Produktdetails
- Verlag: Hauschild/WB Verpackungen / Lilo-Verlag
- 1999.
- Seitenzahl: 653
- Deutsch
- Abmessung: 245mm
- Gewicht: 1266g
- ISBN-13: 9783897570108
- ISBN-10: 3897570106
- Artikelnr.: 08084066
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.2000Verrückt kann jeder werden, aber was braucht es, um genial zu sein?
Im Kreis des Unberechenbaren: Stefan Blessin kennt Horst Janssen fast zu gut
Das dem Wahnsinn, dem Suff, gar der Gewalt zugeneigte Genie hat die Leute schon immer fasziniert, spätestens aber seit dem Sturm und Drang des späteren achtzehnten Jahrhunderts. Das seine eigenen Gesetze schaffende und andere Gesetze lustvoll übertretende Genie lebt als untergründiger Mythos in egalitären, gesetzestüchtigen Zeiten fort und behauptet sich in Person erst hier. Wohlgemerkt: Genialität ist Bedingung, denn verrückt, betrunken oder gewalttätig kann schließlich fast jeder werden.
Horst Janssen, der 1995 hoch geehrt gestorbene geniale Zeichner, Grafiker, Maler und Autor, hätte, als er noch jung und nur hoch begabt war, schon ein jähes Ende nehmen können: als ein in die Psychiatrie Weggesperrter, als gewalttätig-krimineller Wiederholungstäter oder einfach als ein vom Exzesstrunk Dahingeraffter. Dann wäre er unbekannt geblieben oder noch einigen Hamburger Kunstkennern ein zum Raunen anregender Fall gewesen. Im besten Fall stände Janssen heute als der bedauerte Frühvollendete da.
Stefan Blessin, der einstige Janssen-Vertraute, kann in seiner neuen Biografie über den von ihm Verehrten nachweisen, dass Janssen, gegen alle medizinische Wahrscheinlichkeit, doch etwas älter werden musste, um zum Genie zu werden - denn zum früh vollendeten Genie hätte er nicht getaugt.
Nachdem der junge Janssen eine Bewährungsstrafe wegen Gewalttätigkeit schließlich doch antreten musste, weil er auch noch alkoholisiert und ohne Führerschein Auto fuhr, wurde ihm der Gefängnisaufenthalt zu einem Trauma und fortan zur Lebensmetapher. Immer wieder, so Blessin, meinte er aus einem Gefängnis ausbrechen zu müssen: dem einer menschlichen Bindung oder eines künstlerischen Stils.
Die stärksten Passagen dieser merkwürdigen Biografie schildern, wie Janssen - durch Lehrer, Freunde, neue Techniken und immer wieder durch neue Frauen angeregt - erst allmählich zu jenem Genie wurde, als das er dann galt - und bis heute gilt. Ohne jemals unter sein Niveau gegangen zu sein, erreichte er schließlich durch seine Plakate auch die Herzen der vielen gegenüber zeitgenössischer Kunst sonst Schüchternen. Klug ist auch Blessins Begründung, warum Janssen bei allen Wandlungen seines künstlerischen Ausdrucks stets gegenständlich blieb: Zur Gegenständlichkeit sei dieser schon deswegen gezwungen gewesen, weil er den ihn bedrängenden Bildern etwas habe entgegensetzen müssen: "So einer muss auch dann den Umriss treffen und für seine Ängste Szenerien ersinnen und auf das Papier bannen, wenn das ganze Jahrhundert sich gerade davon losgesagt hat und ins Ungewisse abdriftet. So einer ist gegenständlich, weil er sich anders nicht behaupten kann. Er will sehen, was ihn bedroht - so genau wie möglich."
Der Tod saß Janssen die meiste Zeit im Nacken, so musste er ihn bannen, indem er ihn in Gerippen und Totenschädeln verkörperte. Auf der Farbradierung "Vancouver Hamburg", die zwei Jahre vor Janssens Ende entstand, hockte der Tod buchstäblich auf dem gebückt-gequälten Künstler. Hier drückt sich Blessin in einer geradezu an Heidegger erinnernden Formulierung aus: "Das Leben war ihm ein unablässiges Vorrennen in den Tod."
