In Holocaust Lite stellt William Collin Donahue die These auf, daß Bernhard Schlinks viel gelesene und hoch gepriesene "Nazi-Romane" sowie ihre Verfilmungen - Werke, die die Nazizeit und den Holocaust direkt ansprechen - letztlich dieser Thematik nicht gerecht werden können. Der Holocaust wird stattdessen gerade in diesen Werken - ihrer angeblichen "Direktheit" zum Trotz - viel eher marginalisiert und dadurch für die weltweite Leserschaft (vielleicht vor allem für US-Amerikaner) erträglich bzw. "lite" gemacht. Diese Studie untersucht das "Schlink-Phänomen" nicht nur im deutschen kulturellen Kontext (z.B. in den Schullehrbüchern), sondern auch als "uramerikanisches" Ereignis, das viel mehr die Holocaustmüdigkeit als den Holocaust selbst dokumentiert.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.10.2011Hanna und ihre Schwestern
William Collins Donahue resümiert die Bedenken gegen Schlinks "Vorleser"
Siebzehn Jahre sind vergangen, seit Bernhard Schlinks Roman "Der Vorleser" erschien, vor zwei Jahren lief die Verfilmung im Kino, deshalb kommt William Collins Donahues Buch keinen Moment zu früh. Mit dem Bestseller von Schlink sind auch die Polemiken, die er ausgelöst hat, mittlerweile historisch geworden - historisch genug jedenfalls für eine rückblickende Studie wie die von Donahue, der vor allem wiedergibt, was anderswo schon zu lesen und zu sehen war, und erst am Schluss zu einem Fazit kommt, das ebenso überraschend wie fragwürdig ist.
Donahue, Associate Professor für German Studies und Jewish Studies an der Duke University in North Carolina, gehört nicht zu den Freunden des "Vorlesers", wie schon der Titel seines Buchs verrät. "Holocaust Lite" ist keine unparteiische Untersuchung der Schlinkschen "NS-Romane", zu denen Donahue auch die Krimis der "Selb"-Trilogie rechnet, sondern ein Indizienprozess, bei dem nicht nur der Autor selbst und sein Werk, sondern auch Rezensionen, Unterrichtsmaterialien, wissenschaftliche Arbeiten und sogar die Talkmasterin Oprah Winfrey in den Zeugenstand gerufen werden. Die Anklage: Schlink habe durch die Figur der KZ-Aufseherin Hanna Schmitz die Täter des Holocaust verharmlost und in der Gestalt ihres zeitweiligen Liebhabers Michael Berg, des Erzählers im "Vorleser", das emotionale Dilemma der Nachkriegsgeneration zur Karikatur verkitscht. Um Hanna zu entlasten, mache er sie zur Analphabetin und zum Sündenbock für die Verbrechen ihrer Vorgesetzten, während er Berg in "maßlose Selbstbezichtigung" wegen eines erotischen Abenteuers ausbrechen lasse, das ihm niemand vorwerfen könne.
Das alles ist nicht ganz falsch (wenn auch stark verzerrt) und aus Aufsätzen von Jeremy Adler, Cynthia Ozick und anderen Schlink-Kritikern weitgehend bekannt. Irritierend wirkt an Donahues Argumentation, dass er die Rezeption des "Vorlesers" gegen diesen selbst wendet. So rechnet er es dem Buch als Mangel an, dass selbst der "scharfsinnige" Kritiker des "New Yorker" den Auschwitz-Prozess von 1965, den Schlink zu einer Kulisse seiner Geschichte macht, nach der Lektüre für "unbedeutend" gehalten und dass Oprah Winfrey die Zeugenaussage Hannas in ihrer Sendung falsch wiedergegeben habe. Andererseits ist sich Donahue nicht sicher, ob Schlinks "ziemlich anspruchloser" Text nicht doch "geschickt", ja mit "unverschämten Tricks", der Generation der deutschen Täterkinder einen unzulässigen Opferstatus einschreibt. Schließlich genügt ihm das "wehmütige" Lächeln, mit dem Schlink auf Oprahs Frage nach dem autobiographischen Hintergrund des Buchs reagierte, als Beweis für ebendiese lebensgeschichtliche Verwicklung des Autors in seinen Stoff.
