Horst Janssen, der 1929 in Hamburg geboren wurde und dort 1995 starb, war einer der bedeutensten Zeichner und Graphiker der Epoche. Ungezählt sind die Sammler und Bewunderer seiner Kunst. Um so erstaunlicher ist es, dass es zwar großformatige Kataloge und Broschüren gibt, aber kein hautnah gezeichnetes Porträt wie dieses.
Joachim Fest, den mit Horst Janssen eine enge Freundschaft verband, hat über 25 Jahre Notizen von ihren Gesprächen angefertigt. Das Buch, das daraus entstanden ist, erzählt eine exentrische Lebensgeschichte - gespiegelt in den Empfindungen eines Freundes. Im Mittelpunkt stehen Gespräche über «Gott und die Welt» oder, wie Janssen zu sagen vorzog, «den Teufel und die Welt». Sie enthalten bizarre Episoden aus Janssens frühen Jahren, Werkstattfragen, Reflexionen über die Gegenwartskunst, seinen Dauerkampf gegen den Alkohol oder die Eifersuchtskomödien, die er beklagte und gleichzeitig anzettelte; sowie über den Tod, der das alle Werkphasen verbindende Motiv seines Denkens und seines Tuns war. Es sind Erinnerungen voller Geschichten.
Von den Selbstbildnissen Janssens hat man gesagt, sie eröffneten, über die individuelle Augenblickserfahrung des Zeichners hinaus, immer auch einen Blick ins allgemein Meschliche. Dieses Buch will nicht anderes - und ist zugleich das bewegende Dokument einer außergewöhnlichen Freundschaft.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Joachim Fest, den mit Horst Janssen eine enge Freundschaft verband, hat über 25 Jahre Notizen von ihren Gesprächen angefertigt. Das Buch, das daraus entstanden ist, erzählt eine exentrische Lebensgeschichte - gespiegelt in den Empfindungen eines Freundes. Im Mittelpunkt stehen Gespräche über «Gott und die Welt» oder, wie Janssen zu sagen vorzog, «den Teufel und die Welt». Sie enthalten bizarre Episoden aus Janssens frühen Jahren, Werkstattfragen, Reflexionen über die Gegenwartskunst, seinen Dauerkampf gegen den Alkohol oder die Eifersuchtskomödien, die er beklagte und gleichzeitig anzettelte; sowie über den Tod, der das alle Werkphasen verbindende Motiv seines Denkens und seines Tuns war. Es sind Erinnerungen voller Geschichten.
Von den Selbstbildnissen Janssens hat man gesagt, sie eröffneten, über die individuelle Augenblickserfahrung des Zeichners hinaus, immer auch einen Blick ins allgemein Meschliche. Dieses Buch will nicht anderes - und ist zugleich das bewegende Dokument einer außergewöhnlichen Freundschaft.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001Hochkommen oder umkommen
Bruchstücke einer regelwidrigen Existenz: Joachim Fest kennt das Lebensdrama des Horst Janssen / Von Eduard Beaucamp
Selten ist ein Künstler aus solcher Nähe so lange und so eindringlich beobachtet und porträtiert worden. Horst Janssen hatte sich Joachim Fest schon 1973 im Gespräch als Biographen ersehnt und auserkoren. Fest hatte damals sein Hitler-Buch abgeschlossen: Auf Hitler folgt Janssen - dieser Gedanke ließ den exzentrischen Künstler fiebern. Nun legt Fest, sechs Jahre nach dem Tod des Zeichners und Graphikers, ein Erinnerungsprotokoll vor, das weniger, zugleich aber auch weit mehr ist als eine Biographie. Hier werden nicht Leben und Werk dokumentiert, sondern aus Äußerungen, Gesprächen und szenischen Auftritten des Künstlers, aus Beobachtungen und Kommentaren des Autors ein Tagebuch erstellt, das sich zur inneren Biographie verdichtet. "Selbstbildnis von fremder Hand", der Untertitel des Buches, zeigt Nähe und zugleich Distanz an. "Fremd" ist dabei die nachzeichnende und erzählende Hand nie.
