/S.275”. Um die Textgestalt geht es Falkner. Den Hieroglyphen der Philologen widmet er die Gedichte der ersten Abteilung des Bandes, dem Versuch, korrumpierte Fassungen zu reparieren, gewinnt er dabei eine eigene poetische Qualität ab: „Die Frage der verlorenen Handschrift/ in der es hieß: / is your past valid für the future? / wer hat die gestellt, die gege, gestellt? / Und die Antwort. / Ohne Ich / bleibt nur/ das Micht?” In den Varianten, die der Philologe anführt, in den abgebrochenen Wörtern, gestrichenen Versen, in Fett- und Kursivdruck und all den anderen graphischen Markierungen (die schnell auch zu rhythmischen Pattern werden können) entdeckt Falkner einen wiederum ganz eigenen Reiz. Als forme das wissenschaftlich Aufgedröselte neuerlich eine „line of beauty”.
Leider ist das Schriftbild von „Hölderlin Reparatur” nur sehr unbequem lesbar und alles andere als schön. Trotz kleinster Type sind die Seiten vollgequetscht bis an den Rand. Dabei müsste dem Thema angemessen das Buch eher sattlersche Dimensionen aufweisen, ein paar Wörter und Zeichen jeweils nur locker über großformatige Seiten verstreut. Tut es aber nicht. Und leider fällt auch, nach diesem Auftakt, im weiteren Verlauf des Bandes die Spannung deutlich ab; viele Gedichte wirken wie Zufallsprodukte, häufig so, als seien sie bloß um der Pointe willen entstanden.
Bei den „47 Sätzen gegen die Unruhe" gegen Ende des Bandes schließlich wird es dann gar lamoryant und brünstig: „Als ich mit dem Schreiben begann, dachte ich immer, ich befände mich unter ,men of letters’, nicht unter Tippsen, Betriebsnudeln und Homepagern.” Und: „Wieso soll ich als Werk /den Namen meines Autors tragen, die Schwellkörper arbeiten doch auch ohne Quellenangabe.” Einer kritischen Ausgabe bedarf so etwas sicher nicht. TOBIAS LEHMKUHL
GERHARD FALKNER: Hölderlin Reparatur. Berlin Verlag, Berlin 2008. 110 Seiten, 19,60 Euro.
Warum soll ich als Werk den Namen meines Autors tragen?
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Tobias Lehmkuhl findet Gerhard Falkners Beschäftigung mit dem Handwerk der Philologen, dem er sich in seinem neuen Gedichtband widmet, durchaus reizvoll. Insbesondere im ersten Teil entdeckt der Lyriker in den "Hieroglyphen", mit denen Philologen ihre kritischen Textausgaben kennzeichnen, eine ganz eigene "poetische Qualität", wie der Rezensent würdigt. Ganz und gar unzufrieden ist er allerdings mit der typografischen Gestaltung des Bandes, die ihm das Lesen erschwert hat und die er schlicht nicht "schön" findet, wie er rügt. Und dann muss Lehmkuhl auch zugeben, dass der Band nach seinem überzeugenden Anfang im weiteren Verlauf an "Spannung" verliert und er den Eindruck gewinnt, dass so manches Gedicht dem Zufall zu verdanken ist oder gar rein auf die Pointe hin geschrieben ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
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