Das alles hat mit seriöser Kritik nichts zu tun, es ist aus denselben historisch-literarischen Klischees gewoben, die Donahue in Schlinks Roman aufzuspüren versucht. Dennoch folgt man seinen Analysen stellenweise mit Interesse, etwa dort, wo er den überwältigenden Erfolg des "Vorlesers" in Amerika als Etappe einer Entwicklung beschreibt, die mit der Fernsehserie "Holocaust" begonnen hat und mit der Eröffnung des Holocaust Memorial Museums in Washington noch längst nicht abgeschlossen ist. Mit seiner Schlusspointe aber verspielt Donahue endgültig die Möglichkeiten des Themas. Sie besteht darin, dass er Stephen Daldrys "Vorleser"-Adaptation gegen die Vorlage in Stellung bringt: Der Film plädiere "viel glaubwürdiger für eine mitfühlende Sicht sozial benachteiligter Täter" als der Roman, weil er Kate Winslets Hanna in Kleidung und Dekor deutlich als Angehörige der Arbeiterklasse ausweise. Hat also Schlink seine Geschichte nicht richtig erzählt? Oder hat der Professor aus North Carolina bloß vergessen, dass Bücher auch von Dingen handeln, die sie nicht aussprechen? Am Ende geht der "Vorleser" aus dem Prozess, den Donahue gegen ihn anstrengt, gestärkt hervor. Das kann der Autor nicht gewollt haben. Aber es dient der Wahrheitsfindung.
ANDREAS KILB
William Donahue: "Holocaust Lite." Bernhard Schlinks "NS-Romane" und ihre Verfilmungen.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2011, 313 S., Abb., 34,80 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
William Collins Donahue resümiert die Bedenken gegen Schlinks "Vorleser"
Siebzehn Jahre sind vergangen, seit Bernhard Schlinks Roman "Der Vorleser" erschien, vor zwei Jahren lief die Verfilmung im Kino, deshalb kommt William Collins Donahues Buch keinen Moment zu früh. Mit dem Bestseller von Schlink sind auch die Polemiken, die er ausgelöst hat, mittlerweile historisch geworden - historisch genug jedenfalls für eine rückblickende Studie wie die von Donahue, der vor allem wiedergibt, was anderswo schon zu lesen und zu sehen war, und erst am Schluss zu einem Fazit kommt, das ebenso überraschend wie fragwürdig ist.
Donahue, Associate Professor für German Studies und Jewish Studies an der Duke University in North Carolina, gehört nicht zu den Freunden des "Vorlesers", wie schon der Titel seines Buchs verrät. "Holocaust Lite" ist keine unparteiische Untersuchung der Schlinkschen "NS-Romane", zu denen Donahue auch die Krimis der "Selb"-Trilogie rechnet, sondern ein Indizienprozess, bei dem nicht nur der Autor selbst und sein Werk, sondern auch Rezensionen, Unterrichtsmaterialien, wissenschaftliche Arbeiten und sogar die Talkmasterin Oprah Winfrey in den Zeugenstand gerufen werden. Die Anklage: Schlink habe durch die Figur der KZ-Aufseherin Hanna Schmitz die Täter des Holocaust verharmlost und in der Gestalt ihres zeitweiligen Liebhabers Michael Berg, des Erzählers im "Vorleser", das emotionale Dilemma der Nachkriegsgeneration zur Karikatur verkitscht. Um Hanna zu entlasten, mache er sie zur Analphabetin und zum Sündenbock für die Verbrechen ihrer Vorgesetzten, während er Berg in "maßlose Selbstbezichtigung" wegen eines erotischen Abenteuers ausbrechen lasse, das ihm niemand vorwerfen könne.
