Ein Musikpirat, ein mächtiger Plattenboss, eine revolutionäre Erfindung und eine illegale Webseite, die unfassbare Datenmengen anbietet.
Spannend wie ein Krimi erzählt Stephen Witt zum ersten Mal die wahre Geschichte hinter der Revolution in der Musikindustrie: Wie die Handlungen einiger weniger Menschen sich zufällig so überkreuzten, dass am Ende der von niemandem beabsichtigte Niedergang der Musikindustrie durch mp3 und Internettauschbörsen stand.
Spannend wie ein Krimi erzählt Stephen Witt zum ersten Mal die wahre Geschichte hinter der Revolution in der Musikindustrie: Wie die Handlungen einiger weniger Menschen sich zufällig so überkreuzten, dass am Ende der von niemandem beabsichtigte Niedergang der Musikindustrie durch mp3 und Internettauschbörsen stand.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Stephen Witt gelingt Bemerkenswertes, versichert Marco Dettweiler: Der Autor erzähle die Geschichte der digitalisierten Musik wie einen spannenden Roman, schreibt der Rezensent, der sich hier nicht durch eine trockene Chronologie arbeiten muss, sondern vielmehr in szenischen Beschreibungen hinter die Kulissen des Musikgeschäftes blickt. Dabei lernt der Kritiker neben dem mp3-Erfinder Karlheinz Brandenburg und dem Plattenboss Doug Morris auch den Musikpiraten Dell Glover kennen, den Witt für seine Interviews aufspürte. Dieses Buch birgt eine Vielzahl verblüffender Fakten rund um die digitalisierte Musik, verspricht der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.02.2016Die Revolution, mit der die Musik komprimierbar wurde
Ein Erfinder, ein Hacker und ein Plattenboss: Stephen Witt erzählt die turbulente Geschichte der digitalisierten Musik
Es ist häufig vom Tod die Rede, wenn über Tonträger gesprochen wird. In den neunziger Jahren hieß es, die Schallplatte sei tot. Doch Techno-DJs und Plattenliebhaber erhalten sie am Leben. Ihrem ehemals größten Feind, der Compact Disc, geht es seit Jahren selbst an den Kragen. Dabei ist es gerade mal etwas mehr als ein Vierteljahrhundert her, dass in Deutschland das erste Mal mehr CDs als Schallplatten verkauft wurden. Ihre Existenz ist bedroht, weil der maßgebliche Teil der jüngeren Generation lieber eine Datei auf Computer oder Smartphone anklickt als eine silberne Scheibe in einen CD-Spieler legt. Erst Ende der neunziger Jahre dürften viele mit dieser Art der Musikwiedergabe in Berührung gekommen sein. Wann aber wird die MP3 sterben?
Sie hat ihren Tod sogar schon hinter sich, denn der "wurde im Frühling des Jahres 1995 in einem Konferenzraum in Erlangen verkündet", schreibt Stephen Witt im ersten Kapitel seines Buches. Das ist eine irritierende Behauptung, denn schließlich ist die MP3 nach wie vor ein beliebtes Verfahren, um Audiosignale einer CD zu komprimieren. So verteilt etwa der Streaming-Dienst Spotify seine Lieder in diesem Format. Und wie sollte die MP3, die in Erlangen am Fraunhofer-Institut erfunden wurde, am gleichen Ort gleich gestorben sein? Doch wurde ihr in der Tat damals beinahe der "Todesstoß" versetzt. Auf einem Treffen, an dem verschiedene Interessengruppen teilnahmen, legte man sich nämlich zunächst auf den MP2-Codec von Musicam als "Rundfunkstandard" fest. Und nur trotz dieser Niederlage schaffte es das Fraunhofer-Team später dennoch, sich mit seiner Erfindung durchzusetzen.
Stephen Witt erzählt die Geschichte der digitalisierten Musik nicht chronologisch, um von Anfang an Spannung aufzubauen, die seinem Buch eher den Charakter eines Romans als eines trockenen Sachbuchs gibt. Die Mischung aus Information und szenischen Beschreibungen funktioniert gut, sofern man sich darauf einlässt und dem Autor vertraut, dass auch alles stimmt, was hier erzählt wird. Ein Blick ins Nachwort und die Anmerkungen zerstreut allerdings schnell die Skepsis, dass einige Elemente nur aus Gründen der narrativen Abrundung hinzugefügt worden sein könnten. Die Momente, in denen man wegen der erstaunlichen Fakten, die der Autor präsentiert, vorsichtig wird, weichen dem Erstaunen darüber, was sich hinter den Kulissen des Musikgeschäfts in den letzten drei Jahrzehnten offenbar abgespielt hat.
