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Produktdetails
  • Verlag: Random House
  • ISBN-13: 9781400066728
  • Artikelnr.: 25876758
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.06.2009

Nur Stillstand ist tödlich
Der muslimische Publizist Reza Aslan nimmt es mit den Orthodoxen auf beiden Seiten auf

Nach der Lesung kommen die Fans. "Waren Sie nicht schon gestern im Publikum?", fragt Reza Aslan die dunkelhaarige Studentin im kanariengelben Paul-Smith-Kleid, die sich am Büchertisch angestellt hat. "Nein, das war meine Zwillingsschwester. Sie hat den arabischen Vornamen, ich den malayischen. Wir wechseln uns ab, teilen uns dann die Mitschriften!" Gelächter. "Dann kommt zu meiner Lesung morgen . . ." - "Wieder meine Schwester, ja!"

Reza Aslan, 1972 in Teheran geboren und seit der Iranischen Revolution zu seinen Kindertagen in den Vereinigten Staaten lebend, ist ein gefragter Mann - und in diesen Tagen vor allem ein befragter. Permanent gibt er Interviews, ob für hochspezialisierte Blogger oder die BBC, denn in dieser Woche haben sie sich gleich beide geäußert, die Männer, die die Achsen seines Koordinatensystems bilden und deren Vornamen er so oft verwechselt, dass Doktor Freud seine Freude daran haben könnte: Osa. . .bama.

Der amerikanische Präsident und der Terrorführer, beide stehen sich, so die These von Reza Aslans neuem Buch, in einem Konflikt gegenüber, den die Scharfmacher beider Seiten als "kosmischen Krieg" begreifen, einen Krieg, dessen Schlachtfeld nicht irdisch, sondern jenseitig ist, in dem es nicht mehr um Interessen und strategische Vorteile geht, sondern um Gut und Böse, Himmel und Hölle. Cool schildert er, wie auch auf der Seite des Westens orthodoxe jüdische Zeloten wie der Rabin-Mörder und im missionarischen Eifer erblindete Army-Seelsorger die Auseinandersetzung gegen islamische Extremisten als endzeitliche Schlacht beschreiben. Es ist in einem kosmischen Krieg ganz egal, wie es den Palästinensern geht, wie die Iraker ihr Schicksal finden, jedes Schlachtfeld, jedes Opfer ist zugleich heilig und beliebig. Ein kosmischer Krieg endet nie. Daher ist der Titel des Buches richtig frech: "Wie man einen kosmischen Krieg gewinnt".

Als wir uns zum ersten Mal treffen, ist es Mittwochmittag, und der kosmische Experte sieht nicht besonders ausgeschlafen aus. Egal. Er regt sich sofort auf, wedelt mit seiner Zeitung und berichtet von dem Streit, den er eben mit einem ägyptischen Blogger auszufechten hatte: "Er wollte mir weismachen, Kairo sei ein guter Ort für die Obama-Rede. Ha! Es ist ein furchtbarer Ort für diese Rede. Wie will er, wenn Mubarak neben ihm steht, den Mangel an Demokratie in Ägypten anprangern? Das wird ein Desaster!" Aber was wäre ein besserer Ort als Kairo, immerhin das Zentrum islamischer Gelehrsamkeit seit Jahrhunderten? Dass man das überhaupt fragt! Indonesien natürlich. Der Islam, wird er nicht müde zu erklären, ist nicht der Nahe Osten, und der Islam, das sind auch nicht die Araber. Nicht die allein, jedenfalls. Und was tut Obama, sein Präsident, sein Held? Geht mitten hinein!

Beeilen!

Vor lauter Ärger übersieht Aslan den Londoner Straßenverkehr und schwebt, von irgendeiner kosmischen Macht beschützt, durch die Wagen, er bemerkt kaum, dass ich gut deutsch an der roten Ampel stehen geblieben bin, und redet einfach weiter. Die Lage ist komplex, und Reza Aslan hat wenig Zeit. Durch alle Kontinente führt ihn seine Lesetour, eine Woche ist er in England, dann ist der Süden der Vereinigten Staaten dran, später Israel, Australien und der Rest der Welt.