Darüber hinaus sind aber manche sprachliche Missgriffe zu verzeichnen: Ein Freund habe vor Janssen einen "noch größeren Bammel", in einem anderen Zusammenhang schloss sich ein Verlag "holterdiepolter" an, nämlich an Janssens Versuch, Blessins erste Biografie zu torpedieren. In seinen - häufig alkoholbedingten - Jähzornsanfällen mag Janssen auch Blessin malträtiert haben, aber warum muss der Professor für deutsche Sprache und Literatur darüber in banalen Worthülsen schreiben? Beispielsweise: "Dann ist es passiert, und kein Wenn und Aber hilft mehr."
Wer einmal einen längeren Text Horst Janssens gelesen hat, gar seine "Hinkepott"-Memoiren kennt, der merkt schnell, dass sein Biograf ihn häufig zu imitieren trachtet. Dies gelingt ihm aber nur selten, denn Janssens Kunst bestand darin, der Sprache durch exaltierte, aber gut kalkulierende Schnodderigkeit genaueste Schilderung und hohen Witz abzutrotzen. Wenn Blessin Janssen sprachlich entsprechen möchte, wirkt er indes eher wie ein freundlicher Biedermann, der auch einmal originell sein will. Blessin ist immer nur dann gut, wenn er einen eigenen Stil schreibt, wenn er sich in formbewusster und etwas kühlerer Sprache ausdrückt.
Blessin gehörte zu jenem Kreis von Leuten um Janssen, die ihre eigene Art dem vulkanartigen Wesen des Künstlers fast meinten opfern zu müssen. Folglich geriert Blessin sich nun so, als sei er der Stellvertreter Horst Janssens auf Erden. Er befragte für diese Biografie, man erfährt es aus Text und Anmerkungen, offensichtlich kaum Zeitzeugen. Sein im Selbstverlag erschienenes Buch nennt er kühn: "Horst Janssen, Leben und Werk". Es hätte besser heißen müssen: "Horst Janssen und ich".
Die Passagen, die Blessin im Austausch mit Janssen darstellen, sind zwar recht interessant; mindestens so wichtig wären aber Darstellungen von Janssens Frauen gewesen: Wer waren sie eigentlich? Warum verliebte Janssen sich in sie? Als Persönlichkeiten werden sie nur unzureichend dargestellt. Blessin vermittelt den durchaus falschen Eindruck, Janssen habe sie meist abgelegt wie einen Mantel. Dass beispielsweise Gesche Tietjens mit dem Vater ihres Kindes bis zu Janssens Tod befreundet blieb, müsste Blessin wissen, schildert es aber nicht. So vernachlässigt er Janssens Lieben mehr, als dieser es jemals tat. Noch mehr vernachlässigt er Janssen als geistige Persönlichkeit. Wirkt hier eine gewisse professorale Herablassung? Natürlich ermangelte es Janssen, wie Blessin feststellt, an gründlicher humanistischer Schulbildung. Aber Janssen war ein manischer Vielleser mit einer ausgezeichneten Auffassungsgabe. Zwar berichtet Blessin über Janssens Begeisterung für Lichtenberg, Nietzsche und Ernst Jünger, aber was der Künstler bei ihnen fand, das schildert Blessin nicht. Ein ganzes Kapitel wäre über das Verhältnis zwischen Janssen und Jünger nötig gewesen: über ihre erste und stürmische Begegnung in Wilflingen und über Janssens auch künstlerische Perzeption von Jüngers literarischer Figur des Lehr- und Lebemeisters "Nigromontanus" in dessen Buch "Das abenteuerliche Herz". Wer nicht bemerkt, dass Janssen Nigromontanus und dessen Art, die Welt zu sehen, mit Alfred Mahlau, dem lebenslang geliebten Lehrer an der Hamburger Kunsthochschule, identifizierte, hat Entscheidendes übersehen.
Der Hauptgrund für manche Unvollkommenheit liegt aber in dem sich nun als misslich herausstellenden Umstand, dass Blessin 1984, also elf Jahre vor Janssens Tod, schon einmal eine Janssen-Biografie geschrieben hatte. Diese in sechster erweiterter Neuauflage 1998 erschienene ältere Lebensbeschreibung muss sich kaufen, wer einen vollständigen Überblick über Janssens Leben gewinnen will. Allzu oft wird der Leser einfach auf das frühere, übrigens besser lesbare und bei Zeitzeugen recherchierte Vorgängerwerk verwiesen und muss sich etwas betrogen vorkommen.
So ist Stefan Blessin mit seiner diesjährigen Biografie gescheitert, wenn auch auf hohem Niveau, denn sein Kenntnisreichtum kann nicht bestritten werden.
