Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.07.2002Jetzt gehören sie einander an
Beatrix Langners Romanbiographie Friedrich Hölderlins
Literaturkritiker haben Peter Härtling die fiktiven Dialoge in seinem Roman "Hölderlin" (1976) verübelt. Nun ist die Erfindung von Gesprächen gerade bei einem seraphischen Dichter wie Hölderlin ein gefährliches Unternehmen - immer droht der Abfall in die Banalität oder der Ausrutscher ins Verstiegene. Grundsätzlich aber liegt der fiktive Dialog im Lizenzrahmen der Romanbiographie. Beatrix Langner hält sich in ihrer Biographie "Hölderlin und Diotima" an Texte Hölderlins, an Briefe, Gedichte oder Zitate aus dem "Hyperion"-Roman und vermeidet den direkten Dialog.
Im übrigen hat sie ihre Gewährsleute in den Autoren kulturgeschichtlicher Darstellungen, in der Hölderlin-Forschung mit der Quadriga der großen B., Friedrich Beißner, Adolf Beck, Wolfgang Binder und Pierre Bertaux, sowie in den Dokumenten zur Lebensgeschichte Suzette Gontards, der Diotima Hölderlins. Der Titel "Hölderlin und Diotima" (statt "Hölderlin und Suzette Gontard") ist Programm. In Beatrix Langners Sicht gehören die Diotima des "Hyperion"-Romans und Suzette, die Frau des Frankfurter Großkaufmanns Gontard, aufs engste zusammen. Manchmal leiht sie Suzette die Diotima-Wörter des Romans.
Hauptgegenstand der Biographie ist Hölderlins biographische Phase vom Beginn seiner Tätigkeit als Hauslehrer (Hofmeister) im Gontardschen Haus (1796) bis zum Tod Suzettes (1802) und dem eklatanten Ausbruch der geistigen Zerrüttung Hölderlins. So wird diese Biographie zur Darstellung einer der großen Liebestragödien unserer Kulturgeschichte.
Von der nurwissenschaftlichen Biographie unterscheidet sich dieses Buch dadurch, daß immer wieder biographisches Material zu kleinen Szenen arrangiert, daß anschaulich erzählt wird. So setzt das Buch mit der Schilderung eines Festes ein, das zum 27. Geburtstag Suzettes im Hause Gontard am Großen Hirschgraben in Frankfurt gegeben wird und bei dem auch der neue Hauslehrer Hölderlin zugegen ist. Ganz versagt sich Beatrix Langner die Überbrückung undokumentierter Zeiträume durch ausgeschmückte Vermutungen.
Die Farbigkeit der Lebensbilder verdankt sich dem Rückgriff auf sozial- und alltagsgeschichtliche Quellen. Wir erfahren etwas über Tafelsitten, Schmuck und Kleidung, über die Kopie neuer französischer Moden, über die Bevölkerungsstruktur Frankfurts, über die Tätigkeiten der Frau des Hauses und die Pflichten des Hauslehrers, über den Berufsalltag des Großkaufmanns und über Währungen. Zu einem Leitmotiv wird die Rastlosigkeit des Geschäftsgeistes in der Messestadt Frankfurt. Die Bedrohungen der Stadt während der Kriege um die Jahrhundertwende oder die Verhältnisse am Hof von Hessen-Homburg, wo der Freund Sinclair später Hölderlin eine Unterkunft und noch später eine Sinekure besorgt, bilden eine bewegte zeitgeschichtliche Folie. Das Republikanertum Hölderlins, dessen wissenschaftlicher Verkünder vor allem Pierre Bertaux war, tritt deutlich hervor, rückt aber nicht in den Mittelpunkt.
