In the summer of 1983, 20-year-old Nick Guest moves into an attic room in the Notting Hill home of the Feddens: Tory MP Gerald, his wealthy wife Rachel, and their two children, Toby - whom Nick had idolized at Oxford - and Catherine, always standing at a critical angle to the family and its assumptions and ambitions.
As the Thatcher boom-years unfold, Nick, an innocent in the worlds of politics and money, finds his life altered by the rising fortunes of the glamorous family he is entangled with. Two vividly contrasting love-affairs, with a young black clerk and a Lebanese millionaire, dramatize the dangers and rewards of his own private pursuit of beauty, a pursuit as compelling to him as that of power and riches to his friends.
Starting at the moment The Swimming-Pool Library ended, The Line of Beauty traces the further history of a decade of change and tragedy. Richly textured, emotionally charged, disarmingly comic, it is a major work by one of the finest writers in the English language.
As the Thatcher boom-years unfold, Nick, an innocent in the worlds of politics and money, finds his life altered by the rising fortunes of the glamorous family he is entangled with. Two vividly contrasting love-affairs, with a young black clerk and a Lebanese millionaire, dramatize the dangers and rewards of his own private pursuit of beauty, a pursuit as compelling to him as that of power and riches to his friends.
Starting at the moment The Swimming-Pool Library ended, The Line of Beauty traces the further history of a decade of change and tragedy. Richly textured, emotionally charged, disarmingly comic, it is a major work by one of the finest writers in the English language.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.2005Es ist die Kunst, die das Leben ausmacht
Hallöchen, Darling! Alan Hollinghursts Sittengemälde des goldenen englischen Thatcher-Zeitalters / Von Felicitas von Lovenberg
Schönheitssüchtige haben es fast so schwer wie Wahrheitsfanatiker. Von nichts so beeindruckt und angezogen wie von Ebenmaß, stimmigen Proportionen und exquisiten Materialien, müssen sie ihre Fixierung doch tunlichst unterdrücken, um nicht für dekadent oder hemmungslos hedonistisch gehalten zu werden. Zudem sind sie gefährdet, jederzeit verführbar durch die Raffinesse eines Dekors, die schlanke Silhouette eines Halses oder von der subtilen Eleganz einer Konversation. Ihre sinnliche Empfänglichkeit bestimmt, wo und in wessen Gesellschaft sie sich am liebsten aufhalten, oft selbst dann noch, wenn der gesunde Menschenverstand bereits Alarm schlägt. Jene hingegen, die sich der Wahrheit verschrieben haben, stoßen von jeher ihre Umwelt vor den Kopf - und finden nicht selten sogar eine gewisse Befriedigung darin, unbequeme, bloßstellende Erkenntnisse auszuteilen.
In Alan Hollinghursts Roman "Die Schönheitslinie" gibt es beides, einen Schönheitssüchtigen von schier unbegrenzter Genußfähigkeit und eine Wahrheitsfanatikerin, die mit Feuereifer zu Werke geht. Das Buch, das man mit Fug und Recht als den großen englischen Roman über die Ära Thatcher bezeichnen kann, erzählt eine Geschichte von Politik, Geld und Sex, von der betörenden, korrumpierenden Suche nach Schönheit, die mit der Wahrheit kollidiert. Dieses Sittenbild erreicht uns gefiltert durch die gierigen Augen des Ästheten Nick Guest, dessen Geschmack so vorzüglich ist wie sein Verhalten fragwürdig.
