Produktdetails
  • Verlag: Old Street Publishing
  • Seitenzahl: 363
  • Erscheinungstermin: 20. Juli 2009
  • Englisch
  • Abmessung: 235mm
  • Gewicht: 500g
  • ISBN-13: 9781906964054
  • ISBN-10: 190696405X
  • Artikelnr.: 26126032
Autorenporträt
Dara Horn, geb. 1977, promoviert an der Harvard University über hebräische und jiddische Literatur. Für ihren ersten Roman wurde sie vielfach ausgezeichnet. Sie lebt in New York.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.08.2009

Verlobt mit sechzehn Männern

Im Leben nie, Chérie: Dara Horns mitreißender Roman über den amerikanischen Bürgerkrieg.

Von Julia Bähr

Es ist nicht so, dass es über den amerikanischen Bürgerkrieg noch keine Romane gäbe. Gegen diese vom Winde verwehte Historienphalanx anzutreten, muss man erst einmal wagen. Dara Horn hat es getan und ihren Helden Jacob Rappaport direkt zwischen die Fronten geschickt: Als Doppelagent wider Willen muss er immer wieder die Seiten wechseln, und so wird aus dem zurückhaltenden jungen Mann ein geschickter Schauspieler. Das klingt recht konventionell und ist in der Tat nicht der denkbar ungewöhnlichste Ansatz - aber Horn unterwandert die aus Klischees erwachsenen Erwartungen doch immer wieder aufs angenehmste.

Denn die Entwicklung in diesem Roman geht nicht etwa dahin, dass der zufällig auf Sondermission Entsendete sich doch für die Aufgabe begeistert. Der Thrill ergreift nicht Besitz von ihm; Jacob will meist nichts anderes, als aus der ganzen Sache unbeschadet herauszukommen. Er kontrolliert nicht die Situation, sondern die Situation kontrolliert ihn. "Die Lügen gingen ihm immer leichter von den Lippen und waren immer schwerer von der Wahrheit zu unterscheiden, sogar für Jacob selbst", schreibt Horn. Der Leser begleitet einen Getriebenen, der nie am Ort seiner Wahl bleiben darf und daran teilweise sogar selbst schuld ist: Jacob neigt nicht zum Widerspruch. Weil sein Vater ihn aus Profitgründen mit der Tochter eines Geschäftsfreundes verheiraten will, die am Down-Syndrom leidet, läuft er aus New York davon und meldet sich zur Armee, wo er es als Jude schwer hat. Dort bekommt er den Auftrag, seinen eigenen Onkel zu töten, der in New Orleans lebt und angeblich ein Mordkomplott gegen Abraham Lincoln plant. Erst als Jacob sich in eine Frau verliebt, die er ausspionieren soll, gewinnt er allmählich so etwas wie Stärke. Sie reicht jedoch noch nicht aus, um ihn sein Leben selbst bestimmen zu lassen.

Die Besonderheit von "Vor allen Nächten" ist die erstaunliche Authentizität. Im Gegensatz zu den meisten historischen Romanen, bei denen nur zählt, dass die Geschichte theoretisch so hätte passiert sein können, stimmen nicht nur die Eckdaten. Dara Horn hat sich durch Unmengen Papier gewühlt und ihr Ensemble an realen Vorbildern angelehnt. Das gilt sowohl für die bedeutenderen historischen Figuren wie Judah P. Benjamin, der das erste jüdische Kabinettsmitglied der amerikanischen Geschichte war, als auch für das politische Bodenpersonal. Zu den spannendsten gehören die Schwestern Ginnie und Lottie Moon, zwei Spioninnen der Konföderation, deren Abbildern auch im Roman viel Platz eingeräumt wird. In ihrem aufschlussreichen Nachwort klärt Horn auf, wie überraschend wenig sie bei diesen beiden hinzuerfinden musste: "Lottie Moon war nicht nur mit sechzehn Männern gleichzeitig verlobt (darunter ein Unionssoldat, dem sie vor dem Altar mit den Worten ,Im Leben nie, Chéri!' den Laufpass gab), sondern verfügte auch über diverse ungewöhnliche Talente, die sie häufig zu ihrem Vorteil einsetzte - unter anderem die Fähigkeit, ihren Kiefer nach Belieben auszurenken und schwere körperliche Leiden glaubhaft zu simulieren."

Dass solch schillernde Figuren einen wesentlichen Teil der Romanbelegschaft ausmachen, verleiht ihm viel Bewegung und Charme. Auch ist der Autorin hoch anzurechnen, wie sie die Kombination von politischen Ränkespielen, dramatischen Kriegsbeschreibungen und Jacobs persönlicher Geschichte meistert. Das Ergebnis ist ein mitreißender, anrührender und informativer Roman über den amerikanischen Bürgerkrieg - aber auch über den richtigen Zeitpunkt, nein zu sagen.

