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Charles Cleasby, ein Mann in den besten Jahren, lebt zurückgezogen in einem großen Haus in London. Schon lange verehrt er den englischen Admiral und Seehelden Horatio Nelson, doch im Lauf der Jahre wandelte sich seine Verehrung zunehmend in Besessenheit. Zufällige Übereinstimmungen ihrer Biografie werden ihm zum schicksalshaften Zeichen, bis er sich als 'dunkler Zwilling' und legitimer Erbe Nelsons versteht. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, sein Idol vom ungeklärten Verdacht der Ehrlosigkeit zu befreien, der wie ein schwarzer Fleck das Strahlen seines Ruhms verdunkelt. Doch je weiter sich…mehr

Produktbeschreibung
Charles Cleasby, ein Mann in den besten Jahren, lebt zurückgezogen in einem großen Haus in London. Schon lange verehrt er den englischen Admiral und Seehelden Horatio Nelson, doch im Lauf der Jahre wandelte sich seine Verehrung zunehmend in Besessenheit. Zufällige Übereinstimmungen ihrer Biografie werden ihm zum schicksalshaften Zeichen, bis er sich als 'dunkler Zwilling' und legitimer Erbe Nelsons versteht. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, sein Idol vom ungeklärten Verdacht der Ehrlosigkeit zu befreien, der wie ein schwarzer Fleck das Strahlen seines Ruhms verdunkelt. Doch je weiter sich Cleasby in den historischen Ereignisse verliert, desto mehr verschwimmen die Konturen seines eigenen Lebens. Erst als er die Bekanntschaft der resoluten und sehr realen "Miss Lily" macht, öffnet sich für ihn eine Tür zur Wirklichkeit. Durch ihre skeptischen Fragen und ihre lebendig e, zupackende Art bringt sie seine Welt langsam ins Wanken - und das ist am Ende mehr, als er zu ertragen vermag...
Autorenporträt
Barry Unsworth wurde 1930 in einer Bergarbeiterstadt in Durham geboren, ging in Stockton-on-Tees zur Schule und studierte in Manchester. Er lebte lange Jahre im östlichen Mittelmeerraum und arbeitete in Athen und Istanbul als Englischlehrer. 1966 erschien sein erster Roman, dem mittlerweile zwölf weitere gefolgt sind. Barry Unsworth lebt heute mit seiner Frau in Umbrien. Er ist Mitglied der "Royal Society of Literature".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.03.2002

Im Holzmodell die Untiefen umschifft
Admiral Nelson in Seenot: Barry Unsworth demontiert einen englischen Mythos am psychologischen Reißbrett

Die Schlacht tobt; die Schiffe beschießen sich aus nächster Nähe, erbeben vom Bug bis zum Heck unter dem heftigen Rückstoß der Geschütze. Alle fünfundsiebzig Sekunden wird eine Breitseite abgefeuert. Ganz so schnell feuert der englische Booker-Preisträger Barry Unsworth nicht, alle drei bis fünf Jahre legt er einen Roman vor. Nach seinem hochgelobten Rückgriff auf die Kolonialvergangenheit und einem Abstecher ins vierzehnte Jahrhundert widmet er sich in seinem jüngsten Roman dem großen Admiral Horatio Nelson. Der Kontinent steht unter der Herrschaft der französischen Armeen. Im Kampf gegen Napoleon und seine Verbündeten nimmt die englische Flotte Kurs auf jene, die ihr die Vorherrschaft auf See streitig machen.

Der Roman scheint den Leser zunächst mit Wracktrümmern, kreischenden Schrapnells, reichlich Blut und Amputationen fesseln zu wollen. Er läßt längst vergangene Schiffspassagen im erzählerischen Präsens vorbeiziehen und erlaubt das Eintauchen in Welten mit so angenehm einfachen Grundsätzen wie: "Ein Sieg für England ist jetzt von größter Dringlichkeit". Barry Unsworth widmet sich dem Grundimpuls des Historienromans: der nationalen Selbstvergewisserung. Doch wie wichtig sind kollektive Mythen, symbolische Gestalten eines Landes? Für den Ich-Erzähler, Charles Cleasby, liegt die Antwort auf der Hand: Horatio Nelson ist der "Held und Vertreter unserer Nation schlechthin".

Nun kommt mit Cleasby allerdings eine moderne, psychopathische Dimension ins Spiel. Denn die im London der Gegenwart angesiedelte Figur hat sonderbare Obsessionen. Seit Kindesbeinen von Angstzuständen heimgesucht, findet Cleasby nur in der Beschäftigung mit Nelson Ruhe, im Sammeln seiner Porträts, vor allem aber im Nachspielen der Seeschlachten auf einer blau schimmernden Billardplatte im Keller seines Hauses. Die Holzmodelle umsegeln die Untiefen. Im Schutz der Nacht läßt er sie der feindlichen Gefechtslinie in den Rücken fallen: "Langsam gewinnen wir die Oberhand. Unsere Schiffe sind wie ein Insektenschwarm - es ist, als labten sie sich an Kadavern. Immer dieselbe Taktik: an der Linie entlanglaufen, auf beiden Seiten sammeln, konzentriertes Feuer." Haben sich die Wogen auf der Billardplatte geglättet, schreibt Cleasby an einem Buch. Ein Kunstgriff, der es dem Leser erlaubt, das Leben des Admirals Etappe für Etappe nachzuvollziehen, während es Cleasby vor allem dazu dient, nach Parallelen zu seinem eigenen zu suchen. Er fühlt sich nicht nur als Nelsons Chronist und Erbe: "Ich wußte mich eins mit ihm, wir waren wie Kohlenstoff und Diamant."

