Homer und der troianische Krieg - Mythos oder Realität? Bei der Arbeit an seiner großen Ilias-Übersetzung, ist Raoul Schrott auf eine Sensation gestoßen: Der Schauplatz der Ilias ist nicht Troia.
Der Krieg um Troia ist das mythische Ereignis am Anfang der europäischen Geschichte; die Ilias des Homer sein unvergleichliches Zeugnis. Doch was ist wahr an dieser Geschichte, und was ist Dichtung? Wer war Homer, der mythische Sänger, wirklich?
Raoul Schrott legt in seiner großen Studie mit einer Fülle von Daten, Fakten, Belegen und Indizien eine Lösung vor - und das erste Mal seit über 2500 Jahren wird nicht nur der zeitgenössische Hintergrund der Ilias rekonstruiert, sondern auch die Person Homer und ihre Herkunft erkennbar gemacht. Die literarischen Quellen der Ilias führen in ihrer kulturellen Vielfalt in einen Raum, zu einem Volk, das sich selber als Danaer und Achaier begriff: nach Kilikien.
Rauoul Schrott hat die kilikischen Hintergründe für die Götter und Heldenfiguren der Ilias erforscht; die kilikische Landschaft bereist; die Realgeschichte wiedergefunden, die Homer in den alten Troiastoff projiziert, und die historischen Vorbilder für unsterbliche Figuren wie Paris, Helena, Hektor, Achilleus und Priamos. Und er führt und vor das eigentliche Modell für Troia: die Bergfestung von Karatepe, die Blüte der kilikischen Hochkultur.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Der Krieg um Troia ist das mythische Ereignis am Anfang der europäischen Geschichte; die Ilias des Homer sein unvergleichliches Zeugnis. Doch was ist wahr an dieser Geschichte, und was ist Dichtung? Wer war Homer, der mythische Sänger, wirklich?
Raoul Schrott legt in seiner großen Studie mit einer Fülle von Daten, Fakten, Belegen und Indizien eine Lösung vor - und das erste Mal seit über 2500 Jahren wird nicht nur der zeitgenössische Hintergrund der Ilias rekonstruiert, sondern auch die Person Homer und ihre Herkunft erkennbar gemacht. Die literarischen Quellen der Ilias führen in ihrer kulturellen Vielfalt in einen Raum, zu einem Volk, das sich selber als Danaer und Achaier begriff: nach Kilikien.
Rauoul Schrott hat die kilikischen Hintergründe für die Götter und Heldenfiguren der Ilias erforscht; die kilikische Landschaft bereist; die Realgeschichte wiedergefunden, die Homer in den alten Troiastoff projiziert, und die historischen Vorbilder für unsterbliche Figuren wie Paris, Helena, Hektor, Achilleus und Priamos. Und er führt und vor das eigentliche Modell für Troia: die Bergfestung von Karatepe, die Blüte der kilikischen Hochkultur.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.07.2008Die Anfängerfehler des Herrn Homer
Raoul Schrott hat allerhand Gelehrtenstaub aufgewirbelt mit seinen Thesen zur Herkunft Homers. Jetzt sollte er aber langsam wieder in den Kreis der seriösen Forscher zurückkehren.
Von Thomas Poiss
Schon die Griechen stritten über Homers Herkunft, und seit Raoul Schrott erneut die Homerische Frage mit einem großen Coup lanciert hat, für den ihm klassische Philologen und Altorientalisten dankbar sein müssen, wird nicht mehr nur in Fachzirkeln, sondern auf großen Podien über Homer und die Geschichte des Vorderen Orients diskutiert. Was ist von Schrotts Thesen zu halten?
