Die Innenministerien in Bonn und Ost-Berlin trugen maßgeblich zum Aufbau und zur Konsolidierung der Bundesrepublik und der DDR bei. Wie und mit welchem Personal dies nach dem Nationalsozialismus geschah, zeigt eine Forschungsgruppe unter Leitung von Frank Bösch und Andreas Wirsching anhand von bisher unbekannten Archivakten.Die Autorinnen und Autoren verdeutlichen, welche politischen Folgen die jeweiligen Prägungen der Mitarbeiter hatten und wie sich die Verwaltungskultur in Ost und West veränderte.Im Bundesinnenministerium, so wird differenziert belegt, stammte die Mehrheit der Beamten aus der Bürokratie des Nationalsozialismus. Viele verschwiegen ihre Vergangenheit, die kaum überprüft wurde. Sie passten sich in die Demokratie ein, aber oftmals bestanden autoritäre Denkmuster fort, die sich in politischen Entscheidungen niederschlugen. Im Ministerium des Innern der DDR übernahmen ältere Kommunisten und junge Kader die Leitung, doch einzelne Expertenbereiche wiesen auch hier Kontinuitäten auf. Die Innenministerien in Ost und West beobachteten und beeinflussten dabei auch wechselseitig den Umgang mit der NS-Vergangenheit.Als Forschungsteam verfasst von Frank Bösch, Martin Diebel, Frieder Günther, Lutz Kreller, Franziska Kuschel, Stefanie Palm, Maren Richter, Dominik Rigoll, Irina Stange und Andreas Wirsching.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.10.2018Schwarz-weiß-rot-braune Kontinuitätslinien
Eine Untersuchung über die Innenministerien in Bonn und Ost-Berlin nach 1949
Wenige Monate nach seiner Errichtung 1949 wurde im Bundesinnenministerium ein Referat für "Belange des Judentums" geschaffen. Konrad Adenauer selbst hatte sich dafür eingesetzt. Das Kanzleramt wollte in diesem Referat nicht nur die "kulturellen Angelegenheiten der jüdischen Religionsgemeinschaften" angesiedelt wissen, sondern auch die Aufgabe, "für eine ausreichende Berücksichtigung der jüdischen Interessen in der Gesetzgebung und Verwaltung Sorge zu tragen". Referatsleiter wurde Carl Gussone, der zu den ersten Beamten des höheren Dienstes gehörte, die 1949 in das Ministerium eingetreten waren. Dass die Biographie seiner ersten Lebenshälfte den 1907 geborenen Juristen für die Referatsleitung prädestinierte, wird man nur mit größtem Zynismus behaupten können. Gussone war 1933 in die NSDAP eingetreten, im gleichen Jahr auch in die Allgemeine SS und in sieben weitere NS-Organisationen. Später war er mit hoher Wahrscheinlichkeit als Finanzbeamter an der Diskriminierung von Juden beteiligt. Kaum hatte Gussone 1951 das Referat übernommen, landete ein Vorschlag des Bundespräsidialamts auf seinem Schreibtisch, in dem es um die Unterstützung einer Verständigungsveranstaltung zwischen Juden und Nichtjuden ging. Gussone lehnte die Initiative als "untunlich" ab. Von einem "weit verbreiteten Antisemitismus im deutschen Volk" könne "ernsthaft wohl nicht gesprochen werden. Davon abgesehen, habe die Bevölkerung kein Interesse, an die "Missetaten gegenüber den Juden" erinnert zu werden, zumal auch "in den Jahren seit 1945 manche Greueltaten im Bereich der ehemaligen Alliierten geschehen" seien. An den Rand einer Aufklärungsbroschüre zur NS-Propaganda setzte er im gleichen Jahr ein großes Fragezeichen. Es bezog sich auf den Satz: "Viele Deutsche wussten von dem Abtransport der Juden nach dem Osten, und sehr viele wussten auch, dass es zum Zwecke der Vernichtung geschah, es war Volksgespräch."
