Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.10.2013Shoah constrictor
Shalom Auslanders Satire
„Hoffnung. Eine Tragödie“
Politisch korrekt ist nichts an diesem Roman. Schon das Personal ist denkbar morbide: ein junger Familienvater, der obsessiv „letzte Worte“ sammelt, seine Mutter, die, obwohl erst 1946 in Brooklyn geboren, alle mit ihrem eingebildeten Trauma aus der Shoa terrorisiert und eine verlotterte, keifende Alte namens Anne Frank auf dem Dachboden. Der amerikanische Autor und Essayist Shalom Auslander setzt, nach seiner selbstironischen Autofiktion „Eine Vorhaut klagt an“ (2007, dt. 2008) mit dem Roman „Hoffnung. Eine Tragödie“ konsequent auf Provokation und tiefschwarzen, gerne mehr als grenzwertigen Humor.
Die Hauptfigur, Solomon Kugel, ist ein zeitgenössischer Hiob, der von einer Katastrophe in die nächste gerät: Nach einer schweren Erkrankung des Sohnes Jonah will er mit Frau und Kind ein neues Leben fernab großstädtischer Gefahren beginnen. Doch mit der Ruhe ist es vorbei, als sich Kugels herrschsüchtige, angeblich sterbenskranke Mutter im neu erworbenen Landhaus mit einquartiert. Außerdem macht ein Brandstifter die Gegend unsicher und aus dem Dachboden dringen seltsame Geräusche und ein strenger Geruch. Hinter Kisten verborgen findet Kugel dort eine zynische, völlig verwahrloste alte Frau am Laptop, die sich als Anne Frank vorstellt. Sie schreibt an einem Roman, der das „Tagebuch“ weit in den Schatten stellen soll. Die Konstellation ist günstig für die Greisin, wer immer sie sein mag.
Weil in Kugels Elternhaus das Erinnern an die Opfer des Holocaust stets wichtiger war als jede Lebensfreude, leidet er unter notorischen Schuldgefühlen gegenüber allem und jedem: angefangen bei den ermordeten Verwandten bis hin zu seinem eigenen Sohn, denn „ein Kind zu zeugen, war eine furchtbar egoistische Handlung, ja ein Verbrechen“. Wie Kugels Pessimismus bald paranoide Züge annimmt, gehört zu den berührenden Momenten in einem Roman, dessen Tragikomik von Seite zu Seite lauter, provokanter und greller wird.
Kugel wagt es nicht, die ungebetenen Mitbewohnerinnen vor die Tür zu setzen, die Lage spitzt sich zu. Während der biblische Hiob letztlich für seinen unerschütterlichen Glauben belohnt wird, ist Kugels absehbares Scheitern eingebettet in einen weltlich philosophischen Streit: Sein Psychoanalytiker Professor Jove ist überzeugter Apologet der Hoffnungslosigkeit, dessen Gegenspieler Pinkus verteidigt den Optimismus. Pinkus ist offenkundig angelehnt an den Kognitionspsychologen Steven Pinker, der die umstrittene These aufstellte, die Menschheit sei über die Jahrtausende zunehmend friedlicher geworden. Dieser Diskurs vom Sinn oder Unsinn der Hoffnung poltert bedeutungsschwer durch die Romanhandlung, will sich aber nicht recht mit Kugels irrwitzigen Alltagssorgen verbinden.
„Hoffnung. Eine Tragödie“ ist als Befreiungsschlag angelegt. Kugels Mutter personifiziert all das, was Shalom Auslander als Heranwachsender in einer jüdisch-orthodoxen Gemeinschaft als erstickende Holocaust-Fixiertheit empfunden hat. Die zweite Frau aus der Vergangenheit, die Überlebende auf dem Speicher, stinkt im Wortsinne dagegen an – und der arme Kugel leidet unter beiden gleichermaßen. Auslander schreibt geradezu brachial über alle moralischen Bedenken hinweg. Das ist stellenweise irritierend, dann wieder entwaffnend komisch, wird aber zunehmend redundant: In schier endlosen Variationen schmückt Auslander aus, wie Kugel sich mit jedem Versuch der Schadensbegrenzung tiefer in seine ausweglose Lage verstrickt. Das macht die Lektüre irgendwann anstrengend, auch wenn man sich an das hohe Provokations-Level schnell gewöhnt.
CORNELIA FIEDLER
Shalom Auslander: Hoffnung. Eine Tragödie. Roman. Aus dem Englischen von Eike Schönfeld. Berlin Verlag, Berlin 2013. 336 Seiten, 19,99 Euro.