Dara Horn: "Vor allen Nächten". Roman. Aus dem Amerikanischen von Christiane Buchner und Martina Tichy. Berlin Verlag, Berlin 2009. 478 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.03.2010

Doch, doch, genauso war es
Dara Horn spielt den amerikanischen Bürgerkrieg nach
Man sollte zuerst das Nachwort lesen. In ihm berichtet Dara Horn, sie habe „einen Sommer lang als Faktenprüferin für das Geschichtsmagazin American Heritage” gearbeitet und dort gelernt, dass von allen nur denkbaren Faktenhubern und Wütende-Leserbriefe-Schreibern die „Bürgerkriegscracks” die Schlimmsten seien. Weil das so ist und weil ihr Roman den amerikanischen Bürgerkrieg zum Thema hat, führt Dara Horn in ihrem Nachwort aus, welche historische Gestalten sie zu welchen Romancharakteren inspiriert haben. An vorderster Stelle nennt sie Judah P. Benjamin – „das erste jüdische Kabinettsmitglied der amerikanischen Geschichte, glühender Verfechter der Freilassung der Sklaven in den Südstaaten gegen Ende des Bürgerkriegs, einer der begnadetsten Redner Amerikas überhaupt und ein geschickter Staatsmann”, der drei Jahre lang Außenminister der Konföderierten und während des Bürgerkriegs ihr Chefspion war, dann aber einem Komplott zum Opfer fiel und nach England fliehen musste, wo er es bis zum Kronanwalt brachte.
Aber auch sonst hat Dara Horn das Thema „Amerikanische Juden und der Bürgerkrieg” nach eigenem Bekenntnis umfassend erforscht und für ihren Roman ausgewertet. „Ich habe mich bemüht”, schreibt sie, „mich meiner Vergangenheit als Faktenprüferin würdig zu erweisen”, und zugleich hoffe sie, dass die Bürgerkriegscracks auch ihrer Phantasie Respekt zollten. Das Letztere können natürlich auch Nicht-Bürgerkriegscracks tun, wobei sie möglicherweise den Eindruck nicht loswerden, dass hier der literarischen Phantasie die engen Fesseln des historischen „reenactments” angelegt sind. So heißt bekanntlich die in Deutschland vor allem durch Guido Knopp populär gewordene Methode der Neuinszenierung historischer Ereignisse im Dienste der „Erlebbarkeit”. Ist Dara Horn der Guido Knopp des amerikanischen Bürgerkriegs? Nun, sie hat den Ansatz einer authentisch fiktionalen Geschichtserzählung noch weiter getrieben. Das ist etwas anderes als der „historische Roman” klassischer Art, in dem ja durch das jeweilige Geschichtskostüm unschwer die Gegenwart hindurch schimmern soll. Hier wird mit avancierten technischen Mitteln ein Erlebnismuseum der Vergangenheit generiert, in dem die Leser das gute Gefühl haben dürfen, dass auch dichterische Freiheiten ganz im Dienste der historischen Stimmung und Stimmigkeit stehen.
Schurken und Spione
Dara Horn bringt nicht nur den Bürgerkrieg auf die Bühne, das archetypische amerikanische Ereignis, sie verschränkt ihn außerdem noch mit dem schlechthin „identitären” Ereignis des jüdischen Glaubens, dem Pessachfest, der Nacht „vor allen Nächten”. Jacob Rappaport , der achtzehnjährige Spross einer wohlhabenden jüdischen Familie, soll gegen seinen Willen verheiratet werden und ergreift daraufhin die Flucht. Am Vorabend des Bürgerkriegs tritt er als Soldat in den Dienst der Union, wird dort als Jude identifiziert und eine heikle Sondermission geschickt: Er soll nach New Orleans fahren und seinen Onkel vergiften, der den Südstaatlern als Spion dient und einen Mordanschlag auf Präsident Lincoln plant. Weil das so gut funktioniert, wartet auf Jacob gleich ein Anschlussauftrag, und wieder soll er gegen seinen Willen heiraten, diesmal eine ebenfalls jüdische Spionin von der Gegenseite. Aber diesmal ergreift er nicht die Flucht, sondern heiratet die Spionin – nicht nur par ordre, sondern, man ahnt es, aus Liebe. Das kann nicht gut gehen, geht dann aber nach vielerlei Irrungen und Wirrungen doch gut, weil es nicht nur Schurken und Spione gibt, sondern auch wahre Helden wie den zitierten Senator Judah Benjamin, diese reinste Verkörperung „amerikanischer Brillanz”, wie es einmal heißt.
An solchen Stellen schlägt der erbauliche Charakter des Romans sichtbar durch. Die ganze Faktenprüfung soll offenkundig auch dem Zweck dienen, dass an dieser Darstellung und ihrem Wahrheitsgehalt und damit auch ihrer Legitimität als jüdisch-amerikanischer Geschichtserzählung nicht gerüttelt wird. Genau das aber macht historische Romane lesenswert: dass sie ein bisschen an den Tatsachen rütteln. Eine solche Souveränität im Umgang mit dem Stoff konnte oder wollte sich Dara Horn nicht erlauben. CHRISTOPH BARTMANN
DARA HORN: Vor allen Nächten. Roman. Aus dem Amerikanischen von Christiane Buchner und Martina Tichy. Berlin Verlag, Berlin 2009. 478 Seiten, 22 Euro
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