Es ist keine Lustreise. Wegen der Verzwicktheit des Themas und der Verfahrenheit der Lage sind es, trotz der vielen Fans im Publikum, keine angenehmen Veranstaltungen. Aslan wirft sich mit Verve auf mindestens ein halbes Dutzend Themen, die jeden aufregen: die Einwanderung, die Menschenrechte, die Nahostpolitik, Israel, der Terror. Kaum eine Wortmeldung, die ihm nicht etwas zu unterstellen sucht - und er gibt ordentlich zurück! Ihm kommt es auf den Drive an, das Tempo ist die Botschaft! Der Feind, die gewaltbereiten Islamisten und die Rechtsradikalen aller Schattierungen sind hochmobil und wendig, da ist Stillstand, auch intellektueller Stillstand, tödlich. Also geht es in der Diskussion rund. Den Anhängern der arabischen Sache hält er entgegen, heute seien die Vereinigten Staaten für fromme Muslime das freieste, sicherste und gerechteste Heimatland. Wer nach der Kompatibilität von Islam und Demokratie fragt, wird schlicht ausgelacht: Indonesien, Pakistan, Indien, Bangladesch, die Türkei - die Länder, in denen die meisten Muslime leben, sind alles Demokratien. Schulterzucken. Was soll die Frage?

Nächste Frage: Wie begegnet man denn nun den gewaltbereiten Islamisten, von denen es ja gerade in London viele gibt? "Mit der Polizei natürlich. Das sind Verbrecher, da helfen nur noch Polizei, Militär und die Dienste!" Etwas anderes ist es mit ihren Unterstützern, mit denen, die noch zögern und zweifeln. Er glaubt, dass neunzig Prozent von denen für das demokratische Lager nicht verloren sind, wenn man es richtig anstellt, das heißt: wenn man ihnen die richtige Geschichte erzählt. Wir hatten uns, Experten à la Bernard Lewis folgend, angewöhnt, den Dschihadismus als ein Zurückwünschen in irgendwelche mohammedschen Urzeiten zu verstehen, als Flucht vor der Moderne. Dem widerspricht Aslan. "Die Terroristen und ihre Unterstützer sind alle zwischen 15 und 25. Das ist das Alter, an dem auch Usama interessiert ist, denn es ist ja das Alter, in dem man auch dafür empfänglich ist, die Welt durch Gewalt zu erschüttern. Aber in dem Alter will man von langatmigen Predigten in Moscheen nichts wissen." Er nennt es den "Pop-Dschihadismus", den man als Jugendbewegung verstehen müsse, und wer so einer Bewegung etwas entgegensetzen möchte, so Aslans Folgerung, der bleibt besser selbst in Bewegung: geographisch, digital und intellektuell. Er repräsentiert keine Institution und scheint auch keine zu brauchen, keine Universität, kein Medium, keinen Verlag. Wer ihm schreiben möchte, und das soll und darf jeder, wird einfach an seine Website verwiesen!

Reza Aslan legt extremen Wert auf den Ton und den Aufbau seiner Texte. Sie haben nichts mehr mit den politischen oder religionswissenschaftlichen Essays der üblichen Experten zu tun. Er hat lange kreatives Schreiben studiert, nun unterrichtet er es, sein voriges Buch "Kein Gott außer Gott" wurde zum Bestseller.

Konfrontieren!

Im neuen Buch findet sich die quälend detaillierte Schilderung eines Attentats im Irak. Es ist ein Feiertag mit Dorffest, alle sind draußen. Der Täter kommt mit einem Karren voller Spielzeug, Süßigkeiten und Luftballons. Er wartet genau ab, dass auch alle Kinder lange genug gequengelt haben und mit ihren Eltern um ihn herum stehen. Dann zündet er seinen Sprengstoffgürtel. Solchen Horror, stellt Aslan klar, deckt keine Zeile im Koran. Da geht es auch um keine irdischen Anliegen, und welche sollten das bei Al Qaida bitte sein? In den Monologen von Bin Ladin und Zawahiri hat Aslan, neben den Klassikern des Nahostkonflikts, Forderungen nach einer Unterzeichnung des Kyoto-Protokolls ebenso gefunden wie die Kritik an der Verletzung der Bürgerrechte britischer Bürger durch Abhörmaßnahmen. "Es geht denen aber nicht wirklich um die Magna Charta", bemerkt er trocken. Es geht ihnen nicht um diese Welt.

