Horaz gehört - gemeinsam mit Catull, Vergil und Ovid - zu den bedeutendsten Dichtern der römischen Antike. Niklas Holzberg gibt in seinem jüngsten Buch einen souveränen Überblick über die historischen Voraussetzungen für das poetische Schaffen des Horaz sowie speziell über den Beitrag des Dichters zum geistigen Leben in der augusteischen Epoche.
Zudem bietet er anhand zahlreicher Textbeispiele eine lebendige und anregende Einführung in die Satiren, Epoden, Oden und Episteln des ebenso weltweisen wie humorvollen Horaz. Auch in diesem Falle zeichnet das Buch des Münchener Latinisten eine unverblümte und den lateinischen Originalen angemessene Sprache aus, durch die er die großen Werke der römischen Klassik für ein allgemeines Publikum wieder zu einer interessanten und genußvollen Lektüre gemacht hat.
Zudem bietet er anhand zahlreicher Textbeispiele eine lebendige und anregende Einführung in die Satiren, Epoden, Oden und Episteln des ebenso weltweisen wie humorvollen Horaz. Auch in diesem Falle zeichnet das Buch des Münchener Latinisten eine unverblümte und den lateinischen Originalen angemessene Sprache aus, durch die er die großen Werke der römischen Klassik für ein allgemeines Publikum wieder zu einer interessanten und genußvollen Lektüre gemacht hat.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.03.2009Was Horaz getan hat, können wir nicht einmal wollen
Niklas Holzberg versucht sich an einer Monographie über den größten europäischen Lyriker
Kein anderer der großen europäischen Dichter ist der Liebe so bedürftig wie Horaz – einer Liebe, die über sein unversehrtes, aber totengleich ruhendes Werk käme wie der Kuss des Prinzen über die Prinzessinnen, die im Glassarg und hinter Dornenhecken schlummern. Denn die anderen Autoren der Antike können immer noch auf ein gewisses stoffliches Interesse rechnen, das von ihrer Kunst im engeren Sinn großenteils absieht. Herodots einprägsame Geschichten sprengen den Rahmen des griechischen Idioms, über die Welt Homers entbrennt der Streit selbst heute, sogar das Werk des Ovid haust an der Küste unserer Gegenwart wie sein Urheber am Schwarzen Meer: verbannt aus Rom, aber trotzdem lebendig.
Das Werk des Horaz aber bleibt untrennbar verstrickt in seine künstlerische Form, die einst als der höchste Ausdruck menschenmöglicher Vollkommenheit überhaupt galt. Bündig hat es Nietzsche zusammengefasst, der vielleicht Letzte, der Horaz wahrhaft geliebt und dem er wirklich gelebt hat: „Bis heute habe ich an keinem Dichter dasselbe artistische Entzücken gehabt, das mir von Anfang an eine horazische Ode gab. In gewissen Sprachen ist Das, was hier erreicht ist, nicht einmal zu wollen. Dies Mosaik von Worten, wo jedes Wort als Klang, als Ort, als Begriff, nach rechts und links und über das Ganze hin seine Kraft ausströmt, dies minimum in Umfang und Zahl der Zeichen, dies damit erzielte maximum in der Energie der Zeichen – das Alles ist römisch und, wenn man mir glauben will, vornehm par excellence. Der ganze Rest von Poesie wird dagegen etwas zu Populäres – eine blosse Gefühls-Geschwätzigkeit . . . ”
Wo die Rose spät noch verweilt
Solche Höhe gereicht ihm nun zum Schaden der Unerreichbarkeit. Am Fall des Horaz lässt sich studieren, dass Überlieferung und Tradition nicht einfach die deutsche und die lateinische Vokabel für denselben Tatbestand bedeuten; Horaz, seinem Wortlaut nach komplett erhalten wie kaum ein anderer Autor der Antike, scheint für uns heute komplett verloren.
Niklas Holzberg zitiert Nietzsche gleich einleitend in seiner Horaz-Monographie; und man sollte meinen, es jagte ihm einen gehörigen Schrecken über die Größe seiner Aufgabe ein. Denn worin könnte sie bestehen als darin, das Verständnis für diesen Autor jenem anzunähern, das Nietzsche für ihn besaß?