Die Lage des Erzählers, sein übergroßes Identifikationsbedürfnis, erklärt und rechtfertigt die ausgiebige Beschäftigung mit den Heldenfragen aller Art, die Unsworth in diesem Roman umtreiben. Doch wie tragfähig ist der historische Grund von Mythen und Legenden? Der einäugige Admiral mit dem Dreispitz steht in den Augen Cleasbys für "Beständigkeit in Wort und Tat, Großherzigkeit, Furchtlosigkeit" sowie "Selbstbeherrschung". Den Leser erinnert er an Hegels antike Heroen, in denen sich die Gemeinschaft betrachten und wiederfinden kann. Kein Wunder, daß Cleasby auch so gern an die prunkvolle Ehrung nach der gewonnenen Schlacht am Nil denkt. Im Zuge der Feierlichkeiten wird eine lebensgroße Wachsfigur Nelsons in einem griechisch anmutenden Tempel enthüllt, lorbeerbekränzt und von dem Banner umschlungen: "Britannia rules the waves". Nun zeigt schon das Material - Wachs, nicht Marmor -, daß hier ein Held aus weicher Masse geformt wird, daß das Ideal nicht unvergänglich ist.

Bei Unsworth folgt die Demontage von Mythen prompt und leider nicht immer subtil. Denn Cleasbys Wunsch, dem Leben mit Hilfe von Horatio Halt zu geben, steht die skeptische Schreibkraft Miss Lily entgegen. Sie hilft nicht nur tatkräftig beim Tippen des Nelson-Manuskripts, sie kommentiert die Ausführungen über den "Bannerträger der menschlichen Würde" vorzugsweise mit der Frage: "Wozu das Ganze?" Sie mißt den Heros mit den Maßstäben der Gegenwart: "Er war auch nur ein Mensch, mehr will ich gar nicht sagen." Vor allem interessieren sie die Ehefrau und die schöne Geliebte Emma Hamilton. Und bei jeder Gelegenheit wendet sie sich gegen patriarchalische und autoritäre Züge des Helden. Die moderne Figur der Miss Lily bleibt vorhersehbar und blaß. Trotzdem kann Cleasby sich ihren Einwänden nicht verschließen, denn ihn selbst quälen Zweifel. Seine Gedanken kreisen nur noch um eine Episode: Lord Nelson liegt mit schweren Kriegsschiffen in der Bucht von Neapel. Dort bedroht ein Aufstand die Monarchie. In einem zwielichtigen Akt hilft der Admiral den Aufstand niederzuwerfen und die Rebellen gefangenzusetzen. Neapel fällt in einen Blutrausch. Vermeintliche Jakobiner, Männer, Frauen und Kinder werden aus den Häusern gezerrt, geschändet und gehenkt. Entsetzen breitet sich aus, ein Maßstab, der für Heroen eigentlich nicht gültig ist.

Für den Seelenzustand Cleasbys hat das fatale Folgen. Das Zerbrechen des Ideals führt zu einer grausamen Reaktion. Mit einer am psychoanalytischen Reißbrett entworfenen Gewalttat versucht Cleasby, sich auf immer mit dem Gegenstand seiner Obsession zu verbinden, während Unsworth danach trachtet, den Rahmen erzählerisch zu schließen. Der Zwang, das Heldenthema mit dem Psychogramm des Erzählers zusammenzuführen, beschert dem Roman ein unrühmlich sperriges Ende. Ganz anders im Fall des sinnfälligen Todes vor Trafalgar: Admiral Nelson geht auf dem Achterdeck auf und ab, eine Bleikugel bleibt ihm im Rückgrat stecken, während die englische Flotte ihren größten Sieg erringt. Das kommt davon, wenn man Mythen dekonstruiert.

Barry Unsworth: "Horatios Schatten". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Kathrin Razum. Wilhelm Goldmann Verlag, München 2002. 380 S., geb., 21,90 .

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wenig Begeisterung hat dieser Roman über Lord Nelson in der Rezensentin Sandra Kerschbaumer entfacht. Zunächst, unkt sie missmutig, scheine der Roman den Leser "mit Wracktrümmern, kreischenden Schrapnells, reichlich Blut und Amputationen" fesseln zu wollen. Vergangene Schiffspassagen zögen im "erzählerischen Präsenz" vorbei und der Autor widme sich dem "Grundimpuls des Historienromans: der nationalen Selbstvergewisserung". Mit dem Erzähler freilich komme eine "moderne, pychopathische Dimension" ins Spiel. Denn die im London der Gegenwart angesiedelte Figur habe "sonderbare Obsessionen" und Angstzustände. Ruhe finde er nur in der Beschäftigung mit Nelson. Die psychische Disposition des Erzählers und dessen "übergroßes Identifikationsbedürfnis" rechtfertigt der Rezensentin zufolge "die ausgiebige Beschäftigung mit Heldenfragen aller Art". Und natürlich soll sich auf dieser Ebene wohl auch so etwas wie eine Heldendemontage abspielen, wenn man der Rezensentin glauben darf. Und Sandra Kerschbaumer muss leider konstatieren, dass bei Barry Unsworth die Demontage von Mythen zwar prompt aber nicht immer subtil erfolge.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Psychodrama und historischer Spannungsroman werden hier effektvoll miteinander verschmolzen." (Kirkus Reviews)

"Was für eine Freude, ein Werk in Händen zu halten, das so ernsthaft ist, wie große Literatur sein sollte, und zugleich so ungeheuer unterhaltsam im umfassendsten und besten Sinne des Wortes. Horatios Schatten' ist originell, provozierend, elegant und intelligent - ich habe seit Jahren kein derart vollendetes Werk mehr gelesen." (The Washington Post)