Eine Fahrt Richtung Vergangenheit, nach Bordighera an der der italienischen Riviera, dahin, wo der Erzähler in Gedanken schon so oft gewesen ist, ins "Hotel Angst" - benannt nach seinem Besitzer Adolf Angst, ein Luxushotel der Jahrhundertwende, eine Titanic unter den mondänen Prachthotels dieser Welt. Hotel Angst erzählt die Geschichte eines magischen Ortes, bewohnt von seiner Vergangenheit und von der Erinnerung an den Vater, der davon träumt, das Hotel Angst wieder zu eröffnen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2010Urlaub im Bleistiftgebiet
John von Düffels Erzählung "Hotel Angst"
Verstörend, wenn man als Erwachsener die Schauplätze der eigenen Kindheit besucht: Alles erscheint mit einem Mal kleiner, gewöhnlicher als in der Erinnerung. Man blickt zurück durch die Schichten späterer Erfahrungen - ich ist ein anderer geworden. John von Düffels Erzählung "Hotel Angst" beschreibt dieses Gefühl der Enttäuschung und Verunsicherung. So liefert der schmale Text eine üppige und genaue Beschreibung von Kindheit. Sein Erzähler kehrt, kurz nach dem Tod des Vaters, zurück in das italienische Küstenstädtchen Bordighera, wo die Familie in seiner frühen Jugend einige Urlaube verbrachte: Die einst als sündig erlebte Promenade des Ortes kommt dem Erwachsenen nun "unsagbar harmlos" vor - obwohl sich dort die Dramen seiner erwachenden Sexualität abspielten.
Es ist nicht die Promenade, die den Erzähler zurück nach Bordighera lockt, sondern ein verfallenes Grand Hotel. Wie für einen Gruselfilm erfunden klingt sein Name: "Hotel Angst", ein monströses Relikt aus der glamourösen Vergangenheit der Stadt, die um die Jahrhundertwende bevorzugter Kurort der britischen Oberschicht war. Dieses Hotel hatte der Vater des Erzählers jahrelang dem Dornröschenschlaf entreißen wollen. Erst real, indem er es renovieren und wieder eröffnen wollte, später literarisch durch einen Roman, den er lange plante und doch nie schrieb.
Das alles erzählt von Düffel mit doppelter Distanzierung: Nicht nur schreibt er durch den Filter des Erinnerns - die Erzählung scheint zumindest autobiographisch gefärbt -, sondern wählt auch noch statt der erwartbaren Ich-Perspektive die des Du. Dieser Kniff ist die einzige Schwachstelle des Textes, die Anredeform schwächt die Erzählung, ihren Gestus von Intimität. Sonst gelingt diesem Büchlein beinahe alles; die Ausflüge in die Kindheit sind von wunderbarer Plastizität, die zahlreichen historischen Episoden um das Grand Hotel so komplex wie unterhaltsam.
"Hotel Angst" erschien bereits 2006, nun aber hat der Verlag die Erzählung von Isabel Kreitz, der prämierten Comiczeichnerin, filigran illustrieren lassen. Ihre Zeichnungen zeigen das, was man in jedem Urlaub sieht, aber nie fotografiert: Statt Goethes Goldorangen sieht man bei ihr das Hotelbadezimmer, wo im Neonlicht die Frotteetücher hängen. Kreitz zeichnet mit genauem, aber weichem Bleistift, so dass man fürchtet, die Bilder beim Umblättern zu verwischen. Sie wirken gefährdet - ganz wie die Erinnerung und das marode Hotel Angst.