Die Causa Gussone, der NS-Verbrechen bagatellisierte und sich weigerte, Antisemitismus - vergangenen und gegenwärtigen - als solchen wahrzunehmen, bildet die Spitze eines Eisbergs, den nun eine vom Bundesministerium des Innern in Auftrag gegebene und vom Institut für Zeitgeschichte (München-Berlin) sowie dem Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam) durchgeführte Studie über die Innenministerien in Bonn und Ost-Berlin nach dem Nationalsozialismus sichtbar werden lässt. Die Untersuchung verdankt sich jener Aufarbeitungsdynamik, die nach 2010 nicht zuletzt nach dem Erscheinen des vieldiskutierten Buches über das Auswärtige Amt und sein Personal vor und nach 1945 einsetzte. Diese hat seither eine immer größer werdende Zahl von Bundesministerien und Bundesbehörden erfasst, hat sich aber auch auf die Länder- und die kommunale Ebene ausgeweitet. Längst ist das Bundesinnenministerium von seiner 2005 vertretenen Position abgerückt, als dessen Sprecher auf die Anfrage eines Bundestagsabgeordneten nach der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit erklärte, die Ministerien des Bundes verfügten angesichts ihrer Gründung nach 1949 über keine nationalsozialistische Vergangenheit, die der Aufarbeitung bedürfe.
Die große Herausforderung für die Historikerkommissionen und ihre Mitarbeiter besteht darin, nicht nur den öffentlichen Aufträgen gerecht zu werden, sondern zugleich zeithistorisch weiterführende Forschungsbeiträge zu liefern. Das ist indes gar nicht so einfach. Der Studie, an der neben den beiden Leitern acht weitere Wissenschaftler mitgearbeitet haben, gelingt das unter anderem deswegen, weil sie ihren Blick auf West- und Ostdeutschland richtet und das Ministerium des Innern (MdI) der DDR in vergleichender und verflechtungsgeschichtlicher Perspektive einbezieht. Das lohnt sich gerade mit Blick auf die Innenministerien und ihre intensive Wechselbeziehung beispielsweise in dem Versuch, präventiv Gegner zu bekämpfen: Kommunisten im Westen, "Agenten des Imperialismus" im Osten. Die NS-Zeit bildete für die Systemauseinandersetzung einen zentralen Bezugspunkt, nicht zuletzt in den nicht endenden DDR-Kampagnen gegen "alte Nazis" in Bonner Diensten und der Behauptung, selbst einen "antifaschistischen" Neubeginn erreicht zu haben, was freilich nichts anderes meinte, als die Dominanz der SED.
Dass die Beamtenschaft der Bundesministerien und Bundesbehörden in den fünfziger und sechziger Jahren hochgradig NS-belastet war und dass es ein hohes Maß an personeller Kontinuität aus der NS-Zeit in die Bundesrepublik hinein gab, kann heute kaum noch als überraschender Befund gelten. Bekannt war das eigentlich schon in den Jahrzehnten nach 1949, auch in den Institutionen selbst, wo man aber auch ein klares, eng umgrenztes Verständnis von NS-Belastung hatte. Das Bundeskanzleramt selbst beauftragte angesichts einer "zu erwartenden Interpellation" im Mai 1950 die Ressorts, die NSDAP-Mitgliedschaften des eigenen Personals statistisch zu erheben. Für das Bundesinnenministerium lag der Anteil im gehobenen Dienst bei 46, im höheren Dienst bei 57 Prozent, und diese Werte stiegen bis in die frühen sechziger Jahre noch an, als etwa zwei Drittel der leitenden Mitarbeiter (ab Referatsleiter) früher NSDAP-Mitglieder gewesen waren, davon wiederum die Hälfte Angehörige der SA. Etwa zwei Dutzend leitende Beamte waren überdies wie Carl Gussone in der SS gewesen. Solche quantitativen Angaben sind wichtig, und man sollte sich hüten, eine NSDAP-Mitgliedschaft als nicht aussagekräftig vom Tisch zu wischen. Noch wichtiger aber ist, dass es die Studie nicht bei diesen statistischen Auswertungen bewenden lässt und sich damit in eine Art sündenstolze Konkurrenz der Historikerkommissionen um den höchsten Nazi-Anteil in den jeweils untersuchten Institutionen begibt. In einer solchen Konkurrenz würde das Innenministerium fraglos einen der vorderen Plätze belegen.
