Produktdetails
- suhrkamp taschenbuch 3192
- Verlag: Suhrkamp
- Originaltitel: Prends garde au loup
- Seitenzahl: 237
- Deutsch
- Abmessung: 14mm x 108mm x 176mm
- Gewicht: 148g
- ISBN-13: 9783518396926
- ISBN-10: 3518396927
- Artikelnr.: 08937848
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.12.2001Verrückt nach Maï
Töten ist kinderleicht: Yann Queffélec rührt ein finsteres Gebräu an
Kinder, das weiß man, können grausam sein. Eben noch kleine Schmusekatzen, sanft, anhänglich und liebesbedürftig, fallen sie übereinander her, quälen Tiere und treiben Eltern zur Weißglut. Unverstellt, wie sie sind, halten sie uns den Spiegel vor und offenbaren des Menschen wahre Wolfsnatur: "Homo homini lupus" - ein Satz, der nicht erst auf Erwachsene zutrifft.
Vielleicht ist dies der Grund, warum der französische Autor Yann Queffélec mit Vorliebe über Kinder schreibt und von sich selber sagt, er sei noch immer ein kleiner Junge, der es nicht lassen könne, zu seinen Erinnerungen zurückzukehren. Obwohl der Sohn des bekannten Schrifstellers Henri Queffélec die Sommer seiner Kindheit in der wilden Schönheit der bretonischen Inselwelt verbrachte, sind es alles andere als verklärte Bilder, die er in seinen Büchern beschwört. 1985 ist er für "Barbarische Hochzeiten", eine düstere Vergewaltigungsgeschichte, mit dem "Prix Goncourt" ausgezeichnet worden, und seither hat er nicht aufgehört, den dunklen Seiten der menschlichen, der kindlichen Seele vor allem, beschreibend seinen Tribut zu zollen.
Da macht auch sein in Frankreich bereits 1992 erschienener Roman "Hüte dich vor dem Wolf" keine Ausnahme. Toni Bernard, der kleine Junge, der da irgendwo in den Sümpfen des französischen Nordwestens heranwächst, ist ein Einzelgänger, der seine heillos zerstrittene Familie haßt, keinen Anschluß bei Gleichaltrigen findet und nur eine Leidenschaft kennt: die Liebe zu seiner Cousine Maï. Sie ist sein Daseinsgrund, das einzige Band, das ihn, nach dem Tod seiner Großmutter, noch mit der menschlichen Gemeinschaft verbindet. Als dann aber auch Maï anfängt, ihm die kalte Schulter zu zeigen, verliert er vollends den Boden unter den Füßen und zieht sich in pubertärer Verwirrung immer mehr aus der Realität zurück. Wilde Tötungsphantasien wechseln ab mit Träumen von entfesselter Lust. Wie in dieser nebelverhangenen Landschaft die Grenzen zwischen Land und Wasser sich verwischen, weiß auch Toni - und mit ihm der Leser - bald nicht mehr zu unterscheiden zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Er hat davon geträumt, Maï zu heiraten und seine Mutter mit einem Laserstrahl zu töten. Er hat der Wespe die Flügel abgeschnitten, mit Schrot auf den Hund des Nachbarn geschossen und zugeschaut, wie die Katze seine flügellahme Möwe zerfleischt. Aber hat er auch seinen Freund und Erzrivalen Julius ertrinken lassen? Hat er Maï nach langer Irrfahrt schließlich doch noch geheiratet und später im Wahn erstochen? Allem Anschein nach ist es so. Denn der Erzähler des Romans - so erkennt man am Schluß - sitzt seit Jahrzehnten hinter Gittern und büßt dafür, daß er seine geheimen Lüste für die Wirklichkeit hielt. Kein Zweifel, Yann Queffélec kann erzählen. Seine Sprache ist reich an poetischen Bildern, zart, wenn sie die Sehnsüchte einer verlorenen Kindheit evoziert, hart und grausam, wenn sie sich den Abgründen der menschlichen Seele zuwendet. Doch leider verlieren sich solche Passagen sprachlicher Schönheit - ein kurzes Aufleuchten uneingelöster Möglichkeiten, mehr nicht - nur allzu bald wieder in jenem bedeutungsschwangeren Raunen und aufgeblähten Pathos, das der Autor entweder für einen literarischen Qualitätsausweis oder für gedanklichen Tiefgang hält. Vermutlich für beides. Statt aufzuklären, zu verstehen - oder es wenigstens zu versuchen - und damit dem Geheimnis des Bösen etwas von seinem verführerischen Nimbus zu nehmen, tut Queffélec alles, die Geschehnisse dieses "teuflischen Spiels", wie er es nennt, sprachlich zu verdunkeln, zu vernebeln, zu mystifizieren und damit letztlich auf eine verquere Art zu glorifizieren.
Queffélec gilt in Frankreich als äußerst erfolgreicher Autor. Möglich also, daß seine Beschwörung von Albträumen, Obsessionen und Ausbrüchen realer Gewalt bei manchen Leuten zunächst auf eine gewisse Faszination stößt. Daß sie anhält, auch wenn die finstere Litanei sich mehr und mehr in ein unappetitliches Gebräu von Lust, Qual und Schmerz verwandelt, scheint mir allerdings unverständlich.
KLARA OBERMÜLLER
Yann Queffélec: "Hüte dich vor dem Wolf". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Andrea Spingler. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 237 S., br., 17,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Töten ist kinderleicht: Yann Queffélec rührt ein finsteres Gebräu an
Kinder, das weiß man, können grausam sein. Eben noch kleine Schmusekatzen, sanft, anhänglich und liebesbedürftig, fallen sie übereinander her, quälen Tiere und treiben Eltern zur Weißglut. Unverstellt, wie sie sind, halten sie uns den Spiegel vor und offenbaren des Menschen wahre Wolfsnatur: "Homo homini lupus" - ein Satz, der nicht erst auf Erwachsene zutrifft.