Schrott übersetzt seit einiger Zeit für den Hessischen Rundfunk Homers "Ilias", fuhr nach Hisarlik an den Dardanellen, wo man in der Antike und seit Schliemann Troja lokalisiert hat, und gewann dort den Eindruck, dass die Landschaft nicht zum Text passe. Der Burghügel sei zu klein, ebenso die Bucht für die griechischen Schiffe. Zudem stieß Schrott, der 2001 eine Version des Gilgamesch-Epos vorgelegt hat, auf "wörtliche Zitate" daraus, die ihn an der Entstehung der "Ilias" aus mündlicher Tradition zweifeln ließen. All dies führte zur Versenkung in moderne Forschungsliteratur und zu einem Besuch in Kilikien im Südosten der Türkei. Dort, in der Nordwestecke des Reiches der Assyrer, habe ein griechisch-aramäischer Schreiber in assyrischen Diensten, gestützt auf assyrische Annalen und unter Anlehnung an die schriftlich verfassten orientalischen Epen, die "Ilias" komponiert. Im Kampf um Troja spiegele sich der "zeitgenössische Hintergrund" der kilikischen Revolten gegen die Assyrer im frühen siebten Jahrhundert vor Christus. Troia sei die kilikische Bergfestung Karatepe.
Man stutzt, denn Griechenland und die Ägäis kommen in Schrotts "Ilias" praktisch nicht vor; auch werden die Erzählstruktur des Werks und die von Schrott selbst noch vor kurzem (Hanser Akzente 3/2006) mit Nachdruck vertretene Mündlichkeit des Epos ausgeblendet. Akzeptiert man diese Verfremdung, stellt sich die Frage nach der Basis von Schrotts "kumulativer Beweisführung". Gab es in Kilikien überhaupt Griechen? Casabonne, Schrotts primäre Autorität für Kilikien, stellte 2004 fest: Ja, es gab dort Griechen, doch die Annahme einer griechischen Kolonisation "bleibt illusorisch". Schrott weiß das und gibt selbst zu: "Von griechischen Kolonien kann eigentlich kaum gesprochen werden" - was ihn nicht hindert, sehr oft von griechischer Kolonisation zu sprechen. Ebenso heikel ist die Ionier-Frage: In orientalischen Quellen werden "Iawones" erwähnt, die man mit den griechischen Ioniern in Verbindung bringt. Leider zählten die Assyrer auch Phöniker und Angehörige anderer Völker zu den "Ioniern". Rollinger, Schrotts wichtigste Referenz in dieser Sache, hat betont, dass das also nicht Ionier in modernem oder antikem Sinn seien, sondern "Ionier" aus Sicht der Assyrer. Schrott lässt diese Warnung weg, tilgt die Anführungszeichen, hat plötzlich Ionier - und verformt den weitgehend von Rollinger übernommenen Text entscheidend.
Dieser Thesenfinder hat ein ganz und gar
abenteuerliches Herz
Das Kapitel über den Namen "Homer" ist großteils einem Aufsatz Martin Wests (2001) entnommen, der die These verficht, Homer sei ein von der Rhapsodengilde der "Homeridae" erfundener Namenspatron. Schrott kehrt allerdings zu Wests früherer, von ihm selbst als "zu abenteuerlich" verworfener These zurück, "Homer" beziehe seinen Namen von einer phönizischen Wendung "bene omerim" ("Söhne der Sprecher/Sänger"), und fügt noch aus Eigenem hinzu, weil "homer" auf Aramäisch "Eselslast" bedeute, hätte sich Homer in einem Gleichnis als Knabe, der auf einen Esel einschlägt, "ein Denkmal gesetzt". Schrotts Argumente sind, gelinde gesagt, oft schwer nachvollziehbar. Noch schwerer sind seine theoretischen Prämissen zu akzeptieren. Schrott liest Homer mit den verstaubtesten Verfahren der Literaturwissenschaft: Abbildrealismus, Allegorese und Vermutungen zur Autorpsychologie. Wer aber wie Schrott nach dem Realismus-Kriterium befindet, die Landschaft um Hisarlik/Troia passe nicht zur "Ilias", muss eine perfekte Alternative bieten. Schrott kommt nun anhand einiger plausibler und vieler zweifelhafter Namensähnlichkeiten auf Kilikien und entdeckt dort die Bergfestung Karatepe. Zugegeben, die Landschaft ist atemberaubend; wo aber liegt das griechische Schiffslager? Schrott lokalisiert es in Tarsos. Diese Stadt liegt weder direkt am Meer noch bei Karatepe, sondern ist etwa einhundert Kilometer von dort entfernt. Mag es in Details schwierig sein, die "Ilias" an den Dardanellen zu lokalisieren - in Schrotts Kilikien ist es nach seinem eigenen Realismus-Kriterium ausgeschlossen. Denn aus verschiedenen Orten eine Szene zusammensetzen kann man überall, auch im herkömmlichen Troja. Warum sollte man aber überhaupt um die abgelegene Bergfestung Karatepe kämpfen? Weil, so Schrott, die Ilias "Danaer und Achaier in die Rolle der Assyrer schlüpfen" lässt. Verständlicher formuliert: Die Griechen der "Ilias" meinen eigentlich die Assyrer, die Troianer sind die "späthethitischen Kilikier"!