Wir schreiben das Jahr 1983. Margaret Thatcher ist soeben triumphal wiedergewählt worden. Den Oxford-Abschluß frisch in der Tasche, zieht der zwanzigjährige Nick Guest in das imposante Londoner Heim der Familie seines Studienfreundes Toby Fedden. Dessen Vater Gerald ist noch ganz benommen von seiner brandneuen Bedeutung als Abgeordneter der Konservativen. Eigentlich soll Nick, der an seiner Doktorarbeit über die Ästhetik von Henry James sitzt, die Residenz der Feddens den Sommer über hüten und dazu ein wachsames Auge auf die labile Tochter Catherine haben, die eine besorgniserregende Neigung zu Selbstverstümmelung und brutaler Ehrlichkeit hat. Die Rebellin gegen die Konvention wird seine Eingeweihte und Komplizin. Denn Nick ist vollauf mit sich selbst beschäftigt: In jenem Sommer macht er erste Erfahrungen mit Drogen, mit Reichtum und vor allem mit schwulem Sex.
Alan Hollinghurst läßt Nick langsam in die schöne hohle Welt der Altwichtigtuer und Neureichen eintauchen. Als wir ihm im zweiten Teil drei Jahre später wiederbegegnen, ist die Neuheit des Wohlstands verflogen, nicht aber die berauschende Erfahrung der eigenen erotischen Anziehungskraft auf andere Männer. Nick ist vom geduldeten Anhängsel der Feddens zum ergebenen Quasifamilienmitglied geworden und bewegt sich in gesellschaftlichen Kreisen, die er als Junge nur aus der unterwürfigen Perspektive seines Vaters kannte, eines Antiquitätenhändlers, der vor allem dann in herrschaftliche Häuser gerufen wurde, wenn dort ein Möbel abzuliefern oder eine Uhr zu reparieren war. Die wachsame Geschmeidigkeit, die Nick bei seinem sozialen Aufstieg an den Tag legt, erinnert an Charles Ryder aus Evelyn Waughs "Brideshead Revisited", der ebenfalls in den Bann einer einflußreichen Familie gerät, doch anders als Charles ist Nick nicht von Wehmut über den unaufhaltsamen Untergang einer aristokratischen Welt erfüllt, sondern eher von selbstgefälligem Opportunismus.
Nick Guest ist der perfekte Anpasser, ein ständiger Gast, wie sein Name sagt. Sein glattes Äußeres, seine gepflegten Manieren und sein kriecherischer Charme, vor allem aber seine Intelligenz, mit der er Menschen mustert und gedanklich schon durchschaut, bevor sie auch nur seine Anwesenheit bemerkt haben, machen ihn zu einem angenehmen, doch nicht unbedingt harmlosen Hausgefährten. Das spüren einige im Dunstkreis der Feddens und geben Nick durch kühle Herablassung zu erkennen, daß er sich in der gesellschaftlichen Etage verstiegen hat. Doch da hat dessen Unbekümmertheit bereits über alle Skrupel obsiegt: Die von William Hogarth über Henry James geführte Schönheitslinie, deren Ermittlung und Beschreibung Nicks ganzes Streben gilt, setzt sich in schnupfgerecht angerichteten Koksreihen fort.
Obwohl es die Gier zeigt, das von keinen moralischen Bedenken gebremste Geschacher um Macht, Geld und Sex, ist Hollinghursts Buch keine Abrechnung mit der Ära Thatcher, sondern eher eine nüchterne, fast unbeteiligte Durchleuchtung der Jahre 1983 bis '87. Er hat einen Protagonisten gewählt, der mitten im Geschehen steht und aufgrund seiner Herkunft doch Außenseiter bleiben muß. In dieser prekären Lage Nicks mag man Henry James ebenso wiedererkennen wie den Autor selbst, der, vor einundfünfzig Jahren als Sohn eines Bankangestellen geboren und in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen, in Oxford studiert hat und viele Jahre lang Redakteur des "Times Literary Supplement" war. 1988 erschien mit "Die Schwimmbad-Bibliothek" sein Debüt; "Die Schönheitslinie" ist der vierte Roman des immens sorgfältigen Schriftstellers, für den er im letzten Jahr mit dem Booker-Preis ausgezeichnet wurde - eine Ehrung, die dem ungleich gehaltvolleren Henry-James-Roman von Colm Tóibín besser angestanden hätte.
