Horst Köhler war das siebte von acht Kindern. Nach einer kriegsbedingten Odyssee, die 1940 in Rumänien begann und bis 1957 dauerte, ließ seine Familie sich in Ludwigsburg nieder. Dass dieser Junge unter anderem Staatsekretär, Geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds, Honorarprofessor und deutscher Bundespräsident werden würde, war ihm wahrhaftig nicht in die Wiege gelegt.
Gerd Langguth - der auch schon Angela Merkel porträtierte - legt hier die erste Biografie des Mannes vor, der vor seinem Amtsantritt am 1. Juli 2004 vielen Deutschen noch unbekannt war, sich schließlich aber großer Beliebtheit bei der Bevölkerung erfreute.
Gerd Langguth - der auch schon Angela Merkel porträtierte - legt hier die erste Biografie des Mannes vor, der vor seinem Amtsantritt am 1. Juli 2004 vielen Deutschen noch unbekannt war, sich schließlich aber großer Beliebtheit bei der Bevölkerung erfreute.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.09.2007Vom Vorboten zum Relikt
Horst Köhlers märchenhafter Aufstieg zum Bundespräsidenten
Die Bundespräsidentenwahl von 2004 war für die Union die erste große Chance, nach sechs Jahren in der Opposition ein hohes Staatsamt zu besetzen. Trotz der Machtlosigkeit des Staatsoberhauptes im bundesdeutschen politischen System konnte und wollte sich die damalige potentielle Kanzlerkandidatin der Union, Angela Merkel, diese Chance nicht entgehen lassen. Sie präsentierte Horst Köhler, einen Überraschungskandidaten, der zusammen mit der FDP mehrheitsfähig war, keine intellektuellen Vorbehalte auslöste und neugierig machte. Für Frau Merkel war das eine fulminante Meisterprüfung. Der Bonner Politikwissenschaftler Langguth zeichnet in seiner Köhler-Biographie chronologisch die Tage und Stunden der Kandidatenkür nach. Mit wissenschaftlicher Akribie verbindet er Zeitgeschichte und Politikessay.
Über viele hundert Seiten wird präzise Köhlers Lebensweg nachgezeichnet. Noch einmal erkennt der Leser den märchenhaften Aufstieg von Köhler, der aus kleinen Verhältnissen stammt. Persönliche Schicksalsschläge, flexible Berufseinsätze, internationale Verwendungen, familiäre Einbindung - das sind nicht nur Lebensstationen, sondern Erfahrungsräume, an die Köhler, wie es Langguth schildert, heute anknüpft. Die Bodenhaftung ist Köhler herkunftsbewusst geblieben. In diesen Teilen des Buches wird Köhler zum Sympathieträger. Anders in den politikwissenschaftlichen Abschnitten. Schonungslos wird dargestellt, wie der Bundespräsident sein Ansehen im Berliner politischen Betrieb verspielt - vielleicht mit Ausnahme der Anhänger der FDP.
Häufig waren die Bundespräsidenten Vorboten einer neuen gesellschaftlichen Konstellation. So kam auch Köhler als erster Ökonom und Globalisierungspräsident erwartungsvoll ins Amt. Marktliberale Erneuerungen, Abbau der Reformblockaden, Agenda 2010 - überparteilich dominierte ein Diskurs, den auch eine Junta von Betriebswirten wortgleich entworfen hätte. Die Bundestagswahl von 2005 bildete dazu eine krasse Zäsur. Die Bürger wollten Sozialstaatlichkeit als Staatsräson, mehr soziale Gerechtigkeit und Fairness statt kalter Nutzenkalküle, mehr Ruhe statt Reformtremolo. Während Frau Merkel, diszipliniert durch die große Koalition, blitzschnell als präsidiale Moderatorin einer langsamen und sozialen Patchwork-Modernisierung auftrat, blieb Köhler als Relikt der alten Zeit zurück. So kann es Vorboten ergehen in Zeiten der Aufregungsdemokratie.
Köhler könnte als sein neues Thema die Anwaltschaft der Opposition übernehmen. Denn nie war parlamentarische Opposition so machtlos wie heute. Köhler hätte dazu gute Voraussetzungen, denn als Quereinsteiger wirkt er immer wie ein Oppositioneller zum Politikbetrieb an sich. Das macht auch seine hohen Popularitätswerte aus. Die Unbekümmertheit seiner Sprache, in der er in der Regel die Floskeln und Absicherungen der Politikerrhetorik nicht verwendet, sichert ihm noch immer das Hinhören der Bürger.
