Die Führungselite der DDR nutzte die Jagd nicht nur als Freizeitvergnügen, sondern auch als Mittel der Politik. Im Jagdrevier Schorfheide nördlich von Berlin, aber auch in den anderen Sonderjagdgebieten der Republik wurden staatstragende Entscheidungen getroffen, Intrigen geschmiedet und zugleich illustre Gäste aus West und Ost empfangen - von Chruschtschow und Breschnew bis hin zu Helmut Schmidt und Franz-Josef Strauß.Dieses Buch blickt hinter die Kulissen des Jagdwesens in der DDR von den letzten Kriegstagen 1945 bis hin zu Honeckers »letztem Hirsch« im Jahr 1989.Mit über 175 zum Teil bislang unveröffentlichten Abbildungen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.05.2018Bonzen
auf der Pirsch
Helmut Suter zeigt, wie die SED-Spitze die
„Kapitalisten“ nachahmte und Jagdprivilegien genoss
VON RALF HUSEMANN
Ausgerechnet Horst Sindermann. Es war der „Chefagitator“ der SED, der einst die deutsche Sprache mit dem peinlichen Propagandabegriff „Antifaschistischer Schutzwall“ bereichert hat, dem schönfärberischen Versuch, die Berliner Mauer zu rechtfertigen. Doch siehe da: Kurz vor dem Ende der DDR, das er nicht mehr erleben sollte, urteilte er über seinen langjährigen Weggefährten Erich Honecker plötzlich überraschend klarsichtig: „Langsam muss ich zu der Überzeugung kommen, er hat wirklich, wie viele sagen, wie ein Kaiser, wie ein König von oben regiert (…) Es hatte sich bei uns (…) eine Art feudalistisches System herausgebildet.“
Das Zitat ist einem Buch entnommen, das diese Bewertung sehr anschaulich bestätigt. Es geht dabei um einen Bereich, der einem beim Stichwort „Unrechtsstaat DDR“ sicherlich nicht als Erstes einfällt: Helmut Suters mühsame Fleißarbeit (denn viele Dokumente sind vernichtet) „Honeckers letzter Hirsch. Jagd und Macht in der DDR“ beschreibt aber besonders frappierend einen Staat, der exakt das Gegenteil von dem praktizierte, was er predigte.
Die Jagd war schon seit Jahrhunderten viel mehr als bloße Nahrungs- oder Materialbeschaffung, sondern nicht zuletzt eine elitäre und Macht demonstrierende Freizeitbeschäftigung des Adels und des hohen Klerus mit einer sich vom „Volk“ bewusst absetzenden Fachsprache. Auch im vermeintlichen Arbeiter- und Bauernstand war sie zumindest teilweise ein Hobby der Mächtigen.
Das war ursprünglich anders geplant. Anstelle der kapitalistischen „Bonzenjagd“ wurde in der DDR das „Volksjagdrecht“ ausgerufen. „Alle jagdbaren Tiere sind Eigentum des Volkes“, so stand es stolz im Jagdgesetz von 1953. Das „Volk“ war allerdings nichts anderes als der Staat, denn dem oblag allein die „Bewirtschaftung“ der Jagdgebiete. Und da waren eben sehr schnell manche gleicher als die anderen. Es gab auf der einen Seite die (knapp 1000) Jagdgesellschaften der normalen Jäger (etwa 40 000 Personen), die ständig genug Probleme hatten, ausreichend Waffen und Munition zu beschaffen, und die auch nur im „Kollektiv“ auf die Jagd gehen durften. Und auf der anderen Seite waren die Oberen von Partei und Staat, die in meist abgezäunten „Staatsjagdbetrieben“ und sogenannten Wildforschungsgebieten nach Lust und Laune herumballern und sich in gemütlichen, fein ausgestatteten Jagdhäusern ihrer Privilegien erfreuen konnten. War dies eigentlich schon peinlich genug, hatten die Politbürokraten und Staatsminister auch keine Hemmungen, just in denselben Forsten und ähnlich abgeschirmt und sorgsam bewacht wie schon Kaiser Wilhelm II. oder der „Reichsjägermeister“ Hermann Göring ihrem Jagdfieber freie Bahn zu lassen.