Reza Aslan fordert auf inspirierende, freche Art etwas sehr Langweiliges: zu differenzieren. Zwischen den lösbaren Konflikten und den ewigen Kriegen, zwischen Terroristen aller Religionen und den nebeneinanderher lebenden Bürgern der Welt in ihren jeweiligen Glaubensbekenntnissen; zwischen politischen, nationalistischen Bewegungen wie Hamas und Hizbullah, mit denen Verhandlungen prinzipiell möglich und notwendig seien, und transnationalen und utopischen Bewegungen wie Al Qaida, gegen die nur Polizei und Militär helfen könnten.

Eine seiner Londoner Lesungen fand in den Räumen der Quilliam Foundation statt, einem privaten Thinktank, der von ehemaligen führenden Mitgliedern islamistischer Gruppen gegründet wurde, um radikalen Islamismus zu bekämpfen. Es ist eine elitäre Einrichtung, die sich an Imame, Polizisten, Lehrer und Journalisten wendet und ihnen hilft, den Erzählungen der radikalen Islamisten etwas entgegenzusetzen. Neben Reza Aslan wirken die jungen Männer von der Quilliam Foundation introvertiert und schüchtern. Es hat sich ein Kreis von etwa fünfzig Personen eingefunden, vom Abgeordneten bis zum Hochschulrektor, um bei Dreiecktoast und Fruchtsäften mit ihm zu streiten.

Differenzieren!

Es geht um gewisse Statistiken in seinem Buch, um Zitate und immer wieder um Einwanderungspolitik. Aslan bestreitet, dass die Probleme der Muslime in Europa etwas mit ihrer Religion zu tun hätten, die seien soziokulturell verursacht. Man könne die Muslime in Europa am besten mit den mexikanischen Migranten in den Vereinigten Staaten vergleichen, die hätten dort ähnliche Sorgen und Nöte. "Sie können", resümiert er, "die Kultur nicht von der Religion trennen, wohl aber die Religion von der Kultur!" Besonders in Fahrt kommt er, wenn er über die elenden Zustände in arabischen Staaten spricht, man meint fast etwas von dem alten Überlegenheitsgefühl der Iraner über die Hirten von der arabischen Halbinsel zu vernehmen, aber er hat ja recht. Am Ende der Veranstaltung steht eine verschleierte junge Frau auf, die die ganze Zeit mit ernster Miene zugehört hatte. Sie erklärt sich völlig einverstanden mit den Differenzierungsappellen des Autors und endet mit einem rührenden Appell: "Nicht Rasse oder Religion verbindet heute uns Bürger Europas, sondern gemeinsame Werte wie Toleranz und Bürgersinn!" Viele im Saal kennen sie schon, doch zum Schluss informiert sie uns, dass sie für die britische Regierung arbeitet, in der Terrorabwehrabteilung des Innenministeriums.

Warum haben wir in Deutschland zwar eine handfeste islamistische Bedrohung, aber weder eine solche Stiftung noch, vermutlich, solche Beamtinnen in den entsprechenden Verwaltungsstäben? Gewisse Fragen kann eben auch Reza Aslan nicht beantworten. Obwohl, viele sind es nicht.

Am folgenden Tag spricht Reza Aslan vor der RSA, der königlichen Gesellschaft für die Förderung der Künste, die für ihr diskussionsfreudiges Publikum bekannt ist. Es meldet sich ein älterer Herr, der von seinen Erfahrungen in der Bekämpfung der IRA berichtet und Parallelen anbietet. Aslan hat Mühe, sich zu konzentrieren. Die Rede hat ihn umgeworfen. Barack Obamas Rede in Kairo, das Salam Alaikum zu Beginn, ein hingeworfenes Shukran, das hat ihm die Tränen in die Augen getrieben. "Er überrascht mich eben immer wieder!", erklärt er strahlend. Immer in Bewegung bleiben. "Aber hoffentlich hat er auch gemerkt, dass das Publikum am meisten dort gejubelt hat, wo es um die Demokratie in Ägypten ging", ermahnt er den fernen Präsidenten.

Und wie gewinnt man ihn nun, den kosmischen Krieg?

"Indem man nicht mitkämpft, natürlich!"

NILS MINKMAR

Reza Aslan: "How to Win a Cosmic War. Confronting Radical Islam". Random House 2009, 230 Seiten, 20 Euro

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