Die verwegene Landschaftsverschiebung ist an einen kompletten Rollen- und Völkertausch gekoppelt, der von Schrott detailliert zu Ende gespielt wird. Priamos hat im Kilikerführer Azatiwada sein "historisches Vorbild" und liefert dessen "Porträt"; dessen Nachfolger Sanduarri ist der "kilikische Hektor", der assyrische König Asarhaddon übernimmt die Rolle Achills, und Sanduarri, der sich geschlagen in die (etwa zweihundert Kilometer von Karatepe entfernten!) Berge zurückzieht, "liefert Homer die Idee der Verfolgungsjagd", an deren Ende Hektor von Achill getötet wird.
Schrott betreibt psychologisierende Allegorese, um schemenhaft aus propagandistischen Annalen und Inschriften bekannte Namen auf ein ganz anders motiviertes Erzählgeschehen zu projizieren. Homer soll "die Realgeschichte seiner Zeit anhand der Annalen aufgearbeitet" und ein "nationales Epos" der Kilikier geschaffen haben, das letztlich an den neuen assyrischen König Assurbanipal gerichtet sei, um zu Ausgleich und Völkerverständigung zu mahnen. Wer Homer attestiert, dass er "ein typisches Anfängerwerk" vorgelegt habe, das seine Spannung "eher aus dem Anekdotischen" beziehe, muss sich fragen lassen, ob das eigene Konstrukt auch nur zum Plot eines Fantasy-Films taugt. Schrotts Thesen sind ein zusammengesponnenes Gedankenspiel, das mit der "Ilias" nur entfernt zu tun hat.
Die Illias wird hier zum Schlüsselroman, der Autor zum Weichei
Und das ist, sofern es sich nicht um Wissenschaftsparodie handelt, tragisch. Denn jeder, der in den letzten Monaten Schrott begegnet ist, wurde angesteckt von seiner Begeisterung, bewunderte seine stupende Belesenheit und fragt sich nun, ob dieser heroische Elan nicht Schrott wie Achill in eine Art Verblendung geführt hat. Verstörend ist nicht allein Schrotts Umgang mit den Quellen, sondern auch, wie er die "Ilias" auf das Niveau eines Schlüsselromans zieht. Aus assyrischer Quelle wissen wir, dass der Assyrerkönig Sargon dem Kilikerfürsten Amaris seine Tochter zur Frau gegeben hatte und dieser sich später gegen die Assyrer erhob. Schrott glaubt in dieser Frau Helena zu erkennen - und ihr Mann wird ihm zu Paris, dem "Weichei", das "unter der Fuchtel seiner assyrischen Gattin" gestanden habe. Das trägt weder zum Verständnis assyrischer Geschichte bei, noch hat es mit Homer zu tun.