Die quantitativen Werte können nur Ausgangspunkt weitergehender Fragen sein, die insbesondere darauf zielen müssen, was der hohe Anteil belasteten Personals für die Sachpolitik bedeutete. Unter den Leitbegriffen der Verwaltungskultur und der Sicherheitsgeschichte liefert das Buch hierzu aufschlussreiche Fallstudien. Darin wird zwar einerseits die zumindest oberflächliche Akzeptanz der Verfassungsordnung des Grundgesetzes erkennbar, auch wenn die für das Staatsrecht zuständige Abteilung I lange mit der Errichtung des Bundesverfassungsgerichts 1951 haderte und für den Fall der Wiedervereinigung vom Staat her gedachte Verfassungsentwürfe mit einer deutlichen Präponderanz der Exekutive ausarbeitete. Andererseits machen sie ebenso deutlich, wie sich Traditionen des Rassismus im Aufenthalts- und Ausländerrechtsreferat verlängerten, wie Netzwerke von Ärzten, Wissenschaftlern und Medizinalbeamten in der Abteilung Gesundheitswesen fortwirkten und die Entschädigung von Zwangssterilisierten hintertrieben oder wie sich die Kulturabteilung bis weit in die sechziger Jahre für ein illiberales Presserecht einsetzte. Nationalsozialistische Kontinuitätslinien verbanden sich hier mit älteren schwarz-weiß-roten Ideensträngen.
"Man schüttet kein dreckiges Wasser aus, wenn man kein reines hat." Die Worte Adenauers, mit denen er den hohen Anteil NS-Belasteter in den Ministerien rechtfertigte, werden in der Studie nicht nur zitiert, sie werden auch hinterfragt. Gab es tatsächlich keine Alternative? Verwiesen wird auf den hessischen Weg, der allerdings nach wie vor einer umfassenden empirischen Untersuchung - über Fritz Bauer hinaus - harrt. Auf Bundesebene jedenfalls wurden unbelastete Kandidaten für höhere Positionen systematisch verdrängt. Der Rücktritt Gustav Heinemanns, des ersten Bundesinnenministers, hatte auch damit zu tun. Und im Laufe der Zeit wurde Adenauers Behauptung, auf die Expertise der Belasteten angewiesen zu sein, ergänzt durch das Argument, die ehemaligen Nationalsozialisten seien nicht in den Ministerien eine Gefahr, unkündbar und gut versorgt, sondern allenfalls außerhalb, wenn man sie nicht einbinde. Der Preis dafür, den nicht zuletzt zahlreiche NS-Opfer zahlten, war dennoch hoch, und die Demokratisierung der belasteten Beamten blieb in vielen Fällen und nicht selten bis ans Ende ihrer Dienstzeit eine Demokratisierung wider Willen. Eine Erfolgsgeschichte ist das nicht.
ECKART CONZE
Frank Bösch/ Andreas Wirsching (Hg.): Hüter der Ordnung. Die Innenministerien in Bonn und Ost-Berlin nach dem Nationalsozialismus.
Wallstein Verlag, Göttingen 2018. 837 S., 34,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Untersuchung über die Innenministerien in Bonn und Ost-Berlin nach 1949
Wenige Monate nach seiner Errichtung 1949 wurde im Bundesinnenministerium ein Referat für "Belange des Judentums" geschaffen. Konrad Adenauer selbst hatte sich dafür eingesetzt. Das Kanzleramt wollte in diesem Referat nicht nur die "kulturellen Angelegenheiten der jüdischen Religionsgemeinschaften" angesiedelt wissen, sondern auch die Aufgabe, "für eine ausreichende Berücksichtigung der jüdischen Interessen in der Gesetzgebung und Verwaltung Sorge zu tragen". Referatsleiter wurde Carl Gussone, der zu den ersten Beamten des höheren Dienstes gehörte, die 1949 in das Ministerium eingetreten waren. Dass die Biographie seiner ersten Lebenshälfte den 1907 geborenen Juristen für die Referatsleitung prädestinierte, wird man nur mit größtem Zynismus behaupten können. Gussone war 1933 in die NSDAP eingetreten, im gleichen Jahr auch in die Allgemeine SS und in sieben weitere NS-Organisationen. Später war er mit hoher Wahrscheinlichkeit als Finanzbeamter an der Diskriminierung von Juden beteiligt. Kaum hatte Gussone 1951 das Referat übernommen, landete ein Vorschlag des Bundespräsidialamts auf seinem Schreibtisch, in dem es um die Unterstützung einer Verständigungsveranstaltung zwischen Juden und Nichtjuden ging. Gussone lehnte die Initiative als "untunlich" ab. Von einem "weit verbreiteten Antisemitismus im deutschen Volk" könne "ernsthaft wohl nicht gesprochen werden. Davon abgesehen, habe die Bevölkerung kein Interesse, an die "Missetaten gegenüber den Juden" erinnert zu werden, zumal auch "in den Jahren seit 1945 manche Greueltaten im Bereich der ehemaligen Alliierten geschehen" seien. An den Rand einer Aufklärungsbroschüre zur NS-Propaganda setzte er im gleichen Jahr ein großes Fragezeichen. Es bezog sich auf den Satz: "Viele Deutsche wussten von dem Abtransport der Juden nach dem Osten, und sehr viele wussten auch, dass es zum Zwecke der Vernichtung geschah, es war Volksgespräch."
