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Houston Stewart Chamberlain (1855-1927) war einer der wirkungsmächtigsten Publizisten im Deutschen Kaiserreich. Sein Buch Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts wurde ein Weltbestseller. Der Schwiegersohn Richard Wagners und engste Vertraute Cosimas war der führende Kopf Bayreuths. Die Nazis erklärten ihn zu ihrem Vordenker. Doch sein Denken ging über solche Verengung hinaus, wie seine erfolgreichen Bücher zu Kant, Goethe und zur Theologie belegen. Chamberlain entwarf eine Weltanschauung aus verschlanktem Christentum, klassischer Bildung, Antisemitismus und Rassismus und erleichterte damit Teilen…mehr

Produktbeschreibung
Houston Stewart Chamberlain (1855-1927) war einer der wirkungsmächtigsten Publizisten im Deutschen Kaiserreich. Sein Buch Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts wurde ein Weltbestseller. Der Schwiegersohn Richard Wagners und engste Vertraute Cosimas war der führende Kopf Bayreuths. Die Nazis erklärten ihn zu ihrem Vordenker. Doch sein Denken ging über solche Verengung hinaus, wie seine erfolgreichen Bücher zu Kant, Goethe und zur Theologie belegen. Chamberlain entwarf eine Weltanschauung aus verschlanktem Christentum, klassischer Bildung, Antisemitismus und Rassismus und erleichterte damit Teilen des Bürgertums den Weg zum Nationalsozialismus. Die hier vorgelegte erste deutsche Werkbiographie will Leben und Weltanschauung im historischen Kontext aufschließen und so zum Verstehen eines wichtigen Abschnitts deutscher Geschichte beitragen.
Autorenporträt
Udo Bermbach war bis 2001 Professor für Politische Wissenschaft an der Universität Hamburg und 1999/2000 Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Neben Publikationen zum politischen System der Bundesrepublik Deutschland, zur Politischen Ideengeschichte und Theorie und zum Verhältnis von Oper, Gesellschaft und Staat hat er zahlreiche Arbeiten zu Richard Wagner veröffentlicht. Er ist Gründer und Mitherausgeber der internationalen Zeitschrift wagnerspectrum.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Der hier rezensierende Musikwissenschaftler Jörg Rothkamm nennt die Chamberlain-Monografie des Politologen und Wagner-Forschers Udo Bermbach einen Meilenstein und ein differenziertes Bild des Schwiegersohns von Richard Wagner. Nicht nur sichtet der Autor laut Rothkamm Chamberlains gesamtes Werk, interpretiert es und ordnet es in den biografischen Kontext ein, er schafft es auch, Chamberlain durch "saubere" Textanalyse von Wagner abzusetzen und das Darwinsche Modell als ausschlaggebend für seine Rassentheorie darzulegen. Wenn der Autor Chamberlains eher unpolitisches "Programm" von der "nationalsozialistischen Endlösung" unterscheidet, scheint der Rezensent froh darüber, dass er gleichwohl die Problematik erkennt, die im Einfluss Chamberlains auf Hitler liegt. Bermbachs Neulektüre der Schriften Chamberlains und unbekannter biografischer Quellen scheint dem Rezensenten in jedem Fall gewinnträchtig, schon da der Autor sich des heiklen Gegenstands seiner Untersuchung stets bewusst ist, wie Rothkamm erläutert.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.09.2015

Hat Hitler ihn denn missverstanden?
Udo Bermbachs Biographie des gebildeten Rassisten Houston Stewart Chamberlain

Wagners Schwiegersohn und Hitlers Vordenker - auf diese Formel bringt Udo Bermbach im Untertitel seiner voluminösen Biographie das Leben seines Protagonisten Houston Stewart Chamberlain. Der Titel scheint eine Entwicklungsgeschichte anzukündigen, die vom Nationalismus des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts zum Nationalsozialismus führte. Doch das ist gerade nicht Bermbachs Anliegen. Vielmehr interessiert ihn an Chamberlain die gleiche Frage, die schon seine Arbeiten zu Wagner antrieb: Welche Verbiegungen und Verfälschungen musste ein Werk der Jahrhundertwende erfahren, um nach 1933 vom den Nationalsozialisten vereinnahmt zu werden? Was wollte der Autor eigentlich sagen, und was wurde später daraus gemacht?