Es ist zum Verzweifeln, mitansehen zu müssen, welche Energie hier verpufft, aber auch, mit welcher Überhebung jemand die Gewährsleute auszustechen versucht, denen er alle Informationen verdankt: West, Burkert, Rollinger und viele andere. Denn Schrott fragt wie sie nach dem Schnittbereich der griechischen und der vorderasiatischen Kulturen, dem die homerischen Epen entstammen. Kilikien, Nordsyrien und Zypern gelten seit langem als wichtiger Raum für die Entwicklung der griechischen Schrift. West, Burkert, Rollinger und andere haben zudem seit Jahrzehnten die Parallelen aus den orientalischen Texten gesammelt und bereitgestellt. Von der Fülle dieser Materialien ließ sich Schrott aber offenbar so weit hinreißen, dass er die "Ilias" aus dem Blick verloren hat. Was die These vom "assimilierten" griechisch-aramäischen Schreiber, der in Flickschustertechnik disparates Material "eingearbeitet" haben soll, nicht im mindesten erklärt, ist die Qualität des Textes, die nur aus einer langen mündlichen Sängertradition stammen kann, die souverän über Sprachschichten, Formeln, Motive und szenische Kompositionsformen verfügt. Alle Gräzisten und auch Schrott bis 2006 waren sich darin einig. West hat 1997 auch bereits ein sehr plausibles Bild gezeichnet, wie die Griechen mit dem Orient interagierten: Es geht auch ohne Völker-Charade. Wer aber Schrotts Buch zuschlägt, wundert sich, dass die "Ilias" überhaupt auf Griechisch geschrieben ist, und auch Schrott muss ja zuletzt vermuten, dass dem Assyrerkönig Assurbanipal die Ilias vielleicht aus dem Griechischen übersetzt worden sei.
Lieber, verehrter Raoul Schrott, kehren Sie in die Gemeinschaft der Homer-Forscher zurück! Die Eroberung Trojas durch die Wissenschaft braucht weiterhin enthusiastische Vorkämpfer wie Sie, aber noch viel mehr Geduld und besonnenes Zusammenspiel. Achills Unsterblichkeit gibt es kein zweites Mal.
- Raoul Schrott: "Homers Heimat".
Der Kampf um Troia und seine realen Hintergründe. Carl Hanser Verlag, München 2008. 422 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Raoul Schrott hat allerhand Gelehrtenstaub aufgewirbelt mit seinen Thesen zur Herkunft Homers. Jetzt sollte er aber langsam wieder in den Kreis der seriösen Forscher zurückkehren.
Von Thomas Poiss
Schon die Griechen stritten über Homers Herkunft, und seit Raoul Schrott erneut die Homerische Frage mit einem großen Coup lanciert hat, für den ihm klassische Philologen und Altorientalisten dankbar sein müssen, wird nicht mehr nur in Fachzirkeln, sondern auf großen Podien über Homer und die Geschichte des Vorderen Orients diskutiert. Was ist von Schrotts Thesen zu halten?
Schrott übersetzt seit einiger Zeit für den Hessischen Rundfunk Homers "Ilias", fuhr nach Hisarlik an den Dardanellen, wo man in der Antike und seit Schliemann Troja lokalisiert hat, und gewann dort den Eindruck, dass die Landschaft nicht zum Text passe. Der Burghügel sei zu klein, ebenso die Bucht für die griechischen Schiffe. Zudem stieß Schrott, der 2001 eine Version des Gilgamesch-Epos vorgelegt hat, auf "wörtliche Zitate" daraus, die ihn an der Entstehung der "Ilias" aus mündlicher Tradition zweifeln ließen. All dies führte zur Versenkung in moderne Forschungsliteratur und zu einem Besuch in Kilikien im Südosten der Türkei. Dort, in der Nordwestecke des Reiches der Assyrer, habe ein griechisch-aramäischer Schreiber in assyrischen Diensten, gestützt auf assyrische Annalen und unter Anlehnung an die schriftlich verfassten orientalischen Epen, die "Ilias" komponiert. Im Kampf um Troja spiegele sich der "zeitgenössische Hintergrund" der kilikischen Revolten gegen die Assyrer im frühen siebten Jahrhundert vor Christus. Troia sei die kilikische Bergfestung Karatepe.