Die Causa Gussone, der NS-Verbrechen bagatellisierte und sich weigerte, Antisemitismus - vergangenen und gegenwärtigen - als solchen wahrzunehmen, bildet die Spitze eines Eisbergs, den nun eine vom Bundesministerium des Innern in Auftrag gegebene und vom Institut für Zeitgeschichte (München-Berlin) sowie dem Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam) durchgeführte Studie über die Innenministerien in Bonn und Ost-Berlin nach dem Nationalsozialismus sichtbar werden lässt. Die Untersuchung verdankt sich jener Aufarbeitungsdynamik, die nach 2010 nicht zuletzt nach dem Erscheinen des vieldiskutierten Buches über das Auswärtige Amt und sein Personal vor und nach 1945 einsetzte. Diese hat seither eine immer größer werdende Zahl von Bundesministerien und Bundesbehörden erfasst, hat sich aber auch auf die Länder- und die kommunale Ebene ausgeweitet. Längst ist das Bundesinnenministerium von seiner 2005 vertretenen Position abgerückt, als dessen Sprecher auf die Anfrage eines Bundestagsabgeordneten nach der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit erklärte, die Ministerien des Bundes verfügten angesichts ihrer Gründung nach 1949 über keine nationalsozialistische Vergangenheit, die der Aufarbeitung bedürfe.
Die große Herausforderung für die Historikerkommissionen und ihre Mitarbeiter besteht darin, nicht nur den öffentlichen Aufträgen gerecht zu werden, sondern zugleich zeithistorisch weiterführende Forschungsbeiträge zu liefern. Das ist indes gar nicht so einfach. Der Studie, an der neben den beiden Leitern acht weitere Wissenschaftler mitgearbeitet haben, gelingt das unter anderem deswegen, weil sie ihren Blick auf West- und Ostdeutschland richtet und das Ministerium des Innern (MdI) der DDR in vergleichender und verflechtungsgeschichtlicher Perspektive einbezieht. Das lohnt sich gerade mit Blick auf die Innenministerien und ihre intensive Wechselbeziehung beispielsweise in dem Versuch, präventiv Gegner zu bekämpfen: Kommunisten im Westen, "Agenten des Imperialismus" im Osten. Die NS-Zeit bildete für die Systemauseinandersetzung einen zentralen Bezugspunkt, nicht zuletzt in den nicht endenden DDR-Kampagnen gegen "alte Nazis" in Bonner Diensten und der Behauptung, selbst einen "antifaschistischen" Neubeginn erreicht zu haben, was freilich nichts anderes meinte, als die Dominanz der SED.
Dass die Beamtenschaft der Bundesministerien und Bundesbehörden in den fünfziger und sechziger Jahren hochgradig NS-belastet war und dass es ein hohes Maß an personeller Kontinuität aus der NS-Zeit in die Bundesrepublik hinein gab, kann heute kaum noch als überraschender Befund gelten. Bekannt war das eigentlich schon in den Jahrzehnten nach 1949, auch in den Institutionen selbst, wo man aber auch ein klares, eng umgrenztes Verständnis von NS-Belastung hatte. Das Bundeskanzleramt selbst beauftragte angesichts einer "zu erwartenden Interpellation" im Mai 1950 die Ressorts, die NSDAP-Mitgliedschaften des eigenen Personals statistisch zu erheben. Für das Bundesinnenministerium lag der Anteil im gehobenen Dienst bei 46, im höheren Dienst bei 57 Prozent, und diese Werte stiegen bis in die frühen sechziger Jahre noch an, als etwa zwei Drittel der leitenden Mitarbeiter (ab Referatsleiter) früher NSDAP-Mitglieder gewesen waren, davon wiederum die Hälfte Angehörige der SA. Etwa zwei Dutzend leitende Beamte waren überdies wie Carl Gussone in der SS gewesen. Solche quantitativen Angaben sind wichtig, und man sollte sich hüten, eine NSDAP-Mitgliedschaft als nicht aussagekräftig vom Tisch zu wischen. Noch wichtiger aber ist, dass es die Studie nicht bei diesen statistischen Auswertungen bewenden lässt und sich damit in eine Art sündenstolze Konkurrenz der Historikerkommissionen um den höchsten Nazi-Anteil in den jeweils untersuchten Institutionen begibt. In einer solchen Konkurrenz würde das Innenministerium fraglos einen der vorderen Plätze belegen.
