Das Horrorgenre ist nicht nur das beständigste, sondern auch kulturell vielfältigste aller Filmgattungen. In jedem Land gibt es Horrorfilme dieser oder jener Art. Horrorfilme bedienen die kollektive Vorstellung von Schrecken und zeigen so tief verwurzelte, beinahe archetypische Ängste auf. Sie sind zeitlos und doch vollkommen abhängig von ihrer sozialen und kulturellen Verortung. Dieses neue, aufregende Filmbuch, unter anderem mit einzigartigen Bildern aus dem Archiv von David Del Valle, untersucht den Horrorfilm nach thematischen, historischen und ästhetischen Gesichtspunkten. Die wichtigsten Analysekategorien bilden dabei folgende Themenbereiche: Schlächter & Serien-Killer; Kannibalen; Freaks & Hillbillys; Rache der Natur & Umwelthorror; Science-Fiction-Horror; Der lebende Tote; Geister & Verfluchte Häuser; Besessene, Dämonen & Üble Typen; Voodoo, Kult & Satanisten; Vampire & Werwölfe sowie Das monströse Weib. Zu den vielen, in diesem Band vorgestellten Filmen gehören auch zahlreiche Klassiker wie Psycho, Michael Bay's Texas Chainsaw Massacre, Alien, Der Exorzist, Dracula und The Wicker Man.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.04.2009In Ehren erstarrt
Filmbuch: "Horror Cinema" fixiert bildreich das Grauen im Film
Wer Horror nicht mag, tönt es vollmundig in diesem Buch, verleugne seine Menschlichkeit. Ignoriere "tief verwurzelte, beinahe archetypische Ängste", schlimmer noch: den Mörder, das Monster, die Schatten in sich selbst, die, konfrontiert mit Horrorfilmen, erlebbar werden, ohne dass ihre Zuschauer zu Psychopathen oder glibbernden Ekeln mutieren. Sich ergötzen, dem Grauen nachspüren, sich für Sekunden in die Rolle des Norman Bates versetzen und schnell wieder ausklinken - Generationen von Filmemachern spielen mit ihrem Publikum und seinen Ängsten. Jene kollektive Vorstellung von Schrecken instrumentalisiert der opulent ausgestattete Band "Horror Cinema", der fixiert, was sich als Angstauslöser in das kollektive Filmgedächtnis gefräst hat, wie den Moment von Jack Nicholsons "Hier ist Johnny!" in Stanley Kubricks "Shining".
Thematisch, historisch und ästhetisch nähern sich die Autoren - Jonathan Penner, Schauspieler, Drehbuchautor und Produzent, und der Filmwissenschaftler Steven Jay Schneider - dem Genre und seinen Subgenres an. Mit einem breit ausgelegten Begriff von "Horror", der etwa auch das Subgenre "Serienmörderfilm" umfasst - nicht erst, seit das FBI in den siebziger Jahren den Begriff des Serienmörders entwickelte, sondern beginnend mit der Rolle des Kindermörders Hans Beckert in Fritz Langs "M" von 1931. Von den englischen Schauerromanen des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts, den Vorläufern von Klassikern wie "Frankenstein or The Modern Prometheus" von Mary Shelley, zeichnet "Horror Cinema" die Genealogie des Genres bis zu den ersten Filmen nach: 1908 "Dr. Jekyll and Mr. Hyde" in einer frühen Kurzversion der Selig Polyscope Company, 1910 "Frankenstein" als Fünfzehnminüter der Edison Studios.
Praktikabel rubriziert, übersichtlich und weniger wissenschaftlich als gefällig konsumierbar bietet "Horror Cinema" zehn thematische Blöcke wie "Kannibalen, Freaks und Hinterwäldler", "Besessene, Dämonen und teuflische Bösewichter" oder "Ungeheuer in Frauengestalt". Nicht nur als innerhalb des Genres erwartbar rare Täterinnen - wie Joan Crawford in "Die Zwangsjacke" - spielen Frauen eine Rolle in "Horror Cinema". Im ersten Zyklus von weiblich dominierten Horrorfilmen gelten sie als "alte Vetteln", "deren verblasster Sex-Appeal den Schmerz über das ihnen entgangene Sexualleben nur noch verschlimmert". Analysen etwa von Hitchcocks "Psycho" oder Jack Claytons "Schloss des Schreckens" wirken wie eine ironische Selbstkritik der Autoren, stellen sie die zwei Klassiker doch als Kritik an der sexuellen Repression der sechziger Jahre und der Abstrafung von Frauen dar, die ihre Geschlechterrollen sprengen.
Vor allem visuell will "Horror Cinema" punkten. Hunderte Stills und Setbilder, darunter Raritäten aus den Archiven des Filmjournalisten David Del Valle in Los Angeles, sollen das Grauen zu Papier bringen. Mit diesem Anspruch stößt das Buch an seine Grenzen. Denn mit Fotografien unvergesslicher Filmmomente verhält es sich ähnlich wie mit ausgestopften Tieren: Sie wollen Leben suggerieren, doch es bleiben nur restaurierte Erinnerungsfragmente. Und so geht es Jack Nicholson aus "Shining", erstarrt vom "Horror Cinema"-Cover starrend, nicht anders als dem alten ausgestopften Kater: Zwar erinnert er an den irren Jack Torrance, wie er in Aktion war, und er bewahrt auch fotografisch fixiert die Charakteristika, die er zu dessen Lebzeiten ausstrahlte. Aber eigentlich will er seinem unverständigen Frauchen, das ihn aus dem Bad ausgesperrt hat, doch lieber mit der Axt um die erblassenden Beine schnurren.