MARTIN THOEMMES
Stefan Blessin: "Horst Janssen". Leben und Werk. Hauschild Verlag, Bremen 1999. 654 S., zahlr. Farb- und S/W-Abb., geb., 78,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im Kreis des Unberechenbaren: Stefan Blessin kennt Horst Janssen fast zu gut
Das dem Wahnsinn, dem Suff, gar der Gewalt zugeneigte Genie hat die Leute schon immer fasziniert, spätestens aber seit dem Sturm und Drang des späteren achtzehnten Jahrhunderts. Das seine eigenen Gesetze schaffende und andere Gesetze lustvoll übertretende Genie lebt als untergründiger Mythos in egalitären, gesetzestüchtigen Zeiten fort und behauptet sich in Person erst hier. Wohlgemerkt: Genialität ist Bedingung, denn verrückt, betrunken oder gewalttätig kann schließlich fast jeder werden.
Horst Janssen, der 1995 hoch geehrt gestorbene geniale Zeichner, Grafiker, Maler und Autor, hätte, als er noch jung und nur hoch begabt war, schon ein jähes Ende nehmen können: als ein in die Psychiatrie Weggesperrter, als gewalttätig-krimineller Wiederholungstäter oder einfach als ein vom Exzesstrunk Dahingeraffter. Dann wäre er unbekannt geblieben oder noch einigen Hamburger Kunstkennern ein zum Raunen anregender Fall gewesen. Im besten Fall stände Janssen heute als der bedauerte Frühvollendete da.
Stefan Blessin, der einstige Janssen-Vertraute, kann in seiner neuen Biografie über den von ihm Verehrten nachweisen, dass Janssen, gegen alle medizinische Wahrscheinlichkeit, doch etwas älter werden musste, um zum Genie zu werden - denn zum früh vollendeten Genie hätte er nicht getaugt.
Nachdem der junge Janssen eine Bewährungsstrafe wegen Gewalttätigkeit schließlich doch antreten musste, weil er auch noch alkoholisiert und ohne Führerschein Auto fuhr, wurde ihm der Gefängnisaufenthalt zu einem Trauma und fortan zur Lebensmetapher. Immer wieder, so Blessin, meinte er aus einem Gefängnis ausbrechen zu müssen: dem einer menschlichen Bindung oder eines künstlerischen Stils.
Die stärksten Passagen dieser merkwürdigen Biografie schildern, wie Janssen - durch Lehrer, Freunde, neue Techniken und immer wieder durch neue Frauen angeregt - erst allmählich zu jenem Genie wurde, als das er dann galt - und bis heute gilt. Ohne jemals unter sein Niveau gegangen zu sein, erreichte er schließlich durch seine Plakate auch die Herzen der vielen gegenüber zeitgenössischer Kunst sonst Schüchternen. Klug ist auch Blessins Begründung, warum Janssen bei allen Wandlungen seines künstlerischen Ausdrucks stets gegenständlich blieb: Zur Gegenständlichkeit sei dieser schon deswegen gezwungen gewesen, weil er den ihn bedrängenden Bildern etwas habe entgegensetzen müssen: "So einer muss auch dann den Umriss treffen und für seine Ängste Szenerien ersinnen und auf das Papier bannen, wenn das ganze Jahrhundert sich gerade davon losgesagt hat und ins Ungewisse abdriftet. So einer ist gegenständlich, weil er sich anders nicht behaupten kann. Er will sehen, was ihn bedroht - so genau wie möglich."
Der Tod saß Janssen die meiste Zeit im Nacken, so musste er ihn bannen, indem er ihn in Gerippen und Totenschädeln verkörperte. Auf der Farbradierung "Vancouver Hamburg", die zwei Jahre vor Janssens Ende entstand, hockte der Tod buchstäblich auf dem gebückt-gequälten Künstler. Hier drückt sich Blessin in einer geradezu an Heidegger erinnernden Formulierung aus: "Das Leben war ihm ein unablässiges Vorrennen in den Tod."
Darüber hinaus sind aber manche sprachliche Missgriffe zu verzeichnen: Ein Freund habe vor Janssen einen "noch größeren Bammel", in einem anderen Zusammenhang schloss sich ein Verlag "holterdiepolter" an, nämlich an Janssens Versuch, Blessins erste Biografie zu torpedieren. In seinen - häufig alkoholbedingten - Jähzornsanfällen mag Janssen auch Blessin malträtiert haben, aber warum muss der Professor für deutsche Sprache und Literatur darüber in banalen Worthülsen schreiben? Beispielsweise: "Dann ist es passiert, und kein Wenn und Aber hilft mehr."