KATHLEEN HILDEBRAND
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
John von Düffels Erzählung "Hotel Angst"
Verstörend, wenn man als Erwachsener die Schauplätze der eigenen Kindheit besucht: Alles erscheint mit einem Mal kleiner, gewöhnlicher als in der Erinnerung. Man blickt zurück durch die Schichten späterer Erfahrungen - ich ist ein anderer geworden. John von Düffels Erzählung "Hotel Angst" beschreibt dieses Gefühl der Enttäuschung und Verunsicherung. So liefert der schmale Text eine üppige und genaue Beschreibung von Kindheit. Sein Erzähler kehrt, kurz nach dem Tod des Vaters, zurück in das italienische Küstenstädtchen Bordighera, wo die Familie in seiner frühen Jugend einige Urlaube verbrachte: Die einst als sündig erlebte Promenade des Ortes kommt dem Erwachsenen nun "unsagbar harmlos" vor - obwohl sich dort die Dramen seiner erwachenden Sexualität abspielten.
Es ist nicht die Promenade, die den Erzähler zurück nach Bordighera lockt, sondern ein verfallenes Grand Hotel. Wie für einen Gruselfilm erfunden klingt sein Name: "Hotel Angst", ein monströses Relikt aus der glamourösen Vergangenheit der Stadt, die um die Jahrhundertwende bevorzugter Kurort der britischen Oberschicht war. Dieses Hotel hatte der Vater des Erzählers jahrelang dem Dornröschenschlaf entreißen wollen. Erst real, indem er es renovieren und wieder eröffnen wollte, später literarisch durch einen Roman, den er lange plante und doch nie schrieb.
Das alles erzählt von Düffel mit doppelter Distanzierung: Nicht nur schreibt er durch den Filter des Erinnerns - die Erzählung scheint zumindest autobiographisch gefärbt -, sondern wählt auch noch statt der erwartbaren Ich-Perspektive die des Du. Dieser Kniff ist die einzige Schwachstelle des Textes, die Anredeform schwächt die Erzählung, ihren Gestus von Intimität. Sonst gelingt diesem Büchlein beinahe alles; die Ausflüge in die Kindheit sind von wunderbarer Plastizität, die zahlreichen historischen Episoden um das Grand Hotel so komplex wie unterhaltsam.
"Hotel Angst" erschien bereits 2006, nun aber hat der Verlag die Erzählung von Isabel Kreitz, der prämierten Comiczeichnerin, filigran illustrieren lassen. Ihre Zeichnungen zeigen das, was man in jedem Urlaub sieht, aber nie fotografiert: Statt Goethes Goldorangen sieht man bei ihr das Hotelbadezimmer, wo im Neonlicht die Frotteetücher hängen. Kreitz zeichnet mit genauem, aber weichem Bleistift, so dass man fürchtet, die Bilder beim Umblättern zu verwischen. Sie wirken gefährdet - ganz wie die Erinnerung und das marode Hotel Angst.
KATHLEEN HILDEBRAND
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Ausgesprochen gelungen findet Rezensent Samuel Moser diese Novelle John von Düffels. Sie sei "sprachlich unprätenziös" und auch inhaltlich nicht sonderlich spektakulär. Trotzdem löste die Geschichte bei Moser Irritationen aus, was man als unbedingtes Qualitätsmerkmal werten darf. Düffel spinnt seine Geschichte Moser zufolge um die legendäre Ruine des Belle-Epoque-Grand-Hotels "Angst" im italienischen Bordighera. Im Zentrum stehen Mosers Beschreibung zufolge der Vater des Erzählers und dessen Pläne, einen Roman zu schreiben und das Hotel wieder aufzubauen, beziehungsweise die Versuche des Sohns, nach dem Tod dieses Vaters jene Pläne zu rekonstruieren. Hier kommt für Moser nun die zweite Ebene ins Spiel, der die gerade mal hundertseitige Erzählung seine irritierende Wirkung verdankt: dass nämlich der Sohn entdeckt, dass sein Vater weder einen Roman schreiben, noch das Hotel aufbauen sondern lediglich lediglich seine Träume davor schützen wollte, schnöde Wirklichkeit zu werden.
© Perlentaucher Medien GmbH
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