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Im ursprünglichen Wortsinn des Protokolls gibt es einen klebrigen Kern: Ein zusammengeleimtes Buch ist gemeint oder, spezieller: das einer Niederschrift vorgeleimte Blatt, mit einer Chronologie zum Schriftstück und Angaben zum Verfasser. Das steht am Anfang des Buches, wird ihm aber zuletzt eingeklebt. Daher auch die Tendenz zum Hohn - in all seiner Nachträglichkeit.Es gibt die Klebrigkeit der inneren Fixierung, die auf immer wieder erneutes Durchdenken dringt, und es gibt den unvergesslichen Honig an den Schuhen, in der Tasche, an den Fingern, der an den unachtsamen Moment seines Verschüttens…mehr

Produktbeschreibung
Im ursprünglichen Wortsinn des Protokolls gibt es einen klebrigen Kern: Ein zusammengeleimtes Buch ist gemeint oder, spezieller: das einer Niederschrift vorgeleimte Blatt, mit einer Chronologie zum Schriftstück und Angaben zum Verfasser. Das steht am Anfang des Buches, wird ihm aber zuletzt eingeklebt. Daher auch die Tendenz zum Hohn - in all seiner Nachträglichkeit.Es gibt die Klebrigkeit der inneren Fixierung, die auf immer wieder erneutes Durchdenken dringt, und es gibt den unvergesslichen Honig an den Schuhen, in der Tasche, an den Fingern, der an den unachtsamen Moment seines Verschüttens erinnert. Auch dies kann als ein Protokoll gesehen, wenn auch nicht gelesen werden. Oder nehmen wir den Körper als Protokoll unseres Lebens, für den Verlauf der Zeit, dem wir unterliegen. Nehmen wir den Honig als Protokoll des Bienenflugs und als Auskunft über die von ihnen gerade noch erreichbaren Blüten.Die Honigprotokolle sind beinahe quadratisch und ineinander verfugt wie Kacheln. Sie bilden ein Raster, das ihre Ordnung offenbart. Etwas ist passiert - das Gedicht gibt Auskunft und bittet seinerseits um Deutung. Es behandelt eine längst vergessene Süße. Sinne, Affekte, Materialien oder eine Angst, die gestern noch in die Zukunft ging. Auch davon berichtet das Protokoll. Es wendet sich an Konzepte, die es nicht abstreifen kann: kollektive Erfahrungen, von Einzelnen protokolliert. Die Arbeitsteilung erfolgt via Reizschwellen, die eine Folge der Vielfachpaarung sind. So wird eine hohe Bandbreite von Empfindlichkeiten garantiert.'... Denn alle rechten Dichter ... sprechen nicht durch Kunst, sondern als Begeisterte und Besessene alle diese schönen Gedichte ... und so wenig die, welche vom tanzenden Wahnsinn befallen sind, mit vernünftigem Bewusstsein tanzen, so dichten auch die Liederdichter nicht bei vernünftigem Bewusstsein diese schönen Lieder, sondern wenn sie von Harmonie und Rhythmus erfüllt sind ... Es sagen uns nämlich die Dichter, dass sie aus honigströmendenQuellen aus gewissen Gärten und Hainen der Musen pflückend diese Gesänge uns bringen, wie die Bienen, auch selbst so umherfliegend. Und wahr reden sie.' (Platon: ION)Doch es ist wie beim Bienentanz: Am Ende wird nur noch für die beste Höhle getanzt.
Autorenporträt
Monika Rinck, geboren 1969 in Zweibrücken, Studium der Religionswissenschaft, Geschichte und Vergleichenden Literaturwissenschaft, lebt als Autorin in Berlin. Sie veröffentlichte unter anderem das 'Begriffsstudio 1996¿2001', Edition Sutstein 2001 (fortgeführt unter www.begriffsstudio.de), 'Ah, das Love-Ding! Ein Essay', kookbooks 2006, 'zum fernbleiben der umarmung. Gedichte', kookbooks 2007, 'Helle Verwirrung / Rincks Ding- und Tierleben. Texte und Zeichnungen', kookbooks 2009, 'RIDING und PARA-RIDING' (gemeinsam mit Christian Filips), roughbooks 2011, und 'HELM AUS PHLOX. Eine kollektive Poetologie' (gemeinsam mit Ann Cotten, Daniel Falb, Hendrik Jackson und Steffen Popp), Merve 2011. Für ihre literarischen Arbeiten wurde Monika Rinck zuletzt mit dem Ernst-Meister-Preis 2008, dem Georg-K.-Glaser-Preis 2010 und dem Kunstpreis Berlin, Literatur 2012 ausgezeichnet.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ina Hartwig überzeugt Monika Rincks Gedichtband einmal mehr davon, mit der 1969 geborenen Zweibrückerin eine großartige, kenntnisreiche und originelle Dichterin vor sich zu haben. Ihre eigens erfundene Gattung der "Honigprotokolle", Prosagedichte, die sich über drei Jahre aus Skizzen entwickelt haben, wie Rinck der Rezensentin im Gespräch verraten hat, handeln von "allem und nichts", sind mal süß, mal höhnisch und oft melancholisch, wie Hartung wissen lässt. Die Fülle von Anspielungen die die "gelehrte" Lyrikerin in ihren Gedichten unterbringt und die sie auch über große Häupter der Literaturgeschichte unbekümmert spotten lässt, ist beeindruckend, man muss sie aber, um die Gedichte genießen zu können, auch nicht alle verstehen, beruhigt Hartung. Überhaupt betont die Rezensentin, dass das fundierte Wissen der Autorin nicht belastet, nicht zuletzt, weil sie ihr Wissen nie ohne Emotion vorbringt. Hartung ist einfach hingerissen von der Vielfalt, der Schönheit und der mitunter "genialen" Treffsicherheit Rincks und preist sie als meisterhafte und dabei "bienenfleißige" Stimmenvirtuosin.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.05.2012