Helmut Suter weiß, worüber er schreibt, er ist Jagdhistoriker, Autor einschlägiger Werke und Leiter des Schorfheide-Museums, eben exakt dort, wo (etwa 50 Kilometer nördlich von Berlin) der Adel wie später auch Honecker und seine Parteifreunde besonders gerne Hirsche, Rehe, Wildschweine und Hasen massenhaft erlegten. 1954 wurden die ersten damals noch Sonderjagdgebiete genannten Flächen für die DDR-Promis ausgewiesen. In die Schorfheide wurden auch Staatsgäste eingeladen aus den befreundeten sozialistischen Staaten, aber auch aus dem Westen, wie Herbert Wehner, Franz Josef Strauß, Helmut Schmidt, Oskar Lafontaine, Hans-Jochen Vogel oder der Krupp-Manager Berthold Beitz. Hatten drei Viertel der gewöhnlichen Jäger nicht mal eigene Waffen, so herrschte bei der Prominenz keinerlei Mangel. Honecker allein hatte mindestens drei Dutzend Jagdwaffen, der erwähnte Sindermann 15, das zeitweilige Staatsoberhaupt Willi Stoph 17.
In einer Anhörung vor dem Volkskammerausschuss für Machtmissbrauch und Korruption wurde 1991 bekannt, dass Honecker und andere führende Parteifunktionäre dafür sorgten, dass aus den Sonderjagdgebieten ohne gesetzliche Grundlage „persönliche Jagdgebiete“ ausgegliedert, gesperrt und nur für die derart privilegierten Personen zugänglich gemacht wurden. Diese kurvten nicht selten in teuren, umgebauten Westautos über die gepflegten Forststraßen, im Range Rover und Mercedes oder wie Honecker in einem Toyota, obwohl er nicht einmal einen Führerschein hatte. Die Politbürogrößen hatten zudem, wie Suter schreibt, für DDR-Verhältnisse „überdurchschnittlich große und sehr gut ausgestattete Jagdhäuser“, die rund um die Uhr von Militär und Stasi-Angehörigen bewacht wurden. Wobei die Wachen alle zur Tarnung Forstuniformen trugen. Als die DDR 1989 zerbröselte, konnten die empörten Bürger ihrem Zorn endlich in Leserbriefen Luft machen. Für das gemeine Volk sei die Schorfheide gesperrt, hieß es da und: „Bei Frau Gräfin durften wir, und im Arbeiter- und Bauernstaat ist uns das Betreten des Waldes verboten.“
Problematisch waren aber nicht nur die krassen Klassenunterschiede, die offiziell ja längst abgeschafft waren, sondern auch der sorglose und rücksichtslose Umgang mit den Wäldern. Nach dem Prinzip „Wild vor Wald“ wurden weit überhöhte Bestände mit üppigen und teuren „Waldmastplätzen“ gepäppelt – zu Lasten des angenagten Baumbestandes, der deshalb fast überall in einem jämmerlichen Zustand war. Das war aber den Verantwortlichen deutlich weniger wichtig als das Sammeln von Medaillen für besonders stattliche Trophäen. Sogar noch nach seinem erzwungenen Rücktritt als SED-Generalsekretär am 18. Oktober 1989 ließ es sich Honecker nicht nehmen, in seiner geliebten Schorfheide auf die Jagd zu gehen. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen: In neun Tagen erlegte der damals 77-Jährige 32 Stück Wild. Insgesamt hat er von 1968 bis 1989 exakt 512 Rothirsche geschossen. Suter: „Ein Nimrod, der nichts laufen ließ, was ihm vor das Rohr kam.“
Helmut Suter: Honeckers letzter Hirsch. Jagd und Macht in der DDR. Be-bra-Verlag, Berlin 2018. 221 Seiten, 26 Euro.
Nach seinem Sturz als
Generalsekretär 1989 erholte sich
Erich Honecker im Wald
Der Nimrod von der Schorfheide: Erich Honecker (rechts) auf einem Foto aus dem Jahr 1975 oder 1976.