Langguth überschreibt ein Kapitel: "Im Volk beliebt, in der Politik nie angekommen". Auch die Berliner Republik ist eine Parteiendemokratie. Wer keine politische Macht hat, sondern nur präsidentielle, muss seinen Einfluss mit anderen - nicht parteipolitisch ausgerichteten - Machtquellen geltend machen. Wer überhaupt keine parteipolitische Sozialisation hat, der bleibt ein Fernsehpräsident: schön anzusehen, aber wirkungslos. Denn die sanfte Macht so eines Präsidenten entfaltet sich nur in der politischen Rationalität der Parteiendemokratie. Allein die Androhung von Öffentlichkeit kann hinter den Kulissen bei den Parteien themensetzend wirken. Doch hinter verschlossenen Türen kann man gegenüber den Parteien nur Autorität entfalten, wenn man zu ihnen gehört. Das war bei Köhler nie der Fall und wird sich auch nicht ändern. Langguth sieht hier wenig Spielraum zur Veränderung. Die kommunikative Macht eines Bundespräsidenten kann man nur nutzen, wenn man die Parteiendemokratie als Strukturmerkmal des Regierens in Deutschland für sich selbst erschließt.
Wenn Köhler eine zweite Amtszeit anstrebt, stehen die Zeichen zur Wiederwahl im Moment positiv. Der Autor entwirft am Ende einige strategische Szenarios, in denen die Wiederwahl als relativ sicher anzusehen ist. Das erscheint zunächst paradox, denn Köhler verlängert fast täglich die Reihe seiner Kritiker. Er verschonte nicht die Kanzlerin, den Bundestag, einzelne Ministerpräsidenten, Bundes- und Landesminister mit seiner jeweils begründeten direkten oder indirekten Kritik. Dass er dennoch die Mehrheiten in der Bundesversammlung wieder hinter sich bringen könnte, zeigt die dramatische Machtlosigkeit seiner Kritik. Als Bürgerpräsident wird das seine Beliebtheit noch weiter steigern.
KARL-RUDOLF KORTE
Gerd Langguth: Horst Köhler. Biographie. dtv, München 2007. 413 S., 15,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Horst Köhlers märchenhafter Aufstieg zum Bundespräsidenten
Die Bundespräsidentenwahl von 2004 war für die Union die erste große Chance, nach sechs Jahren in der Opposition ein hohes Staatsamt zu besetzen. Trotz der Machtlosigkeit des Staatsoberhauptes im bundesdeutschen politischen System konnte und wollte sich die damalige potentielle Kanzlerkandidatin der Union, Angela Merkel, diese Chance nicht entgehen lassen. Sie präsentierte Horst Köhler, einen Überraschungskandidaten, der zusammen mit der FDP mehrheitsfähig war, keine intellektuellen Vorbehalte auslöste und neugierig machte. Für Frau Merkel war das eine fulminante Meisterprüfung. Der Bonner Politikwissenschaftler Langguth zeichnet in seiner Köhler-Biographie chronologisch die Tage und Stunden der Kandidatenkür nach. Mit wissenschaftlicher Akribie verbindet er Zeitgeschichte und Politikessay.
Über viele hundert Seiten wird präzise Köhlers Lebensweg nachgezeichnet. Noch einmal erkennt der Leser den märchenhaften Aufstieg von Köhler, der aus kleinen Verhältnissen stammt. Persönliche Schicksalsschläge, flexible Berufseinsätze, internationale Verwendungen, familiäre Einbindung - das sind nicht nur Lebensstationen, sondern Erfahrungsräume, an die Köhler, wie es Langguth schildert, heute anknüpft. Die Bodenhaftung ist Köhler herkunftsbewusst geblieben. In diesen Teilen des Buches wird Köhler zum Sympathieträger. Anders in den politikwissenschaftlichen Abschnitten. Schonungslos wird dargestellt, wie der Bundespräsident sein Ansehen im Berliner politischen Betrieb verspielt - vielleicht mit Ausnahme der Anhänger der FDP.