Stephen Witt führt drei Protagonisten ein: den "revolutionären Erfinder" Karlheinz Brandenburg, den "Musikpiraten" und "Gauner" Dell Glover sowie den "mächtigen Plattenboss" Doug Morris. Er versucht zu beweisen, dass jeder der drei maßgeblich dazu beigetragen hat, dass Produktion, Verleih und Hören von Musik mit MP3 die größte Umwälzung seit der ersten Schallaufzeichnung im Jahr 1877 erfuhren.
Das Team um Karlheinz Brandenburg und Bernard Grill - der im Untertitel genannte zweite Erfinder -, die diesen und weitere Codecs entwickelt haben, machte es erst möglich, Musik auf einer CD in digitaler Form so zu komprimieren, dass sie sich über das Internet verteilen lässt. Selbst wer die Geschichte rund um diese Gruppe von Wissenschaftlern im damaligen Fraunhofer-Institut in Erlangen kennt und sich mit den psychoakustischen Voraussetzungen dieser Technologie beschäftigt hat, wird bei Witt immer wieder überrascht von interessanten Einblicken in die konkrete Arbeit der "MP3-Gruppe".
Über Dell Glover dürfte bisher niemand etwas gewusst haben. Stephen Witt hat ihn aufgespürt und mit ihm zehn Interviews geführt. Glover, so Witt, war "vom Jahr 2000 an für so viele Leaks von noch nicht offiziell erschienener Musik verantwortlich wie niemand sonst auf der Welt". Der Musikpirat stahl als Mitarbeiter des damals größten CD-Presswerkes die frischen Alben, um sie zu Hause in Dateien umzuwandeln und in Tauschbörsen online zu stellen. Glovers Gewinn hielt sich in Grenzen, die Plattenbosse hat sein Vorgehen viele Millionen gekostet. Für Witt ist Dell Glover "der Mann, der die Musikindustrie zerstörte, um sich neue Felgen für sein Auto zu kaufen". Und somit wäre er auch verantwortlich dafür, dass der CD schon nach zwanzig Jahren das Verschwinden bevorsteht.
Die dritte Protagonist, der amerikanische Musikmanager Doug Morris, war direkt von Brandenburgers Erfindung genauso wie von Glovers Machenschaften betroffen. Die CD-Verkäufe sanken Anfang dieses Jahrtausends dramatisch. "Die MP3-Revolution mochte ihn auf dem falschen Fuß erwischt haben", schreibt Witt, "doch zu guter Letzt hatte er doch noch seine Lektion gelernt und würde alles tun, um ähnliche Fehler in Zukunft zu vermeiden." Das gelang Doug Morris. Nach 2001 war er für ein Jahrzehnt der bestbezahlte Manager im Musikgeschäft. Seine Karriere, die als Chef von Sony Music weiter läuft, hat die todgeweihte Schallplatte und CD überlebt.
MARCO DETTWEILER
Stephen Witt: "How Music Got Free". Wie zwei Erfinder, ein Plattenboss und ein Gauner eine ganze Industrie zu Fall brachten.
Aus dem Englischen von Markus Bennemann. Eichborn Verlag, Köln 2015. 368 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Erfinder, ein Hacker und ein Plattenboss: Stephen Witt erzählt die turbulente Geschichte der digitalisierten Musik
Es ist häufig vom Tod die Rede, wenn über Tonträger gesprochen wird. In den neunziger Jahren hieß es, die Schallplatte sei tot. Doch Techno-DJs und Plattenliebhaber erhalten sie am Leben. Ihrem ehemals größten Feind, der Compact Disc, geht es seit Jahren selbst an den Kragen. Dabei ist es gerade mal etwas mehr als ein Vierteljahrhundert her, dass in Deutschland das erste Mal mehr CDs als Schallplatten verkauft wurden. Ihre Existenz ist bedroht, weil der maßgebliche Teil der jüngeren Generation lieber eine Datei auf Computer oder Smartphone anklickt als eine silberne Scheibe in einen CD-Spieler legt. Erst Ende der neunziger Jahre dürften viele mit dieser Art der Musikwiedergabe in Berührung gekommen sein. Wann aber wird die MP3 sterben?
Sie hat ihren Tod sogar schon hinter sich, denn der "wurde im Frühling des Jahres 1995 in einem Konferenzraum in Erlangen verkündet", schreibt Stephen Witt im ersten Kapitel seines Buches. Das ist eine irritierende Behauptung, denn schließlich ist die MP3 nach wie vor ein beliebtes Verfahren, um Audiosignale einer CD zu komprimieren. So verteilt etwa der Streaming-Dienst Spotify seine Lieder in diesem Format. Und wie sollte die MP3, die in Erlangen am Fraunhofer-Institut erfunden wurde, am gleichen Ort gleich gestorben sein? Doch wurde ihr in der Tat damals beinahe der "Todesstoß" versetzt. Auf einem Treffen, an dem verschiedene Interessengruppen teilnahmen, legte man sich nämlich zunächst auf den MP2-Codec von Musicam als "Rundfunkstandard" fest. Und nur trotz dieser Niederlage schaffte es das Fraunhofer-Team später dennoch, sich mit seiner Erfindung durchzusetzen.