Ein Monograph des Quintus Horatius Flaccus vermag heute seinen Gegenstand nicht mehr selbstverständlich vorauszusetzen, wie das bei Goethe oder Bismarck möglich ist; er muss ihn als einen interessanten erst erschaffen. Tut er das nicht, und tritt er nicht als Lehrer, sondern bloß als Gelehrter vor uns hin, so bleibt er in den Niederungen des Kommentars hängen. Kommentare zu Horaz aber gibt es genug. Es lässt sich an keiner Stelle erkennen, dass Holzberg mehr als einen solchen ernsthaft angestrebt hat. Er hat ein liebloses Buch geschrieben, ein unverzeihlich liebloses, wenn man bedenkt, wessen sein Gegenstand in so hohem Grade bedurft hätte.
Eine irreparable Unterlassung begeht Holzberg, indem er die Grundvoraussetzung dieses lyrischen Werks, das System der lateinischen Metrik, nirgends angemessen erklärt. Bis vor gar nicht so langer Zeit saß ja selbst die Fachwissenschaft dem Irrtum auf, es müsse doch auch in der Antike so etwas wie einen „Iktus”, den Druckakzent unserer neuzeitlichen Gedichte, gegeben haben. Da wäre es gewiss nicht überflüssig gewesen, das Prinzip der geordneten Wiederkehr von Längen und Kürzen, worauf antike Lyrik beruht, in Abgrenzung zu unseren heutigen Verhältnissen umfassend und eindringlich darzulegen. Stattdessen hantiert Holzberg sogleich mit den Begriffen der sapphischen, der alkaischen und anderer Strophen, dass einem der Kopf schwirrt. Er weist auch nicht deutlich genug darauf hin, dass er, um die Gedichtförmigkeit der Oden auch im Deutschen fühlbar zu machen, das Prinzip lang / kurz in der Wiedergabe durch das uns einzig eingängige Schema betont / unbetont ersetzt. Das kann er, das muss er wahrscheinlich so machen; aber er sollte vor die Weiche ein Signal stellen, damit jeder sieht, dass die Fahrt auf ein anderes Gleis überwechselt.
Auch Holzbergs zweiter Fehler besteht in einer Unterlassung. Fast überall unterschlägt er den echten, den lateinischen Horaz und gibt uns stattdessen seine eigene Version, mal metrisch, mal frei, aber fast stets so, dass er den direkten Zugang blockiert. Es bleibt einem gar nichts anderes übrig, als Horaz mit Holzberg zu verwechseln, eine Gleichsetzung, die Horaz nicht nützen kann. Ein Platzproblem wäre das bestimmt nicht gewesen – Horaz ist kurz. Man darf getrost annehmen, dass immer noch viele Zeitgenossen wenigstens ein bisschen Latein können (fast alle vermutlich, die als Publikum eines Buchs über Horaz überhaupt in Frage kommen); aber um das Original zu würdigen, bräuchten sie Hilfe. Warum hat der Autor nicht ein Gedicht, das ihm besonders gefiel, hergenommen, zum Beispiel die berühmte (und nur acht Verse lange) Ode I, 38, den lateinischen Text so erläutert, dass er sich auch dem, der die Konjunktive von sich aus nicht mehr völlig glatt identifiziert hätte, in völliger Klarheit darstellt, und dessen Schönheit im Vergleich verschiedener Übersetzungsversuche beleuchtet? Dann könnte der Leser selbst urteilen, was die Wehmut der beiden Zeilen „mitte sectari, rosa quo locorum / sera moretur” abgemessener wiedergibt, ob Holzbergs eigener Vorschlag „lass ab nachzuspüren, wo im Umkreis eine späte / Rose verweilt” oder Bernhard Kytzlers Version in der Reclam-Ausgabe „lass ab zu suchen, wo die Rose wohl / spät noch verweilt”. Das „spät” und das „noch” gehören spürbar in den letzten Vers – bei Holzberg verweilt sie einfach wie der lästige Schwätzer in Satire I, 9 und ist gar nicht mehr abzuschütteln.
Auch muss man sich Gedanken machen, ob man „die” Rose oder „eine” Rose will, denn das Lateinische kennt weder bestimmten noch unbestimmten Artikel. Mit dieser Methode, und nur mit dieser, ließe sich etwas von dem zum Vorschein bringen, was Nietzsche erlebt hat.
Aber dafür hat Holzberg keinen Raum, weil er das Werk des Horaz mit ermüdender Linearität und Vollständigkeit abarbeitet. Da langt es oft nur noch zur matten Inhaltsangabe: „Auch Horaz, dessen Adressat sein Freund Fuscus ist, spricht vom Herumreisen in aller Welt, aber er möchte zeigen, dass jemand, der ,integer‘ ist wie er, in der Fremde von keinerlei Gefahr bedroht werde. Das habe er, so fährt er fort, allein schon an einem Erlebnis im sabinischen Wald erkennen können: Dort sei vor ihm, während er von seiner Lalage sang, ein Wolf geflohen. Ganz gleich, ob Fuscus ihn in ein Land des äußersten Nordens oder des tiefsten Südens setze, er werde die süß lachende und süß plaudernde Lalage lieben.”