Die quantitativen Werte können nur Ausgangspunkt weitergehender Fragen sein, die insbesondere darauf zielen müssen, was der hohe Anteil belasteten Personals für die Sachpolitik bedeutete. Unter den Leitbegriffen der Verwaltungskultur und der Sicherheitsgeschichte liefert das Buch hierzu aufschlussreiche Fallstudien. Darin wird zwar einerseits die zumindest oberflächliche Akzeptanz der Verfassungsordnung des Grundgesetzes erkennbar, auch wenn die für das Staatsrecht zuständige Abteilung I lange mit der Errichtung des Bundesverfassungsgerichts 1951 haderte und für den Fall der Wiedervereinigung vom Staat her gedachte Verfassungsentwürfe mit einer deutlichen Präponderanz der Exekutive ausarbeitete. Andererseits machen sie ebenso deutlich, wie sich Traditionen des Rassismus im Aufenthalts- und Ausländerrechtsreferat verlängerten, wie Netzwerke von Ärzten, Wissenschaftlern und Medizinalbeamten in der Abteilung Gesundheitswesen fortwirkten und die Entschädigung von Zwangssterilisierten hintertrieben oder wie sich die Kulturabteilung bis weit in die sechziger Jahre für ein illiberales Presserecht einsetzte. Nationalsozialistische Kontinuitätslinien verbanden sich hier mit älteren schwarz-weiß-roten Ideensträngen.
"Man schüttet kein dreckiges Wasser aus, wenn man kein reines hat." Die Worte Adenauers, mit denen er den hohen Anteil NS-Belasteter in den Ministerien rechtfertigte, werden in der Studie nicht nur zitiert, sie werden auch hinterfragt. Gab es tatsächlich keine Alternative? Verwiesen wird auf den hessischen Weg, der allerdings nach wie vor einer umfassenden empirischen Untersuchung - über Fritz Bauer hinaus - harrt. Auf Bundesebene jedenfalls wurden unbelastete Kandidaten für höhere Positionen systematisch verdrängt. Der Rücktritt Gustav Heinemanns, des ersten Bundesinnenministers, hatte auch damit zu tun. Und im Laufe der Zeit wurde Adenauers Behauptung, auf die Expertise der Belasteten angewiesen zu sein, ergänzt durch das Argument, die ehemaligen Nationalsozialisten seien nicht in den Ministerien eine Gefahr, unkündbar und gut versorgt, sondern allenfalls außerhalb, wenn man sie nicht einbinde. Der Preis dafür, den nicht zuletzt zahlreiche NS-Opfer zahlten, war dennoch hoch, und die Demokratisierung der belasteten Beamten blieb in vielen Fällen und nicht selten bis ans Ende ihrer Dienstzeit eine Demokratisierung wider Willen. Eine Erfolgsgeschichte ist das nicht.
ECKART CONZE
Frank Bösch/ Andreas Wirsching (Hg.): Hüter der Ordnung. Die Innenministerien in Bonn und Ost-Berlin nach dem Nationalsozialismus.
Wallstein Verlag, Göttingen 2018. 837 S., 34,90 [Euro].
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»Altnazis dominierten das Innenministerium in dessen Gründerzeit. Eine Studie zeigt die Gefahr, die von den Beamten ausging.« (Klaus Wiegrefe, Der Spiegel, 16.06.2018) »Es geht hier nicht nur um die NS-Nachfolger im Westen, sondern auch im Osten. Erstmals.« (Ronen Steinke, Süddeutsche Zeitung, 19.06.2018) »Die Studie.(...) macht deutlich, wie wichtig die zivilgesellschaftliche Kontrolle staatlicher Institutionen für eine demokratische Gesellschaft ist und bleibt.« (Martin Hubert, Deutschlandfunk Andruck, 22.06.2018) »Die Studie 'Die Hüter der Ordnung' gibt jetzt einen umfassend Einblick in den Umgang der unterschiedlichen Systeme mit der gleichen Vergangenheit.« (Simon Köppl, MDR AKTUELL, 20.06.2018) »ein großer Wurf mit hohem Neuigkeitswert« (Rolf Badstübner, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 11/2018) »Die Autoren zeigen an wichtigen Arbeitsbereichen, wie stark obrigkeitsstaatliches und demokratieskeptisches Denken das Handeln vieler Beamter bestimmte.« Dirk Klose, Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte, 10/2019)