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Shalom Auslanders Satire
„Hoffnung. Eine Tragödie“
Politisch korrekt ist nichts an diesem Roman. Schon das Personal ist denkbar morbide: ein junger Familienvater, der obsessiv „letzte Worte“ sammelt, seine Mutter, die, obwohl erst 1946 in Brooklyn geboren, alle mit ihrem eingebildeten Trauma aus der Shoa terrorisiert und eine verlotterte, keifende Alte namens Anne Frank auf dem Dachboden. Der amerikanische Autor und Essayist Shalom Auslander setzt, nach seiner selbstironischen Autofiktion „Eine Vorhaut klagt an“ (2007, dt. 2008) mit dem Roman „Hoffnung. Eine Tragödie“ konsequent auf Provokation und tiefschwarzen, gerne mehr als grenzwertigen Humor.
Die Hauptfigur, Solomon Kugel, ist ein zeitgenössischer Hiob, der von einer Katastrophe in die nächste gerät: Nach einer schweren Erkrankung des Sohnes Jonah will er mit Frau und Kind ein neues Leben fernab großstädtischer Gefahren beginnen. Doch mit der Ruhe ist es vorbei, als sich Kugels herrschsüchtige, angeblich sterbenskranke Mutter im neu erworbenen Landhaus mit einquartiert. Außerdem macht ein Brandstifter die Gegend unsicher und aus dem Dachboden dringen seltsame Geräusche und ein strenger Geruch. Hinter Kisten verborgen findet Kugel dort eine zynische, völlig verwahrloste alte Frau am Laptop, die sich als Anne Frank vorstellt. Sie schreibt an einem Roman, der das „Tagebuch“ weit in den Schatten stellen soll. Die Konstellation ist günstig für die Greisin, wer immer sie sein mag.
Weil in Kugels Elternhaus das Erinnern an die Opfer des Holocaust stets wichtiger war als jede Lebensfreude, leidet er unter notorischen Schuldgefühlen gegenüber allem und jedem: angefangen bei den ermordeten Verwandten bis hin zu seinem eigenen Sohn, denn „ein Kind zu zeugen, war eine furchtbar egoistische Handlung, ja ein Verbrechen“. Wie Kugels Pessimismus bald paranoide Züge annimmt, gehört zu den berührenden Momenten in einem Roman, dessen Tragikomik von Seite zu Seite lauter, provokanter und greller wird.
Kugel wagt es nicht, die ungebetenen Mitbewohnerinnen vor die Tür zu setzen, die Lage spitzt sich zu. Während der biblische Hiob letztlich für seinen unerschütterlichen Glauben belohnt wird, ist Kugels absehbares Scheitern eingebettet in einen weltlich philosophischen Streit: Sein Psychoanalytiker Professor Jove ist überzeugter Apologet der Hoffnungslosigkeit, dessen Gegenspieler Pinkus verteidigt den Optimismus. Pinkus ist offenkundig angelehnt an den Kognitionspsychologen Steven Pinker, der die umstrittene These aufstellte, die Menschheit sei über die Jahrtausende zunehmend friedlicher geworden. Dieser Diskurs vom Sinn oder Unsinn der Hoffnung poltert bedeutungsschwer durch die Romanhandlung, will sich aber nicht recht mit Kugels irrwitzigen Alltagssorgen verbinden.
„Hoffnung. Eine Tragödie“ ist als Befreiungsschlag angelegt. Kugels Mutter personifiziert all das, was Shalom Auslander als Heranwachsender in einer jüdisch-orthodoxen Gemeinschaft als erstickende Holocaust-Fixiertheit empfunden hat. Die zweite Frau aus der Vergangenheit, die Überlebende auf dem Speicher, stinkt im Wortsinne dagegen an – und der arme Kugel leidet unter beiden gleichermaßen. Auslander schreibt geradezu brachial über alle moralischen Bedenken hinweg. Das ist stellenweise irritierend, dann wieder entwaffnend komisch, wird aber zunehmend redundant: In schier endlosen Variationen schmückt Auslander aus, wie Kugel sich mit jedem Versuch der Schadensbegrenzung tiefer in seine ausweglose Lage verstrickt. Das macht die Lektüre irgendwann anstrengend, auch wenn man sich an das hohe Provokations-Level schnell gewöhnt.
CORNELIA FIEDLER
Shalom Auslander: Hoffnung. Eine Tragödie. Roman. Aus dem Englischen von Eike Schönfeld. Berlin Verlag, Berlin 2013. 336 Seiten, 19,99 Euro.
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