Wer einmal einen längeren Text Horst Janssens gelesen hat, gar seine "Hinkepott"-Memoiren kennt, der merkt schnell, dass sein Biograf ihn häufig zu imitieren trachtet. Dies gelingt ihm aber nur selten, denn Janssens Kunst bestand darin, der Sprache durch exaltierte, aber gut kalkulierende Schnodderigkeit genaueste Schilderung und hohen Witz abzutrotzen. Wenn Blessin Janssen sprachlich entsprechen möchte, wirkt er indes eher wie ein freundlicher Biedermann, der auch einmal originell sein will. Blessin ist immer nur dann gut, wenn er einen eigenen Stil schreibt, wenn er sich in formbewusster und etwas kühlerer Sprache ausdrückt.
Blessin gehörte zu jenem Kreis von Leuten um Janssen, die ihre eigene Art dem vulkanartigen Wesen des Künstlers fast meinten opfern zu müssen. Folglich geriert Blessin sich nun so, als sei er der Stellvertreter Horst Janssens auf Erden. Er befragte für diese Biografie, man erfährt es aus Text und Anmerkungen, offensichtlich kaum Zeitzeugen. Sein im Selbstverlag erschienenes Buch nennt er kühn: "Horst Janssen, Leben und Werk". Es hätte besser heißen müssen: "Horst Janssen und ich".
Die Passagen, die Blessin im Austausch mit Janssen darstellen, sind zwar recht interessant; mindestens so wichtig wären aber Darstellungen von Janssens Frauen gewesen: Wer waren sie eigentlich? Warum verliebte Janssen sich in sie? Als Persönlichkeiten werden sie nur unzureichend dargestellt. Blessin vermittelt den durchaus falschen Eindruck, Janssen habe sie meist abgelegt wie einen Mantel. Dass beispielsweise Gesche Tietjens mit dem Vater ihres Kindes bis zu Janssens Tod befreundet blieb, müsste Blessin wissen, schildert es aber nicht. So vernachlässigt er Janssens Lieben mehr, als dieser es jemals tat. Noch mehr vernachlässigt er Janssen als geistige Persönlichkeit. Wirkt hier eine gewisse professorale Herablassung? Natürlich ermangelte es Janssen, wie Blessin feststellt, an gründlicher humanistischer Schulbildung. Aber Janssen war ein manischer Vielleser mit einer ausgezeichneten Auffassungsgabe. Zwar berichtet Blessin über Janssens Begeisterung für Lichtenberg, Nietzsche und Ernst Jünger, aber was der Künstler bei ihnen fand, das schildert Blessin nicht. Ein ganzes Kapitel wäre über das Verhältnis zwischen Janssen und Jünger nötig gewesen: über ihre erste und stürmische Begegnung in Wilflingen und über Janssens auch künstlerische Perzeption von Jüngers literarischer Figur des Lehr- und Lebemeisters "Nigromontanus" in dessen Buch "Das abenteuerliche Herz". Wer nicht bemerkt, dass Janssen Nigromontanus und dessen Art, die Welt zu sehen, mit Alfred Mahlau, dem lebenslang geliebten Lehrer an der Hamburger Kunsthochschule, identifizierte, hat Entscheidendes übersehen.
Der Hauptgrund für manche Unvollkommenheit liegt aber in dem sich nun als misslich herausstellenden Umstand, dass Blessin 1984, also elf Jahre vor Janssens Tod, schon einmal eine Janssen-Biografie geschrieben hatte. Diese in sechster erweiterter Neuauflage 1998 erschienene ältere Lebensbeschreibung muss sich kaufen, wer einen vollständigen Überblick über Janssens Leben gewinnen will. Allzu oft wird der Leser einfach auf das frühere, übrigens besser lesbare und bei Zeitzeugen recherchierte Vorgängerwerk verwiesen und muss sich etwas betrogen vorkommen.
So ist Stefan Blessin mit seiner diesjährigen Biografie gescheitert, wenn auch auf hohem Niveau, denn sein Kenntnisreichtum kann nicht bestritten werden.
MARTIN THOEMMES
Stefan Blessin: "Horst Janssen". Leben und Werk. Hauschild Verlag, Bremen 1999. 654 S., zahlr. Farb- und S/W-Abb., geb., 78,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main