Fest versteht Janssen besser als irgendein anderer. Er ist ihm liebevoll zugewandt, bewundert ihn, ohne ihm zu verfallen, beobachtet ihn ziemlich scharf und nimmt sich auch die Freiheit kritischer Interventionen. Getreu schildert Fest die oft dramatischen Umschwünge und gefährlichen Extravaganzen in Janssens Stimmungen und Gefühlen und versucht, ihm, indem er ihm im Umgang den Spiegel vorhält, aus seinen Verzweiflungen, Ekstasen und Höllenfahrten herauszuhelfen, ihn sanft zu steuern, womöglich sogar zu therapieren.
Fest lernt Janssen im Herbst 1968 in Hamburg kennen. Die Notizen beginnen am 5. März 1971 und enden am 10. Juli 1995, sieben Wochen vor Janssens Tod, mit einem Krankenbesuch. Ein schwerer Schlaganfall hatte den wüst lebenden Janssen umgehauen. Übriggeblieben ist nur menschliches Elend im Rollstuhl, mit ersterbenden, abwehrenden Reaktionen, die besagen, daß er nicht "weiter will". In fünfundzwanzig Jahren hat Fest vierhundert "Buchstücke einer ebenso regelwidrigen wie exzentrischen Daseinsgeschichte" gesammelt. Die Blätter folgen sich scheinbar zufällig, sind aber in ihrer Dramaturgie doch kunstvoll und spannend komponiert.
Der Künstler und sein Porträtist sind der perfekte Gegensatz. Janssen ist launisch, unberechenbar, aufbrausend und bombastisch. Er ist brutal bis zur Gewalttätigkeit und dann wieder zart, larmoyant, zerfließt in Gefühlen, am liebsten im Selbstmitleid; er ist anhänglich, charmant und generös. Sein Beobachter hingegen ist diszipliniert, bei aller Zuneigung zurückhaltend, bisweilen skeptisch und ironisch, immer stilbewußt. Janssen ist zeitweise ein verwahrlostes Scheusal, Fest immer Ästhet, der den gelegentlichen Ekel und das Entsetzen nur durch rückhaltlose Bewunderung für den Künstler überwinden kann. Der Autor wird nie zum Voyeur, inszeniert sich nie selber auf Kosten des bizarren Modells. Fest beschönigt nichts, schont den Partner nicht, sagt ihm auch drastische Wahrheiten, hält ihm seine Unbeherrschtheiten vor und versucht ihn zu erziehen, sein exzessives Leben in maßvollere, auch für die Umwelt erträgliche Bahnen zu lenken. Doch früh erkennt er, daß diese wilde Natur nicht zu bändigen, Janssen auf auffällige Weise unfähig ist, ein balanciertes Leben zu führen und daß alle Beziehungen, so hochgemut sie beginnen, im Desaster enden.
Das Drama des Buches ist dieses Auf und Ab. Janssen stürzt aus Hochstimmungen ab, klettert wieder hoch, "hastet weiter", zwingt sich zu Konzentration und Arbeit, durchlebt Euphorien und landet bald wieder in Exzessen und Katastrophen. Die schreckliche, ultimative Lebensdevise des Künstlers war: "Hochkommen oder umkommen". Ziviles Durchkommen schloß sich aus. Stimulierende Lebensimpulse waren die vielen Affären mit Frauen, die Janssen magnetisch anzog, dann aber auch furchtbar terrorisierte und bisweilen im Alkohol oder in tobender Eifersucht lebensgefährlich bedrohte. Der Suff bewahrte ihn 1954 vor einer Verurteilung wegen Mordversuchs. Janssen liebte und haßte inbrünstig; zeitlebens wurde er von Mord- und Selbstmordgedanken heimgesucht. Mit den Jahren lernte er, sich mit den Ängsten einzurichten, sie künstlerisch zu kanalisieren.
In den hier rekonstruierten Gesprächen fragt sich Janssen immer wieder, ob er zugrunde gehen müsse oder die Selbstbeherrschung erlerne. Er weiß, daß zu viele seiner Antriebe "aus der Hölle" kommen. Andererseits versteht er es, mit dieser Gefährdung kokett zu leben: Er spricht von seiner "geliebten Hölle", seinem "Sündenstolz" und vom Haß als "Leidensglück". Es fehlt nicht am Pathos der Reue, an Geständnislust und Selbsterkenntnis. Der Künstler weiß, daß seine Hölle nicht die Mitmenschen, sondern nur er selbst ist. Dem "Zerstörungsfuror" folgten immer, so Fest, "Zerknirschungsszenen". Janssen ist verzweifelt über sein "Zum Tier-Herunterkommen" und sieht es am Ende als seine größte Lebensleistung an, sich selber so viele Jahre "ertragen oder sogar erlitten zu haben".