So scharfsinnig Hollinghursts Gesellschaftssatire gelungen ist, so schwer fällt es zumal die ersten zwei Drittel über, den Roman nicht nur zu schätzen, sondern auch zu mögen. Die ausführlichen Beschreibungen des Lebensstils der Feddens wechseln sich ab mit ausufernden Schilderungen von Nicks erotischen Eskapaden. Hat die staunende Perspektive des Novizen zu Beginn noch etwas Anrührendes, wird dessen ironische Prätention zusehends nicht nur für seine Umgebung, sondern auch für den Leser schwer erträglich. Erst im letzten Teil, als sich die Ereignisse überstürzen und der Schatten von Lüge, Krankheit und Tod sich beklemmend über die immer brüchigere Welt der schönen Bilder legt, wird der Ton dringlicher, nimmt Hollinghurst endlich Anteil am Schicksal seiner Figuren.
Es sind zwei Leerstellen, um die der Roman kreist, zwei übermächtige Persönlichkeiten, deren Abwesenheit jedes Ereignis, jede Bemerkung und jede Erkenntnis färbt. Zunächst ist es die Premierministerin selbst, über die dauernd geredet wird und die gerade mit der geizigen Dosierung ihrer Huld Macht demonstriert. Der zweite große Abwesende ist Henry James, auf dessen Werk und Leben von Hollinghurst allenthalben angespielt wird. Nick redet und denkt in James-Zitaten, die von der bornierten Umgebung natürlich nicht als solche erkannt werden. Perlen vor die Säue, denkt er insgeheim, der sich als Ästhet inmitten von Reichproleten überlegen glaubt und die Feddens insgeheim dafür verachtet, daß sie Schönheit entweder für selbstverständlich halten oder aber erst dann zu schätzen wissen, wenn ein Gütelabel darauf prangt, wie die Signatur auf dem Gauguin-Gemälde, das sie zur Silberhochzeit geschenkt bekommen. "Es ist die Kunst, die das Leben ausmacht, die Teilhabe daran, die Bedeutung - wie wir diese Begriffe verstehen und verwenden": Mit diesem Satz seines Idols entgegnet Nick auf Anfechtungen. Während sich die englischen Achtziger in ihrer ganzen Dekadenz und Vulgarität entfalten, sitzt er wie die Made im finanziellen Speckgürtel der Feddens und seines an Aids erkrankten Liebhabers. Auch wenn ihm am Schluß unrecht getan wird, er zum Sündenbock für den Sturz Gerald Feddens gemacht wird, erspart Hollinghurst sich und uns die Läuterung seines hochambivalenten Protagonisten.
Die große Metapher, die in diesem Roman steckt, das bissige, amüsante, bedrückende und letztlich niederschmetternde Porträt der goldenen Ära des inzwischen arg mitgenommenen britischen Konservativismus, wird überdeutlich wie bei einer fulminanten Menüfolge, deren fünften und sechsten Gang man vor lauter Fülle eigentlich nicht mehr genießen kann. Als das Fanal, die große Enthüllung, deren Eintreffen nur noch eine Frage der Zeit gewesen war, endlich geschieht, löst es weder Erstaunen noch Mitgefühl aus, sondern lediglich Erleichterung. Nick verschwindet so unauffällig, wie er vier Jahre zuvor gekommen war. Während seine Freunde reihum elend zugrunde gehen, an ihrer Heuchelei, überzogenen Ansprüchen und einige auch an jener Krankheit, deren Name damals noch nicht so geläufig war, bleibt Nick der goldene Junge, der sich von allen aushalten ließ und der von gesellschaftlichem Rang ebenso geblendet ist wie von dem, was er als seine eigene Brillanz ansieht.
Brillant ist in diesem Fall auch die Übersetzung von Thomas Stegers, der bei der Suche nach deutschen Entsprechungen für das gezierte Idiom des Establishments (Hallöchen, Darling!) großes Fingerspitzengefühl beweist und sich auch bei den drastischeren Stellen vor deutlichen Worten nicht gedrückt hat.