Man stutzt, denn Griechenland und die Ägäis kommen in Schrotts "Ilias" praktisch nicht vor; auch werden die Erzählstruktur des Werks und die von Schrott selbst noch vor kurzem (Hanser Akzente 3/2006) mit Nachdruck vertretene Mündlichkeit des Epos ausgeblendet. Akzeptiert man diese Verfremdung, stellt sich die Frage nach der Basis von Schrotts "kumulativer Beweisführung". Gab es in Kilikien überhaupt Griechen? Casabonne, Schrotts primäre Autorität für Kilikien, stellte 2004 fest: Ja, es gab dort Griechen, doch die Annahme einer griechischen Kolonisation "bleibt illusorisch". Schrott weiß das und gibt selbst zu: "Von griechischen Kolonien kann eigentlich kaum gesprochen werden" - was ihn nicht hindert, sehr oft von griechischer Kolonisation zu sprechen. Ebenso heikel ist die Ionier-Frage: In orientalischen Quellen werden "Iawones" erwähnt, die man mit den griechischen Ioniern in Verbindung bringt. Leider zählten die Assyrer auch Phöniker und Angehörige anderer Völker zu den "Ioniern". Rollinger, Schrotts wichtigste Referenz in dieser Sache, hat betont, dass das also nicht Ionier in modernem oder antikem Sinn seien, sondern "Ionier" aus Sicht der Assyrer. Schrott lässt diese Warnung weg, tilgt die Anführungszeichen, hat plötzlich Ionier - und verformt den weitgehend von Rollinger übernommenen Text entscheidend.
Dieser Thesenfinder hat ein ganz und gar
abenteuerliches Herz
Das Kapitel über den Namen "Homer" ist großteils einem Aufsatz Martin Wests (2001) entnommen, der die These verficht, Homer sei ein von der Rhapsodengilde der "Homeridae" erfundener Namenspatron. Schrott kehrt allerdings zu Wests früherer, von ihm selbst als "zu abenteuerlich" verworfener These zurück, "Homer" beziehe seinen Namen von einer phönizischen Wendung "bene omerim" ("Söhne der Sprecher/Sänger"), und fügt noch aus Eigenem hinzu, weil "homer" auf Aramäisch "Eselslast" bedeute, hätte sich Homer in einem Gleichnis als Knabe, der auf einen Esel einschlägt, "ein Denkmal gesetzt". Schrotts Argumente sind, gelinde gesagt, oft schwer nachvollziehbar. Noch schwerer sind seine theoretischen Prämissen zu akzeptieren. Schrott liest Homer mit den verstaubtesten Verfahren der Literaturwissenschaft: Abbildrealismus, Allegorese und Vermutungen zur Autorpsychologie. Wer aber wie Schrott nach dem Realismus-Kriterium befindet, die Landschaft um Hisarlik/Troia passe nicht zur "Ilias", muss eine perfekte Alternative bieten. Schrott kommt nun anhand einiger plausibler und vieler zweifelhafter Namensähnlichkeiten auf Kilikien und entdeckt dort die Bergfestung Karatepe. Zugegeben, die Landschaft ist atemberaubend; wo aber liegt das griechische Schiffslager? Schrott lokalisiert es in Tarsos. Diese Stadt liegt weder direkt am Meer noch bei Karatepe, sondern ist etwa einhundert Kilometer von dort entfernt. Mag es in Details schwierig sein, die "Ilias" an den Dardanellen zu lokalisieren - in Schrotts Kilikien ist es nach seinem eigenen Realismus-Kriterium ausgeschlossen. Denn aus verschiedenen Orten eine Szene zusammensetzen kann man überall, auch im herkömmlichen Troja. Warum sollte man aber überhaupt um die abgelegene Bergfestung Karatepe kämpfen? Weil, so Schrott, die Ilias "Danaer und Achaier in die Rolle der Assyrer schlüpfen" lässt. Verständlicher formuliert: Die Griechen der "Ilias" meinen eigentlich die Assyrer, die Troianer sind die "späthethitischen Kilikier"!