Undankbare Partygäste
Hohn in Honig: Gedichte von Monika Rinck

Fällt ein Brot mit der Honigseite zu Boden, ist die dünne süße Schicht meist zerstört und nicht mehr zu essen. Um labile und labiale Zwischenzustände, zwischenmenschliche, sprachlich-semantische, mediale, geht es in Monika Rincks Gedichtband "Honigprotokolle" - manchmal nahe am Märchen, am Bericht, in erzählenden, die Sprache reflektierenden, sehr klangsinnigen Gedichten und stets auf der Suche nach einer paradoxerweise trotz allem gelingenden Liebe. Hinzu treten Zeichnungen der in Berlin lebenden Autorin und Kompositionen von Bo Wiget.

Lautlich zumindest enthält der süße Honig in sich den bitteren Hohn. "Honigprotokolle" schreiben mit dem dreifachen runden "O" am Ende das phallisch-spillerige "I" weg, zum Beispiel aus dem hier auch anklingenden Namen "Monika Rinck", und wenn die meisten Gedichte mit der Halbzeile "Hört ihr das, so höhnen Honigprotokolle" beginnen, liefern sich darin die runden und die gestrafften Lippen rein artikulatorisch eine Schlacht. Ob eine Kussgestik daraus wird, ist freilich die Frage; wahrscheinlicher scheint eine "Thai-Massage bei Lacan".