Was wohl Henry James von alledem gehalten hätte? Hollinghurst legt Nick die Antwort in den Mund: "Was für wundervolle Menschen wir wären, hätte er gesagt, was für schöne Menschen. Unglaublich feine Komplimente hätte er uns gemacht, und erst ganz am Schluß hätten wir gemerkt, daß er uns voll und ganz durchschaut hätte." So hält es auch der Autor. In seiner Absicht, Dekadenz, Eitelkeit und Selbstgefälligkeit der Thatcher-Ära zu decouvrieren, kann Hollinghurst allerdings nicht verhindern, immer wieder auch selbst diesen Untugenden zu verfallen. Schließlich jedoch ereilt beide, den Schönheitssüchtigen wie die Wahrheitsfanatikerin, die tragische Ironie ihrer gescheiterten Selbstverwirklichung. Aber immerhin zeigt sich da, daß Schönheit und Wahrheit nicht miteinander konkurrieren, sondern sich im besten Fall zur Erkenntnis ergänzen.
Alan Hollinghurst: "Die Schönheitslinie". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Thomas Stegers. Karl Blessing Verlag, München 2005. 572 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hallöchen, Darling! Alan Hollinghursts Sittengemälde des goldenen englischen Thatcher-Zeitalters / Von Felicitas von Lovenberg
Schönheitssüchtige haben es fast so schwer wie Wahrheitsfanatiker. Von nichts so beeindruckt und angezogen wie von Ebenmaß, stimmigen Proportionen und exquisiten Materialien, müssen sie ihre Fixierung doch tunlichst unterdrücken, um nicht für dekadent oder hemmungslos hedonistisch gehalten zu werden. Zudem sind sie gefährdet, jederzeit verführbar durch die Raffinesse eines Dekors, die schlanke Silhouette eines Halses oder von der subtilen Eleganz einer Konversation. Ihre sinnliche Empfänglichkeit bestimmt, wo und in wessen Gesellschaft sie sich am liebsten aufhalten, oft selbst dann noch, wenn der gesunde Menschenverstand bereits Alarm schlägt. Jene hingegen, die sich der Wahrheit verschrieben haben, stoßen von jeher ihre Umwelt vor den Kopf - und finden nicht selten sogar eine gewisse Befriedigung darin, unbequeme, bloßstellende Erkenntnisse auszuteilen.
In Alan Hollinghursts Roman "Die Schönheitslinie" gibt es beides, einen Schönheitssüchtigen von schier unbegrenzter Genußfähigkeit und eine Wahrheitsfanatikerin, die mit Feuereifer zu Werke geht. Das Buch, das man mit Fug und Recht als den großen englischen Roman über die Ära Thatcher bezeichnen kann, erzählt eine Geschichte von Politik, Geld und Sex, von der betörenden, korrumpierenden Suche nach Schönheit, die mit der Wahrheit kollidiert. Dieses Sittenbild erreicht uns gefiltert durch die gierigen Augen des Ästheten Nick Guest, dessen Geschmack so vorzüglich ist wie sein Verhalten fragwürdig.
Wir schreiben das Jahr 1983. Margaret Thatcher ist soeben triumphal wiedergewählt worden. Den Oxford-Abschluß frisch in der Tasche, zieht der zwanzigjährige Nick Guest in das imposante Londoner Heim der Familie seines Studienfreundes Toby Fedden. Dessen Vater Gerald ist noch ganz benommen von seiner brandneuen Bedeutung als Abgeordneter der Konservativen. Eigentlich soll Nick, der an seiner Doktorarbeit über die Ästhetik von Henry James sitzt, die Residenz der Feddens den Sommer über hüten und dazu ein wachsames Auge auf die labile Tochter Catherine haben, die eine besorgniserregende Neigung zu Selbstverstümmelung und brutaler Ehrlichkeit hat. Die Rebellin gegen die Konvention wird seine Eingeweihte und Komplizin. Denn Nick ist vollauf mit sich selbst beschäftigt: In jenem Sommer macht er erste Erfahrungen mit Drogen, mit Reichtum und vor allem mit schwulem Sex.