Was den Fall Janssen und den seiner Kunst so vertrackt, zugleich aber auch erträglicher macht, ist der pantomimische Charakter dieser Exaltationen. Momentaner Todesernst kann sich schnell im Spiel auflösen. Janssen hielt sich selbst für einen Lebensvirtuosen, zeitweise sogar für einen Hochstapler. Meisterhaft schildert Fest Auftritte, in denen Janssen Kostproben seiner Verwandlungskunst gibt. Er ist kleinlaut, erschrocken, berserkerisch, zart, aufheulend. Er spielt den widerwärtigen, verkommenen Greis und den auftrumpfenden Charmeur. Er ist Täter und Opfer zugleich. Oder er mimt die Szene am Sterbebett seiner Mutter und bricht, ergriffen vom eigenen Leid, in Weinen aus. Den sonst verabscheuten Beuys ("ein miserabler Zeichner") respektiert er als brillanten Gegenspieler. Im schwer auflösbaren Doppelspiel seines Lebens war Janssen ein "peintre maudit", aber kultivierte diese Rolle auch sorgfältig.
Von den Posen, Grimassen, jähen Rollenwechseln lebt auch Janssens Kunst, vor allem das Spiel mit den berühmten Selbstbildnissen, die er selbst einmal "Betrügereien" nennt. Fest registriert diese Maskeraden halb schockiert, halb belustigt und erkennt, daß sie letztlich der Selbstverheimlichung dienen. Janssen wollte der "Beweger der Welt ringsum, nicht nur der Autor und Hauptdarsteller" sein - also auch der Inspizient, Kulissenschieber, Beleuchter, kurz derjenige, der die Puppen tanzen läßt. Janssen kostete seine Macht über Menschen aus. Zum besonderen Triumph wurde die Demonstration seiner Verführungs- und Demütigungskünste am charakterschwachen Albert Speer, der unter Janssens Suggestion bald in die eingeübte Ergebenheits- und Unterwerfungsrolle fiel.
Fest ist teils faszinierter, teils abgestoßener Beobachter. Dabei ist er Mitspieler in diesem Drama. Er verbirgt im Buch seine Führungs- und Gestaltungsversuche, seine letztlich vergeblichen Mühen, Janssen zu retten, sein Leben ins Maßvolle zu lotsen. Am Anfang ihrer Freundschaft nimmt Janssen den "Anlauf zu einem neuen Leben, zu Ordnung, Regel und Stetigkeit". Fest inspiriert den oft ratlosen Künstler zu neuen Projekten, vor allem zu den berühmten "Kopien", den sensitiven, eindringlichen Nachschöpfungen nach Vorbildern von Botticelli, Claude, Rembrandt und Rosa, von Füßli, Goya, Schnorr oder Menzel.
Fest liest ihm 1972 aus den "Buddenbrooks" vor. Die Passagen über Hannos Tod rühren Janssen zu Tränen, sie ergreifen ihn so, daß er in wenigen Tagen 27 Radierungen dazu vollendet. In seiner Hanno-Serie sieht Janssen selbst am Ende den Gipfel seines Werks und den "Höhepunkt unserer Freundschaft". Zeitweise war Janssen auf Fest fast fixiert: Als dieser 1973 Hamburg verläßt und als Herausgeber dieser Zeitung nach Frankfurt geht, erlebt der Künstler "Gleichgewichtsstörungen" und gerät in eine Krise. Fest hat bei Janssen, der sich selbst für unbelesen hielt, viel angestoßen. Er versuchte ihn über die Jahrzehnte zu einem manierlichen, womöglich klassischen Stilkünstler zu machen. Der Dressurversuch zeitigte bemerkenswerte Teilerfolge. Doch aufs Ganze gesehen, entzog sich Janssen, fiel immer wieder aus der Rolle und folgte seiner Todessucht. Drei Jahre vor dem Ende sagt er: "Es ist alles durchkämpft. . . immerzu Todeskampf."
