Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2002Suche Riesin mit Bikini
Die Arbeitslosen der Liebe: Dagoberto Gilbs Erzählungen über Fachkräfte und Schwervermittelbare / Von Pia Reinacher
Mit der Liebe verhält es sich in diesen Geschichten so: Sie ist unmöglich. Und doch flammen in Dagoberto Gilbs "Holzschnitten von Frauen" ständig neue Ikonen des Weiblichen auf. Die Frau, gesehen aus den gierigen Augen des Mannes: grelle, zwielichtige, verworfene, rätselhafte Wesen. Ab und zu tritt eine erotische Madonna auf die männliche Weltenbühne. Aber das ist die Ausnahme. In den zehn Erzählungen des amerikanischen Schriftstellers mexikanischer Herkunft ist Liebe, Verführung, Sexualität der reißende Untergrund und die triebgesteuerte Ohnmacht des Helden Voraussetzung zum krisenhaften Ausgang. Das ergibt, im spröden sprachlichen Zugriff, im lakonischen Ton dieses Autors eine elektrisierende Mischung.
Dagoberto Gilb, der von der amerikanischen Kritik hoch gelobt und mit wichtigen Literaturpreisen ausgezeichnet wurde, gilt hierzulande immer noch als Geheimtip. Sein bevorzugter Stoff siedelte sich bis jetzt auf ganz anderem Terrain an: Unterprivilegierte Randständige, illegale Einwanderer, die sich ihren Traum vom amerikanischen Glück hart erkämpfen mußten, Gescheiterte und Gebrochene im Räderwerk des mörderischen Arbeitskampfes waren seine literarischen Helden.
In den neuen Geschichten ist die Liebe wie ein Strom, der seine Opfer magisch anzieht, in die Tiefe reißt und dann vollkommen gleichgültig ausspuckt: Mit blauen Flecken, aufgerissenen Schrammen und dem Stigma der Gescheiterten auf die Stirn gebrannt, finden sie sich am Rande des Hades wieder. Wie wild und abgebrüht die einsamen Wölfe in Dagoberto Gilbs Geschichten auch durchs Leben streunen, die Liebe schleudert sie immer in die Nähe des Abgrunds. Der Autor bringt die Sache in den ersten Sätzen seiner Eingangserzählung "Maria de Covina" lakonisch auf den Punkt: "Die Sache ist nämlich die: Ich mag Frauen. Nein halt. Ich liebe Frauen." Die Schwäche für das weibliche Wesen wird dem jungen, hübschen Verkäufer zum Verhängnis. Zwar hat er bereits eine attraktive Freundin, aber wenn er in die Nähe von Frauen kommt, fühlt er sich wie betrunken.
Trotzdem gehört sein Charme nicht zu der konventionellen Sorte: Er ist weder aggressiv, noch schleicht er den Frauen nach, noch baggert er sie an. Sein Kapital der Verführung ist schlicht: zwei Sportsakkos, ungefähr sechs Krawatten, drei schicke Hosen, ein feines Paar Floresheim und ein Anzug mit Seidenfutter, den er bei "Lemonde" gekauft hat. Das reicht. Die Verkäuferinnen erliegen dem polierten Charme auf der Stelle, die Kundinnen, durchwegs ältere, reiche Damen, verwandeln sich beim Anblick des Verkäufers in willenlose Wesen. Die Geschichte wäre nicht so raffiniert, wenn sie nicht kurz vor Schluß eine bitterböse Wende nähme. Die Falle lauert in Form von Maria de Covina, Abteilungsleiterin und Chefin des Verführers, eine frustrierte Männerhasserin, die ihn nun ihrerseits mit schwülen Reizen ins Netz lockt, mit ihrem Giftstachel lähmt und dann - entläßt.