Alan Hollinghurst läßt Nick langsam in die schöne hohle Welt der Altwichtigtuer und Neureichen eintauchen. Als wir ihm im zweiten Teil drei Jahre später wiederbegegnen, ist die Neuheit des Wohlstands verflogen, nicht aber die berauschende Erfahrung der eigenen erotischen Anziehungskraft auf andere Männer. Nick ist vom geduldeten Anhängsel der Feddens zum ergebenen Quasifamilienmitglied geworden und bewegt sich in gesellschaftlichen Kreisen, die er als Junge nur aus der unterwürfigen Perspektive seines Vaters kannte, eines Antiquitätenhändlers, der vor allem dann in herrschaftliche Häuser gerufen wurde, wenn dort ein Möbel abzuliefern oder eine Uhr zu reparieren war. Die wachsame Geschmeidigkeit, die Nick bei seinem sozialen Aufstieg an den Tag legt, erinnert an Charles Ryder aus Evelyn Waughs "Brideshead Revisited", der ebenfalls in den Bann einer einflußreichen Familie gerät, doch anders als Charles ist Nick nicht von Wehmut über den unaufhaltsamen Untergang einer aristokratischen Welt erfüllt, sondern eher von selbstgefälligem Opportunismus.
Nick Guest ist der perfekte Anpasser, ein ständiger Gast, wie sein Name sagt. Sein glattes Äußeres, seine gepflegten Manieren und sein kriecherischer Charme, vor allem aber seine Intelligenz, mit der er Menschen mustert und gedanklich schon durchschaut, bevor sie auch nur seine Anwesenheit bemerkt haben, machen ihn zu einem angenehmen, doch nicht unbedingt harmlosen Hausgefährten. Das spüren einige im Dunstkreis der Feddens und geben Nick durch kühle Herablassung zu erkennen, daß er sich in der gesellschaftlichen Etage verstiegen hat. Doch da hat dessen Unbekümmertheit bereits über alle Skrupel obsiegt: Die von William Hogarth über Henry James geführte Schönheitslinie, deren Ermittlung und Beschreibung Nicks ganzes Streben gilt, setzt sich in schnupfgerecht angerichteten Koksreihen fort.
Obwohl es die Gier zeigt, das von keinen moralischen Bedenken gebremste Geschacher um Macht, Geld und Sex, ist Hollinghursts Buch keine Abrechnung mit der Ära Thatcher, sondern eher eine nüchterne, fast unbeteiligte Durchleuchtung der Jahre 1983 bis '87. Er hat einen Protagonisten gewählt, der mitten im Geschehen steht und aufgrund seiner Herkunft doch Außenseiter bleiben muß. In dieser prekären Lage Nicks mag man Henry James ebenso wiedererkennen wie den Autor selbst, der, vor einundfünfzig Jahren als Sohn eines Bankangestellen geboren und in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen, in Oxford studiert hat und viele Jahre lang Redakteur des "Times Literary Supplement" war. 1988 erschien mit "Die Schwimmbad-Bibliothek" sein Debüt; "Die Schönheitslinie" ist der vierte Roman des immens sorgfältigen Schriftstellers, für den er im letzten Jahr mit dem Booker-Preis ausgezeichnet wurde - eine Ehrung, die dem ungleich gehaltvolleren Henry-James-Roman von Colm Tóibín besser angestanden hätte.
So scharfsinnig Hollinghursts Gesellschaftssatire gelungen ist, so schwer fällt es zumal die ersten zwei Drittel über, den Roman nicht nur zu schätzen, sondern auch zu mögen. Die ausführlichen Beschreibungen des Lebensstils der Feddens wechseln sich ab mit ausufernden Schilderungen von Nicks erotischen Eskapaden. Hat die staunende Perspektive des Novizen zu Beginn noch etwas Anrührendes, wird dessen ironische Prätention zusehends nicht nur für seine Umgebung, sondern auch für den Leser schwer erträglich. Erst im letzten Teil, als sich die Ereignisse überstürzen und der Schatten von Lüge, Krankheit und Tod sich beklemmend über die immer brüchigere Welt der schönen Bilder legt, wird der Ton dringlicher, nimmt Hollinghurst endlich Anteil am Schicksal seiner Figuren.