Foto: dpa
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auf der Pirsch
Helmut Suter zeigt, wie die SED-Spitze die
„Kapitalisten“ nachahmte und Jagdprivilegien genoss
VON RALF HUSEMANN
Ausgerechnet Horst Sindermann. Es war der „Chefagitator“ der SED, der einst die deutsche Sprache mit dem peinlichen Propagandabegriff „Antifaschistischer Schutzwall“ bereichert hat, dem schönfärberischen Versuch, die Berliner Mauer zu rechtfertigen. Doch siehe da: Kurz vor dem Ende der DDR, das er nicht mehr erleben sollte, urteilte er über seinen langjährigen Weggefährten Erich Honecker plötzlich überraschend klarsichtig: „Langsam muss ich zu der Überzeugung kommen, er hat wirklich, wie viele sagen, wie ein Kaiser, wie ein König von oben regiert (…) Es hatte sich bei uns (…) eine Art feudalistisches System herausgebildet.“
Das Zitat ist einem Buch entnommen, das diese Bewertung sehr anschaulich bestätigt. Es geht dabei um einen Bereich, der einem beim Stichwort „Unrechtsstaat DDR“ sicherlich nicht als Erstes einfällt: Helmut Suters mühsame Fleißarbeit (denn viele Dokumente sind vernichtet) „Honeckers letzter Hirsch. Jagd und Macht in der DDR“ beschreibt aber besonders frappierend einen Staat, der exakt das Gegenteil von dem praktizierte, was er predigte.
Die Jagd war schon seit Jahrhunderten viel mehr als bloße Nahrungs- oder Materialbeschaffung, sondern nicht zuletzt eine elitäre und Macht demonstrierende Freizeitbeschäftigung des Adels und des hohen Klerus mit einer sich vom „Volk“ bewusst absetzenden Fachsprache. Auch im vermeintlichen Arbeiter- und Bauernstand war sie zumindest teilweise ein Hobby der Mächtigen.
Das war ursprünglich anders geplant. Anstelle der kapitalistischen „Bonzenjagd“ wurde in der DDR das „Volksjagdrecht“ ausgerufen. „Alle jagdbaren Tiere sind Eigentum des Volkes“, so stand es stolz im Jagdgesetz von 1953. Das „Volk“ war allerdings nichts anderes als der Staat, denn dem oblag allein die „Bewirtschaftung“ der Jagdgebiete. Und da waren eben sehr schnell manche gleicher als die anderen. Es gab auf der einen Seite die (knapp 1000) Jagdgesellschaften der normalen Jäger (etwa 40 000 Personen), die ständig genug Probleme hatten, ausreichend Waffen und Munition zu beschaffen, und die auch nur im „Kollektiv“ auf die Jagd gehen durften. Und auf der anderen Seite waren die Oberen von Partei und Staat, die in meist abgezäunten „Staatsjagdbetrieben“ und sogenannten Wildforschungsgebieten nach Lust und Laune herumballern und sich in gemütlichen, fein ausgestatteten Jagdhäusern ihrer Privilegien erfreuen konnten. War dies eigentlich schon peinlich genug, hatten die Politbürokraten und Staatsminister auch keine Hemmungen, just in denselben Forsten und ähnlich abgeschirmt und sorgsam bewacht wie schon Kaiser Wilhelm II. oder der „Reichsjägermeister“ Hermann Göring ihrem Jagdfieber freie Bahn zu lassen.