Die verwegene Landschaftsverschiebung ist an einen kompletten Rollen- und Völkertausch gekoppelt, der von Schrott detailliert zu Ende gespielt wird. Priamos hat im Kilikerführer Azatiwada sein "historisches Vorbild" und liefert dessen "Porträt"; dessen Nachfolger Sanduarri ist der "kilikische Hektor", der assyrische König Asarhaddon übernimmt die Rolle Achills, und Sanduarri, der sich geschlagen in die (etwa zweihundert Kilometer von Karatepe entfernten!) Berge zurückzieht, "liefert Homer die Idee der Verfolgungsjagd", an deren Ende Hektor von Achill getötet wird.
Schrott betreibt psychologisierende Allegorese, um schemenhaft aus propagandistischen Annalen und Inschriften bekannte Namen auf ein ganz anders motiviertes Erzählgeschehen zu projizieren. Homer soll "die Realgeschichte seiner Zeit anhand der Annalen aufgearbeitet" und ein "nationales Epos" der Kilikier geschaffen haben, das letztlich an den neuen assyrischen König Assurbanipal gerichtet sei, um zu Ausgleich und Völkerverständigung zu mahnen. Wer Homer attestiert, dass er "ein typisches Anfängerwerk" vorgelegt habe, das seine Spannung "eher aus dem Anekdotischen" beziehe, muss sich fragen lassen, ob das eigene Konstrukt auch nur zum Plot eines Fantasy-Films taugt. Schrotts Thesen sind ein zusammengesponnenes Gedankenspiel, das mit der "Ilias" nur entfernt zu tun hat.
Die Illias wird hier zum Schlüsselroman, der Autor zum Weichei
Und das ist, sofern es sich nicht um Wissenschaftsparodie handelt, tragisch. Denn jeder, der in den letzten Monaten Schrott begegnet ist, wurde angesteckt von seiner Begeisterung, bewunderte seine stupende Belesenheit und fragt sich nun, ob dieser heroische Elan nicht Schrott wie Achill in eine Art Verblendung geführt hat. Verstörend ist nicht allein Schrotts Umgang mit den Quellen, sondern auch, wie er die "Ilias" auf das Niveau eines Schlüsselromans zieht. Aus assyrischer Quelle wissen wir, dass der Assyrerkönig Sargon dem Kilikerfürsten Amaris seine Tochter zur Frau gegeben hatte und dieser sich später gegen die Assyrer erhob. Schrott glaubt in dieser Frau Helena zu erkennen - und ihr Mann wird ihm zu Paris, dem "Weichei", das "unter der Fuchtel seiner assyrischen Gattin" gestanden habe. Das trägt weder zum Verständnis assyrischer Geschichte bei, noch hat es mit Homer zu tun.