Es sind zwei Leerstellen, um die der Roman kreist, zwei übermächtige Persönlichkeiten, deren Abwesenheit jedes Ereignis, jede Bemerkung und jede Erkenntnis färbt. Zunächst ist es die Premierministerin selbst, über die dauernd geredet wird und die gerade mit der geizigen Dosierung ihrer Huld Macht demonstriert. Der zweite große Abwesende ist Henry James, auf dessen Werk und Leben von Hollinghurst allenthalben angespielt wird. Nick redet und denkt in James-Zitaten, die von der bornierten Umgebung natürlich nicht als solche erkannt werden. Perlen vor die Säue, denkt er insgeheim, der sich als Ästhet inmitten von Reichproleten überlegen glaubt und die Feddens insgeheim dafür verachtet, daß sie Schönheit entweder für selbstverständlich halten oder aber erst dann zu schätzen wissen, wenn ein Gütelabel darauf prangt, wie die Signatur auf dem Gauguin-Gemälde, das sie zur Silberhochzeit geschenkt bekommen. "Es ist die Kunst, die das Leben ausmacht, die Teilhabe daran, die Bedeutung - wie wir diese Begriffe verstehen und verwenden": Mit diesem Satz seines Idols entgegnet Nick auf Anfechtungen. Während sich die englischen Achtziger in ihrer ganzen Dekadenz und Vulgarität entfalten, sitzt er wie die Made im finanziellen Speckgürtel der Feddens und seines an Aids erkrankten Liebhabers. Auch wenn ihm am Schluß unrecht getan wird, er zum Sündenbock für den Sturz Gerald Feddens gemacht wird, erspart Hollinghurst sich und uns die Läuterung seines hochambivalenten Protagonisten.
Die große Metapher, die in diesem Roman steckt, das bissige, amüsante, bedrückende und letztlich niederschmetternde Porträt der goldenen Ära des inzwischen arg mitgenommenen britischen Konservativismus, wird überdeutlich wie bei einer fulminanten Menüfolge, deren fünften und sechsten Gang man vor lauter Fülle eigentlich nicht mehr genießen kann. Als das Fanal, die große Enthüllung, deren Eintreffen nur noch eine Frage der Zeit gewesen war, endlich geschieht, löst es weder Erstaunen noch Mitgefühl aus, sondern lediglich Erleichterung. Nick verschwindet so unauffällig, wie er vier Jahre zuvor gekommen war. Während seine Freunde reihum elend zugrunde gehen, an ihrer Heuchelei, überzogenen Ansprüchen und einige auch an jener Krankheit, deren Name damals noch nicht so geläufig war, bleibt Nick der goldene Junge, der sich von allen aushalten ließ und der von gesellschaftlichem Rang ebenso geblendet ist wie von dem, was er als seine eigene Brillanz ansieht.
Brillant ist in diesem Fall auch die Übersetzung von Thomas Stegers, der bei der Suche nach deutschen Entsprechungen für das gezierte Idiom des Establishments (Hallöchen, Darling!) großes Fingerspitzengefühl beweist und sich auch bei den drastischeren Stellen vor deutlichen Worten nicht gedrückt hat.