Im Vergleich zum heutigen, manierlichen, angepaßten, krarrierebewußten Künstlertyp schockieren Janssens Extremismus und Exhibitionismus. Er fühlte sich als Einzelgänger und klagte über künstlerische Einsamkeiten. Janssen gehört einer stigmatisierten, gründlich durchschüttelten Generation an. Er war vaterlos aufgewachsen, besuchte eine nationalsozialistische Erziehungsanstalt, hatte Schockerlebnisse im Krieg und mußte später die nicht zu verarbeitenden nationalen Verbrechen seelisch verarbeiten. In Janssens Gesellschaft, auch wenn er sie zum Teil haßte, gehören Beuys, Schultze, Rainer, Tübke und Heisig. Ein Vergleich ihrer Biographien und ästhetischen Gegenstrategien erschlösse die Mentalität einer traumatisierten Generation.
Joachim Fest: "Horst Janssen." Selbstbildnis von fremder Hand. Alexander Fest Verlag, Berlin 2001. 336 S., Abb., geb., 44,79 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bruchstücke einer regelwidrigen Existenz: Joachim Fest kennt das Lebensdrama des Horst Janssen / Von Eduard Beaucamp
Selten ist ein Künstler aus solcher Nähe so lange und so eindringlich beobachtet und porträtiert worden. Horst Janssen hatte sich Joachim Fest schon 1973 im Gespräch als Biographen ersehnt und auserkoren. Fest hatte damals sein Hitler-Buch abgeschlossen: Auf Hitler folgt Janssen - dieser Gedanke ließ den exzentrischen Künstler fiebern. Nun legt Fest, sechs Jahre nach dem Tod des Zeichners und Graphikers, ein Erinnerungsprotokoll vor, das weniger, zugleich aber auch weit mehr ist als eine Biographie. Hier werden nicht Leben und Werk dokumentiert, sondern aus Äußerungen, Gesprächen und szenischen Auftritten des Künstlers, aus Beobachtungen und Kommentaren des Autors ein Tagebuch erstellt, das sich zur inneren Biographie verdichtet. "Selbstbildnis von fremder Hand", der Untertitel des Buches, zeigt Nähe und zugleich Distanz an. "Fremd" ist dabei die nachzeichnende und erzählende Hand nie.
Fest versteht Janssen besser als irgendein anderer. Er ist ihm liebevoll zugewandt, bewundert ihn, ohne ihm zu verfallen, beobachtet ihn ziemlich scharf und nimmt sich auch die Freiheit kritischer Interventionen. Getreu schildert Fest die oft dramatischen Umschwünge und gefährlichen Extravaganzen in Janssens Stimmungen und Gefühlen und versucht, ihm, indem er ihm im Umgang den Spiegel vorhält, aus seinen Verzweiflungen, Ekstasen und Höllenfahrten herauszuhelfen, ihn sanft zu steuern, womöglich sogar zu therapieren.
Fest lernt Janssen im Herbst 1968 in Hamburg kennen. Die Notizen beginnen am 5. März 1971 und enden am 10. Juli 1995, sieben Wochen vor Janssens Tod, mit einem Krankenbesuch. Ein schwerer Schlaganfall hatte den wüst lebenden Janssen umgehauen. Übriggeblieben ist nur menschliches Elend im Rollstuhl, mit ersterbenden, abwehrenden Reaktionen, die besagen, daß er nicht "weiter will". In fünfundzwanzig Jahren hat Fest vierhundert "Buchstücke einer ebenso regelwidrigen wie exzentrischen Daseinsgeschichte" gesammelt. Die Blätter folgen sich scheinbar zufällig, sind aber in ihrer Dramaturgie doch kunstvoll und spannend komponiert.
Der Künstler und sein Porträtist sind der perfekte Gegensatz. Janssen ist launisch, unberechenbar, aufbrausend und bombastisch. Er ist brutal bis zur Gewalttätigkeit und dann wieder zart, larmoyant, zerfließt in Gefühlen, am liebsten im Selbstmitleid; er ist anhänglich, charmant und generös. Sein Beobachter hingegen ist diszipliniert, bei aller Zuneigung zurückhaltend, bisweilen skeptisch und ironisch, immer stilbewußt. Janssen ist zeitweise ein verwahrlostes Scheusal, Fest immer Ästhet, der den gelegentlichen Ekel und das Entsetzen nur durch rückhaltlose Bewunderung für den Künstler überwinden kann. Der Autor wird nie zum Voyeur, inszeniert sich nie selber auf Kosten des bizarren Modells. Fest beschönigt nichts, schont den Partner nicht, sagt ihm auch drastische Wahrheiten, hält ihm seine Unbeherrschtheiten vor und versucht ihn zu erziehen, sein exzessives Leben in maßvollere, auch für die Umwelt erträgliche Bahnen zu lenken. Doch früh erkennt er, daß diese wilde Natur nicht zu bändigen, Janssen auf auffällige Weise unfähig ist, ein balanciertes Leben zu führen und daß alle Beziehungen, so hochgemut sie beginnen, im Desaster enden.