Helmut Suter weiß, worüber er schreibt, er ist Jagdhistoriker, Autor einschlägiger Werke und Leiter des Schorfheide-Museums, eben exakt dort, wo (etwa 50 Kilometer nördlich von Berlin) der Adel wie später auch Honecker und seine Parteifreunde besonders gerne Hirsche, Rehe, Wildschweine und Hasen massenhaft erlegten. 1954 wurden die ersten damals noch Sonderjagdgebiete genannten Flächen für die DDR-Promis ausgewiesen. In die Schorfheide wurden auch Staatsgäste eingeladen aus den befreundeten sozialistischen Staaten, aber auch aus dem Westen, wie Herbert Wehner, Franz Josef Strauß, Helmut Schmidt, Oskar Lafontaine, Hans-Jochen Vogel oder der Krupp-Manager Berthold Beitz. Hatten drei Viertel der gewöhnlichen Jäger nicht mal eigene Waffen, so herrschte bei der Prominenz keinerlei Mangel. Honecker allein hatte mindestens drei Dutzend Jagdwaffen, der erwähnte Sindermann 15, das zeitweilige Staatsoberhaupt Willi Stoph 17.
In einer Anhörung vor dem Volkskammerausschuss für Machtmissbrauch und Korruption wurde 1991 bekannt, dass Honecker und andere führende Parteifunktionäre dafür sorgten, dass aus den Sonderjagdgebieten ohne gesetzliche Grundlage „persönliche Jagdgebiete“ ausgegliedert, gesperrt und nur für die derart privilegierten Personen zugänglich gemacht wurden. Diese kurvten nicht selten in teuren, umgebauten Westautos über die gepflegten Forststraßen, im Range Rover und Mercedes oder wie Honecker in einem Toyota, obwohl er nicht einmal einen Führerschein hatte. Die Politbürogrößen hatten zudem, wie Suter schreibt, für DDR-Verhältnisse „überdurchschnittlich große und sehr gut ausgestattete Jagdhäuser“, die rund um die Uhr von Militär und Stasi-Angehörigen bewacht wurden. Wobei die Wachen alle zur Tarnung Forstuniformen trugen. Als die DDR 1989 zerbröselte, konnten die empörten Bürger ihrem Zorn endlich in Leserbriefen Luft machen. Für das gemeine Volk sei die Schorfheide gesperrt, hieß es da und: „Bei Frau Gräfin durften wir, und im Arbeiter- und Bauernstaat ist uns das Betreten des Waldes verboten.“
Problematisch waren aber nicht nur die krassen Klassenunterschiede, die offiziell ja längst abgeschafft waren, sondern auch der sorglose und rücksichtslose Umgang mit den Wäldern. Nach dem Prinzip „Wild vor Wald“ wurden weit überhöhte Bestände mit üppigen und teuren „Waldmastplätzen“ gepäppelt – zu Lasten des angenagten Baumbestandes, der deshalb fast überall in einem jämmerlichen Zustand war. Das war aber den Verantwortlichen deutlich weniger wichtig als das Sammeln von Medaillen für besonders stattliche Trophäen. Sogar noch nach seinem erzwungenen Rücktritt als SED-Generalsekretär am 18. Oktober 1989 ließ es sich Honecker nicht nehmen, in seiner geliebten Schorfheide auf die Jagd zu gehen. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen: In neun Tagen erlegte der damals 77-Jährige 32 Stück Wild. Insgesamt hat er von 1968 bis 1989 exakt 512 Rothirsche geschossen. Suter: „Ein Nimrod, der nichts laufen ließ, was ihm vor das Rohr kam.“
Helmut Suter: Honeckers letzter Hirsch. Jagd und Macht in der DDR. Be-bra-Verlag, Berlin 2018. 221 Seiten, 26 Euro.
Nach seinem Sturz als
Generalsekretär 1989 erholte sich
Erich Honecker im Wald
Der Nimrod von der Schorfheide: Erich Honecker (rechts) auf einem Foto aus dem Jahr 1975 oder 1976.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ralf Husemann graust es angesichts der Fakten, die der Jagdhistoriker Helmut Suter in seinem Buch zusammenträgt. Wie viele Jagdwaffen Honecker besaß, erfährt er ebenso, wie die Menge des von Honni geschossenen Wilds. Der Autor setzt sich laut Rezensent aber auch mit den im Jagdfieber sich zeigenden Privilegien und den so gepflegten Klassenunterschieden auseinander. Kenntnisreich erläutert der Autor dem Rezensenten außerdem die durch die die "Bonzenjagd" verursachten Schäden an Wald und Flur.
© Perlentaucher Medien GmbH
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