Was wohl Henry James von alledem gehalten hätte? Hollinghurst legt Nick die Antwort in den Mund: "Was für wundervolle Menschen wir wären, hätte er gesagt, was für schöne Menschen. Unglaublich feine Komplimente hätte er uns gemacht, und erst ganz am Schluß hätten wir gemerkt, daß er uns voll und ganz durchschaut hätte." So hält es auch der Autor. In seiner Absicht, Dekadenz, Eitelkeit und Selbstgefälligkeit der Thatcher-Ära zu decouvrieren, kann Hollinghurst allerdings nicht verhindern, immer wieder auch selbst diesen Untugenden zu verfallen. Schließlich jedoch ereilt beide, den Schönheitssüchtigen wie die Wahrheitsfanatikerin, die tragische Ironie ihrer gescheiterten Selbstverwirklichung. Aber immerhin zeigt sich da, daß Schönheit und Wahrheit nicht miteinander konkurrieren, sondern sich im besten Fall zur Erkenntnis ergänzen.
Alan Hollinghurst: "Die Schönheitslinie". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Thomas Stegers. Karl Blessing Verlag, München 2005. 572 S., geb., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.07.2010Eine Herausforderung
in Hellblau
„Die Schönheitslinie“
von Alan Hollinghurst
Sie gehören zu den großen Paaren der modernen Literatur: der Smalltalk und die Großstadt. In Paris, London, Moskau und St. Petersburg hatten sie im 19. Jahrhundert ihre großen Auftritte in den Salons, und wenn sie und ihr alter Trauzeuge, der Roman, gut drauf sind, sind die beiden noch immer ein hinreißendes Paar. Der englische Schriftsteller Alan Hollinghurst hat dafür in seinem Roman „Die Schönheitslinie“, mit dem er 2004 den Booker Prize gewann, einen mustergültigen Beleg geliefert.
Das London der ewigen achtziger Jahre zwischen der Wiederwahl Margaret Thatchers 1983 und ihrem dritten Wahlsieg 1987 ist seine Bühne. Und der Smalltalk straft wie immer, wenn er gut ist, seinen Namen Lügen. Er ist ja das Medium der großen Dinge, und so geht es in diesem Roman um Geld, Liebe und Tod, ob er gerade im südfranzösischen Ferienhaus des neu zugewählten Tory-Abgeordneten zu Gast ist, in seiner Stadtwohnung in Kensington Gardens oder im Wahlkreis in der Provinz. Als unausweichliches Gesprächsthema, aber ohne je beim Namen genannt zu werden, in einer heiter-bösen Szene auch leibhaftig, geht Margaret Thatcher durch den Roman. Riesige Summen versickern im Smalltalk, denn mancher verdient sein Geld mit dem spekulativen Ruinieren von Firmen. Der Sex tritt im homosexuellen Gewand auf, nicht zuletzt, um dem talk of the town am Ende einen veritablen Skandal liefern zu können. Und der Tod tritt hinzu, weil in den achtziger Jahren der Aids-Tod seine ersten öffentlichen Auftritte hatte.
Mit nicht geringem Sarkasmus hat Hollinghurst den Sohn eines auf alte Möbel, Uhren und Porzellan spezialisierten bürgerlichen Antiquitätenhändlers zum Helden des Romans und Nachfahren der homosexuellen Dandys der Jahrhundertwende gemacht. Dieser Nick Guest, von Kindheit trainiert in die Einfühlung in alte Werte, hat in Oxord studiert. Und er hat es mit – auch, wenn er auf die Körper seiner Geliebten blickt – dem schönen Schwung der Schönheitslinie, wie sie William Hogarth beschrieben hat, und spürt den Geheimnissen im Stil des großen Autors Henry James nach, verschmäht aber ebenso wenig den Schwung der Kokain-Linie.