Vielleicht ist dies der Grund, warum der französische Autor Yann Queffélec mit Vorliebe über Kinder schreibt und von sich selber sagt, er sei noch immer ein kleiner Junge, der es nicht lassen könne, zu seinen Erinnerungen zurückzukehren. Obwohl der Sohn des bekannten Schrifstellers Henri Queffélec die Sommer seiner Kindheit in der wilden Schönheit der bretonischen Inselwelt verbrachte, sind es alles andere als verklärte Bilder, die er in seinen Büchern beschwört. 1985 ist er für "Barbarische Hochzeiten", eine düstere Vergewaltigungsgeschichte, mit dem "Prix Goncourt" ausgezeichnet worden, und seither hat er nicht aufgehört, den dunklen Seiten der menschlichen, der kindlichen Seele vor allem, beschreibend seinen Tribut zu zollen.
Da macht auch sein in Frankreich bereits 1992 erschienener Roman "Hüte dich vor dem Wolf" keine Ausnahme. Toni Bernard, der kleine Junge, der da irgendwo in den Sümpfen des französischen Nordwestens heranwächst, ist ein Einzelgänger, der seine heillos zerstrittene Familie haßt, keinen Anschluß bei Gleichaltrigen findet und nur eine Leidenschaft kennt: die Liebe zu seiner Cousine Maï. Sie ist sein Daseinsgrund, das einzige Band, das ihn, nach dem Tod seiner Großmutter, noch mit der menschlichen Gemeinschaft verbindet. Als dann aber auch Maï anfängt, ihm die kalte Schulter zu zeigen, verliert er vollends den Boden unter den Füßen und zieht sich in pubertärer Verwirrung immer mehr aus der Realität zurück. Wilde Tötungsphantasien wechseln ab mit Träumen von entfesselter Lust. Wie in dieser nebelverhangenen Landschaft die Grenzen zwischen Land und Wasser sich verwischen, weiß auch Toni - und mit ihm der Leser - bald nicht mehr zu unterscheiden zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Er hat davon geträumt, Maï zu heiraten und seine Mutter mit einem Laserstrahl zu töten. Er hat der Wespe die Flügel abgeschnitten, mit Schrot auf den Hund des Nachbarn geschossen und zugeschaut, wie die Katze seine flügellahme Möwe zerfleischt. Aber hat er auch seinen Freund und Erzrivalen Julius ertrinken lassen? Hat er Maï nach langer Irrfahrt schließlich doch noch geheiratet und später im Wahn erstochen? Allem Anschein nach ist es so. Denn der Erzähler des Romans - so erkennt man am Schluß - sitzt seit Jahrzehnten hinter Gittern und büßt dafür, daß er seine geheimen Lüste für die Wirklichkeit hielt. Kein Zweifel, Yann Queffélec kann erzählen. Seine Sprache ist reich an poetischen Bildern, zart, wenn sie die Sehnsüchte einer verlorenen Kindheit evoziert, hart und grausam, wenn sie sich den Abgründen der menschlichen Seele zuwendet. Doch leider verlieren sich solche Passagen sprachlicher Schönheit - ein kurzes Aufleuchten uneingelöster Möglichkeiten, mehr nicht - nur allzu bald wieder in jenem bedeutungsschwangeren Raunen und aufgeblähten Pathos, das der Autor entweder für einen literarischen Qualitätsausweis oder für gedanklichen Tiefgang hält. Vermutlich für beides. Statt aufzuklären, zu verstehen - oder es wenigstens zu versuchen - und damit dem Geheimnis des Bösen etwas von seinem verführerischen Nimbus zu nehmen, tut Queffélec alles, die Geschehnisse dieses "teuflischen Spiels", wie er es nennt, sprachlich zu verdunkeln, zu vernebeln, zu mystifizieren und damit letztlich auf eine verquere Art zu glorifizieren.
Queffélec gilt in Frankreich als äußerst erfolgreicher Autor. Möglich also, daß seine Beschwörung von Albträumen, Obsessionen und Ausbrüchen realer Gewalt bei manchen Leuten zunächst auf eine gewisse Faszination stößt. Daß sie anhält, auch wenn die finstere Litanei sich mehr und mehr in ein unappetitliches Gebräu von Lust, Qual und Schmerz verwandelt, scheint mir allerdings unverständlich.
KLARA OBERMÜLLER
Yann Queffélec: "Hüte dich vor dem Wolf". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Andrea Spingler. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001. 237 S., br., 17,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ein glatter Verriss, dabei zweifelt Rezensentin Klara Obermüller gar nicht daran, dass Yann Queffelec erzählen kann. Seine Sprache findet sie reich an poetischen Bildern, und zart, wenn sie - wie in diesem Buch - die Sehnsüchte einer verlorenen Kindheit evoziere. Hart und grausam werde sie, wenn sie sich den Abgründen der menschlichen Seele widme. Aber zu schnell verwandelt sich das Buch für sie in ein "unappetitliches Gebräu von Lust, Qual und Schmerz". Es geht, lesen wir, um ein Kind, das seine "geheimen Lüste für Wirklichkeit" hält, und das erst als Kind und dann als Erwachsener offensichtlich grausame Taten, unter anderem einen Mord begeht. Für Klara Obermüller verlieren sich durchaus eindrucksvolle Passagen des Buches, ("ein kurzes Aufleuchten uneingelöster Möglichkeiten"), nur allzu bald in "jenem bedeutungsschwangeren Raunen oder aufgeblähten Pathos", das der Autor entweder für "einen literarischen Qualitätsausweis oder gedanklichen Tiefgang" halte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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