Häufig waren die Bundespräsidenten Vorboten einer neuen gesellschaftlichen Konstellation. So kam auch Köhler als erster Ökonom und Globalisierungspräsident erwartungsvoll ins Amt. Marktliberale Erneuerungen, Abbau der Reformblockaden, Agenda 2010 - überparteilich dominierte ein Diskurs, den auch eine Junta von Betriebswirten wortgleich entworfen hätte. Die Bundestagswahl von 2005 bildete dazu eine krasse Zäsur. Die Bürger wollten Sozialstaatlichkeit als Staatsräson, mehr soziale Gerechtigkeit und Fairness statt kalter Nutzenkalküle, mehr Ruhe statt Reformtremolo. Während Frau Merkel, diszipliniert durch die große Koalition, blitzschnell als präsidiale Moderatorin einer langsamen und sozialen Patchwork-Modernisierung auftrat, blieb Köhler als Relikt der alten Zeit zurück. So kann es Vorboten ergehen in Zeiten der Aufregungsdemokratie.
Köhler könnte als sein neues Thema die Anwaltschaft der Opposition übernehmen. Denn nie war parlamentarische Opposition so machtlos wie heute. Köhler hätte dazu gute Voraussetzungen, denn als Quereinsteiger wirkt er immer wie ein Oppositioneller zum Politikbetrieb an sich. Das macht auch seine hohen Popularitätswerte aus. Die Unbekümmertheit seiner Sprache, in der er in der Regel die Floskeln und Absicherungen der Politikerrhetorik nicht verwendet, sichert ihm noch immer das Hinhören der Bürger.
Langguth überschreibt ein Kapitel: "Im Volk beliebt, in der Politik nie angekommen". Auch die Berliner Republik ist eine Parteiendemokratie. Wer keine politische Macht hat, sondern nur präsidentielle, muss seinen Einfluss mit anderen - nicht parteipolitisch ausgerichteten - Machtquellen geltend machen. Wer überhaupt keine parteipolitische Sozialisation hat, der bleibt ein Fernsehpräsident: schön anzusehen, aber wirkungslos. Denn die sanfte Macht so eines Präsidenten entfaltet sich nur in der politischen Rationalität der Parteiendemokratie. Allein die Androhung von Öffentlichkeit kann hinter den Kulissen bei den Parteien themensetzend wirken. Doch hinter verschlossenen Türen kann man gegenüber den Parteien nur Autorität entfalten, wenn man zu ihnen gehört. Das war bei Köhler nie der Fall und wird sich auch nicht ändern. Langguth sieht hier wenig Spielraum zur Veränderung. Die kommunikative Macht eines Bundespräsidenten kann man nur nutzen, wenn man die Parteiendemokratie als Strukturmerkmal des Regierens in Deutschland für sich selbst erschließt.
Wenn Köhler eine zweite Amtszeit anstrebt, stehen die Zeichen zur Wiederwahl im Moment positiv. Der Autor entwirft am Ende einige strategische Szenarios, in denen die Wiederwahl als relativ sicher anzusehen ist. Das erscheint zunächst paradox, denn Köhler verlängert fast täglich die Reihe seiner Kritiker. Er verschonte nicht die Kanzlerin, den Bundestag, einzelne Ministerpräsidenten, Bundes- und Landesminister mit seiner jeweils begründeten direkten oder indirekten Kritik. Dass er dennoch die Mehrheiten in der Bundesversammlung wieder hinter sich bringen könnte, zeigt die dramatische Machtlosigkeit seiner Kritik. Als Bürgerpräsident wird das seine Beliebtheit noch weiter steigern.
KARL-RUDOLF KORTE
Gerd Langguth: Horst Köhler. Biographie. dtv, München 2007. 413 S., 15,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Weniger die Analyse als "detailliertes" Nacherzählen macht für Rezensent Richard Meng die Stärke dieser Biografie aus. Und Gerd Langguths Fähigkeit zur Erläuterung des CDU-Netzwerks, wie in seiner Merkel-Biografie vortrefflich ausgeführt, könne er bei Horst Köhler erst gar nicht einbringen, da dieser nun einmal kein Netzwerker sei. Gleichwohl ist sein Lebensweg dem Rezensenten zufolge sowohl interessant als auch typisch für Biografien im Nachkriegsdeutschland. Als Kind einer Umsiedlerfamilie habe er zur Schicht der strebsamen Aufsteiger gehört, wobei "Beamtenseilschaften" wichtige Karriereräuberleitern gebildet hätten. In der Politik sei Horst Köhler deshalb zum großen "Profiteur" avanciert, weil er keine eindeutige Position tagespolitischer Art innerhalb der CDU eingenommen habe. Welche Schlussfolgerungen man aus all diesen Details in Bezug auf den "geistigen Kern" des Präsidenten ziehen könne, darauf gebe der Autor leider keine Antworten. Auch vermisst der Rezensent eine vorläufige bewertende Bilanz der bisherigen Amtszeit Horst Köhlers.
© Perlentaucher Medien GmbH
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