So geht es Seite um Seite, ohne rettenden Akzent, ohne Einhalt, aber auch ohne eigentlichen Zusammenhang. Holzberg klagt darüber, dass Horaz’ berüchtigste Verszeile „dulce et decorum est pro patria mori (süß und ehrenvoll ist es, für die Heimat zu sterben)” immer aus dem Kontext gerissen worden sei, von Militaristen (dafür) und Pazifisten (dagegen) gleichermaßen. Er selbst jedoch tut nichts, um diesen Kontext herzustellen. Es geht nämlich weiter: „Der Tod verfolgt auch den flüchtigen Mann, und er schont nicht die Kniekehlen des unkriegerischen Jünglings und den ängstlichen Rücken.” Damit aber verwandelt sich der Satz von einer inhumanen Durchhalteparole in die Überlegung, dass es womöglich besser sei, sich seiner Haut zu wehren, als sich wie ein Schaf abschlachten zu lassen.
Ohne Mühe, ohne Wonnen
Auch vergreift sich Holzberg zuweilen im Ton. Es mag ihm vorkommen, als verhalte er sich damit seinem Gegenstand kongenial, denn Horaz spricht davon, dass es köstlich sei, am rechten Ort auch einmal den Narren zu spielen – „ineptire”. Holzberg übersetzt es bezeichnenderweise mit „herumblödeln”. Wenn die Rede davon ist, dass bei einem Liebeshandel der verhasste Pförtner eine Verzögerung bewirken könnte, merkt Holzberg an: „Ja, was dann? Soll der Knabe dem Pförtner eins auf die Rübe geben?” Und den dichterischen Lobpreis des augusteischen Friedens kommentiert er: „Na denn, Friede, Freude, Eierkuchen!”
All das offenbart, dass Holzberg kein Gefühl für Abstände hat. Er rückt Horaz mit allzu vertraulicher Nähe auf den Pelz, und gerade deshalb sieht er nicht, wie fern dieser einst angesehenste Dichter Europas uns heute steht. Nein, ihn so locker und umstandslos zu uns herüberzuwinken wie den Nachbarn zur Grillparty, das wird nichts. Da müssen schon wir uns aufmachen über das breite und dunkle Gewässer von zweitausend Jahren; und einem guten Fährmann wäre man dankbar. Der aber ist Holzberg mitnichten. Er belehrt uns weder über die Mühen noch gönnt er uns die Wonnen der größten heute möglichen Reise. Sein Horaz ist dichter dran und weiter weg, als er es verdient hat. Und das darf und soll man Niklas Holzberg, Professor für Klassische Philologie an der Münchner Universität, verübeln. BURKHARD MÜLLER
NIKLAS HOLZBERG: Horaz. Dichter und Werk. Verlag C. H. Beck, München 2009. 238 Seiten, 24,90 Euro.
„Bis heute”, schrieb Friedrich Nietzsche über seine Horaz-Lektüre, „habe ich an keinem Dichter dasselbe artistische Entzücken gehabt, das mir von Anfang an eine horazische Ode gab. In gewissen Sprachen ist das, was hier erreicht ist, nicht einmal zu wollen. Der ganze Rest von Poesie wird dagegen etwas zu Populäres – eine blosse Gefühls-Geschwätzigkeit .” Die Abbildung zeigt Horaz (65 v. Chr. – 8 v. Chr.), den Dichter der Augusteischen Zeit, so wie ihn Luca Signorelli zwischen 1500 und 1504 für den Dom von Orvieto idealisierend malte. Foto: AKG
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Niklas Holzberg versucht sich an einer Monographie über den größten europäischen Lyriker
Kein anderer der großen europäischen Dichter ist der Liebe so bedürftig wie Horaz – einer Liebe, die über sein unversehrtes, aber totengleich ruhendes Werk käme wie der Kuss des Prinzen über die Prinzessinnen, die im Glassarg und hinter Dornenhecken schlummern. Denn die anderen Autoren der Antike können immer noch auf ein gewisses stoffliches Interesse rechnen, das von ihrer Kunst im engeren Sinn großenteils absieht. Herodots einprägsame Geschichten sprengen den Rahmen des griechischen Idioms, über die Welt Homers entbrennt der Streit selbst heute, sogar das Werk des Ovid haust an der Küste unserer Gegenwart wie sein Urheber am Schwarzen Meer: verbannt aus Rom, aber trotzdem lebendig.
