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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.11.2016Im Putzwahn
Edmondo De Amicis’ Blick auf Holland
Wie gut, dass dieser Mann nicht bei der Armee geblieben ist. Dass sie ihn da nicht mehr haben wollten, woraufhin die Tageszeitung La Nazione Edmondo De Amicis einen Posten als Kriegsberichterstatter offeriert hat. Fortan schrieb der Italiener über die Italienischen Unabhängigkeitskriege, was ihn als Reiseautor noch nicht qualifiziert. Aber rumkommen ist ein Anfang.
Edmondo De Amicis, 1846 geboren, hat einiges von der Welt gesehen, die ihm Ende des 19. Jahrhunderts zugänglich war. Seine Beschreibungen von Marokko und Istanbul hat der Corso-Verlag bereits von Annette Kopetzki ins Deutsche übersetzen lassen. Ebenso den Band „Auf dem Meer“, der schon zeigt, was den Schriftsteller De Amicis auszeichnet: Er kommt Menschen nahe. Auf dem Meer bangten damals wie heute Emigranten um ihre Zukunft. De Amicis hat die Auswanderer seiner Zeit von Genua nach Montevideo, der Hauptstadt von Uruguay, begleitet.
Aber was, um Himmels Willen, hat ihn getrieben, nach Holland zu reisen? In dieses Land, bei dem man nicht sagen könne, ob es „eher zum Festland als zum Meer gehört“ und in dem die Menschen einem Putzwahn verfallen zu sein scheinen, was er in aller Ausführlichkeit und mit Genuss beschreibt. „Wer zum ersten Mal eine Karte von Holland sieht, wundert sich, dass es ein solches Land überhaupt geben kann … Hier scheinen nur Biber und Robben leben zu können.“ Aber wahrscheinlich haben gerade die Wildheit der Natur und der Wille der Bewohner, diese zu erobern und gegen allen Unbill und Schmutz zu verteidigen, sein Interesse geweckt.
Edmondo De Amicis arbeitet sich durch Städte und Dörfer, er bereist Zeeland, Rotterdam, Delft, Den Haag, Leiden, Haarlem, Amsterdam, Utrecht, Broek, Zaadam, Alkmaar, Den Helder, Die Zuiderzee, Friesland, Groningen und Arnheim. Und hätte er damals nur Wie-komm-ich-durchs-Land-Literatur geschrieben und einen Was-soll-ich-dabei-anschauen-Ratgeber, kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, das Werk heute zu veröffentlichen. Doch De Amicis ist ein so aufmerksamer Betrachter der Menschen und ihrer Lebensgewohnheiten, dass man durch die Lektüre seiner Berichte heute noch etwas über das Land lernt. Und er kann so amüsant erzählen, dass man das mit kolorierten Postkarten auch noch schön gestaltete Buch nicht aus der Hand legen mag – selbst wenn man kein eingefleischter Holland-Fan ist.
De Amicis reist mit offenen Augen und offenem Herzen. Manchmal lästert er: „Die Frauen trugen einen Strohhut in Form eines abgeschnittenen Kegels (…) Obwohl ich mich bemühte, alles zu bewundern, war es mir unmöglich, diese Art Bekleidung schön zu finden.“ Doch selten wird er überheblich. Er spricht mit Menschen jeden Standes, mit Bootsmännern, Treidlern, Mägden, garniert die Texte mit Geschichtswissen, Religionskritik, Wetterbeschreibungen und Kunstsachverstand. Was ihn nicht interessiert, sind Wirtschafts-Daten. Die möge der „enzyklopädisch interessierte“ Leser bitte woanders erfragen. Man vermisst es nicht. Ist viel schöner, ihm über die Schulter zu blicken, wenn er sein Italien mit dem bereisten Holland vergleicht, wo, anders als daheim, das allgegenwärtige „Rauchen keine Entschuldigung für Müßiggang“ und das Brot „dünn wie Papier, unerfreulich für uns Italiener ist“.
Einzig ein Besuch ist ihm missglückt. Im Wohnviertel der Juden in Amsterdam sieht er nur „verlauste, zerlumpte Menschen, (…) alte Frauen kämpfen mit krallenartigen Fingernägeln gegen das Jucken am Körper“. Hier beschreibt er lediglich, spricht mit niemandem, hinterfragt nichts – und ist schnell wieder weg. In der Gemäldegalerie, der Eindruck drängt sich auf, ist’s doch wärmer und wohliger. Ein bisschen Gruseln machte wohl schon bei den Lesern seiner Zeit Effekt. Aber bloß nicht zu viel.
MONIKA MAIER-ALBANG
Edmondo De Amicis: Holland. Ein Italiener im Norden. Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki. Corso im Verlagshaus Römerweg, Wiesbaden 2016. 256 Seiten, 39,90 Euro.
Das Brot ist dünn
wie Papier – unerfreulich
für einen Italiener
Jeder kann ein guter Fotograf werden, sagt Steve McCurry. Es braucht nur Geduld und
die Bereitschaft, sehr, sehr viele Fotos wegzuwerfen. Dieses aus Tokio behielt er.