In dem berühmten Mythos, den Platon im "Gastmahl" seinen Sokrates erzählen lässt, war der Mensch vor seiner Trennung in Mann und Frau ein einziges Wesen. Vielleicht war er kugelartig anzusehen wie die "Vollständigkeit", welche die in Berlin lebende Autorin bereits in zwei Hälften geteilt auf den Buchumschlag gezeichnet hat. Diese "Vollständigkeit" aus Hohn und Honig (und "Monika") zu erneuern, geht natürlich nur im Bewusstsein ihrer Unmöglichkeit und des paradoxen Zwangs, das eigene Gegenteil sowohl ein- als auch ausschließen zu müssen: "Die Liebe ist die Liebe der Gesamtheit", und: "Wir dürfen uns da, wo es finster ist, nicht nur dem Licht verbünden", andererseits aber auch: "Denn wir sind in jeder Hinsicht gegen das Ja-Sagen zur Finsternis." Nicht zufällig fällt der Name des negativen Dialektikers Theodor W. Adorno.

Vom jetzigen Geschlechterverhältnis möchten sich die Leute ,bitte' frei machen, heißt es augenzwinkernd in dem Gedicht "Diva und Dealer", und entsprechend weit reicht auch die Suche nach anderen Möglichkeiten: von der Antike, die mit Anspielungen auf Lysistrate und ihre sexuelle Verweigerung, auf Odysseus und die Metamorphosen des Ovid präsent ist, bis zu jüngst durch die Medien gegangenen entgleisten "Facebook"-Parties. Von der hier einschlägigen Geschichte einer Tessa ausgehend, greift das "Lied der undankbaren Partygäste", eine Komposition für Sprech- und Singstimme sowie Klavier, geradezu auf ontologische Grundlagen zurück: "Sein ist und Nichtsein ist nicht". Weitere Lieder des Komponisten Bo Wiget, darunter vierstimmige Kanons, erweitern die Suche medial. Diese durchstreift auch die verschiedensten Sprachgegenden von Umgangssprache, Jargon und Comicsprache bis zur Wissenschaftssprache, und das Gedicht vom "Augenfühlerfisch", der in der Tiefsee angelt, erscheint auch in der englischen Übersetzung von Nicholas Grindell.

Innerhalb des einzelnen Texts suchen die beiden menschlichen Hälften einander häufig in Form einer semantischen Rahmenstruktur, die ein zu Beginn gesetztes Thema verändert wieder aufnimmt. Ähnlich wie das "O" und das "I", das Runde und das Gestreckte, in den "Honigprotokollen" aufeinandertreffen, die runde Vollständigkeit allein aber der "Hohn" ist, wandert Rinck virtuos durch das "Weltinnenall des Binnenreims", bis hin zu Rilke. Häufig erinnert die Lautstruktur an gleichsam umarmende Binnenreime, eine in dieser Art innerhalb prosanaher, dezent rhythmisierter Langzeilen überraschend neu wirkende Technik. Besonders gut zu verfolgen ist sie in "Stroh", das auch eine Art immanenter Poetik enthält, insofern der "Versuch, doch zu begreifen" einem Griff in den Nebel gleicht, bei dem man "auf der anderen Seite" des fragilen, labi(a)len Zwischenraums wieder herauskommt, der die nie gelingende Vereinigung mehr umspielt als repräsentiert: "Nun, du hast keine Worte, aber willst, / wofür du keine Worte hast, besitzen."

Da die Episoden und Reflexionen aufeinander aufbauen, scheint es geraten, den Band in protokollarischer Ordnung von vorn nach hinten zu lesen - und sich darauf zu freuen, wie Monika Rinck selbst ihn vorträgt: als Dichterin von oraler Poesie im besten Sinn, von scheinbar schlichten Liedtexten ebenso wie von komplexer, sprachreflexiver Poesie.

MARTIN MAURACH

Monika Rinck: "Honigprotokolle". Gedichte.

kookbooks Verlag, Berlin 2012. 80 S., br., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»in monika rincks gedichten ... ist die gleichzeitige präsenz von intellektueller lebendigkeit und dichterischer einbildungskraft ein wahres und anhaltendes vergnügen. ... texte, die nur so funkeln vor lauter (vielleicht auch lauterem, wenn das eine notwendige kategorie ist) sprachwitz, bildersinn und purem denkvergnügen.« --- herbert j. wimmer, kolik