LEO Y. WILD
Jonathan Penner, Steven Jay Schneider, Paul Duncan (Hrsg.): "Horror Cinema". Taschen Verlag, Köln 2008. 192 S., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Filmbuch: "Horror Cinema" fixiert bildreich das Grauen im Film
Wer Horror nicht mag, tönt es vollmundig in diesem Buch, verleugne seine Menschlichkeit. Ignoriere "tief verwurzelte, beinahe archetypische Ängste", schlimmer noch: den Mörder, das Monster, die Schatten in sich selbst, die, konfrontiert mit Horrorfilmen, erlebbar werden, ohne dass ihre Zuschauer zu Psychopathen oder glibbernden Ekeln mutieren. Sich ergötzen, dem Grauen nachspüren, sich für Sekunden in die Rolle des Norman Bates versetzen und schnell wieder ausklinken - Generationen von Filmemachern spielen mit ihrem Publikum und seinen Ängsten. Jene kollektive Vorstellung von Schrecken instrumentalisiert der opulent ausgestattete Band "Horror Cinema", der fixiert, was sich als Angstauslöser in das kollektive Filmgedächtnis gefräst hat, wie den Moment von Jack Nicholsons "Hier ist Johnny!" in Stanley Kubricks "Shining".
Thematisch, historisch und ästhetisch nähern sich die Autoren - Jonathan Penner, Schauspieler, Drehbuchautor und Produzent, und der Filmwissenschaftler Steven Jay Schneider - dem Genre und seinen Subgenres an. Mit einem breit ausgelegten Begriff von "Horror", der etwa auch das Subgenre "Serienmörderfilm" umfasst - nicht erst, seit das FBI in den siebziger Jahren den Begriff des Serienmörders entwickelte, sondern beginnend mit der Rolle des Kindermörders Hans Beckert in Fritz Langs "M" von 1931. Von den englischen Schauerromanen des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts, den Vorläufern von Klassikern wie "Frankenstein or The Modern Prometheus" von Mary Shelley, zeichnet "Horror Cinema" die Genealogie des Genres bis zu den ersten Filmen nach: 1908 "Dr. Jekyll and Mr. Hyde" in einer frühen Kurzversion der Selig Polyscope Company, 1910 "Frankenstein" als Fünfzehnminüter der Edison Studios.
Praktikabel rubriziert, übersichtlich und weniger wissenschaftlich als gefällig konsumierbar bietet "Horror Cinema" zehn thematische Blöcke wie "Kannibalen, Freaks und Hinterwäldler", "Besessene, Dämonen und teuflische Bösewichter" oder "Ungeheuer in Frauengestalt". Nicht nur als innerhalb des Genres erwartbar rare Täterinnen - wie Joan Crawford in "Die Zwangsjacke" - spielen Frauen eine Rolle in "Horror Cinema". Im ersten Zyklus von weiblich dominierten Horrorfilmen gelten sie als "alte Vetteln", "deren verblasster Sex-Appeal den Schmerz über das ihnen entgangene Sexualleben nur noch verschlimmert". Analysen etwa von Hitchcocks "Psycho" oder Jack Claytons "Schloss des Schreckens" wirken wie eine ironische Selbstkritik der Autoren, stellen sie die zwei Klassiker doch als Kritik an der sexuellen Repression der sechziger Jahre und der Abstrafung von Frauen dar, die ihre Geschlechterrollen sprengen.
Vor allem visuell will "Horror Cinema" punkten. Hunderte Stills und Setbilder, darunter Raritäten aus den Archiven des Filmjournalisten David Del Valle in Los Angeles, sollen das Grauen zu Papier bringen. Mit diesem Anspruch stößt das Buch an seine Grenzen. Denn mit Fotografien unvergesslicher Filmmomente verhält es sich ähnlich wie mit ausgestopften Tieren: Sie wollen Leben suggerieren, doch es bleiben nur restaurierte Erinnerungsfragmente. Und so geht es Jack Nicholson aus "Shining", erstarrt vom "Horror Cinema"-Cover starrend, nicht anders als dem alten ausgestopften Kater: Zwar erinnert er an den irren Jack Torrance, wie er in Aktion war, und er bewahrt auch fotografisch fixiert die Charakteristika, die er zu dessen Lebzeiten ausstrahlte. Aber eigentlich will er seinem unverständigen Frauchen, das ihn aus dem Bad ausgesperrt hat, doch lieber mit der Axt um die erblassenden Beine schnurren.
LEO Y. WILD
Jonathan Penner, Steven Jay Schneider, Paul Duncan (Hrsg.): "Horror Cinema". Taschen Verlag, Köln 2008. 192 S., 19,99 [Euro].
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