Nun haben wir es bei Chamberlain mit einem Klassiker des rassistischen Antisemitismus zu tun, was auch Bermbach zugibt. Dennoch will er es genau wissen, er will Bilanz ziehen: Welche von Chamberlains Ideen arbeiteten den Nationalsozialisten tatsächlich zu und welche widersprachen deren Ideologie? Denn zunächst einmal, und das ist Bermbachs Ausgangspunkt, war Chamberlain ein breit belesener, gebildeter und "bemerkenswerter Mann", der viel Kluges über Wagner, Kant und Goethe gesagt hat.

Schon das hebe ihn vom populären Rassismus der Nazis ab, auch wenn diese ihn zum unbestrittenen Vordenker der eigenen Sache erklärten. Um hier Klarheit zu gewinnen, schaut Bermbach Chamberlain intensiv beim Lesen, Denken und Schreiben zu, von den ersten Aufsätzen bis zu seinen letzten Essays.

Dieser werkbiographische Zugang ist durchaus erhellend, insofern er den Leser in die intellektuellen Kreise und Denkweisen der Jahrhundertwende einführt, die politisch sehr viel ambivalenter waren, als häufig angenommen wird. Zudem ist die eigentliche Biographie Chamberlains so bekannt wie unspektakulär: In Portsmouth als Sohn eines britischen Konteradmirals geboren, in Frankreich erzogen und aufgewachsen, fand er schließlich in Wien und Bayreuth in jeder Hinsicht seine deutsche Heimat.

Zunächst botanisch interessiert, entwickelte Chamberlain früh eine Begeisterung für Deutschland und die deutsche Geistesgeschichte. Wagners Musik, Familie und Fangemeinde waren für Chamberlain der Einstieg in die Tiefen der deutschen Kultur. Schon unmittelbar nach seinen ersten deutschsprachigen Aufsätzen zu Wagner gehörte er zum inneren Zirkel, genoss eine tiefe Freundschaft mit Cosima Wagner und heiratete schließlich 1908 in zweiter Ehe Richard Wagners Tochter Eva von Bülow. Sein Bestseller über "Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts" (1899) verschaffte ihm Zugang zum deutschen Hochadel bis hin zur Kaiserfamilie, aber ebenso zu vielen prominenten Zirkeln des deutschen Bildungsbürgertums. Sich selbst immer als einen gebildeten Dilettanten bezeichnend, schrieb er weitere Bücher über Goethe, Kant oder Heinrich von Stein und am Ende seines Lebens eine aus Briefen und Dokumenten kompilierte Autobiographie.

Im Jahr 1923 wurde er von Adolf Hitler in Bayreuth besucht, für den er sich sofort begeisterte und der 1927 auch an seiner Beerdigung teilnahm. Für Hitler war Chamberlain ein intellektuelles Vorbild, gerade weil dieser sich nie als einen echten Intellektuellen verstand. In "Mein Kampf" versuchte sich Hitler in vielen Passagen an einer Nachahmung der "Grundlagen", und im Gegensatz zu vielen anderen völkischen Denkern, von denen sich Hitler deutlich absetzte, sah er in Chamberlain trotz ein wenig Kritik im Einzelnen einen Geistesverwandten.

Allein der Entstehung, kritischen Würdigung und Rezeption von Chamberlains Hauptwerk widmet Bermbach volle zweihundert Seiten: von den ersten Ideen über einen detaillierten Durchgang der Kapitel bis zu zwei gesonderten Abschnitten über den Antisemitismus und Rassismus dieses Buches. Bei Letzterem bemerkt Bermbach zunächst die Abwesenheit einer klaren Definition von "Rasse", um dann zu erläutern, wie sich Chamberlains Rassenbegriff aus biologischen und kulturellen Faktoren zusammensetzte.