Der Blitzschlag in der Liebe Hölderlins und Suzettes ereignet sich, als sie und die Kinder auf der Flucht vor der französischen Armee im Sommer 1796 Zuflucht in Bad Driburg gesucht haben. "Sein Himmel hat wieder eine Mitte", schreibt Beatrix Langner. Und mit Hinweis auf Gedichtverse: "Tempel der Himmlischen, das sind Orte der vollzogenen Liebe, in seiner Sprache." Und etwas später: "Jetzt gehören sie einander an." Genaueres über das Liebesverhältnis gibt Beatrix Langner nicht preis, sie verweigert die Schlüssellochperspektive. Selbst das Gerücht, daß Hölderlin als Hofmeister im Hause von Kalb (1793/94) ein Verhältnis mit der Haushälterin Wilhelmine Marianne Kirms gehabt habe und der Vater ihrer Tochter sei - Härtling hatte das zu wirkungsvollen Liebesszenen genutzt -, wird zurückgewiesen. Mögliche Neugier des Lesers speist die Autorin mit einem theoretischen Diskurs ab, mit Liebestheorien des achtzehnten Jahrhunderts, mit der Liebesauffassung von Platons Diotima, mit dem "platonischen Mythos einer von aller sinnlichen Liebe gereinigten Seelenliebe".
In Frankfurt, im Gontardschen Haus, beginnt das Martyrium der Liebe. "Das sorgfältig errichtete Gebäude aus unschuldigen Lügen und listigen Ausreden, empfindsamen Heimlichkeiten und kalter Selbstbeherrschung" bleibt nicht unentdeckt. Der Ehemann legt die Schlingen der Bewachung aus. Im September 1798 verläßt Hölderlin das Haus. Dann die erfindungsreiche, aber nervenaufreibende Verschwörung der Liebenden in Frankfurt und Homburg, der verstohlene Austausch der Briefe, die entwürdigenden Umstände der kurzen Begegnungen, die den Trennungsschmerz nur verschlimmern. Vermutlich am 7. November 1799 steckt Hölderlin Suzette Briefe und den zweiten Band des "Hyperion" mit der berühmten Widmung "Wem sonst als Dir" zu. "Augenblicke der Unsterblichkeit" hat Beatrix Langner ihr Kapitel überschrieben. Das Sterbliche an Diotima/Suzette fällt am 22. Juni 1802, am zehnten Tag ihrer Krankheit, dem Tod zum Opfer. Als Hölderlin Ende Juli in Stuttgart im Haus eines Freundes auftaucht, erkennt man ihn nicht wieder.
Beatrix Langner schreibt ein sehr lesbares Deutsch. Obwohl von ihm inspiriert, hält sie Distanz zum Ton Hölderlins, dem "Götterton", wie sie sagt. Die Grenzen zwischen Erzähl- und Zitatdiktion verwischen sich nicht. Prätentiöse Sätze wie der folgende sind die Ausnahme: "Hölderlins Krankheit war unheilbar: Ein Bewohner des Himmels und der Erde, der in den Zwischenräumen seiner Existenz verlorenging." Leser mit Spezialwissen mögen es vielleicht hier und da genauer wissen. Etwas mißverständlich ist die Erwähnung von Achim von Arnims und Clemens Brentanos Volksliedersammlung "Des Knaben Wunderhorn" im Zusammenhang mit der Jahreszahl 1804 (der erste Band der Sammlung erschien erst 1805/06).
Aber dies ist ein Buch, bei dem man nicht nach dem Haar in der Suppe suchen sollte. Die traurige Liebesgeschichte ist eingebettet in den historischen Gang der Zeit, immer sichtbar bleibt das Freundschaftsnetz, das den abstürzenden Hölderlin eine Zeitlang auffangen kann (Hegel, Schelling, Sinclair). Dieses Buch wird seine Leser finden.
WALTER HINCK
Beatrix Langner: "Hölderlin und Diotima". Eine Biographie. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2001. 228 S., br., 9,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Beatrix Langners Romanbiographie Friedrich Hölderlins
Literaturkritiker haben Peter Härtling die fiktiven Dialoge in seinem Roman "Hölderlin" (1976) verübelt. Nun ist die Erfindung von Gesprächen gerade bei einem seraphischen Dichter wie Hölderlin ein gefährliches Unternehmen - immer droht der Abfall in die Banalität oder der Ausrutscher ins Verstiegene. Grundsätzlich aber liegt der fiktive Dialog im Lizenzrahmen der Romanbiographie. Beatrix Langner hält sich in ihrer Biographie "Hölderlin und Diotima" an Texte Hölderlins, an Briefe, Gedichte oder Zitate aus dem "Hyperion"-Roman und vermeidet den direkten Dialog.