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Edmondo De Amicis’ Blick auf Holland
Wie gut, dass dieser Mann nicht bei der Armee geblieben ist. Dass sie ihn da nicht mehr haben wollten, woraufhin die Tageszeitung La Nazione Edmondo De Amicis einen Posten als Kriegsberichterstatter offeriert hat. Fortan schrieb der Italiener über die Italienischen Unabhängigkeitskriege, was ihn als Reiseautor noch nicht qualifiziert. Aber rumkommen ist ein Anfang.
Edmondo De Amicis, 1846 geboren, hat einiges von der Welt gesehen, die ihm Ende des 19. Jahrhunderts zugänglich war. Seine Beschreibungen von Marokko und Istanbul hat der Corso-Verlag bereits von Annette Kopetzki ins Deutsche übersetzen lassen. Ebenso den Band „Auf dem Meer“, der schon zeigt, was den Schriftsteller De Amicis auszeichnet: Er kommt Menschen nahe. Auf dem Meer bangten damals wie heute Emigranten um ihre Zukunft. De Amicis hat die Auswanderer seiner Zeit von Genua nach Montevideo, der Hauptstadt von Uruguay, begleitet.
Aber was, um Himmels Willen, hat ihn getrieben, nach Holland zu reisen? In dieses Land, bei dem man nicht sagen könne, ob es „eher zum Festland als zum Meer gehört“ und in dem die Menschen einem Putzwahn verfallen zu sein scheinen, was er in aller Ausführlichkeit und mit Genuss beschreibt. „Wer zum ersten Mal eine Karte von Holland sieht, wundert sich, dass es ein solches Land überhaupt geben kann … Hier scheinen nur Biber und Robben leben zu können.“ Aber wahrscheinlich haben gerade die Wildheit der Natur und der Wille der Bewohner, diese zu erobern und gegen allen Unbill und Schmutz zu verteidigen, sein Interesse geweckt.
Edmondo De Amicis arbeitet sich durch Städte und Dörfer, er bereist Zeeland, Rotterdam, Delft, Den Haag, Leiden, Haarlem, Amsterdam, Utrecht, Broek, Zaadam, Alkmaar, Den Helder, Die Zuiderzee, Friesland, Groningen und Arnheim. Und hätte er damals nur Wie-komm-ich-durchs-Land-Literatur geschrieben und einen Was-soll-ich-dabei-anschauen-Ratgeber, kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, das Werk heute zu veröffentlichen. Doch De Amicis ist ein so aufmerksamer Betrachter der Menschen und ihrer Lebensgewohnheiten, dass man durch die Lektüre seiner Berichte heute noch etwas über das Land lernt. Und er kann so amüsant erzählen, dass man das mit kolorierten Postkarten auch noch schön gestaltete Buch nicht aus der Hand legen mag – selbst wenn man kein eingefleischter Holland-Fan ist.
De Amicis reist mit offenen Augen und offenem Herzen. Manchmal lästert er: „Die Frauen trugen einen Strohhut in Form eines abgeschnittenen Kegels (…) Obwohl ich mich bemühte, alles zu bewundern, war es mir unmöglich, diese Art Bekleidung schön zu finden.“ Doch selten wird er überheblich. Er spricht mit Menschen jeden Standes, mit Bootsmännern, Treidlern, Mägden, garniert die Texte mit Geschichtswissen, Religionskritik, Wetterbeschreibungen und Kunstsachverstand. Was ihn nicht interessiert, sind Wirtschafts-Daten. Die möge der „enzyklopädisch interessierte“ Leser bitte woanders erfragen. Man vermisst es nicht. Ist viel schöner, ihm über die Schulter zu blicken, wenn er sein Italien mit dem bereisten Holland vergleicht, wo, anders als daheim, das allgegenwärtige „Rauchen keine Entschuldigung für Müßiggang“ und das Brot „dünn wie Papier, unerfreulich für uns Italiener ist“.
Einzig ein Besuch ist ihm missglückt. Im Wohnviertel der Juden in Amsterdam sieht er nur „verlauste, zerlumpte Menschen, (…) alte Frauen kämpfen mit krallenartigen Fingernägeln gegen das Jucken am Körper“. Hier beschreibt er lediglich, spricht mit niemandem, hinterfragt nichts – und ist schnell wieder weg. In der Gemäldegalerie, der Eindruck drängt sich auf, ist’s doch wärmer und wohliger. Ein bisschen Gruseln machte wohl schon bei den Lesern seiner Zeit Effekt. Aber bloß nicht zu viel.
MONIKA MAIER-ALBANG
Edmondo De Amicis: Holland. Ein Italiener im Norden. Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki. Corso im Verlagshaus Römerweg, Wiesbaden 2016. 256 Seiten, 39,90 Euro.
Das Brot ist dünn
wie Papier – unerfreulich
für einen Italiener
Jeder kann ein guter Fotograf werden, sagt Steve McCurry. Es braucht nur Geduld und
die Bereitschaft, sehr, sehr viele Fotos wegzuwerfen. Dieses aus Tokio behielt er.
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