Die Stadtverwaltung hat entschieden, 2019 gleich zwei Jubiläen zu feiern: 100 Jahre Rotes Wien und 100 Jahre Wiener Gemeindebau. Ein willkommener Anlass, um auf 100 Besonderheiten des hiesigen kommualen Wohnbaus aufmerksam zu machen. Ist das notwendig? Ja! Denn der Wiener Gemeindebau ist weiterhin ein Widerspruch in sich: Während er weltweit als vorbildlich diskutiert wird, ist sein Image dort, wo er errichtet wurde, seit Jahrzehnten im Keller. Wer es sich leisten kann, zieht aus. Diesen Satz habe ich oft gehört, auch in meiner Nachbarschaft. Gemeindebau gilt in Wien schnell einmal als Synonym für Bildungsferne, niedrigen Status und hohe Kriminalitätsraten.Faktum ist, dass man im Roten Wien der 1920er-Jahre soziale Standards geschaffen hat, von den wir bis heute profitieren. Das reicht von der Idee, dass alle Bewohner_innen einer Stadt das Recht haben sollen, menschengerecht zu wohnen, bis hin zu der Prämisse, dass die Bedürfnisse der Bewohner- über die Interessen der Investorenschaft zu stellen sind. In zahlreichen anderen Städten, die ihre Wohnhäuser verkauft und damit leistbaren Wohnraum verloren haben, beneidet man Wien schon seit Längerem für die Beständigkeit. Davon wollen jedoch jene wenig wissen, die unser Eigentum immer schon und jetzt erst recht im Jubiläumsjahr mit aller Gewalt privatisieren wollen, um dabei möglichst viel Geld auf das eigene Konto zu schaufeln.Ich behaupte: der Wiener Gemeindebau ist weiterhin einzigartig. Ich darf das auch. Ich habe über das Rote Wien nicht nur viel gehört und gelesen, ich habe immerhin fünfzig seiner hundert Jahre mitten drinnen miterlebt. Ich bin einer von den 500.000 Wienern und Wienerinnen, die im Gemeindebau zu Hause sind. Ich habe zwei Bücher darüber geschrieben: das erste („Stiege 8 / Tür 7“, 2014) aus meiner Perspektive als Mieter, das zweite („Im Gemeindebau“, 2017) als Porträtist interessanter Mieter_innen.In meinem dritten Band möchte ich 100 kompakte Geschichten erzählen. Dabei folge ich der roten Linie der Stadtgeschichte: der Gründerzeit des kommunalen Wohnbaus 1919 bis 1933, der Zerstörung durch Faschismus und Krieg 1933 bis 1945, dem Wiederaufbau nach 1945 und dem Aufschwung ab den 1950er-Jahren. Der fünfte Abschnitt ist dem Ist-Zustand gewidmet, am Ende wage ich noch einen kurzen Ausblick in die Zukunft. Die Texte habe ich mit einer Mischung aus ehrlicher Empathie, kritischer Distanz und einem reichen Erfahrungsschatz geschrieben; die mit den Texten gut abgestimmten Fotos liefert mein langjähriger Freund und Wegbegleiter Mario Lang.