Im übrigen hat sie ihre Gewährsleute in den Autoren kulturgeschichtlicher Darstellungen, in der Hölderlin-Forschung mit der Quadriga der großen B., Friedrich Beißner, Adolf Beck, Wolfgang Binder und Pierre Bertaux, sowie in den Dokumenten zur Lebensgeschichte Suzette Gontards, der Diotima Hölderlins. Der Titel "Hölderlin und Diotima" (statt "Hölderlin und Suzette Gontard") ist Programm. In Beatrix Langners Sicht gehören die Diotima des "Hyperion"-Romans und Suzette, die Frau des Frankfurter Großkaufmanns Gontard, aufs engste zusammen. Manchmal leiht sie Suzette die Diotima-Wörter des Romans.
Hauptgegenstand der Biographie ist Hölderlins biographische Phase vom Beginn seiner Tätigkeit als Hauslehrer (Hofmeister) im Gontardschen Haus (1796) bis zum Tod Suzettes (1802) und dem eklatanten Ausbruch der geistigen Zerrüttung Hölderlins. So wird diese Biographie zur Darstellung einer der großen Liebestragödien unserer Kulturgeschichte.
Von der nurwissenschaftlichen Biographie unterscheidet sich dieses Buch dadurch, daß immer wieder biographisches Material zu kleinen Szenen arrangiert, daß anschaulich erzählt wird. So setzt das Buch mit der Schilderung eines Festes ein, das zum 27. Geburtstag Suzettes im Hause Gontard am Großen Hirschgraben in Frankfurt gegeben wird und bei dem auch der neue Hauslehrer Hölderlin zugegen ist. Ganz versagt sich Beatrix Langner die Überbrückung undokumentierter Zeiträume durch ausgeschmückte Vermutungen.
Die Farbigkeit der Lebensbilder verdankt sich dem Rückgriff auf sozial- und alltagsgeschichtliche Quellen. Wir erfahren etwas über Tafelsitten, Schmuck und Kleidung, über die Kopie neuer französischer Moden, über die Bevölkerungsstruktur Frankfurts, über die Tätigkeiten der Frau des Hauses und die Pflichten des Hauslehrers, über den Berufsalltag des Großkaufmanns und über Währungen. Zu einem Leitmotiv wird die Rastlosigkeit des Geschäftsgeistes in der Messestadt Frankfurt. Die Bedrohungen der Stadt während der Kriege um die Jahrhundertwende oder die Verhältnisse am Hof von Hessen-Homburg, wo der Freund Sinclair später Hölderlin eine Unterkunft und noch später eine Sinekure besorgt, bilden eine bewegte zeitgeschichtliche Folie. Das Republikanertum Hölderlins, dessen wissenschaftlicher Verkünder vor allem Pierre Bertaux war, tritt deutlich hervor, rückt aber nicht in den Mittelpunkt.
Der Blitzschlag in der Liebe Hölderlins und Suzettes ereignet sich, als sie und die Kinder auf der Flucht vor der französischen Armee im Sommer 1796 Zuflucht in Bad Driburg gesucht haben. "Sein Himmel hat wieder eine Mitte", schreibt Beatrix Langner. Und mit Hinweis auf Gedichtverse: "Tempel der Himmlischen, das sind Orte der vollzogenen Liebe, in seiner Sprache." Und etwas später: "Jetzt gehören sie einander an." Genaueres über das Liebesverhältnis gibt Beatrix Langner nicht preis, sie verweigert die Schlüssellochperspektive. Selbst das Gerücht, daß Hölderlin als Hofmeister im Hause von Kalb (1793/94) ein Verhältnis mit der Haushälterin Wilhelmine Marianne Kirms gehabt habe und der Vater ihrer Tochter sei - Härtling hatte das zu wirkungsvollen Liebesszenen genutzt -, wird zurückgewiesen. Mögliche Neugier des Lesers speist die Autorin mit einem theoretischen Diskurs ab, mit Liebestheorien des achtzehnten Jahrhunderts, mit der Liebesauffassung von Platons Diotima, mit dem "platonischen Mythos einer von aller sinnlichen Liebe gereinigten Seelenliebe".