Das Werk des Horaz aber bleibt untrennbar verstrickt in seine künstlerische Form, die einst als der höchste Ausdruck menschenmöglicher Vollkommenheit überhaupt galt. Bündig hat es Nietzsche zusammengefasst, der vielleicht Letzte, der Horaz wahrhaft geliebt und dem er wirklich gelebt hat: „Bis heute habe ich an keinem Dichter dasselbe artistische Entzücken gehabt, das mir von Anfang an eine horazische Ode gab. In gewissen Sprachen ist Das, was hier erreicht ist, nicht einmal zu wollen. Dies Mosaik von Worten, wo jedes Wort als Klang, als Ort, als Begriff, nach rechts und links und über das Ganze hin seine Kraft ausströmt, dies minimum in Umfang und Zahl der Zeichen, dies damit erzielte maximum in der Energie der Zeichen – das Alles ist römisch und, wenn man mir glauben will, vornehm par excellence. Der ganze Rest von Poesie wird dagegen etwas zu Populäres – eine blosse Gefühls-Geschwätzigkeit . . . ”
Wo die Rose spät noch verweilt
Solche Höhe gereicht ihm nun zum Schaden der Unerreichbarkeit. Am Fall des Horaz lässt sich studieren, dass Überlieferung und Tradition nicht einfach die deutsche und die lateinische Vokabel für denselben Tatbestand bedeuten; Horaz, seinem Wortlaut nach komplett erhalten wie kaum ein anderer Autor der Antike, scheint für uns heute komplett verloren.
Niklas Holzberg zitiert Nietzsche gleich einleitend in seiner Horaz-Monographie; und man sollte meinen, es jagte ihm einen gehörigen Schrecken über die Größe seiner Aufgabe ein. Denn worin könnte sie bestehen als darin, das Verständnis für diesen Autor jenem anzunähern, das Nietzsche für ihn besaß?
Ein Monograph des Quintus Horatius Flaccus vermag heute seinen Gegenstand nicht mehr selbstverständlich vorauszusetzen, wie das bei Goethe oder Bismarck möglich ist; er muss ihn als einen interessanten erst erschaffen. Tut er das nicht, und tritt er nicht als Lehrer, sondern bloß als Gelehrter vor uns hin, so bleibt er in den Niederungen des Kommentars hängen. Kommentare zu Horaz aber gibt es genug. Es lässt sich an keiner Stelle erkennen, dass Holzberg mehr als einen solchen ernsthaft angestrebt hat. Er hat ein liebloses Buch geschrieben, ein unverzeihlich liebloses, wenn man bedenkt, wessen sein Gegenstand in so hohem Grade bedurft hätte.
Eine irreparable Unterlassung begeht Holzberg, indem er die Grundvoraussetzung dieses lyrischen Werks, das System der lateinischen Metrik, nirgends angemessen erklärt. Bis vor gar nicht so langer Zeit saß ja selbst die Fachwissenschaft dem Irrtum auf, es müsse doch auch in der Antike so etwas wie einen „Iktus”, den Druckakzent unserer neuzeitlichen Gedichte, gegeben haben. Da wäre es gewiss nicht überflüssig gewesen, das Prinzip der geordneten Wiederkehr von Längen und Kürzen, worauf antike Lyrik beruht, in Abgrenzung zu unseren heutigen Verhältnissen umfassend und eindringlich darzulegen. Stattdessen hantiert Holzberg sogleich mit den Begriffen der sapphischen, der alkaischen und anderer Strophen, dass einem der Kopf schwirrt. Er weist auch nicht deutlich genug darauf hin, dass er, um die Gedichtförmigkeit der Oden auch im Deutschen fühlbar zu machen, das Prinzip lang / kurz in der Wiedergabe durch das uns einzig eingängige Schema betont / unbetont ersetzt. Das kann er, das muss er wahrscheinlich so machen; aber er sollte vor die Weiche ein Signal stellen, damit jeder sieht, dass die Fahrt auf ein anderes Gleis überwechselt.