Stephen Witt erzählt die Geschichte der digitalisierten Musik nicht chronologisch, um von Anfang an Spannung aufzubauen, die seinem Buch eher den Charakter eines Romans als eines trockenen Sachbuchs gibt. Die Mischung aus Information und szenischen Beschreibungen funktioniert gut, sofern man sich darauf einlässt und dem Autor vertraut, dass auch alles stimmt, was hier erzählt wird. Ein Blick ins Nachwort und die Anmerkungen zerstreut allerdings schnell die Skepsis, dass einige Elemente nur aus Gründen der narrativen Abrundung hinzugefügt worden sein könnten. Die Momente, in denen man wegen der erstaunlichen Fakten, die der Autor präsentiert, vorsichtig wird, weichen dem Erstaunen darüber, was sich hinter den Kulissen des Musikgeschäfts in den letzten drei Jahrzehnten offenbar abgespielt hat.
Stephen Witt führt drei Protagonisten ein: den "revolutionären Erfinder" Karlheinz Brandenburg, den "Musikpiraten" und "Gauner" Dell Glover sowie den "mächtigen Plattenboss" Doug Morris. Er versucht zu beweisen, dass jeder der drei maßgeblich dazu beigetragen hat, dass Produktion, Verleih und Hören von Musik mit MP3 die größte Umwälzung seit der ersten Schallaufzeichnung im Jahr 1877 erfuhren.
Das Team um Karlheinz Brandenburg und Bernard Grill - der im Untertitel genannte zweite Erfinder -, die diesen und weitere Codecs entwickelt haben, machte es erst möglich, Musik auf einer CD in digitaler Form so zu komprimieren, dass sie sich über das Internet verteilen lässt. Selbst wer die Geschichte rund um diese Gruppe von Wissenschaftlern im damaligen Fraunhofer-Institut in Erlangen kennt und sich mit den psychoakustischen Voraussetzungen dieser Technologie beschäftigt hat, wird bei Witt immer wieder überrascht von interessanten Einblicken in die konkrete Arbeit der "MP3-Gruppe".
Über Dell Glover dürfte bisher niemand etwas gewusst haben. Stephen Witt hat ihn aufgespürt und mit ihm zehn Interviews geführt. Glover, so Witt, war "vom Jahr 2000 an für so viele Leaks von noch nicht offiziell erschienener Musik verantwortlich wie niemand sonst auf der Welt". Der Musikpirat stahl als Mitarbeiter des damals größten CD-Presswerkes die frischen Alben, um sie zu Hause in Dateien umzuwandeln und in Tauschbörsen online zu stellen. Glovers Gewinn hielt sich in Grenzen, die Plattenbosse hat sein Vorgehen viele Millionen gekostet. Für Witt ist Dell Glover "der Mann, der die Musikindustrie zerstörte, um sich neue Felgen für sein Auto zu kaufen". Und somit wäre er auch verantwortlich dafür, dass der CD schon nach zwanzig Jahren das Verschwinden bevorsteht.
Die dritte Protagonist, der amerikanische Musikmanager Doug Morris, war direkt von Brandenburgers Erfindung genauso wie von Glovers Machenschaften betroffen. Die CD-Verkäufe sanken Anfang dieses Jahrtausends dramatisch. "Die MP3-Revolution mochte ihn auf dem falschen Fuß erwischt haben", schreibt Witt, "doch zu guter Letzt hatte er doch noch seine Lektion gelernt und würde alles tun, um ähnliche Fehler in Zukunft zu vermeiden." Das gelang Doug Morris. Nach 2001 war er für ein Jahrzehnt der bestbezahlte Manager im Musikgeschäft. Seine Karriere, die als Chef von Sony Music weiter läuft, hat die todgeweihte Schallplatte und CD überlebt.
MARCO DETTWEILER
Stephen Witt: "How Music Got Free". Wie zwei Erfinder, ein Plattenboss und ein Gauner eine ganze Industrie zu Fall brachten.
Aus dem Englischen von Markus Bennemann. Eichborn Verlag, Köln 2015. 368 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Ein fantastisches, aktuelles und informatives Buch. Stephen Witt ist ein mitreißender und kenntnisreicher Autor, seine Recherche und seine Erzählkunst sind beispielhaft." Nick Hornby, The Sunday Times "Witt hat jahrelang in allen Winkeln recherchiert und daraus einen Gesellschaftsthriller gemacht, der [...] sich so rasant liest wie ein Buch von John Grisham." Jochen Siemens, Stern, 24.08.2015 "Witt erzählt die Geschichte so spannend wie ein Kriminalautor, so detailreich wie ein Wissenschaftler und so liebevoll wie ein MP3-Freund der ersten Stunde." Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 11.12.2016