Das alles ist nicht ganz falsch (wenn auch stark verzerrt) und aus Aufsätzen von Jeremy Adler, Cynthia Ozick und anderen Schlink-Kritikern weitgehend bekannt. Irritierend wirkt an Donahues Argumentation, dass er die Rezeption des "Vorlesers" gegen diesen selbst wendet. So rechnet er es dem Buch als Mangel an, dass selbst der "scharfsinnige" Kritiker des "New Yorker" den Auschwitz-Prozess von 1965, den Schlink zu einer Kulisse seiner Geschichte macht, nach der Lektüre für "unbedeutend" gehalten und dass Oprah Winfrey die Zeugenaussage Hannas in ihrer Sendung falsch wiedergegeben habe. Andererseits ist sich Donahue nicht sicher, ob Schlinks "ziemlich anspruchloser" Text nicht doch "geschickt", ja mit "unverschämten Tricks", der Generation der deutschen Täterkinder einen unzulässigen Opferstatus einschreibt. Schließlich genügt ihm das "wehmütige" Lächeln, mit dem Schlink auf Oprahs Frage nach dem autobiographischen Hintergrund des Buchs reagierte, als Beweis für ebendiese lebensgeschichtliche Verwicklung des Autors in seinen Stoff.
Das alles hat mit seriöser Kritik nichts zu tun, es ist aus denselben historisch-literarischen Klischees gewoben, die Donahue in Schlinks Roman aufzuspüren versucht. Dennoch folgt man seinen Analysen stellenweise mit Interesse, etwa dort, wo er den überwältigenden Erfolg des "Vorlesers" in Amerika als Etappe einer Entwicklung beschreibt, die mit der Fernsehserie "Holocaust" begonnen hat und mit der Eröffnung des Holocaust Memorial Museums in Washington noch längst nicht abgeschlossen ist. Mit seiner Schlusspointe aber verspielt Donahue endgültig die Möglichkeiten des Themas. Sie besteht darin, dass er Stephen Daldrys "Vorleser"-Adaptation gegen die Vorlage in Stellung bringt: Der Film plädiere "viel glaubwürdiger für eine mitfühlende Sicht sozial benachteiligter Täter" als der Roman, weil er Kate Winslets Hanna in Kleidung und Dekor deutlich als Angehörige der Arbeiterklasse ausweise. Hat also Schlink seine Geschichte nicht richtig erzählt? Oder hat der Professor aus North Carolina bloß vergessen, dass Bücher auch von Dingen handeln, die sie nicht aussprechen? Am Ende geht der "Vorleser" aus dem Prozess, den Donahue gegen ihn anstrengt, gestärkt hervor. Das kann der Autor nicht gewollt haben. Aber es dient der Wahrheitsfindung.
ANDREAS KILB
William Donahue: "Holocaust Lite." Bernhard Schlinks "NS-Romane" und ihre Verfilmungen.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2011, 313 S., Abb., 34,80 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
William Donahue, Professor für German Studies und Jewish Studies in North Carolina, inszeniert hier einen "Indizienprozess", konstatiert Rezensent Andreas Kilb. Bernhard Schlinks "Vorleser" werde der Verharmlosung der Holocaust-Täter angeklagt und für schuldig befunden, so der Rezensent. Nun hat man derlei Vorwürfe bereits in der Vergangenheit mehrfach an Schlink herangetragen, wie sich Kilb erinnert. Neu an Donahues Buch findet er allerdings die eklatante Fragwürdigkeit der aufgefahrenen Argumente. Dass ein Kritiker des "New Yorker" nach der Lektüre des "Vorlesers" den Auschwitz-Prozess von 1965 für "unbedeutend" hielt, sei nach Donahues Einschätzung ebenso Schlink anzulasten wie ein von Oprah Winfrey abgegebenes falsches Zitat aus der Zeugenaussage der Protagonistin Hanna. Eine Beweisführung, die die Rezeption eines Werkes gegen dieses in Anschlag bringt, "hat mit seriöser Kritik nichts zu tun", so Kilb. Daher geht für ihn der "Vorleser" letztlich als Sieger aus dem Schauprozess hervor - was der Kritiker mitnichten bedauernswert findet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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