Auch Holzbergs zweiter Fehler besteht in einer Unterlassung. Fast überall unterschlägt er den echten, den lateinischen Horaz und gibt uns stattdessen seine eigene Version, mal metrisch, mal frei, aber fast stets so, dass er den direkten Zugang blockiert. Es bleibt einem gar nichts anderes übrig, als Horaz mit Holzberg zu verwechseln, eine Gleichsetzung, die Horaz nicht nützen kann. Ein Platzproblem wäre das bestimmt nicht gewesen – Horaz ist kurz. Man darf getrost annehmen, dass immer noch viele Zeitgenossen wenigstens ein bisschen Latein können (fast alle vermutlich, die als Publikum eines Buchs über Horaz überhaupt in Frage kommen); aber um das Original zu würdigen, bräuchten sie Hilfe. Warum hat der Autor nicht ein Gedicht, das ihm besonders gefiel, hergenommen, zum Beispiel die berühmte (und nur acht Verse lange) Ode I, 38, den lateinischen Text so erläutert, dass er sich auch dem, der die Konjunktive von sich aus nicht mehr völlig glatt identifiziert hätte, in völliger Klarheit darstellt, und dessen Schönheit im Vergleich verschiedener Übersetzungsversuche beleuchtet? Dann könnte der Leser selbst urteilen, was die Wehmut der beiden Zeilen „mitte sectari, rosa quo locorum / sera moretur” abgemessener wiedergibt, ob Holzbergs eigener Vorschlag „lass ab nachzuspüren, wo im Umkreis eine späte / Rose verweilt” oder Bernhard Kytzlers Version in der Reclam-Ausgabe „lass ab zu suchen, wo die Rose wohl / spät noch verweilt”. Das „spät” und das „noch” gehören spürbar in den letzten Vers – bei Holzberg verweilt sie einfach wie der lästige Schwätzer in Satire I, 9 und ist gar nicht mehr abzuschütteln.
Auch muss man sich Gedanken machen, ob man „die” Rose oder „eine” Rose will, denn das Lateinische kennt weder bestimmten noch unbestimmten Artikel. Mit dieser Methode, und nur mit dieser, ließe sich etwas von dem zum Vorschein bringen, was Nietzsche erlebt hat.
Aber dafür hat Holzberg keinen Raum, weil er das Werk des Horaz mit ermüdender Linearität und Vollständigkeit abarbeitet. Da langt es oft nur noch zur matten Inhaltsangabe: „Auch Horaz, dessen Adressat sein Freund Fuscus ist, spricht vom Herumreisen in aller Welt, aber er möchte zeigen, dass jemand, der ,integer‘ ist wie er, in der Fremde von keinerlei Gefahr bedroht werde. Das habe er, so fährt er fort, allein schon an einem Erlebnis im sabinischen Wald erkennen können: Dort sei vor ihm, während er von seiner Lalage sang, ein Wolf geflohen. Ganz gleich, ob Fuscus ihn in ein Land des äußersten Nordens oder des tiefsten Südens setze, er werde die süß lachende und süß plaudernde Lalage lieben.”
So geht es Seite um Seite, ohne rettenden Akzent, ohne Einhalt, aber auch ohne eigentlichen Zusammenhang. Holzberg klagt darüber, dass Horaz’ berüchtigste Verszeile „dulce et decorum est pro patria mori (süß und ehrenvoll ist es, für die Heimat zu sterben)” immer aus dem Kontext gerissen worden sei, von Militaristen (dafür) und Pazifisten (dagegen) gleichermaßen. Er selbst jedoch tut nichts, um diesen Kontext herzustellen. Es geht nämlich weiter: „Der Tod verfolgt auch den flüchtigen Mann, und er schont nicht die Kniekehlen des unkriegerischen Jünglings und den ängstlichen Rücken.” Damit aber verwandelt sich der Satz von einer inhumanen Durchhalteparole in die Überlegung, dass es womöglich besser sei, sich seiner Haut zu wehren, als sich wie ein Schaf abschlachten zu lassen.
Ohne Mühe, ohne Wonnen
Auch vergreift sich Holzberg zuweilen im Ton. Es mag ihm vorkommen, als verhalte er sich damit seinem Gegenstand kongenial, denn Horaz spricht davon, dass es köstlich sei, am rechten Ort auch einmal den Narren zu spielen – „ineptire”. Holzberg übersetzt es bezeichnenderweise mit „herumblödeln”. Wenn die Rede davon ist, dass bei einem Liebeshandel der verhasste Pförtner eine Verzögerung bewirken könnte, merkt Holzberg an: „Ja, was dann? Soll der Knabe dem Pförtner eins auf die Rübe geben?” Und den dichterischen Lobpreis des augusteischen Friedens kommentiert er: „Na denn, Friede, Freude, Eierkuchen!”