Jede Erzählung ist mit einem Holzschnitt von Artemio Rodriguez illustriert - stilisierte Bilder der Verführung und des verlorenen Paradieses - die in geheimer Korrespondenz zu den Geschichten stehen. Auch die Porträts von Frauen, die der amerikanische Autor merkwürdig stilisiert, sind wie mit dem Stichel aus dem Holzstock ausgehoben. Das Ergebnis ist nicht, wie man vielleicht erwarten würde, vereinfachende Schablonisierung. Im Gegenteil. Die harten Striche, die äußerste Reduktion schaffen Platz für die Phantasie des Lesers und machen gerade den literarischen Reiz aus. Gefordert ist millimetergenaue Präzisionsarbeit.
Bild um Bild schiebt sich so vor das innere Auge des Lesers, flächig und wie mit Kreide aufgetragen, träumerische Imaginationen des Weiblichen: Huren, glitzernde Schönheiten, schlaue Heldinnen des Alltags, die mit robuster Moral über die Runden kommen, tragische Geliebte, dumpf gewordene Alte, fette Ehemänner mit schönen, einsamen Frauen. Man entziffert die Bilder mit den winzigen vieldeutigen Anspielungen und den kaum hörbaren, aber ziemlich frechen Untertönen mit wachsendem Vergnügen: "Frauen, die hier zu Mittag essen, tragen Nylonstrümpfe, Stöckelschuhe und falsche Perlenketten. Der Kaffee ist zu heiß, zu alt, zu schwarz, zu dünn, und ich färbe ihn mit der weißen Flüssigkeit, die keine Milch ist. Die Kellnerin trägt ihr Haar hochgesteckt, und in dem Netz, das den Knoten hält, stecken zwei Stoffblumen. Eine originelle, berauschende Wirkung, aber wie bei einer mit Strychnin gestreckten Droge ist die Wirkung gedämpft, ein Hauch von Tod schwingt darin mit, und der Trubel macht Blut und Atem und Muskeln verwegen."
Eine der stärksten Geschichten trägt den Titel "Passiv". Hier mischen sich sämtliche, in den übrigen Texten nur prisenweise eingesetzte Ingredienzen zu einem betäubenden Parfüm: die Dreiecksgeschichte ohne Ausweg. Die unterschwellig wabernden homosexuellen Zuckungen, nie ganz ausgesprochen, oft halb verleugnet, stets präsent. Die aggressiv erotische Schönheit im schwarzen Bikini, eine Riesin, gigantisch in jeder Hinsicht - wie oft bei Dagoberto Gilb sind die wirklichen Verführerinnen, denen die Helden erliegen, zwiegesichtig, verkleidete Männinnen mit übersteigerten weiblichen Reizen. Eine mütterliche Freundin, die dem getriebenen Helden Zuflucht bietet. Und das Kernmotiv der Erzählung, immer wiederkehrend: die unlösbare Überlagerung von Realität und Traum. Der Ich-Erzähler wird überschwemmt von erotischen Bilderfluten, denen er hilflos ausgeliefert ist. Zwanghaft muß er an die Geliebte in der Ferne denken, wobei die Distanz die unausgesprochene Voraussetzung zur Liebe ist. Gleichzeitig läßt er sich willenlos, "passiv", von der aggressiven Gigantin im Bikini verschlingen. Wie nirgend sonst gelingt es Gilb hier, Traumfetzen, fiebrige Wahnbilder, erregende Zwangsvorstellungen auf unlösbare Weise zu verweben und damit zu einem spannungsgeladenen Bild der erotischen Verwirrung seines Helden zusammenzufügen.
Dagoberto Gilb: "Holzschnitte von Frauen". Erzählungen. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Werner Schmitz. Mit Holzschnitten von Artemio Rodriguez. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2002. 220 S., geb., 18,90.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Arbeitslosen der Liebe: Dagoberto Gilbs Erzählungen über Fachkräfte und Schwervermittelbare / Von Pia Reinacher
Mit der Liebe verhält es sich in diesen Geschichten so: Sie ist unmöglich. Und doch flammen in Dagoberto Gilbs "Holzschnitten von Frauen" ständig neue Ikonen des Weiblichen auf. Die Frau, gesehen aus den gierigen Augen des Mannes: grelle, zwielichtige, verworfene, rätselhafte Wesen. Ab und zu tritt eine erotische Madonna auf die männliche Weltenbühne. Aber das ist die Ausnahme. In den zehn Erzählungen des amerikanischen Schriftstellers mexikanischer Herkunft ist Liebe, Verführung, Sexualität der reißende Untergrund und die triebgesteuerte Ohnmacht des Helden Voraussetzung zum krisenhaften Ausgang. Das ergibt, im spröden sprachlichen Zugriff, im lakonischen Ton dieses Autors eine elektrisierende Mischung.