In Frankfurt, im Gontardschen Haus, beginnt das Martyrium der Liebe. "Das sorgfältig errichtete Gebäude aus unschuldigen Lügen und listigen Ausreden, empfindsamen Heimlichkeiten und kalter Selbstbeherrschung" bleibt nicht unentdeckt. Der Ehemann legt die Schlingen der Bewachung aus. Im September 1798 verläßt Hölderlin das Haus. Dann die erfindungsreiche, aber nervenaufreibende Verschwörung der Liebenden in Frankfurt und Homburg, der verstohlene Austausch der Briefe, die entwürdigenden Umstände der kurzen Begegnungen, die den Trennungsschmerz nur verschlimmern. Vermutlich am 7. November 1799 steckt Hölderlin Suzette Briefe und den zweiten Band des "Hyperion" mit der berühmten Widmung "Wem sonst als Dir" zu. "Augenblicke der Unsterblichkeit" hat Beatrix Langner ihr Kapitel überschrieben. Das Sterbliche an Diotima/Suzette fällt am 22. Juni 1802, am zehnten Tag ihrer Krankheit, dem Tod zum Opfer. Als Hölderlin Ende Juli in Stuttgart im Haus eines Freundes auftaucht, erkennt man ihn nicht wieder.
Beatrix Langner schreibt ein sehr lesbares Deutsch. Obwohl von ihm inspiriert, hält sie Distanz zum Ton Hölderlins, dem "Götterton", wie sie sagt. Die Grenzen zwischen Erzähl- und Zitatdiktion verwischen sich nicht. Prätentiöse Sätze wie der folgende sind die Ausnahme: "Hölderlins Krankheit war unheilbar: Ein Bewohner des Himmels und der Erde, der in den Zwischenräumen seiner Existenz verlorenging." Leser mit Spezialwissen mögen es vielleicht hier und da genauer wissen. Etwas mißverständlich ist die Erwähnung von Achim von Arnims und Clemens Brentanos Volksliedersammlung "Des Knaben Wunderhorn" im Zusammenhang mit der Jahreszahl 1804 (der erste Band der Sammlung erschien erst 1805/06).
Aber dies ist ein Buch, bei dem man nicht nach dem Haar in der Suppe suchen sollte. Die traurige Liebesgeschichte ist eingebettet in den historischen Gang der Zeit, immer sichtbar bleibt das Freundschaftsnetz, das den abstürzenden Hölderlin eine Zeitlang auffangen kann (Hegel, Schelling, Sinclair). Dieses Buch wird seine Leser finden.
WALTER HINCK
Beatrix Langner: "Hölderlin und Diotima". Eine Biographie. Insel Verlag, Frankfurt am Main 2001. 228 S., br., 9,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Großes Lob für Beatrix Langner: "Dieses Buch wird seine Leser finden", schreibt Walter Hinck, denn mit der Biografie "Hölderlin und Diotima" sei Langner die Darstellung einer "der großen Liebestragödien unserer Kulturgeschichte" gelungen. Wobei Diotima eigentlich Suzette Gontard heiße und die Frau des Frankfurter Großkaufmanns war, in dessen Haus Hölderlin als Hofmeister arbeitete. Die Autorin erzähle diese Phase in Hölderlins Leben anschaulich und vermeide jegliche Schlüssellochperspektive, ihre Lebensbilder seien dank der Rückgriffe auf sozial- und alltagsgeschichtliche Quellen sehr farbig geraten, und sogar ihr Deutsch "lesbar". Und so kann Hinck außer einer (!) falschen Jahreszahl in dem Buch nur Gutes finden, und meint, dass man anderes gar nicht erst suchen sollte. Man gewinnt den Eindruck, dass er selbst dies - wie unromantisch! - durchaus gründlich getan hat. Aber eben erfolglos.
© Perlentaucher Medien GmbH
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