All das offenbart, dass Holzberg kein Gefühl für Abstände hat. Er rückt Horaz mit allzu vertraulicher Nähe auf den Pelz, und gerade deshalb sieht er nicht, wie fern dieser einst angesehenste Dichter Europas uns heute steht. Nein, ihn so locker und umstandslos zu uns herüberzuwinken wie den Nachbarn zur Grillparty, das wird nichts. Da müssen schon wir uns aufmachen über das breite und dunkle Gewässer von zweitausend Jahren; und einem guten Fährmann wäre man dankbar. Der aber ist Holzberg mitnichten. Er belehrt uns weder über die Mühen noch gönnt er uns die Wonnen der größten heute möglichen Reise. Sein Horaz ist dichter dran und weiter weg, als er es verdient hat. Und das darf und soll man Niklas Holzberg, Professor für Klassische Philologie an der Münchner Universität, verübeln. BURKHARD MÜLLER
NIKLAS HOLZBERG: Horaz. Dichter und Werk. Verlag C. H. Beck, München 2009. 238 Seiten, 24,90 Euro.
„Bis heute”, schrieb Friedrich Nietzsche über seine Horaz-Lektüre, „habe ich an keinem Dichter dasselbe artistische Entzücken gehabt, das mir von Anfang an eine horazische Ode gab. In gewissen Sprachen ist das, was hier erreicht ist, nicht einmal zu wollen. Der ganze Rest von Poesie wird dagegen etwas zu Populäres – eine blosse Gefühls-Geschwätzigkeit .” Die Abbildung zeigt Horaz (65 v. Chr. – 8 v. Chr.), den Dichter der Augusteischen Zeit, so wie ihn Luca Signorelli zwischen 1500 und 1504 für den Dom von Orvieto idealisierend malte. Foto: AKG
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.11.2009Der Dichter als Rollenspieler
Hinter den Masken der wohlhabende römische Ritter: Der Münchner Latinist Niklas Holzberg widmet sich dem Leben und Werk des Horaz.
Das "artistische Entzücken" beim Lesen des Horaz teilte Nietzsche nicht nur mit Kant, sondern mit vielen Dichtern von Jakobus Balde bis zu Thomas Kling. Der in München lehrende Latinist Niklas Holzberg unternimmt es nun, nach Catull, Ovid und zuletzt Vergil (F.A.Z. vom 16. Dezember 2006) auch Horaz einem lateinfernen Publikum vorzustellen, und akzeptiert dabei die Bedingung, nur in Ausnahmen auf den lateinischen Text verweisen zu können, also gleichsam "Don Giovanni" fast ohne Musik aufführen zu müssen.
Holzberg übersetzt in Prosa, erklärt trotzdem Metrik wie nebenbei, schafft dabei ein Wunder an Informationsdichte und bietet ein sehr modernes Horaz-Bild. Gestützt auf internationale Forschung, umreißt Holzberg zunächst Biographie, zentrale Motive und literarisch-historischen Kontext, um dann das Werk des Horaz einer linearen Lektüre zu unterwerfen. Diese folgt Tendenzen der neueren Philologie, die die Buchkomposition in den Vordergrund rückt. Aber noch niemals wurde das Gesamtwerk des Horaz insgesamt so radikal als teleologische Komposition gelesen, und dieser Kunstgriff ermöglicht es nun, alle 162 Gedichte synoptisch zu ordnen.
Holzberg eröffnet mit einer plausiblen Horaz-Biographie, denn Horaz (65 bis 8 vor Christus) war eben nicht der Kleinbürger der Schulausgaben und Lexika, sondern wohlhabender römischer Ritter. Dies gilt sowohl vor als auch nach Philippi, also für Horaz als Republikaner auf Seiten des Brutus wie für den loyalen Anhänger Octavians, des späteren Augustus. Durch die ausschließliche Fokussierung auf die pro-augusteische Seite wird Horaz freilich mancher Spannung beraubt. Eine politisch-existentielle Lesart, wie viele Dichter von Wieland bis Brecht sie praktizierten, liegt Holzberg ohnedies fern. Sein Interesse gilt den "personae" des Horaz, jenen für die einzelnen Buchgattungen rekonstruierten Rollen, die der Dichter im Spiel der antiken Literatur entwirft. Dass diese "personae" ebenso anfällig für Zirkelschlüsse sein können wie Biographismen, sei kurz angemerkt. Auf dem Feld der Intertextualität aber ist Holzberg meisterlich bewandert, was sich sogleich bei der Interpretation der "Satiren" zeigt, die aus "Plaudereien" zu raffinierten Kunststücken hellenistischer Dichtungstheorie und Lebensphilosophie werden: Um "lachend die Wahrheit zu sagen", braucht es literarisches Raffinement.