Dagoberto Gilb, der von der amerikanischen Kritik hoch gelobt und mit wichtigen Literaturpreisen ausgezeichnet wurde, gilt hierzulande immer noch als Geheimtip. Sein bevorzugter Stoff siedelte sich bis jetzt auf ganz anderem Terrain an: Unterprivilegierte Randständige, illegale Einwanderer, die sich ihren Traum vom amerikanischen Glück hart erkämpfen mußten, Gescheiterte und Gebrochene im Räderwerk des mörderischen Arbeitskampfes waren seine literarischen Helden.
In den neuen Geschichten ist die Liebe wie ein Strom, der seine Opfer magisch anzieht, in die Tiefe reißt und dann vollkommen gleichgültig ausspuckt: Mit blauen Flecken, aufgerissenen Schrammen und dem Stigma der Gescheiterten auf die Stirn gebrannt, finden sie sich am Rande des Hades wieder. Wie wild und abgebrüht die einsamen Wölfe in Dagoberto Gilbs Geschichten auch durchs Leben streunen, die Liebe schleudert sie immer in die Nähe des Abgrunds. Der Autor bringt die Sache in den ersten Sätzen seiner Eingangserzählung "Maria de Covina" lakonisch auf den Punkt: "Die Sache ist nämlich die: Ich mag Frauen. Nein halt. Ich liebe Frauen." Die Schwäche für das weibliche Wesen wird dem jungen, hübschen Verkäufer zum Verhängnis. Zwar hat er bereits eine attraktive Freundin, aber wenn er in die Nähe von Frauen kommt, fühlt er sich wie betrunken.
Trotzdem gehört sein Charme nicht zu der konventionellen Sorte: Er ist weder aggressiv, noch schleicht er den Frauen nach, noch baggert er sie an. Sein Kapital der Verführung ist schlicht: zwei Sportsakkos, ungefähr sechs Krawatten, drei schicke Hosen, ein feines Paar Floresheim und ein Anzug mit Seidenfutter, den er bei "Lemonde" gekauft hat. Das reicht. Die Verkäuferinnen erliegen dem polierten Charme auf der Stelle, die Kundinnen, durchwegs ältere, reiche Damen, verwandeln sich beim Anblick des Verkäufers in willenlose Wesen. Die Geschichte wäre nicht so raffiniert, wenn sie nicht kurz vor Schluß eine bitterböse Wende nähme. Die Falle lauert in Form von Maria de Covina, Abteilungsleiterin und Chefin des Verführers, eine frustrierte Männerhasserin, die ihn nun ihrerseits mit schwülen Reizen ins Netz lockt, mit ihrem Giftstachel lähmt und dann - entläßt.
Jede Erzählung ist mit einem Holzschnitt von Artemio Rodriguez illustriert - stilisierte Bilder der Verführung und des verlorenen Paradieses - die in geheimer Korrespondenz zu den Geschichten stehen. Auch die Porträts von Frauen, die der amerikanische Autor merkwürdig stilisiert, sind wie mit dem Stichel aus dem Holzstock ausgehoben. Das Ergebnis ist nicht, wie man vielleicht erwarten würde, vereinfachende Schablonisierung. Im Gegenteil. Die harten Striche, die äußerste Reduktion schaffen Platz für die Phantasie des Lesers und machen gerade den literarischen Reiz aus. Gefordert ist millimetergenaue Präzisionsarbeit.