Das Drama des Buches ist dieses Auf und Ab. Janssen stürzt aus Hochstimmungen ab, klettert wieder hoch, "hastet weiter", zwingt sich zu Konzentration und Arbeit, durchlebt Euphorien und landet bald wieder in Exzessen und Katastrophen. Die schreckliche, ultimative Lebensdevise des Künstlers war: "Hochkommen oder umkommen". Ziviles Durchkommen schloß sich aus. Stimulierende Lebensimpulse waren die vielen Affären mit Frauen, die Janssen magnetisch anzog, dann aber auch furchtbar terrorisierte und bisweilen im Alkohol oder in tobender Eifersucht lebensgefährlich bedrohte. Der Suff bewahrte ihn 1954 vor einer Verurteilung wegen Mordversuchs. Janssen liebte und haßte inbrünstig; zeitlebens wurde er von Mord- und Selbstmordgedanken heimgesucht. Mit den Jahren lernte er, sich mit den Ängsten einzurichten, sie künstlerisch zu kanalisieren.
In den hier rekonstruierten Gesprächen fragt sich Janssen immer wieder, ob er zugrunde gehen müsse oder die Selbstbeherrschung erlerne. Er weiß, daß zu viele seiner Antriebe "aus der Hölle" kommen. Andererseits versteht er es, mit dieser Gefährdung kokett zu leben: Er spricht von seiner "geliebten Hölle", seinem "Sündenstolz" und vom Haß als "Leidensglück". Es fehlt nicht am Pathos der Reue, an Geständnislust und Selbsterkenntnis. Der Künstler weiß, daß seine Hölle nicht die Mitmenschen, sondern nur er selbst ist. Dem "Zerstörungsfuror" folgten immer, so Fest, "Zerknirschungsszenen". Janssen ist verzweifelt über sein "Zum Tier-Herunterkommen" und sieht es am Ende als seine größte Lebensleistung an, sich selber so viele Jahre "ertragen oder sogar erlitten zu haben".
Was den Fall Janssen und den seiner Kunst so vertrackt, zugleich aber auch erträglicher macht, ist der pantomimische Charakter dieser Exaltationen. Momentaner Todesernst kann sich schnell im Spiel auflösen. Janssen hielt sich selbst für einen Lebensvirtuosen, zeitweise sogar für einen Hochstapler. Meisterhaft schildert Fest Auftritte, in denen Janssen Kostproben seiner Verwandlungskunst gibt. Er ist kleinlaut, erschrocken, berserkerisch, zart, aufheulend. Er spielt den widerwärtigen, verkommenen Greis und den auftrumpfenden Charmeur. Er ist Täter und Opfer zugleich. Oder er mimt die Szene am Sterbebett seiner Mutter und bricht, ergriffen vom eigenen Leid, in Weinen aus. Den sonst verabscheuten Beuys ("ein miserabler Zeichner") respektiert er als brillanten Gegenspieler. Im schwer auflösbaren Doppelspiel seines Lebens war Janssen ein "peintre maudit", aber kultivierte diese Rolle auch sorgfältig.
Von den Posen, Grimassen, jähen Rollenwechseln lebt auch Janssens Kunst, vor allem das Spiel mit den berühmten Selbstbildnissen, die er selbst einmal "Betrügereien" nennt. Fest registriert diese Maskeraden halb schockiert, halb belustigt und erkennt, daß sie letztlich der Selbstverheimlichung dienen. Janssen wollte der "Beweger der Welt ringsum, nicht nur der Autor und Hauptdarsteller" sein - also auch der Inspizient, Kulissenschieber, Beleuchter, kurz derjenige, der die Puppen tanzen läßt. Janssen kostete seine Macht über Menschen aus. Zum besonderen Triumph wurde die Demonstration seiner Verführungs- und Demütigungskünste am charakterschwachen Albert Speer, der unter Janssens Suggestion bald in die eingeübte Ergebenheits- und Unterwerfungsrolle fiel.