Die "Epoden", politisch-erotische Schmähgedichte, werden von Holzberg mit Vergnügen zugespitzt, an den "Oden" erreicht das Verfahren freilich seine Grenze: Holzberg kann auf stupende Weise das Motivgeflecht der vier Bücher zeigen, zu den 103 Gedichten aber nur stenographische Winke geben. Aus der einzig vollständig dargestellten Otium-Ode (2,16) und manchen Zwischenbemerkungen kann der Leser auf das Buch schließen, das Holzberg ungeschrieben ließ. Das Motivgeflecht trägt aber insbesondere bei den heiklen "Römeroden" (3,1-6), denn der politisch-ästhetische Zyklus ist sorgfältig vorbereitet und durch die anschließenden erotischen Gedichte (3,7-12) elegant abgefedert.
Das erste Buch der "Briefe", ethische Reflexionen über Individuum und Gesellschaft, wird witzig nachgezeichnet, aber durch die Fixierung auf Epikur in seinem kritischen Potential entschärft, zumal sich Horaz offen zu Aristipp, einem ganz anderen hedonistischen Modell, bekennt. Beim zweiten, literaturtheoretischen Buch der "Briefe" ist Holzberg wieder in seiner Domäne: Kundig zieht er die Verbindungslinien zu hellenistischen Autoren und Theoretikern aus, und da er sich mit R. G. M. Nisbet zur Spätdatierung aller drei Briefe einschließlich der "Ars poetica" bekennt (11/10 vor Christus), gerät auch dem persona-Theoretiker Holzberg deren Darstellung zu einem persönlichen Rückblick auf die Dichtung.
Burlesk löst er sich dann wie Horaz mit dem letzten Vers der "Ars poetica" als satter "Blutegel" von seinem Publikum: Chapeau! Holzbergs Horaz ist bestechend klar, Sprachform und existentielle Motive sind aber ausgeblendet zugunsten der einprägsamen Kontur. Wie diese Kontur zu füllen ist, wie die einzelnen Masken zusammenzufügen sind, das beschäftigt Leser seit Jahrhunderten. Als Lohn winkt dabei das "artistische Entzücken" der eigenen Lektüre.
THOMAS POISS
Niklas Holzberg: "Horaz. Dichter und Werk". C. H. Beck Verlag, München 2009. 240 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hinter den Masken der wohlhabende römische Ritter: Der Münchner Latinist Niklas Holzberg widmet sich dem Leben und Werk des Horaz.
Das "artistische Entzücken" beim Lesen des Horaz teilte Nietzsche nicht nur mit Kant, sondern mit vielen Dichtern von Jakobus Balde bis zu Thomas Kling. Der in München lehrende Latinist Niklas Holzberg unternimmt es nun, nach Catull, Ovid und zuletzt Vergil (F.A.Z. vom 16. Dezember 2006) auch Horaz einem lateinfernen Publikum vorzustellen, und akzeptiert dabei die Bedingung, nur in Ausnahmen auf den lateinischen Text verweisen zu können, also gleichsam "Don Giovanni" fast ohne Musik aufführen zu müssen.
Holzberg übersetzt in Prosa, erklärt trotzdem Metrik wie nebenbei, schafft dabei ein Wunder an Informationsdichte und bietet ein sehr modernes Horaz-Bild. Gestützt auf internationale Forschung, umreißt Holzberg zunächst Biographie, zentrale Motive und literarisch-historischen Kontext, um dann das Werk des Horaz einer linearen Lektüre zu unterwerfen. Diese folgt Tendenzen der neueren Philologie, die die Buchkomposition in den Vordergrund rückt. Aber noch niemals wurde das Gesamtwerk des Horaz insgesamt so radikal als teleologische Komposition gelesen, und dieser Kunstgriff ermöglicht es nun, alle 162 Gedichte synoptisch zu ordnen.