Es ist zum Verzweifeln, mitansehen zu müssen, welche Energie hier verpufft, aber auch, mit welcher Überhebung jemand die Gewährsleute auszustechen versucht, denen er alle Informationen verdankt: West, Burkert, Rollinger und viele andere. Denn Schrott fragt wie sie nach dem Schnittbereich der griechischen und der vorderasiatischen Kulturen, dem die homerischen Epen entstammen. Kilikien, Nordsyrien und Zypern gelten seit langem als wichtiger Raum für die Entwicklung der griechischen Schrift. West, Burkert, Rollinger und andere haben zudem seit Jahrzehnten die Parallelen aus den orientalischen Texten gesammelt und bereitgestellt. Von der Fülle dieser Materialien ließ sich Schrott aber offenbar so weit hinreißen, dass er die "Ilias" aus dem Blick verloren hat. Was die These vom "assimilierten" griechisch-aramäischen Schreiber, der in Flickschustertechnik disparates Material "eingearbeitet" haben soll, nicht im mindesten erklärt, ist die Qualität des Textes, die nur aus einer langen mündlichen Sängertradition stammen kann, die souverän über Sprachschichten, Formeln, Motive und szenische Kompositionsformen verfügt. Alle Gräzisten und auch Schrott bis 2006 waren sich darin einig. West hat 1997 auch bereits ein sehr plausibles Bild gezeichnet, wie die Griechen mit dem Orient interagierten: Es geht auch ohne Völker-Charade. Wer aber Schrotts Buch zuschlägt, wundert sich, dass die "Ilias" überhaupt auf Griechisch geschrieben ist, und auch Schrott muss ja zuletzt vermuten, dass dem Assyrerkönig Assurbanipal die Ilias vielleicht aus dem Griechischen übersetzt worden sei.
Lieber, verehrter Raoul Schrott, kehren Sie in die Gemeinschaft der Homer-Forscher zurück! Die Eroberung Trojas durch die Wissenschaft braucht weiterhin enthusiastische Vorkämpfer wie Sie, aber noch viel mehr Geduld und besonnenes Zusammenspiel. Achills Unsterblichkeit gibt es kein zweites Mal.
- Raoul Schrott: "Homers Heimat".
Der Kampf um Troia und seine realen Hintergründe. Carl Hanser Verlag, München 2008. 422 S., geb., 24,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Mit diesem "Thesenbuch" habe Raoul Schott ein "kleines deutsches Wunder" vollbracht, freut sich Rezensent Wolfgang Büscher diebisch: nämlich ein Skandalbuch verfasst, in dem kein einziger Nazi vorkommen würde. Stattdessen würde der östereichische Schriftsteller Generationen von Altphilologen entgegenschleudern: euer Lieblingsgrieche ist gar kein Grieche gewesen und der trojanische Krieg fand ganz woanders statt. Aber weil der Rezensent nicht bloß ein Rezensent, sondern selber Schriftsteller und die Welt zu Fuß erkundender Reiseautor ist, muss er natürlich auch ein paar Kränze für den Kollegen winden, den er bei einer Lesung aus seinem Buch näher beobachtet hat. Auch informiert Büscher in seinem seitenfüllenden Text über die stürmischen Debatten, die das Buch in Fachkreisen ausgelöst hat. Um dem Buch dann schließlich zu bescheinigen, fest auf altphilologischem Terrain zu stehen, minutiös recherchiert und ein ebenso wild entschlossener wie hoch überzeugender Versuch zu sein, Homers "über aller Historizität stehenden Geist" neu zu verorten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Raoul Schrott kann stundenlang begeistert, besessen mit assyrischen, luwischen, hethitischen, phönizischen, babylonischen Zungen reden und gebärdenreich einen Turm von Argumenten bis zu den Tiroler Alpengipfeln bauen." Peter von Becker, Der Tagesspiegel, 09.03.08
"Wer war Homer? Der 'Ilias'-Dichter ein östlicher Schreiber? Raoul Schrott, Universalgelehrter, Reisender und Geistestheoretiker, stellt Thesen auf, die das kulturelle Selbstbild der Europäer verändern könnten." Peter von Becker, Der Tagesspiegel, 09.03.08
"Wer war Homer? Der 'Ilias'-Dichter ein östlicher Schreiber? Raoul Schrott, Universalgelehrter, Reisender und Geistestheoretiker, stellt Thesen auf, die das kulturelle Selbstbild der Europäer verändern könnten." Peter von Becker, Der Tagesspiegel, 09.03.08