Fest ist teils faszinierter, teils abgestoßener Beobachter. Dabei ist er Mitspieler in diesem Drama. Er verbirgt im Buch seine Führungs- und Gestaltungsversuche, seine letztlich vergeblichen Mühen, Janssen zu retten, sein Leben ins Maßvolle zu lotsen. Am Anfang ihrer Freundschaft nimmt Janssen den "Anlauf zu einem neuen Leben, zu Ordnung, Regel und Stetigkeit". Fest inspiriert den oft ratlosen Künstler zu neuen Projekten, vor allem zu den berühmten "Kopien", den sensitiven, eindringlichen Nachschöpfungen nach Vorbildern von Botticelli, Claude, Rembrandt und Rosa, von Füßli, Goya, Schnorr oder Menzel.
Fest liest ihm 1972 aus den "Buddenbrooks" vor. Die Passagen über Hannos Tod rühren Janssen zu Tränen, sie ergreifen ihn so, daß er in wenigen Tagen 27 Radierungen dazu vollendet. In seiner Hanno-Serie sieht Janssen selbst am Ende den Gipfel seines Werks und den "Höhepunkt unserer Freundschaft". Zeitweise war Janssen auf Fest fast fixiert: Als dieser 1973 Hamburg verläßt und als Herausgeber dieser Zeitung nach Frankfurt geht, erlebt der Künstler "Gleichgewichtsstörungen" und gerät in eine Krise. Fest hat bei Janssen, der sich selbst für unbelesen hielt, viel angestoßen. Er versuchte ihn über die Jahrzehnte zu einem manierlichen, womöglich klassischen Stilkünstler zu machen. Der Dressurversuch zeitigte bemerkenswerte Teilerfolge. Doch aufs Ganze gesehen, entzog sich Janssen, fiel immer wieder aus der Rolle und folgte seiner Todessucht. Drei Jahre vor dem Ende sagt er: "Es ist alles durchkämpft. . . immerzu Todeskampf."
Im Vergleich zum heutigen, manierlichen, angepaßten, krarrierebewußten Künstlertyp schockieren Janssens Extremismus und Exhibitionismus. Er fühlte sich als Einzelgänger und klagte über künstlerische Einsamkeiten. Janssen gehört einer stigmatisierten, gründlich durchschüttelten Generation an. Er war vaterlos aufgewachsen, besuchte eine nationalsozialistische Erziehungsanstalt, hatte Schockerlebnisse im Krieg und mußte später die nicht zu verarbeitenden nationalen Verbrechen seelisch verarbeiten. In Janssens Gesellschaft, auch wenn er sie zum Teil haßte, gehören Beuys, Schultze, Rainer, Tübke und Heisig. Ein Vergleich ihrer Biographien und ästhetischen Gegenstrategien erschlösse die Mentalität einer traumatisierten Generation.
Joachim Fest: "Horst Janssen." Selbstbildnis von fremder Hand. Alexander Fest Verlag, Berlin 2001. 336 S., Abb., geb., 44,79 DM.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Wer länger in enger, freundschaftlicher Nähe von Horst Janssen, dem manischen Zeichner und "Puppenspieler mit dem Menschenmaterial" verbrachte, schreibt Kipphoff kühl, der musste entweder ein großer Charakter sein oder das Gegenteil davon: "Joachim C. Fest, der Hitler-Biograf und ehemalige FAZ-Herausgeber, war mit Horst Janssen von 1970 bis zu seinem Tod 1995 befreundet." Fest hat seinem langjährigen Freund nun ein "Selbstbildnis von fremder Hand" gezeichnet, das seinen Reiz laut Kipphoff aus der "antipodischen Konstellation von Autor und Sujet" bezieht. Denn in Wahrheit sei es ein Selbstbildnis in eigener Sache geworden, ein Doppelporträt Fest/Janssen, meint Kipphoff, durch dessen "steifleinernen, gelegentlich verknoteten Fest-Vortrag" manchmal der Janssen-Ton hindurchklinge. Und sie stellt fest: "Wenn es Fest um Horst Janssen gegangen wäre, den Künstler, der seinen Platz noch finden wird zwischen Überschätzung und Unterschätzung, dann hätte er dessen Texte herausgegeben und ein Vorwort hinzugefügt, in das er seine Erfahrungen hätte einbinden können. Aber nein, da wäre er kein Autor, sondern nur ein Herausgeber gewesen. Was hat er gewonnen? Dass er überlebt und das letzte Wort hat."
© Perlentaucher Medien GmbH
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