Holzberg eröffnet mit einer plausiblen Horaz-Biographie, denn Horaz (65 bis 8 vor Christus) war eben nicht der Kleinbürger der Schulausgaben und Lexika, sondern wohlhabender römischer Ritter. Dies gilt sowohl vor als auch nach Philippi, also für Horaz als Republikaner auf Seiten des Brutus wie für den loyalen Anhänger Octavians, des späteren Augustus. Durch die ausschließliche Fokussierung auf die pro-augusteische Seite wird Horaz freilich mancher Spannung beraubt. Eine politisch-existentielle Lesart, wie viele Dichter von Wieland bis Brecht sie praktizierten, liegt Holzberg ohnedies fern. Sein Interesse gilt den "personae" des Horaz, jenen für die einzelnen Buchgattungen rekonstruierten Rollen, die der Dichter im Spiel der antiken Literatur entwirft. Dass diese "personae" ebenso anfällig für Zirkelschlüsse sein können wie Biographismen, sei kurz angemerkt. Auf dem Feld der Intertextualität aber ist Holzberg meisterlich bewandert, was sich sogleich bei der Interpretation der "Satiren" zeigt, die aus "Plaudereien" zu raffinierten Kunststücken hellenistischer Dichtungstheorie und Lebensphilosophie werden: Um "lachend die Wahrheit zu sagen", braucht es literarisches Raffinement.
Die "Epoden", politisch-erotische Schmähgedichte, werden von Holzberg mit Vergnügen zugespitzt, an den "Oden" erreicht das Verfahren freilich seine Grenze: Holzberg kann auf stupende Weise das Motivgeflecht der vier Bücher zeigen, zu den 103 Gedichten aber nur stenographische Winke geben. Aus der einzig vollständig dargestellten Otium-Ode (2,16) und manchen Zwischenbemerkungen kann der Leser auf das Buch schließen, das Holzberg ungeschrieben ließ. Das Motivgeflecht trägt aber insbesondere bei den heiklen "Römeroden" (3,1-6), denn der politisch-ästhetische Zyklus ist sorgfältig vorbereitet und durch die anschließenden erotischen Gedichte (3,7-12) elegant abgefedert.
Das erste Buch der "Briefe", ethische Reflexionen über Individuum und Gesellschaft, wird witzig nachgezeichnet, aber durch die Fixierung auf Epikur in seinem kritischen Potential entschärft, zumal sich Horaz offen zu Aristipp, einem ganz anderen hedonistischen Modell, bekennt. Beim zweiten, literaturtheoretischen Buch der "Briefe" ist Holzberg wieder in seiner Domäne: Kundig zieht er die Verbindungslinien zu hellenistischen Autoren und Theoretikern aus, und da er sich mit R. G. M. Nisbet zur Spätdatierung aller drei Briefe einschließlich der "Ars poetica" bekennt (11/10 vor Christus), gerät auch dem persona-Theoretiker Holzberg deren Darstellung zu einem persönlichen Rückblick auf die Dichtung.
Burlesk löst er sich dann wie Horaz mit dem letzten Vers der "Ars poetica" als satter "Blutegel" von seinem Publikum: Chapeau! Holzbergs Horaz ist bestechend klar, Sprachform und existentielle Motive sind aber ausgeblendet zugunsten der einprägsamen Kontur. Wie diese Kontur zu füllen ist, wie die einzelnen Masken zusammenzufügen sind, das beschäftigt Leser seit Jahrhunderten. Als Lohn winkt dabei das "artistische Entzücken" der eigenen Lektüre.
THOMAS POISS
Niklas Holzberg: "Horaz. Dichter und Werk". C. H. Beck Verlag, München 2009. 240 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Burkhard Müller ist tief betrübt über die von Niklas Holzberg, wie es aussieht, leichtfertig vertane Chance, uns Horaz näherzubringen. Als hätte er von einem Professor für Klassische Philologie mehr erwartet, steht er fassungslos vor der Diskrepanz zwischen dem Verständnis, das einst Nietzsche dem großen Dichter entgegenbrachte und jenem, von dem dieses Buch zeugt. Müller verweist auf die Notwendigkeit, Horaz dem heutigen Leser erst einmal schmackhaft zu machen. Die Lieblosigkeit jedoch, mit der Holzberg seinen Gegenstand behandelt, so erklärt Müller, lässt den Autor schon die Grundvoraussetzung dieses lyrischen Werkes, das System der lateinischen Metrik nämlich, nicht angemessen würdigen, für Müller eine irreparable Unterlassung. Ebenso unverzeihlich findet der Rezensent, dass uns Holzberg den echten Horaz beinahe ausschließlich zugunsten seiner eigenen, mal metrischen, mal freien Text-Versionen vorenthält, anstatt Hilfestellung zu geben, das Original zu würdigen. Für Müller hieße das etwa, Kontexte herzustellen, nicht nur "matte" Kommentare. Die Nähe zu Horaz, die hier mit launigen Übersetzungen suggeriert wird, möchte der Rezensent dem Autor keinesfalls abkaufen. So billig, meint Müller, ist Horaz nicht zu haben.
© Perlentaucher Medien GmbH
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