Bild um Bild schiebt sich so vor das innere Auge des Lesers, flächig und wie mit Kreide aufgetragen, träumerische Imaginationen des Weiblichen: Huren, glitzernde Schönheiten, schlaue Heldinnen des Alltags, die mit robuster Moral über die Runden kommen, tragische Geliebte, dumpf gewordene Alte, fette Ehemänner mit schönen, einsamen Frauen. Man entziffert die Bilder mit den winzigen vieldeutigen Anspielungen und den kaum hörbaren, aber ziemlich frechen Untertönen mit wachsendem Vergnügen: "Frauen, die hier zu Mittag essen, tragen Nylonstrümpfe, Stöckelschuhe und falsche Perlenketten. Der Kaffee ist zu heiß, zu alt, zu schwarz, zu dünn, und ich färbe ihn mit der weißen Flüssigkeit, die keine Milch ist. Die Kellnerin trägt ihr Haar hochgesteckt, und in dem Netz, das den Knoten hält, stecken zwei Stoffblumen. Eine originelle, berauschende Wirkung, aber wie bei einer mit Strychnin gestreckten Droge ist die Wirkung gedämpft, ein Hauch von Tod schwingt darin mit, und der Trubel macht Blut und Atem und Muskeln verwegen."
Eine der stärksten Geschichten trägt den Titel "Passiv". Hier mischen sich sämtliche, in den übrigen Texten nur prisenweise eingesetzte Ingredienzen zu einem betäubenden Parfüm: die Dreiecksgeschichte ohne Ausweg. Die unterschwellig wabernden homosexuellen Zuckungen, nie ganz ausgesprochen, oft halb verleugnet, stets präsent. Die aggressiv erotische Schönheit im schwarzen Bikini, eine Riesin, gigantisch in jeder Hinsicht - wie oft bei Dagoberto Gilb sind die wirklichen Verführerinnen, denen die Helden erliegen, zwiegesichtig, verkleidete Männinnen mit übersteigerten weiblichen Reizen. Eine mütterliche Freundin, die dem getriebenen Helden Zuflucht bietet. Und das Kernmotiv der Erzählung, immer wiederkehrend: die unlösbare Überlagerung von Realität und Traum. Der Ich-Erzähler wird überschwemmt von erotischen Bilderfluten, denen er hilflos ausgeliefert ist. Zwanghaft muß er an die Geliebte in der Ferne denken, wobei die Distanz die unausgesprochene Voraussetzung zur Liebe ist. Gleichzeitig läßt er sich willenlos, "passiv", von der aggressiven Gigantin im Bikini verschlingen. Wie nirgend sonst gelingt es Gilb hier, Traumfetzen, fiebrige Wahnbilder, erregende Zwangsvorstellungen auf unlösbare Weise zu verweben und damit zu einem spannungsgeladenen Bild der erotischen Verwirrung seines Helden zusammenzufügen.
Dagoberto Gilb: "Holzschnitte von Frauen". Erzählungen. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Werner Schmitz. Mit Holzschnitten von Artemio Rodriguez. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2002. 220 S., geb., 18,90
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
"Dagoberto Gilbs Geschichten sind wie kleine Fliegen, die sich im Netz verfangen und noch eine Weile nachzittern", meint Rezensent Tilman Urbach über den Band "Holzschnitte von Frauen" und will dies als großes Lob verstanden wissen. Denn für Urbach gilt es, den in den USA längst preisgekrönten Autor hierzulande endlich zu entdecken. So sieht er in den Kurzgeschichten eine "wunderbare Einladung", sich mit Gilb zu beschäftigen. In den Geschichten gehe es fast immer um die Liebe, um Missverständnisse, um Paare, die vor der erbärmlichen Realität in Traumwelten flüchten, schreibt Urbach und findet vor allem ihre Helden ausgesprochen liebenswert, die zwischen den Kulturen, im Süden der Vereinigten Staaten, nahe an Mexiko leben: "vom Leben deformierte Maulhelden", Outlaws und Underdogs, "die aus dem amerikanischen Traum ausgeschlossen bleiben und doch nicht aufhören können, ihn zu träumen".
© Perlentaucher Medien GmbH
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