Eine Verbindung, die laut Chamberlain vor allem im Germanentum zum Ausdruck komme, das sich seit Jahrhunderten zu immer höherer Blüte entfalte und dessen weitere Entwicklung und Höherzüchtung jetzt, am Ende des 19. Jahrhunderts, vom germanischen Menschen selbst in die Hand genommen werden müsse. Rassen waren für Chamberlain also keine feststehenden Größen, sondern bio-kulturelle Gebilde, die gestaltet sein wollen: nach innen durch Eheschließung, Technik und Politik, nach außen durch den Kampf gegen das Völkerchaos einerseits und gegen das Judentum als die seit Jahrtausenden sich gleich erhaltende Gegenrasse andererseits.

Immer wieder bemüht sich Bermbach, in der Darstellung des Werks das Besondere Chamberlains gegenüber anderen völkischen Denkern der Zeit, vor allem aber gegenüber dem Nationalsozialismus herauszuarbeiten. Letzterem widmet sich ganz am Ende das zusammenfassende Kapitel über Verbindendes und Trennendes. Und spätestens hier, wo Bermbach eine klare Bilanz ziehen will, hat er Schwierigkeiten, überhaupt noch eine Differenz zwischen seinem Protagonisten und dem Nationalsozialismus auszumachen. Denn auch im Nationalsozialismus wurde keine klare Definition der Rasse entwickelt, auch im NS-Rassismus gingen Biologie, Kultur und Politik nahtlos ineinander über, und auch hier mündete die scheinbar ordnende Rassenlehre unmittelbar in einem Gestaltungs- und Züchtungswahn samt Rassenkampf gegen Völkerchaos und Judentum.

Die Differenz zwischen Original und Verfälschung, um die es Bermbach geht, entpuppt sich als die simple Differenz zwischen Theorie und Praxis. Dass die Nazis Ernst gemacht haben mit der rassenpolitischen Gesellschaftsgestaltung, wie sie Chamberlain vorschwebte, ist der einzige wirklich erkennbare Unterschied. Bermbach aber interpretiert ihn in der gleichen Weise, in der er schon das Verhältnis Wagners zum Dritten Reich deutete: als illegitime Verfälschung und Vereinnahmung eines Werkes, das der belesene und gebildete Chamberlain niemals so intendiert hatte.

Dieses wiederholte Bemühen, das Original von seiner ideologischen Vereinnahmung zu trennen, es in manchen Passagen regelrecht in Schutz zu nehmen, hat aber, entgegen Bermbachs eigener Absicht, den Effekt einer weitgehenden Enthistorisierung ideengeschichtlicher Zusammenhänge. Nicht nur weil sich diese nur schwer bilanzieren lassen, sondern auch weil eine solche Bilanz am Ende suggeriert, dass der rein theoretische Rassismus und Antisemitismus des Originals irgendwie normal, verständlich oder geschichtlich nachvollziehbar gewesen sei.

Anders gesagt: Legt man Bermbachs Kriterien an, hätte der Nationalsozialismus gar keine ideologische Vorgeschichte mehr. Denn bei jedem der vielen völkischen, rassistischen und antisemitischen Autoren würde eine detaillierte Werkbiographie zeigen, dass auch ihre Thesen nicht hundertprozentig in die NS-Ideologie eingingen. Ohne alle diese gebildeten Rassisten aber, inklusive Chamberlain, hätte der Nationalsozialismus kaum noch etwas gehabt, das er von der Theorie in die Praxis hätte übersetzen können.

CHRISTIAN GEULEN

Udo Bermbach: "Houston Stewart Chamberlain". Wagners Schwiegersohn - Hitlers Vordenker. J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2015. 636 S., Abb., geb., 39,95 [Euro].

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