Sein Opportunismus macht diesen Nick zum idealen Beobachter im Haus des Tory-Abgeordneten, in dessen Sohn er hoffnungslos verliebt ist. Sein Liebesleben zieht über seinem Haupt die Aids-Nachrichten aus dem Freundeskreis wie schwarze Raben zusammen, und dass in der Thatcher-Ära alle Antiquitäten des guten alten britischen Kapitalismus in eine reißende Tanzbewegung gerieten, begreift der Leser spätestens, wenn der Held die Namenlose zum Tanz auffordert: Nick „starrte das Gesicht der Premierministerin an, ihren ganzen Kopf, spitz und gekrönt, in dem er eine hübsche, doch eigentlich unmögliche Verschmelzung des Vortizismus mit dem Barocken erkannte. Sie erwiderte mit einem Lächeln, einer tierhaften Flinkheit, einer hellblauen Herausforderung.“
LOTHAR MÜLLER
Alan Hollinghurst
Foto: Robert Taylor
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in Hellblau
„Die Schönheitslinie“
von Alan Hollinghurst
Sie gehören zu den großen Paaren der modernen Literatur: der Smalltalk und die Großstadt. In Paris, London, Moskau und St. Petersburg hatten sie im 19. Jahrhundert ihre großen Auftritte in den Salons, und wenn sie und ihr alter Trauzeuge, der Roman, gut drauf sind, sind die beiden noch immer ein hinreißendes Paar. Der englische Schriftsteller Alan Hollinghurst hat dafür in seinem Roman „Die Schönheitslinie“, mit dem er 2004 den Booker Prize gewann, einen mustergültigen Beleg geliefert.
Das London der ewigen achtziger Jahre zwischen der Wiederwahl Margaret Thatchers 1983 und ihrem dritten Wahlsieg 1987 ist seine Bühne. Und der Smalltalk straft wie immer, wenn er gut ist, seinen Namen Lügen. Er ist ja das Medium der großen Dinge, und so geht es in diesem Roman um Geld, Liebe und Tod, ob er gerade im südfranzösischen Ferienhaus des neu zugewählten Tory-Abgeordneten zu Gast ist, in seiner Stadtwohnung in Kensington Gardens oder im Wahlkreis in der Provinz. Als unausweichliches Gesprächsthema, aber ohne je beim Namen genannt zu werden, in einer heiter-bösen Szene auch leibhaftig, geht Margaret Thatcher durch den Roman. Riesige Summen versickern im Smalltalk, denn mancher verdient sein Geld mit dem spekulativen Ruinieren von Firmen. Der Sex tritt im homosexuellen Gewand auf, nicht zuletzt, um dem talk of the town am Ende einen veritablen Skandal liefern zu können. Und der Tod tritt hinzu, weil in den achtziger Jahren der Aids-Tod seine ersten öffentlichen Auftritte hatte.
Mit nicht geringem Sarkasmus hat Hollinghurst den Sohn eines auf alte Möbel, Uhren und Porzellan spezialisierten bürgerlichen Antiquitätenhändlers zum Helden des Romans und Nachfahren der homosexuellen Dandys der Jahrhundertwende gemacht. Dieser Nick Guest, von Kindheit trainiert in die Einfühlung in alte Werte, hat in Oxord studiert. Und er hat es mit – auch, wenn er auf die Körper seiner Geliebten blickt – dem schönen Schwung der Schönheitslinie, wie sie William Hogarth beschrieben hat, und spürt den Geheimnissen im Stil des großen Autors Henry James nach, verschmäht aber ebenso wenig den Schwung der Kokain-Linie.
Sein Opportunismus macht diesen Nick zum idealen Beobachter im Haus des Tory-Abgeordneten, in dessen Sohn er hoffnungslos verliebt ist. Sein Liebesleben zieht über seinem Haupt die Aids-Nachrichten aus dem Freundeskreis wie schwarze Raben zusammen, und dass in der Thatcher-Ära alle Antiquitäten des guten alten britischen Kapitalismus in eine reißende Tanzbewegung gerieten, begreift der Leser spätestens, wenn der Held die Namenlose zum Tanz auffordert: Nick „starrte das Gesicht der Premierministerin an, ihren ganzen Kopf, spitz und gekrönt, in dem er eine hübsche, doch eigentlich unmögliche Verschmelzung des Vortizismus mit dem Barocken erkannte. Sie erwiderte mit einem Lächeln, einer tierhaften Flinkheit, einer hellblauen Herausforderung.“
LOTHAR MÜLLER
Alan Hollinghurst
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